L 5 R 3143/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 R 850/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3143/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.07.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Rücknahme eines Bescheides über die Gewährung von Altersrente und die Rückforderung einer hieraus resultierenden Rentenüberzahlung in Höhe von 5.042,99 EUR streitig.

Mit Bescheid vom 18.03.2005 gewährte die Beklagte dem am 08.02.1945 geborenen Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Die Alterstrente begann mit dem 01.03.2005 und wurde als Vollrente gezahlt; sie betrug monatlich 748,75 EUR brutto, wovon nach Abzug des Beitrages zur Kranken- und zur Pflegeversicherung 680,24 EUR an den Kläger ausgezahlt wurden. Bei der Berechnung der Rentenhöhe berücksichtigte die Beklagte die Zeit vom 26.03.1997 bis 31.12.2004 als Pflichtbeitragszeit, da der Kläger in dem genannten Zeitraum arbeitslos gewesen war und Arbeitslosenhilfe der BfA bezogen hatte.

Mit Schreiben vom 20.10.2006 (Eingang 25.10.2006) informierte die BfA die Beklagte darüber, dass gegen den Kläger eine Forderung in Höhe von 110.413,59 EUR bestehe und die Beklagte ermächtigt werde, diese Forderung gegen bestehende Leistungsansprüche des Klägers zu verrechnen. Auf Nachfrage der Beklagten, welche Leistungen seitens der Bundes-agentur für Arbeit zurückgefordert würden und ob dies Auswirkungen auf die von der Bundes-agentur für Arbeit ab dem 18.01.1995 entrichteten Beiträge habe, übersandte die BfA mit Schreiben vom 13.12.2006 den an den Kläger gerichteten Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 30.05.2006. Darin wurde die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab dem 26.03.1997 ganz zurück genommen. Die Bundesagentur gab weiter an, dass der Bescheid wegen eines anhängigen Klageverfahrens noch keine Bestandskraft habe, jedoch sei beabsichtigt, die Beiträge zur Rentenversicherung ab dem 18.01.1995 komplett zu stornieren.

Mit Schreiben vom 25.07.2007 hörte die Beklagte den Kläger erstmals zum Sachverhalt an und teilte mit, es sei beabsichtigt, den Rentenbescheid vom 18.03.2005 insoweit zurück zu nehmen, als der Rentenanspruch nur noch in geringerer Höhe bestehe, da im Versicherungskonto eingespeicherte beitragspflichtige Einnahmen zur Rentenversicherung aufgrund der gezahlten Arbeitslosenhilfe von der BfA storniert worden seien. Der Rentenbescheid sei insoweit rechtswidrig und für die Zukunft ab dem 01.08.2007 zurück zu nehmen. Vertrauensschutz bestehe insoweit nicht.

Mit Rentenbescheid vom 25.07.2007 stellte die Beklagte die Rente ab dem 01.03.2005 neu fest; die Rente betrug nach diesem Bescheid monatlich 661,80 EUR brutto, wovon 596,61 EUR zur Auszahlung kamen.

Mit Bescheid vom 31.07.2007 nahm die Beklagte den Bescheid vom 18.03.2005 insoweit zurück, als ein Anspruch auf die Rentenleistung in der bewilligten Höhe ab dem 01.08.2007 nicht mehr bestehe und dem Kläger statt monatlich 678,62 EUR nur noch ein Anspruch auf Rente in Höhe von 596,61 EUR zustehe. Die Überzahlung für die Zeit vom 01.08.2007 bis zum 31.08.2007 in Höhe von 82,01 EUR sei vom Kläger zurück zu zahlen.

Dagegen legte der Kläger am 24.08.2007 Widerspruch mit der Begründung ein, dass noch keine rechtskräftige Entscheidung über die Aufhebung der Arbeitslosenhilfe vorliege und die ungekürzte Rente weiter zu zahlen sei. Mit Schreiben vom 11.09.2007 reagierte die Beklagte darauf und erklärte, der Widerspruch habe aufschiebende Wirkung, sodass die Rente in gleicher Höhe weiter gezahlt werde. Zu beachten sei, dass zu Unrecht gezahlte Beiträge zurückgefordert werden müssten. Der Kläger werde über die Entscheidung des Widerspruchs einen gesonderten Bescheid erhalten.

Mit Datum vom 25.09.2007 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid, mit dem "der bisherige Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.09.2007 nach § 48 SGB X aufgehoben" und die Rente ab dem 01.09.2007 in Höhe von monatlich 678,62 EUR bezahlt werde. Damit wollte die Beklagte - wie aus internen Vermerken in der Verwaltungsakte hervorgeht - wohl nur der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches Rechnung tragen, ohne dass dies jedoch für den Kläger durch eine Passage im Bescheid zu erkennen war. Entsprechend merkte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 01.10.2007 an, sie gehe davon aus, dass der Bescheid vom 25.09.2007 einen Abhilfebescheid auf ihren Widerspruch vom 24.08.2007 darstelle. Dieser Auffassung schloss sich die Beklagte an (s. Stellungnahme Bl. 185 der Verwaltungsakte), übernahm die Kosten des Widerspruchsverfahrens für den Kläger und legte die "irrtümliche" Abhilfeentscheidung gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 14.02.2008 (Bl. 198 der Verwaltungsakte) offen. In diesem Schreiben "erkannte" sie den Bescheid vom 25.09.2007 als Abhilfebescheid gemäß § 85 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an und kündigte gleichzeitig, eine Überprüfung des Sachverhaltes nach Abschluss des Klageverfahrens gegen der BfA an.

Am 08.09.2011 informierte die BfA die Beklagte mit Schreiben vom 06.09.2011 darüber, dass ihr Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 30.05.2006 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2006) nach Beendigung des gerichtlichen Verfahrens durch Rücknahme der Berufung (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg; L 13 AL 4291/10) bindend geworden sei. Die Beklagte nahm daraufhin zunächst mit Bescheid vom 25.06.2012 eine Verrechnung mit der Forderung der BfA vor.

Mit Schreiben vom 09.08.2012 hörte die Beklagte den Kläger sodann zur beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 18.03.2005 für die Zeit ab dem 01.08.2007 an. Die Altersrente sei nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nur in Höhe von 635,36 EUR statt in Höhe von 722,71 EUR zu bezahlen. Für die Zeit vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2012 sei eine Überzahlung in Höhe von 5.042,99 EUR entstanden, die der Kläger erstatten müsse.

Mit Bescheid vom 18.10.2012 erließ die Beklagte eine entsprechende Rücknahme- und Erstattungsentscheidung. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid vom 18.03.2005 werde nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) insoweit zurück genommen, als ab dem 01.08.2007 nur ein Anspruch auf Rente in Höhe von 635,36 EUR bestehe. Eine Überzahlung von 5.042,99 EUR sei für die Zeit vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2012 zu erstatten. Da nach Auskunft der BfA für den Zeitraum vom 26.03.1997 bis zum 31.12.2004 kein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bestanden habe, entsprechend keine beitragspflichtigen Einnahmen zur Rentenversicherung aufgrund eines Leistungsbezugs durch die Agentur für Arbeit mehr vorlägen, sei der Rentenbescheid vom 18.03.2005 rechtswidrig. Der Kläger habe zumindest ab dem Anhörungsschreiben vom 25.07.2007 nicht mehr auf den Bestand des Rentenbescheides vertrauen können. Die Rücknahme stehe in ihrem, der Beklagten, Ermessen. Die Änderung der Rentenhöhe sei dem Kläger zumutbar und nicht so gravierend, dass seine wirtschaftliche Existenz wesentlich gefährdet oder beeinträchtigt werde; dagegen sei die Versichertengemeinschaft vor finanziellen Verlusten zu schützen. Ausnahmetatbestände, die ein Abweichen von der Rücknahme im Wege des Ermessens rechtfertigten, seien nicht ersichtlich.

Dagegen legte der Kläger am 22.11.2012 Widerspruch ein, den er in der Folge nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen die Begründung des Rücknahmebescheides vom 18.10.2012 wiederholt und darüber hinaus ausgeführt, dass auch die Rücknahmefrist eingehalten worden sei.

Dagegen erhob der Kläger am 18.02.2013 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Die Beklagte habe bereits mit Bescheid vom 31.07.2007 den Rentenbescheid wegen des identischen Sachverhaltes aufgehoben. Mit Bescheid vom 14.02.2008 habe sie seinem dagegen eingelegten Widerspruch abgeholfen. Er, der Kläger, habe daher nicht damit rechnen müssen, dass die Beklagte eine Rückforderung für den gleichen Zeitraum geltend machen werde. Er sei der Auffassung, dass die Rente erst ab dem 01.11.2012 aufgehoben werden könne, nicht jedoch für den früheren Zeitraum, für den eine Rückzahlung entstanden sei. Er habe bei Beantragung der Rente keine falschen Angaben gemacht; den Prozess gegen die BfA habe er letztlich verloren, weil er nicht habe beweisen können, dass er Gelder auf seinen Konten nur treuhänderisch für andere aufbewahrt habe. Zudem sei er, der Kläger, aufgrund seiner finanziellen Situation auch nicht zur Rückzahlung in der Lage. Der grundsicherungsrechtliche Bedarf betrage ausweislich einer Bescheinigung des Landratsamtes Böblingen für ihn und seine Ehefrau 1.014,28 EUR, wobei nach Erhöhung der Regelsätze dieser nun 1.030,28 EUR betrage. Dem stünden Einnahmen von nur 1.079,09 EUR monatlich gegenüber. Weiter habe die Beklagte bereits am 08.09.2011 Kenntnis von der Berufungsrücknahme und der damit verbundenen Beendigung des sozialgerichtlichen Verfahrens erlangt.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Der Kläger sei mit Schreiben vom 25.07.2007 über die beabsichtigte Rücknahme des Rentenbescheides in Kenntnis gesetzt worden. Der klägerische Hinweis auf das laufende Klageverfahren habe dann zur Zurückstellung der Angelegenheit geführt. Durch Schreiben vom 14.02.2008 habe sie, die Beklagte, dem Kläger in Aussicht gestellt, die Angelegenheit zu überprüfen, sobald das Verfahren abgeschlossen sei. Die Sach- und Rechtslage sei ihm damit zeitnah bekannt gewesen und er hätte sich auf die Rückforderung einstellen können und müssen. Vor diesem Hintergrund sei der jetzige Vortrag rechtsmissbräuchlich. Auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse habe der Kläger erst jetzt - zuvor auch im Anhörungsverfahren nicht - hingewiesen, was zu seinen Lasten gehe. Dies könne im Rahmen der Rückzahlungsmodalitäten Beachtung finden. Von der Beendigung des Verfahrens gegen die BfA habe sie, die Beklagte, im Übrigen erst am 26.10.2011 Kenntnis erlangt.

Mit Urteil vom 13.07.2016 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 18.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2013 auf. Als Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 18.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 09.01.2013 komme nur § 45 SGB X in seiner ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung in Betracht. Dessen tatbestandlichen Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt; die Beklagte habe die Rücknahmefristen nicht gewahrt. Zwar sei der Bescheid über die Bewilligung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit vom 18.03.2005 in Höhe von 680,24 EUR netto bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen, da dem Kläger von Anfang an nur eine geringere Rente in Höhe von 635,36 EUR zugestanden habe. Denn bei der Rentenberechnung habe die Beklagte zu Unrecht beitragspflichtige Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 26.03.1997 bis zum 31.12.2004 berücksichtigt. Die während des Bezuges von Arbeitslosenhilfe von der BfA entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung seien nach dem Rückforderungsbescheid der BfA vom 30.05.2006 ab dem 18.01.1995 komplett storniert worden. Die Entscheidung über die Rücknahme der Arbeitslosenhilfe ab dem 26.03.1997 wegen Vermögens des Klägers in beträchtlicher Höhe sei mittlerweile auch bestandskräftig. Mit Wirkung für die Vergangenheit könne der Rentenbescheid vom 18.03.2005 dennoch nicht zurück genommen werden. Zwar gehe die Beklagte gemäß des Bescheides vom 18.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2013 augenscheinlich davon aus, dass eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft vorliege. Nach Ansicht der Kammer sei mit dem Bescheid aber in Wirklichkeit eine Rücknahme für die Vergangenheit verfügt worden, da der Rentenbescheid ab dem 01.08.2007 zurück genommen worden sei. Ausgehend vom Datum des Bescheides vom 18.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2013 liege dieser Zeitpunkt im Jahr 2007 in der Vergangenheit. Zwar könne dem Kläger wohl ab der Anhörung der Beklagten vom 25.07.2007 entsprechend des § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB X kein Vertrauensschutz hinsichtlich des Rentenbescheides mehr zugestanden werden, da er ab diesem Zeitpunkt gewusst habe, dass die Berechnungsgrundlagen der Beklagten falsch gewesen seien und er auch entgegen seines Vorbringens nicht habe darauf vertrauen dürfen, den Rechtsstreit gegen die BfA zu gewinnen. Dies sei aber nicht entscheidend, da die Beklagte die Rücknahmefrist des § 45 Abs. 4 SGB X nicht eingehalten habe. Zur Überzeugung der Kammer habe die Beklagte am 08.09.2011 die maßgebliche Kenntnis aller Tatsachen, die zur Rücknahme des Rentenbescheides berechtigten, erlangt. Denn auf dieses Datum datiere der Eingangsstempel der Beklagten auf dem Schreiben der BfA, mit dem diese mitgeteilt habe, dass ihr Erstattungsbescheid gegen den Kläger nunmehr bindend geworden sei. Als Anlage sei ein Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandt worden, wonach die Berufung gegen das - abschlägige - Urteil gegen den Bescheid der Bundesarbeitsagentur zurück genommen worden sei. Mit Eingang dieser Schriftstücke habe die Beklagte die vollständige Kenntnis aller für ihre Rücknahmeentscheidung erheblichen Umstände gehabt. Denn die Beklagte habe bereits mit Schreiben vom 25.07.2007 den Kläger zum Sachverhalt angehört. Nach dem unstreitigen Vorgang und dem Schreiben vom 14.02.2008 seien der Beklagten 2008 bis auf die Bestandskraft des Bescheides der BfA bereits alle für die Rücknahme erforderlichen Tatsachen bekannt gewesen. Eben diese Kenntnis von der Bestandskraft habe sie dann aber mit dem Schreiben der BfA am 08.09.2011 erlangt. Entsprechend habe auch die zweite Anhörung des Klägers zum identischen Sachverhalt nicht für den Fristbeginn abgewartet werden müssen. Die Rücknahmefrist habe damit am 08.09.2011 begonnen und habe am 08.09.2012 geendet. Die Rücknahme- und Erstattungsverfügung sei dann aber erst mit Bescheid vom 18.10.2012 nach der Jahresfrist erfolgt. Das Berufen auf die Frist durch den Kläger sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Vertrauensgesichtspunkte seien bei dem Fristlauf des § 45 Abs. 4 SGB X nicht zu berücksichtigen. Auch Personen, die eigentlich keinen Vertrauensschutz genießen würden, weil sie schuldhaft im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X gehandelt hätten, würden den Vertrauensschutz ein Jahr nach Kenntnis der zuständigen Behörde erwerben. Sie müssten also mehr als ein Jahr, nachdem die Behörde von allen maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt habe, nicht mehr mit einer Rücknahme der Begünstigung rechnen. Diese zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis diene der Rechtssicherheit. Es könne daher dahinstehen, ob die Beklagte ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt habe.

Das Urteil wurde der Beklagten am 22.07.2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 18.08.2016 beim SG eingelegte Berufung der Beklagten, die dem Landessozialgericht (LSG) Baden Württemberg am 19.08.2016 zur Entscheidung vorgelegt wurde. Seitens der Beklagten sei nicht ohne weiteres von einer Kenntniserlangung über die maßgeblichen Umstände mit Zugang der Mitteilung der BfA am 08.09.2011 auszugehen. Die Jahresfrist beginne in der Regel frühestens mit der Anhörung des Begünstigten. Selbstverständlich sei eine gewisse zeitliche Nähe zwischen dem Anhörungsverfahren und der nachfolgenden Rücknahmeentscheidung geboten. In diesem Zusammenhang auf eine Anhörung des Begünstigten in einem vorausgegangenen bereits mehr als 5 Jahre zurückliegendes Verfahren zurückzugreifen - wie es das SG für ausreichend erachte - erscheine gänzlich unangebracht. Nicht hingenommen werden könne ferner die vollständige Aufhebung ihres Rücknahmebescheides vom 18.10.2012. Das SG habe im Rahmen seiner Entscheidungsgründe ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegend nicht erfüllt seien; sie, die Beklagte, habe die Rücknahmefristen nicht gewahrt. Das SG sei daraufhin zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Rentenbescheid vom 18.03.2005 mit Wirkung für die Vergangenheit nicht zurückgenommen werden könne. Bei dem Bescheid vom 18.10.2012 handele es sich jedoch keineswegs ausschließlich um eine Rücknahme des Ausgangsbescheides für die Vergangenheit. Vielmehr sei der Bescheid vom 18.03.2005 gemäß § 45 SGB X insoweit zurückgenommen worden, als Anspruch auf die Rentenleistung in der bewilligten Rentenhöhe ab 01.08.2007 nicht bestehe. Im Ergebnis schränke der streitige Bescheid die Höhe der bewilligten Rentenleistung für die Zeit ab 01.08.2007 fortlaufend und damit auch für die Zukunft, das heißt ab 01.11.2012 (Rücknahmebescheid vom 18.10.2012), ein. Wie das SG selbst eingeräumt habe, könne sich der Begünstigte auf Vertrauen spätestens ab der Anhörung nicht mehr berufen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass ihre, der Beklagten, vorausgegangenen Berechnungsgrundlagen falsch gewesen seien. Gutgläubigkeit liege von diesem Zeitpunkt an nicht mehr vor, so dass auch die Frist nach § 45 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB X vorliegend gewahrt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.07.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zutreffend habe das SG in seinem Urteil auf den 08.09.2011 als maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntniserlangung abgestellt. Schließlich habe die Beklagte ihn, den Kläger, bereits im Jahr 2007 angehört, so dass auf die im Jahr 2012 erfolgte Anhörung nicht abgestellt werden könne. Damit aber habe die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid die Jahresfrist des § 45 SGB X verletzt, weshalb das Urteil des SG nicht zu beanstanden sei. Soweit das SG nicht zwischen einer Aufhebung für die Zukunft und für die Vergangenheit differenziere, sei dies auf die Unbestimmtheit des maßgeblichen Bescheids zurückzuführen. Dies könne nicht zu seinen Lasten gehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats sowie die beigezogene Akte der BfA und die SG- und LSG-Akten in den Verfahren S 16 AL 8103/06 bzw. L 13 AL 4291/10 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne Zulassung durch das SG statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750,00 EUR) ist bereits bei einem streitigen Rückforderungsbetrag von 5.042,99 EUR überschritten. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher auch sonst gemäß § 151 SGG zulässig.

Die Berufung ist begründet.

1.) Der Aufhebung der Rentenbewilligung vom 18.03.2005 steht nicht von vornherein der in Rechtsprechung und Literatur vertretene sozialrechtliche Grundsatz entgegen, wonach die Beurteilung der Beitragspflicht und der Beitragszeit im Zeitpunkt der Beitragszahlung erfolgen müsse und in der Vergangenheit liegende sozialversicherungsrechtliche Verhältnisse grundsätzlich nicht nachträglich mit Rückwirkung geändert werden könnten (so aber in einem vergleichbaren Fall LSG Berlin-Brandenburg vom 09.09.2010 - L 22 R 540/09 -, in juris Rn. 26 ff.). Allerdings ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob von einem "beziehen" von Lohnersatzleistungen als Voraussetzung für die Versicherungspflicht nach § 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2004 anzuwendenden Fassung nur bei einem rechtmäßigen Bezug, also bei endgültigem Anspruch (so Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.10.1978, - 1 RJ 12/78 -; BSG, Urteil vom 12.12.1990, - 12 RK 35/89 -; BSG, Urteil vom 15.08.1991, - 12 RK 25/89 -, alle in juris; Hauck/Haines, SGB VI § 3 Rn. 104) oder schon beim tatsächlichen Bezug ungeachtet seiner Rechtmäßigkeit und damit Änderbarkeit zu sprechen ist (BSG, Urteil vom 13.02.1964, - 3 RK 66/59 -; BSG, Urteil vom 18.12.1980, - 8a RK 20/79 -; BSG, Urteil vom 25.01.1995, - 12 RK 51/93 -, alle in juris; KassKomm, SGB VI § 3 Rn. 18; GK-SGB VI, § 3 Rn. 49). Nach letzterer Auffassung dürfe die Rechtmäßigkeit des Bezuges vor allem aus Gründen des Vertrauens des Leistungsempfängers in den mit der Beitragszahlung verbundenen Versicherungsschutz keine Auswirkungen auf die Versicherungspflicht haben; dies gebiete den grundsätzlichen Ausschluss einer rückwirkenden Änderung des Versicherungsstatus (BSG, Urteil vom 25.01.1995, - 12 RK 51/93 -, in juris). Der Versicherte solle möglichst jederzeit wissen, ob er versichert ist, um gegebenenfalls durch anderweitige Versicherung Vorsorge treffen zu können. Ein solches schutzwürdiges Vertrauen ist jedenfalls im Hinblick auf die Versicherung für den Krankheitsfall evident. Für die Rentenversicherung ist dieses Bedürfnis dagegen deutlich weniger ausgeprägt. Der Ausschluss einer rückwirkenden Veränderung des Rentenversicherungsverhältnisses mutet vor diesem Hintergrund nur schwer nachvollziehbar und im Ergebnis im Hinblick auf die sich daraus ergebenden ungerechtfertigten Privilegierungen unbefriedigend an (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 24.01.2012, - L 13 R 4844/10 -, in juris). Letztendlich kann die Klärung dieser Frage aber dahinstehen. Denn in vorliegendem Fall kann ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers in den mit der Arbeitslosenhilfe(Alhi)-Bewilligung verbundenen Versicherungsschutz nicht angenommen werden. Denn der Kläger hat sowohl im erstmaligen Antrag auf Gewährung von Alhi wie auch in sämtlichen Fortzahlungsanträgen den Besitz von Vermögen jeweils verneint. Unbestritten war auf den Namen des Klägers, der Ehefrau des Klägers und ein gemeinsames Konto aber bei der t. Nationalbank ein Geldvermögen in Höhe von mindestens 300.000 DM angelegt. Der Kläger hat zwar vorgetragen, bei dem angelegten Geld habe es sich um treuhänderisch angelegtes Vermögen gehandelt. Eine detaillierte Tatsachenschilderung, wann und wo mit wem welche konkreten Absprachen getroffen wurden, wann, wo und in welcher Höhe Gelder zur Anlage an den Kläger übergeben wurden sowie wann, wo und in welcher Höhe der Kläger die Gelder zurückgezahlt hat, fehlen. Der Kläger hat sich im Übrigen im Verfahren vor dem SG und LSG bezüglich der Aufhebung und Erstattung überzahlter Alhi (S 16 AL 8103/06 bzw. L 13 AL 4291/10) dahingehend eingelassen, er sehe sich außer Stande, die auf das streitgegenständliche Konto geflossenen Beträge einzelnen Personen und Daten zuzuordnen und hat die Berufung zurückgenommen. Ernsthafte Zweifel, dass dem Kläger und seiner Ehefrau das angelegte Vermögen zustand, können nach alledem nicht aufkommen. Der Kläger hat aber demnach durch wenigstens grob fahrlässige unrichtige bzw. unvollständige Angaben die Gewährung von Alhi und den damit verbundenen Versicherungsschutz herbeigeführt und kann sich insoweit folglich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen.

Zutreffend ist das SG deshalb zunächst davon ausgegangen, dass nach Aufhebung der Alhi-Bewilligungen durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Agentur für Arbeit vom 30.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2006 die Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung vom 26.03.1997 bis 31.12.2004 entfallen sind und sich damit die ursprünglich gewährte Rentenhöhe als rechtswidrig darstellt.

2.) Ein Fall anfänglicher Rechtswidrigkeit als Voraussetzung für eine Aufhebung nach § 45 SGB X lag zur Überzeugung des Senats freilich nicht vor. Ungeachtet des oben skizzierten Streites, inwieweit der Versichertenstatus einer nachträglichen Änderung zugänglich ist, ist zu beachten, dass im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Rentenbescheides vom 18.03.2005 die Beklagte bei Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente aufgrund der bestandskräftigen Entscheidungen der Agentur für Arbeit über die Bewilligung von Alhi zwingend die Pflichtversicherungszeiten aufgrund dieser Alhi-Bewilligungen zu Grunde zu legen hatte. Die in den Bescheiden der Agentur für Arbeit erfolgte bestandskräftige Bewilligung von Alhi entfaltete ihre Bindungswirkung nicht nur im Verhältnis zwischen den Beteiligten im konkreten Verwaltungsverfahren; vielmehr kam den Bewilligungsentscheidungen mangels eines eigenen Prüfungsrechts der Beklagten Tatbestandswirkung zu, weshalb die darin ausgesprochenen Verfügungen auch von der Beklagten zu beachten waren. Die Rentengewährung war zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig. Spätere, wenn auch rückwirkende Änderungen der Sach- oder Rechtslage berühren die im Rahmen der §§ 44, 45 SGB X erhebliche ursprüngliche Rechtswidrigkeit nicht; vielmehr liegt dann ein Fall der nachträglichen Rechtswidrigkeit nach § 48 SGB X vor (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 24.01.2012, - L 13 R 4844/10 -; BSG, Vorlagebeschluss vom 28.05.1997, - 8 RKn 27/95 -, a.A. Bayerisches LSG, Urteil vom 16.02.2011, - L 13 R 52/09 -, alle in juris).

3) Die maßgebliche rechtliche Grundlage für den Bescheid vom 18.10.2012 stellt daher § 48 SGB X dar. Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt (§ 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X). Der Betroffene muss schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet haben, was im gegebenen Falle jedem einleuchten muss (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 19.02.1986, - 7 RAr 55/84 -, in juris). Es ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und das Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen (BSG, Urteil vom 16.03.2005, - B 11a/11 AL 41/03 R -, in juris).

Gemessen daran war die Beklagte berechtigt, den Bescheid vom 18.03.2005 auch mit Wirkung für die Vergangenheit, also vom 01.08.2007, aufzuheben und die Erstattung des geforderten Betrages von 5.042,99 EUR zu fordern.

Hierzu stellt der Senat zunächst fest, dass es sich bei dem die Gewährung von Altersrente bewilligenden Bescheid vom 18.03.2005 um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, der rechtmäßig war und, da er nicht angefochten wurde, gemäß § 77 SGG bindend geworden ist. Mit ihm wurde dem Kläger Altersrente in Höhe von 748,75 EUR brutto (wovon nach Abzug des Beitrages zur Kranken- und zur Pflegeversicherung 680,24 EUR an den Kläger ausgezahlt wurden) auf unbestimmte Zeit gewährt (Dauerverwaltungsakt). Er war zunächst - wie ausgeführt - bei seinem Erlass auch rechtmäßig.

Mit dem Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids der Agentur für Arbeit vom 30.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2006 ist sodann eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, da hiernach die Voraussetzung für die Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung entfallen sind. Der Austausch der Begründung ist dabei zulässig. Hat die Verwaltung einen Bescheid auf § 45 SGB X gestützt, ist aber richtigerweise § 48 Abs. 1 SGB X einschlägig, so bedarf es keiner Umdeutung; es liegt lediglich ein Austausch der Begründung vor (BSG, Urteil vom 24.02.2011, - B 14 AS 45/09 R -, in juris). Eine unzulässige Änderung des Regelungsumfangs oder Wesensgehalts des Verwaltungsaktes tritt hier nicht ein, soweit als Rechtsgrundlage § 48 SGB X an Stelle von § 45 SGB X herangezogen wird. Die §§ 45 und 48 SGB X sind auf dasselbe Ziel, nämlich die Beseitigung eines Verwaltungsaktes, gerichtet, sodass ein Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig ist. Allerdings kann der Verfügungssatz eines Bescheides nicht auf eine andere Begründung gestützt werden, wenn dadurch die Rechtsverteidigung des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert würde. Darauf kann sich jedoch der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Denn das bloße, vom Wunsch der Vermeidung des tatsächlichen Eintritts einer Belastung getragene Interesse des Betroffenen daran, dass ein belastender Verwaltungsakt nicht nachträglich auf eine ihn tragende Rechtsgrundlage gestützt wird, ist rechtlich nicht geschützt. Der Schutz des Betroffenen ist insoweit darauf beschränkt, dass die Rechtsfolgen für ihn nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen des fehlerhaft begründeten Verwaltungsaktes (so ausdrücklich LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.11.2013, - L 3 R 461/12 -, in juris unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG).

§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X berechtigt die Behörde auch zur Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit. Vorliegend ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfüllt. Spätestens mit dem Anhörungsschreiben vom 25.07.2007 konnte der Kläger die Relevanz der Alhi-Bewilligung bzw. deren Aufhebung für die ihm zu gewährende Altersrente erkennen. Insoweit wurde der Kläger explizit darauf hingewiesen, dass aufgrund der Aufhebung der Alhi-Bewilligung Pflichtbeitragszeiten entfielen, die Auswirkungen auf seine Rentenhöhe haben würden. Vertrauensschutz besteht insoweit nicht. Darüber hinaus wurde der Kläger im Schreiben der Beklagten vom 11.09.2007 nochmals darauf hingewiesen, dass er im Fall der Bestandskraft des Bescheids vom 30.05.2006 mit einer teilweisen Aufhebung zu rechnen habe. Mangels Vertrauensschutz war die Beklagte daher auch zur rückwirkenden Aufhebung berechtigt.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt rückwirkend vom Zeitpunkt der Verhältnisse aufgehoben werden. "Soll" bedeutet, dass dies in aller Regel zu geschehen hat. Nur in Ausnahmefällen - in sogenannten atypischen Fällen - kann er allein für die Zukunft aufgehoben werden. Jedoch ist der Verwaltung in diesen Fällen - und auch nur in diesen Fällen - ein von ihr auszuübendes Ermessen eingeräumt, auch dann noch für die Vergangenheit aufzuheben (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, 2010, § 48 Rdnr. 20; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.11.2013, - L 3 R 461/12 -, in juris; BSG, Urteil vom 06.11.1985, - 10 RKg 3/84 -, in juris). Nach der Rechtsprechung des BSG lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen, wann ein atypischer Fall vorliegt, in dem eine Ermessensentscheidung zu treffen ist. Vielmehr ist dies stets nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu bestimmen und hängt maßgebend von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BSG, Urteil vom 11.02.1988, - 7 RAr 55/86 -, in juris). Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern vielmehr als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen (BSG, Urteil vom 06.11.1985, - 10 RKg 3/84 -, in juris; BSG, Urteil vom 11.02.1988, - 7 RAr 55/86 -, in juris).

Ein atypischer Fall ist zur Überzeugung des Senats nicht gegeben. Die eingetretene Überzahlung beruhte nicht auf einem mitwirkenden Fehlverhalten auf der Seite des Versicherungsträgers, der Beklagten (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.11.2013, - L 3 R 461/12 -, in juris m.w.N), sondern fällt ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Klägers. Zudem stellt die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundene Erstattungspflicht des Klägers keine besondere Härte dar. Diese würde vorliegen, wenn die Rückerstattung nach Lage des Falles den Leistungsbezieher in untypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen. Ein irreversibler Verbrauch der erhaltenen Überzahlung, aus der der Empfänger sonst die Erstattungsforderung beglichen hätte, stellt für sich genommen keinen Umstand dar, der eine besondere Härte begründet. Allerdings hat das BSG einen atypischen Fall dann angenommen, wenn der Betroffene aufgrund besonderer Umstände nicht damit zu rechnen brauchte, erstattungspflichtig zu werden, und er im Vertrauen darauf das nachträglich erzielte Einkommen, aus dem er sonst die Erstattungsforderung beglichen hätte, ausgegeben hat (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.1994, - 1 RK 45/93 -, in juris). Nach den obigen Ausführungen kann sich der Kläger jedoch auf Vertrauensschutz vorliegend gerade nicht berufen.

4.) Der Aufhebung steht auch nicht § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen. Die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist gewahrt. Die Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die zur Aufhebung nach § 48 SGB X berechtigen. Da § 48 Abs. 2 SGB X neben objektiven auch subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) enthält, muss die Behörde z.B. auch von der Bösgläubigkeit des Betroffenen Kenntnis haben. Wann dies der Fall ist, ist weder ausschließlich nach der subjektiven Einschätzung der Behörde noch anhand objektiver Kriterien zu beantworten. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSG, Urteil vom 27.07.2000, - B 7 AL 88/99 R -, in juris). Hierbei ist hinsichtlich der erforderlichen Gewissheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde abzustellen, es sei denn, deren sichere Kenntnis liegt bei objektiver Betrachtung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor. Da die Rechtsprechung regelmäßig eine Anhörung vor Erlass eines Aufhebungsbescheids nach § 48 SGB X verlangt, um die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands aufzuklären, beginnt die Jahresfrist regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen. Für die Kenntnis kommt es nicht auf in der Behörde insgesamt vorhandene Kenntnisse, sondern auf die Kenntnis des behördenintern für die Vorbereitung oder die Entscheidung zuständigen Bearbeiters oder zumindest der zur Entscheidung berufenen Dienststelle an (BSG, Urteil vom 09.09.1986, - 11a RA 2/85 -, in juris).

Die Anhörung des Klägers vor dem streitgegenständlichen Bescheid erfolgte erst mit Schreiben vom 09.08.2012, so dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 18.10.2012 die Jahresfrist gewahrt hat. Entgegen der Ansicht des SG kann nicht auf die Anhörung aus 2007 abgestellt werden. Diese sollte im Wesentlichen zu einer Aufhebung für die Zukunft führen. Demgegenüber war der Bescheid vom 18.10.2012 auf eine Aufhebung für die Vergangenheit gerichtet. Dementsprechend wurde der Kläger in dem Anhörungsschreiben vom 09.08.2012 gerade auch zu der beabsichtigten Rückforderung angehört. Auch die Möglichkeit zum Vortrag eines atypischen Sachverhalts und zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit war gegeben. Insoweit stellt sich die erneute Anhörung vom 09.08.2012 auch nicht als Formalismus, sondern zwingende Voraussetzung einer Aufhebung gem. § 24 SGB X dar.

Auch die Fristen des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X sind vorliegend beachtet. Hiernach kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 Abs. 2 SGB X bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X gegeben sind. Der Rentenbescheid datiert vom 18.03.2005, der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 18.10.2012.

5.) Auch bei Anwendung von § 45 SGB X wäre im Übrigen eine Rücknahme des Rentenbescheids ab dem 01.08.2007 in Betracht gekommen, worauf der Vollständigkeit halber hingewiesen werden soll. Denn einer Rücknahme für die Vergangenheit stünde in diesem Fall § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X, wonach eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den Fällen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X in Betracht kommt, nicht im Wege, da der Kläger ab dem 01.08.2007 aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 25.07.2007 bösgläubig war. Hinsichtlich der Frist gem. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ergibt sich ebenfalls nicht anderes. Vielmehr wäre zur Ausübung des Ermessens a majore a minus ebenfalls eine erneute Anhörung vor der Aufhebungsentscheidung notwendig gewesen.

6.) Die Pflicht des Klägers, die zu Unrecht gewährten Leistungen zu erstatten, ergibt sich aus § 50 SGB X. Auf Grund dessen ist der Kläger verpflichtet, den von der Beklagten geforderten Betrag, dessen Berechnung weder beanstandet wird, noch nach Prüfung des Senats zu beanstanden ist, zurückzuzahlen.

Der angefochtene Bescheid vom 18.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2013 ist inhaltlich ausreichend bestimmt und im Übrigen von der Beklagten auch verfahrensrechtlich ordnungsgemäß erlassen worden, nachdem der Kläger zunächst vor seinem Erlass mit Schreiben vom 09.08.2012 gemäß § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden ist.

7.) Da das SG somit zu Unrecht den Bescheid der Beklagten aufgehoben hat, hebt der Senat das Urteil des SG vom 13.07.2016 auf und weist die Klage ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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