L 7 KA 5/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 198/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 5/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2013 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine von der Beklagten vorgenommene Honorarberichtigung in Höhe von 6.337,32 Euro für das Quartal IV/05.

Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie (Schwerpunkt Rheumatologie) und seit 1992 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er führte seine Praxis in Praxisgemeinschaft mit dem Facharzt für Orthopädie (ebenfalls Schwerpunkt Rheumatologie) M (im Folgenden: M.).

Der Kläger verfügt über eine am 2. September 2004 von der Beklagten erteilte Abrechnungsgenehmigung zur "Durchführung von Leistungen in der Röntgendiagnostik des gesamten Skeletts einschließlich Durchleuchtungen und Schichtaufnahmen". Der Arzt M. verfügt dagegen über keine Abrechnungsgenehmigung für röntgenologische Leistungen. U.a. im streitigen Quartal überwies er daher Patienten, bei denen er Röntgenleistungen für erforderlich hielt, an den Kläger, der diese Leistungen sodann erbrachte. Es kam auf diese Weise zur gemeinsamen Versorgung von Patienten in folgendem Umfang:

Quartal Abgerechnete Fälle Arzt M. Abgerechnete Fälle Kläger Gemeinsame Patienten IV/05 1.105 1.396 442

In seiner Sitzung vom 7. September 2009 stellte der Plausibilitätsausschuss fest, dass die beiden Ärzte im Quartal IV/05 zwar über eine nennenswerte Anzahl gemeinsamer Patienten verfügten; eine stichprobenhafte Überprüfung von Doppelbehandlungsfällen habe aber ergeben, dass der Kläger bei den Patienten des Arztes M. ausschließlich Röntgenaufnahmen auf Überweisung hin gefertigt habe und eine rechtswidrige gemeinsame Behandlungstätigkeit nicht habe festgestellt werden können. Allerdings liege ein Verstoß gegen § 4 Ziffer 9 der Abrechnungsordnung vor, der regele, dass Überweisungen zur Ausführung von Röntgenuntersuchungen nur von Ärzten für Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlenheilkunde angenommen werden dürften.

Mit Bescheid vom 25. Mai 2010, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2011, entschied die Beklagte daraufhin, den Honorarbescheid des Klägers für das Quartal IV/05 teilweise aufzuheben, eine sachlich-rechnerische Berichtigung vorzunehmen und das Honorar um 6.337,32 Euro (brutto) zu kürzen. Abzusetzen seien alle auf Überweisung des Arztes M. erbrachten radiologischen Leistungen nach den GO-Nummern 34220, 34221, 34222, 34230, 34231, 34232, 34233 und 34234, insgesamt 531 Leistungen bei 417 Patienten. Die Entgegennahme der Überweisungen des Arztes M. und die Erbringung bzw. Abrechnung der Leistungen verstoße gegen § 4 Ziffer 9 der auf § 2 des HVV beruhenden Abrechnungsordnung. Die Durchführung radiologischer Leistungen als Auftragsleistung für andere Ärzte gehöre zur Aufgabe der Radiologen. Röntgenleistungen hätte der Kläger nur für seine eigenen Patienten erbringen und abrechnen dürfen.

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 11. Dezember 2013 stattgegeben und den Bescheid vom 25. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2011 aufgehoben. Die vorgenommene Honorarberichtigung sei rechtswidrig, denn der Kläger habe die von ihm erbrachten und abgesetzten Leistungen nicht zu Unrecht abgerechnet. Auf der Grundlage seiner Abrechnungsgenehmigung habe er Leistungen in der Röntgendiagnostik des gesamten Skeletts auch auf Überweisung durch den Arzt M. erbringen dürfen. Dem EBM sei keine Regelung über einen Leistungsausschluss zu entnehmen, insbesondere seien die erbrachten Röntgenleistungen nicht fachfremd. Auch die Leistungsbeschreibungen der einzelnen Ziffern bestimmten nicht, dass die Leistungen nur von Radiologen erbringbar seien. Ebenso wenig sähen bundesmantelvertragliche Bestimmungen einen Leistungsausschluss vor. Im Gegenteil regele § 24 Abs. 4 Nr. 1 BMV-Ä, dass Überweisungen an einen Vertragsarzt derselben Arztgruppe zulässig seien zur Inanspruchnahme besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die – wie hier – vom behandelnden Vertragsarzt nicht erbracht würden. Abweichende Regelungen im Gesamtvertrag – grundsätzlich zulässig nach § 24 Abs. 4, 1. Halbs. BMV-Ä – seien nicht ersichtlich. Insbesondere stelle § 4 Ziffer 9 der Abrechnungsordnung der Beklagten keine gesamtvertragliche Regelung dar, sondern nur ein einseitig von der Beklagten erlassenes Regelwerk. Allein aufgrund einer im HVV enthaltenen Subdelegation sei die Beklagte nicht ermächtigt, Vorschriften zu erlassen, die dem Kläger untersagten, bestimmte ärztliche Tätigkeiten auszuüben und so in seine Berufsausübungsfreiheit eingriffen. Es handele sich nicht nur um eine "Ordnungsvorschrift", wenn eine bestimmte Arztgruppe von der Erbringung und Abrechnung solcher Leistungen ausgeschlossen werde, die sie auf der Grundlage des BMV-Ä und erteilter Abrechnungsgenehmigungen erbringen und abrechnen dürfe. Die Regelungen des BMV-Ä gingen dem HVV und erst recht der von der Beklagten geschaffenen Abrechnungsordnung vor. Auch regele der HVV die Honorarverteilung; er dürfe keine Ermächtigung enthalten, die die Beklagte zur Einschränkung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch den Ausschluss der Erbringung bestimmter Leistungen berechtige. Die Regelung in § 4 Abs. 9 der Abrechnungsordnung sei daher mangels Rechtsgrundlage und wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 4 Nr. 1 BMV-Ä rechtswidrig und nichtig.

Gegen das ihr am 18. Dezember 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 2014 Berufung eingelegt. § 24 Abs. 4 BMV-Ä sehe ausdrücklich vor, dass in den Gesamtverträgen abweichende Regelungen von den Vorgaben zur Zulässigkeit von Überweisungen innerhalb derselben Arztgruppe getroffen werden könnten. Eine solche abweichende gesamtvertragliche Regelung bestehe in § 4 Ziffer 9 der Abrechnungsordnung. Der HVV des Jahres 2004 habe in § 5 Abs. 9 dieselbe und wortgleiche Regelung enthalten, wie sie später in § 4 Ziffer 9 der Abrechnungsordnung vom 16. Juni 2005 getroffen worden sei. Das gehe zurück auf § 2 des HVV für die Quartale II/05 bis IV/05, wo die Beklagte ermächtigt worden sei, die vormals im HVV geregelten Ordnungsvorschriften als Abrechnungsordnung fortzuführen. HVV und Abrechnungsordnung stünden daher in Einklang mit § 24 Abs. 4 Nr. 1 BMV-Ä. Die in § 4 Ziffer 9 der Abrechnungsordnung enthaltene Einschränkung der vertragsärztlichen Tätigkeit sei zudem sachlich begründet. Sie betreffe keine Kernleistungen der Orthopädie. Würde es auch einem Orthopäden erlaubt, Überweisungen zur Erbringung radiologischer Leistungen anzunehmen, wäre es ihm möglich, nur noch radiologische Leistungen zu erbringen, womit er seinem orthopädischen Versorgungsauftrag nicht mehr gerecht würde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben, denn die auf § 75 Abs. 2 Satz 2 und § 106a Abs. 1 und 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) beruhende Honorarberichtigung ist rechtswidrig.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf die zutreffende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zu ergänzen bleibt:

1. Die für die sachlich-rechnerische Richtigstellung geltende Ausschlussfrist von vier Jahren (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2012, B 6 KA 35/12 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 13) ist nach den übereinstimmenden Angaben beider Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewahrt. Ihr Lauf beginnt mit dem Erlass des Honorarbescheides, hier für das Quartal IV/05. Dieser trägt ein Datum vom Juni 2006, so dass die Vierjahresfrist bei Erlass des angefochtenen Bescheides im Mai 2010 nicht abgelaufen war.

2. Der Senat teilt ausdrücklich die Auffassung des Sozialgerichts, wonach die in der Abrechnungsordnung der Beklagten vom 16. Juni 2005 enthaltenen Bestimmungen keine "Regelungen im Gesamtvertrag" im Sinne von § 24 Abs. 4 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) darstellen. § 24 Abs. 4 Nr. 1 BMV-Ä regelt insoweit:

"Überweisungen an einen Vertragsarzt derselben Arztgruppe sind, vorbehaltlich abweichender Regelungen im Gesamtvertrag, nur zulässig zur (1.) Inanspruchnahme besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die vom behandelnden Vertragsarzt nicht erbracht werden."

Offen lässt der Senat insoweit, ob der für die Quartale II bis IV/05 zwischen der Beklagten und den regionalen Verbänden der Krankenkassen abgeschlossene "Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab" (HVV) überhaupt einen "Gesamtvertrag" im Sinne der §§ 82 Abs. 2, 83 SGB V darstellt.

Denn ausgehend von der in § 24 Abs. 4 BMV-Ä geregelten Ermächtigung hätte eine "abweichende Regelung" – ihre Vereinbarkeit mit sonstigem höherrangigen Recht einmal vorausgesetzt – nur im Gesamtvertrag selbst getroffenen werden dürfen, denn nur dieses "Ziel" steuerte die Ermächtigung im BMV-Ä an. Hiervon weicht die in § 2 HVV getroffene Regelung ab: Danach wird nämlich die Beklagte (allein) "ermächtigt", die im HVV vom 9. Dezember 2004 geregelten Ordnungsvorschriften als Abrechnungsordnung fortzuführen und gegebenenfalls den veränderten Notwendigkeiten anzupassen; über Inhalte und notwendige Veränderungen in der Anrechnungsordnung seien die Verbände der Krankenkassen zu informieren.

Unerheblich ist insoweit, dass der HVV vom 9. Dezember 2004 später in die Abrechnungsordnung übernommene Regelungen enthalten haben mag. Denn vorliegend ist über eine Honorarberichtigung für das Quartal IV/05 zu entscheiden, so dass es, was die Richtigkeit der Abrechnung betrifft, auch nur auf im betreffenden Quartal geltendes Recht ankommen kann. In abgelaufenen Zeiträumen geltende Bestimmungen sind daher ohne rechtliche Bedeutung. Dies führt zur formellen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit der in § 4 Ziffer 9 der Abrechnungsordnung vom 16. Juni 2005 enthaltenen Bestimmung, wonach Überweisungen zur Ausführung von Röntgenuntersuchungen nur von Ärzten für Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlenheilkunde angenommen werden durften. § 24 Abs. 4 BMV-Ä sah diese Subdelegation nicht vor, so dass die Beklagte nicht dafür zuständig war, eine von § 24 Abs. 4 Nr. 1 BMV-Ä abweichende Regelung zu treffen, selbst wenn sie insoweit gegenüber den Verbänden der Krankenkassen gewissen Informationspflichten unterlag (vgl. zur Rechtswidrigkeit einer Subdelegation in anderem Zusammenhang: Bundessozialgericht, Urteil vom 31. August 2005, B 6 KA 35/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22; s.a. Urteil vom 9. Dezember 2004, B 6 KA 44/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 74). Der Beklagten allein fehlte es insoweit an der (demokratischen) Legitimation zur untergesetzlichen Normgebung, was den Kläger in seinen Rechten verletzt, weil die in der Abrechnungsordnung enthaltene Bestimmung Bundesrecht zuwiderläuft und einen Eingriff in seine Freiheit der Berufsausübung darstellt (Art. 12 Abs.1 des Grundgesetzes).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved