Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 2490/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 2045/16 B ER und L 6 AS 2046/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.09.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); insbesondere wehrt er sich gegen die Absenkung seiner Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung auf die angemessene Höhe.
Mit Bescheid vom 11.01.2016 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Februar 2016 bis Juli 2016. Für die Monate Februar und März 2016 berücksichtigte er die Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe, nämlich 665 EUR Grundmiete, 150 EUR Nebenkosten und 74 EUR Heiz- und Warmwasserkosten. Ab April 2016 erkannte der Beklagte unter Verweis auf eine Kostensenkungsaufforderung vom 21.09.2012 die Kosten der Unterkunft nur noch in der aus seiner Sicht angemessenen Höhe an und bewilligte 446,50 EUR Bruttokaltmiete zzgl. 74 EUR Heizkosten, also 520,50 EUR. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2016 zurück. Dabei wies der Beklagte darauf hin, dass dem Antragsteller mit Bescheid vom 11.01.2016 100 EUR zu viel bewilligt worden seien, da die Mietobergrenze des Kreises S bei 250 EUR Grundmiete zzgl. 96,50 EUR Betriebskosten, also 346,50 EUR, liege.
Mit Änderungsbescheid vom 09.03.2016 nahm der Beklagte eine Neuberechnung der Leistungen ab 01.04.2016 vor und berücksichtigte als Kosten der Unterkunft und Heizung nur noch 346,50 EUR zzgl. 74 EUR Heizkosten, also 420,50 EUR.
Aufgrund einer Stellungnahme des amtsärztlichen Dienstes des Kreises S vom 09.12.2015, die dem Antragsteller eine psychische Minderbelastbarkeit attestierte und aufgrund dessen von einem Umzug in einem Zeitraum von sechs Monaten abriet, nahm der Antragsgegner mit zwei Bescheiden vom 17.03.2016 und 25.05.2016 erneut Änderungen der Leistungsbewilligung vor und berücksichtigte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die Zeit bis 31.07.2016. Seinen Widerspruch gegen die Leistungsbewilligung erhielt der Antragsteller wegen der Geltendmachung eines Mehrbedarfs aufrecht.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 07.07.2016 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.07.2016 Leistungen für die Zeit vom 01.08.2016 bis zum 31.01.2017. Neben dem Regelbedarf i.H.v. 404 EUR berücksichtigte er Kosten der Unterkunft i.H.v. 250 EUR Grundmiete, 96,50 EUR Nebenkosten und 79 EUR Heizkosten. Dagegen legte der Antrgagsteller am 19.07.2016 Widerspruch ein. Es werde ein Abzug i.H.v. 415 EUR vorgenommen, obwohl dem Antragsgegner bekannt sei und auch ärztlich nachgewiesen worden sei, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei umzuziehen.
Am 12.09.2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dem Antragsgegner seien seine Schwerbehinderung und seine gesundheitliche Situation bekannt. Der Amtsarzt habe im Dezember 2015 eine Unfähigkeit zum Umzug für zunächst sechs Monate festgestellt. Dies mache eine weitere Untersuchung nach Ablauf dieses Zeitraums notwendig. Es entstehe eine monatliche Unterdeckung in Höhe von über 300 EUR. Ihm gehe es nicht allein um den Verlust der Wohnung sondern die daraus resultierende Mittellosigkeit und die mangelnde gesundheitliche Versorgung. Außerdem werde ihm die Chance genommen, dass seine Tochter mit ihrer Mutter zurück in die Wohngemeinschaft ziehen könne, die diese wegen des finanziellen Desasters geräumt habe. Er überweise die Miete aus seinen Leistungen und sei direkt danach mittellos.
Mit Beschluss vom 23.09.2016 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dass kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sei. Ein Anordnungsgrund sei im Regelfall erst beim Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reiche für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus.
Der Antragsteller hat am 11.10.2016 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, ein Anordnungsgrund liege nicht nur dann vor, wenn Wohnungs- und Obdachlosigkeit gegenwärtig konkret drohten, sondern auch dann, wenn durch eine Erkrankung keine Möglichkeit bestehe, eine neue Wohnung zu finden und diese erfolglose Suche einer neuen Wohnung zu einer Überschuldung führe. Die nicht angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung seien so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zumutbar sei sie zu verringern. Der Antragsteller leide unter enormen psychischen und physischen Erkrankungen. Ein Umzug wäre für den Antragsteller mit einer solchen Belastung verbunden, dass die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung seiner depressiven Erkrankung drohe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit ab 12.09.2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner verweist auf die den Beschluss tragenden Gründe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Bschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Gemessen an diesen Vorgaben ist keine einstweilige Anordnung zu erlassen.
Ob der Kläger einen Anordnungsanspruch im Hinblick auf die unverminderten Kosten der Unterkunft und Heizung hat, ist im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen als offen anzusehen. Angesichts der vom amtsärztliche Dienst im Dezember 2015 festgestellten fehlenden Umzugsfähigkeit dürfte die Absenkung der Unterkunftskosten ohne weitere medizinische Ermittlungen jedenfalls Bedenken begegnen.
Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar legt der Senat an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht denselben Maßstab an wie das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung. Neben der andauernden Beeinträchtigung wegen fehlender Kosten der Unterkunft als Teil der ein menschenwürdiges Existenzminimum sichernden Leistung (Alg II) (Art. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG) kann die Wohnung schon früher als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG so beeinträchtigt sein, dass eine Regelungsanordnung erforderlich ist. In diesem Zusammenhang den Blick auf die Erhebung der Räumungsklage zu fokussieren, hält der Senat nicht für ausreichend, zumal der Schutz gegen den Verlust der Wohnung in diesem Stadium des Verfahrens auch deshalb problematischer geworden ist, da der dort dann beklagte Antragsteller grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe erhalten kann, der Leistungsträger sich aber regelmäßig nicht in der Pflicht sehen dürfte, die Kosten der Rechtsverteidigung zu übernehmen. Wenn auch die Zahlung von Unterkunftskosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung noch nach Erhebung der Räumungsklage möglich ist, gilt dies doch nicht mit vergleichbar zuverlässiger Voraussehbarkeit für die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird die Kündigung nicht unwirksam, da §§ 543 Abs. 2 S. 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB im Rahmen dieser Kündigung nicht anwendbar ist (BGH Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12). Die danach entscheidende Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter gezahlt worden sind, wurde in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht einheitlich beantwortet (vgl. hierzu AG Lichtenberg Urteil vom 19.12.2013 - 17 C 33/13 - Rdnr 22; BGH Urteil vom 21.10.2009 - VIII ZR 64/09 - juris; s entsprechend LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 - L 19 AS 805/14 B ER - juris mwN; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 - L 10 AS 1393/14 B ER - juris). Der BGH hat aber zwischenzeitlich entschieden, dass auch ein Mieter, der Sozialleistungen (für die Kosten der Unterkunft) erhält, verschuldensunabhängig für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (s BGH Urteil vom 04.02.2015 - VIII ZR 175/15 juris Rn 20), so dass mit Blick auf die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung schon zu einem früheren Zeitpunkt wesentliche Nachteile zu gewärtigen sind, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen. Ist damit die Gefahr des Wohnungsverlustes nicht abgewendet, wird hier auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie unter dem Blickwinkel der eigenbestimmten Gestaltung von Rechtsverhältnissen gefährdet.
Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs. Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm.
Jedoch sind auch die hiernach an die Eilbedürftigkeit zu stellenden Anforderungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Ein drohender wesentlicher Nachteil, der durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung abgewendet werden müsste, ist nicht erkennbar. Es ist nämlich weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Antragsteller der Ausspruch einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung droht. Nicht einmal Mietrückstände wurden zur Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit geltend gemacht. Vielmehr hat der Antragsteller schriftsätzlich dem SG gegenüber erklärt, dass er mithilfe der ihm gewährten Leistungen nach dem SGB II die Miete in vollem Umfang entrichte. Auch auf die ausdrückliche Aufforderung des Senats, den drohenden wesentlichen Nachteil zu benennen, erfolgte keine weitere Reaktion.
Allein der Umstand, dass dem Antragsteller monatlich 415,- EUR zur vollständigen Begleichung seiner Miete fehlen, führt aus Sicht des Senates nicht zur Annahme eines Anordnungsgrundes. Insofern hält es der Senat für den Antragsteller für zumutbar, einen Teil des vereinbarten Mietzinses - entgegen seiner bisherigen Verfahrensweise - schuldig zu bleiben und diesen nach dem möglicherweise erfolgreichen Hauptsacheverfahren nachzuzahlen. Gegebenenfalls müsste der Antragsteller bei Auflaufen höherer Mietrückstände und einer konkret drohenden ordentlichen Kündigung erneut einstweiligen Rechtsschutz beantragen.
Wegen fehlender Erfolgsaussicht ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erster Instanz zurückzuweisen und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen, § 114 Zivilprozessordnung.
Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); insbesondere wehrt er sich gegen die Absenkung seiner Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung auf die angemessene Höhe.
Mit Bescheid vom 11.01.2016 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Februar 2016 bis Juli 2016. Für die Monate Februar und März 2016 berücksichtigte er die Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe, nämlich 665 EUR Grundmiete, 150 EUR Nebenkosten und 74 EUR Heiz- und Warmwasserkosten. Ab April 2016 erkannte der Beklagte unter Verweis auf eine Kostensenkungsaufforderung vom 21.09.2012 die Kosten der Unterkunft nur noch in der aus seiner Sicht angemessenen Höhe an und bewilligte 446,50 EUR Bruttokaltmiete zzgl. 74 EUR Heizkosten, also 520,50 EUR. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2016 zurück. Dabei wies der Beklagte darauf hin, dass dem Antragsteller mit Bescheid vom 11.01.2016 100 EUR zu viel bewilligt worden seien, da die Mietobergrenze des Kreises S bei 250 EUR Grundmiete zzgl. 96,50 EUR Betriebskosten, also 346,50 EUR, liege.
Mit Änderungsbescheid vom 09.03.2016 nahm der Beklagte eine Neuberechnung der Leistungen ab 01.04.2016 vor und berücksichtigte als Kosten der Unterkunft und Heizung nur noch 346,50 EUR zzgl. 74 EUR Heizkosten, also 420,50 EUR.
Aufgrund einer Stellungnahme des amtsärztlichen Dienstes des Kreises S vom 09.12.2015, die dem Antragsteller eine psychische Minderbelastbarkeit attestierte und aufgrund dessen von einem Umzug in einem Zeitraum von sechs Monaten abriet, nahm der Antragsgegner mit zwei Bescheiden vom 17.03.2016 und 25.05.2016 erneut Änderungen der Leistungsbewilligung vor und berücksichtigte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die Zeit bis 31.07.2016. Seinen Widerspruch gegen die Leistungsbewilligung erhielt der Antragsteller wegen der Geltendmachung eines Mehrbedarfs aufrecht.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 07.07.2016 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.07.2016 Leistungen für die Zeit vom 01.08.2016 bis zum 31.01.2017. Neben dem Regelbedarf i.H.v. 404 EUR berücksichtigte er Kosten der Unterkunft i.H.v. 250 EUR Grundmiete, 96,50 EUR Nebenkosten und 79 EUR Heizkosten. Dagegen legte der Antrgagsteller am 19.07.2016 Widerspruch ein. Es werde ein Abzug i.H.v. 415 EUR vorgenommen, obwohl dem Antragsgegner bekannt sei und auch ärztlich nachgewiesen worden sei, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei umzuziehen.
Am 12.09.2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dem Antragsgegner seien seine Schwerbehinderung und seine gesundheitliche Situation bekannt. Der Amtsarzt habe im Dezember 2015 eine Unfähigkeit zum Umzug für zunächst sechs Monate festgestellt. Dies mache eine weitere Untersuchung nach Ablauf dieses Zeitraums notwendig. Es entstehe eine monatliche Unterdeckung in Höhe von über 300 EUR. Ihm gehe es nicht allein um den Verlust der Wohnung sondern die daraus resultierende Mittellosigkeit und die mangelnde gesundheitliche Versorgung. Außerdem werde ihm die Chance genommen, dass seine Tochter mit ihrer Mutter zurück in die Wohngemeinschaft ziehen könne, die diese wegen des finanziellen Desasters geräumt habe. Er überweise die Miete aus seinen Leistungen und sei direkt danach mittellos.
Mit Beschluss vom 23.09.2016 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dass kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sei. Ein Anordnungsgrund sei im Regelfall erst beim Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reiche für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus.
Der Antragsteller hat am 11.10.2016 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, ein Anordnungsgrund liege nicht nur dann vor, wenn Wohnungs- und Obdachlosigkeit gegenwärtig konkret drohten, sondern auch dann, wenn durch eine Erkrankung keine Möglichkeit bestehe, eine neue Wohnung zu finden und diese erfolglose Suche einer neuen Wohnung zu einer Überschuldung führe. Die nicht angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung seien so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zumutbar sei sie zu verringern. Der Antragsteller leide unter enormen psychischen und physischen Erkrankungen. Ein Umzug wäre für den Antragsteller mit einer solchen Belastung verbunden, dass die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung seiner depressiven Erkrankung drohe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit ab 12.09.2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner verweist auf die den Beschluss tragenden Gründe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG Bschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Gemessen an diesen Vorgaben ist keine einstweilige Anordnung zu erlassen.
Ob der Kläger einen Anordnungsanspruch im Hinblick auf die unverminderten Kosten der Unterkunft und Heizung hat, ist im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen als offen anzusehen. Angesichts der vom amtsärztliche Dienst im Dezember 2015 festgestellten fehlenden Umzugsfähigkeit dürfte die Absenkung der Unterkunftskosten ohne weitere medizinische Ermittlungen jedenfalls Bedenken begegnen.
Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar legt der Senat an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht denselben Maßstab an wie das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung. Neben der andauernden Beeinträchtigung wegen fehlender Kosten der Unterkunft als Teil der ein menschenwürdiges Existenzminimum sichernden Leistung (Alg II) (Art. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG) kann die Wohnung schon früher als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG so beeinträchtigt sein, dass eine Regelungsanordnung erforderlich ist. In diesem Zusammenhang den Blick auf die Erhebung der Räumungsklage zu fokussieren, hält der Senat nicht für ausreichend, zumal der Schutz gegen den Verlust der Wohnung in diesem Stadium des Verfahrens auch deshalb problematischer geworden ist, da der dort dann beklagte Antragsteller grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe erhalten kann, der Leistungsträger sich aber regelmäßig nicht in der Pflicht sehen dürfte, die Kosten der Rechtsverteidigung zu übernehmen. Wenn auch die Zahlung von Unterkunftskosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung noch nach Erhebung der Räumungsklage möglich ist, gilt dies doch nicht mit vergleichbar zuverlässiger Voraussehbarkeit für die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird die Kündigung nicht unwirksam, da §§ 543 Abs. 2 S. 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB im Rahmen dieser Kündigung nicht anwendbar ist (BGH Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12). Die danach entscheidende Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter gezahlt worden sind, wurde in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht einheitlich beantwortet (vgl. hierzu AG Lichtenberg Urteil vom 19.12.2013 - 17 C 33/13 - Rdnr 22; BGH Urteil vom 21.10.2009 - VIII ZR 64/09 - juris; s entsprechend LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 - L 19 AS 805/14 B ER - juris mwN; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 - L 10 AS 1393/14 B ER - juris). Der BGH hat aber zwischenzeitlich entschieden, dass auch ein Mieter, der Sozialleistungen (für die Kosten der Unterkunft) erhält, verschuldensunabhängig für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (s BGH Urteil vom 04.02.2015 - VIII ZR 175/15 juris Rn 20), so dass mit Blick auf die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung schon zu einem früheren Zeitpunkt wesentliche Nachteile zu gewärtigen sind, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen. Ist damit die Gefahr des Wohnungsverlustes nicht abgewendet, wird hier auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie unter dem Blickwinkel der eigenbestimmten Gestaltung von Rechtsverhältnissen gefährdet.
Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs. Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm.
Jedoch sind auch die hiernach an die Eilbedürftigkeit zu stellenden Anforderungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Ein drohender wesentlicher Nachteil, der durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung abgewendet werden müsste, ist nicht erkennbar. Es ist nämlich weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Antragsteller der Ausspruch einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung droht. Nicht einmal Mietrückstände wurden zur Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit geltend gemacht. Vielmehr hat der Antragsteller schriftsätzlich dem SG gegenüber erklärt, dass er mithilfe der ihm gewährten Leistungen nach dem SGB II die Miete in vollem Umfang entrichte. Auch auf die ausdrückliche Aufforderung des Senats, den drohenden wesentlichen Nachteil zu benennen, erfolgte keine weitere Reaktion.
Allein der Umstand, dass dem Antragsteller monatlich 415,- EUR zur vollständigen Begleichung seiner Miete fehlen, führt aus Sicht des Senates nicht zur Annahme eines Anordnungsgrundes. Insofern hält es der Senat für den Antragsteller für zumutbar, einen Teil des vereinbarten Mietzinses - entgegen seiner bisherigen Verfahrensweise - schuldig zu bleiben und diesen nach dem möglicherweise erfolgreichen Hauptsacheverfahren nachzuzahlen. Gegebenenfalls müsste der Antragsteller bei Auflaufen höherer Mietrückstände und einer konkret drohenden ordentlichen Kündigung erneut einstweiligen Rechtsschutz beantragen.
Wegen fehlender Erfolgsaussicht ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erster Instanz zurückzuweisen und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen, § 114 Zivilprozessordnung.
Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
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