Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 7 KR 396/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 165/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Es wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung (zweiwöchige konservative Therapie zur Operationsvorbereitung und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch) als Sachleistung gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.
2. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V.
Mit am 19.03.2015 eingegangen Schreiben vom 17.03.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Bezugnahme auf ein Gutachten des C.-Klinikums vom 11.03.2015 Kostenübernahme für eine stationäre konservative Therapie über zwei Wochen und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch (Bl. 3 der Verwaltungsakte der Beklagten) zur Gewichtsreduktion bei Super-Super-Adipositas mit einem BMI von 67 kg/m². Diagnostiziert sind in dem Gutachten außerdem Gonarthrose, Arterielle Hypertonie, Reflux GERD, Fußbelastungsschmerzen, Gelenkschmerzen, Chronische Bursitis und Asthma bronchiale.
Mit Schreiben vom 27.03.2015 forderte die Beklagte von der Klägerin ergänzend folgende Unterlagen an: 1. Bescheinigung eines Psychologen zur Ausschließung von schweren psychiatrischen Erkrankungen; 2. Bescheinigung zum Ausschluss endokrinologischer Ursachen der Adipositas. Eine Fristsetzung zur Beibringung der Unterlagen und ein Verweis auf die Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V erfolgten nicht.
Mit am 31.07.2015 eingegangenem Anschreiben übersandte die Klägerin ein Psychologisches Gutachten von Frau D. vom 19.05.2015, die im Ergebnis keine Kontraindikation sah. Beigefügt war außerdem ein Arztbericht des MVZ B-Stadt vom 23.07.2015, nach dessen Ergebnis sich in der Untersuchung am 13.07.2015 laborchemisch kein Hinweis auf eine endokrine Störung als Ursache der Adipositas zeigte.
Mit Bescheid vom 04.08.2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die beantragte Operation ab. Die konservativen Therapien, insbesondere die Durchführung einer multimodalen Behandlung für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten, seien nicht erschöpft.
Hiergegen erhob die Klägerin mit am 24.08.2015 eingegangen Schreiben Widerspruch, den die Beklagte bisher nicht beschieden hat.
Die Klägerin hat anwaltlich vertreten am 05.10.2015 Klage zu dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, die mit Beschluss vom 15.09.2016 an das zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen wurde. Die Klägerin trägt vor, dass die beantragte Operation als Sachleistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte, da die Beklagte über ihren Antrag innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht entschieden habe. Der am 19.03.2015 gestellte Antrag sei erst am 04.08.2015 beschieden worden. Eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung der Beklagten über die Unmöglichkeit einer fristgerechten Entscheidung unter Darlegung hinreichender Gründe – wie § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V dies vorschreibe – sei nicht erfolgt. Mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion sei das Antragsverfahren in der Hauptsache erledigt. Es bestehe ab diesem Zeitpunkt – neben der Möglichkeit der Forderung der Kostenerstattung nach Selbstbeschaffung – ein originärer Sachleistungsanspruch, der im Wege der Feststellungsklage zu verfolgen sei. Die Beklagte sei nunmehr mit Einwendungen ausgeschlossen. Die im Zuge des Patientenrechtsgesetzes 2013 eingeführte Norm diene der Entscheidungsbeschleunigung und entfalte Sanktionscharakter. Die beantragte Leistung sei auch unproblematisch genehmigungsfähig, da es sich um eine Leistung innerhalb des Systems der GKV handele.
Die Klägerin beantragt,
"es wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung (zweiwöchige konservative Therapie zur Operationsvorbereitung, gefolgt von einer Operation in Gestalt einer biliopankreatischen Diversion) als Sachleistung vom 17.03.2015 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt".
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Klage für unzulässig mit der Begründung, dass das Vorverfahren nicht abgeschlossen sei. Unabhängig davon ist sie der Ansicht, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei. Zu dem am 19.03.2015 eingegangen Antrag habe die Klägerin auf Anforderung der Beklagten vom 27.03.2015 erst am 31.07.2015 weitere erforderliche Unterlagen eingereicht. Nach Eingang dieser Unterlagen sei zeitnah am 04.08.2015 entschieden worden. Im Übrigen könne eine Kostenerstattung nur nach Selbstbeschaffung der begehrten Leistung verlangt werden. Hieran fehle es jedoch. Außerdem lägen im Fall der Klägerin die Leistungsvoraussetzungen mangels vorheriger Durchführung eines multimodalen Behandlungskonzepts nicht vor.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung sind.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten (vgl. Bl. 69 und 71 der Gerichtsakte) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Der Antrag der anwaltlich vertretenen Klägerin war dahin auszulegen, dass nicht die Feststellung der Genehmigung eines Antrags auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung vom 17.03.2015, sondern die Feststellung der Genehmigung eines am 19.03.2015 bei der Beklagten eingegangenen Antrags gemeint ist. Soweit in der Klageschrift von einem Antrag vom 17.03.2015 gesprochen wird, handelt es sich evident um den am 19.03.2015 bei der Beklagten eingegangen Antrag. Bei Anträgen ist der Eingang des Antrages bei der Beklagten maßgeblich.
Die in der Folge einer zweiwöchigen konservativen Therapie zur Operationsvorbereitung beantragte "Operation in Gestalt einer biliopankreatischen Diversion" wird unter Bezugnahme auf die nach dem Gutachten des C.-Klinikums vom 11.03.2015 indizierte "zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch" präzisierend auch als solche bezeichnet. In der Sache handelt es sich jedoch um denselben Eingriff.
Die Klage ist zulässig.
Die erhobene Feststellungsklage ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Denn die Klägerin hat im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die begehrte Behandlung als genehmigt gilt. Ohne gerichtliche rechtskräftige Feststellung der Genehmigungsfiktion trägt die Klägerin im Hinblick auf die grundsätzliche Einhaltung des Beschaffungsweges (vgl. § 13 SGB V) nämlich das Risiko, die Kosten für die Maßnahme selbst tragen zu müssen. Der Einwand der Beklagten, das Vorverfahren sei nicht abgeschlossen, verfängt nicht. Denn festzustellen ist, ob der Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 als genehmigt gilt. Gilt er – wie hier – als genehmigt, haben weitere Bescheide der Beklagten keine entgegenstehende Rechtswirkung.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Auf den Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 auf Kostenübernahme für eine stationäre konservative Therapie über zwei Wochen und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch ist am 09.04.2015 die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten.
Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder – falls eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, eingeholt wird – innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Hält die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V).
Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (§ 13 Abs. 3a S. 9 SGB V).
1. Die Regelung ist zeitlich anwendbar. Sie greift für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.02.2013 stellen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 9). Der Antrag der Klägerin datiert vom 19.03.2015.
2. Die Regelung ist sachlich anwendbar. Denn die Klägerin verlangt weder unmittelbar eine Geldleistung noch Erstattung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i.S.v. § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V).
3. Der am 19.03.2015 gestellte Antrag war fiktionsfähig. Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 23). So lag es hier. Der Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 richtete sich auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung (zweiwöchige konservative Therapie zur Operationsvorbereitung und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch), wie sich aus dem Gutachten des C.-Klinikums vom 11.03.2015, auf das der Antrag Bezug nimmt, ergibt.
4. Die am 19.03.2015 beantragte Versorgung galt am 09.04.2015 nach Maßgabe von § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt.
Die Beklagte hatte über den am 19.03.2015 eingegangenen Antrag gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 1. Alt. SGB V binnen drei Wochen, d.h. bis zum 09.04.2015, zu entscheiden, weil keine gutachterliche Stellungnahme eingeholt wurde. Eine fristgemäße Entscheidung ist nicht erfolgt. Vielmehr hat die Beklagte über den Antrag erst mit Bescheid vom 04.08.2015, also fast vier Monate nach Fristablauf entschieden.
Eine Mitteilung der Verzögerung der Entscheidung an die Klägerin im Sinne von § 13 Abs. 3 a Satz 5 SGB V erfolgte nicht, ebenso wenig die Darlegung hinreichender Gründe. Insbesondere ist derartiges nicht mit Schreiben vom 27.03.2015 erfolgt.
Mit Schreiben vom 27.03.2015 hat die Beklagte von der Klägerin ergänzend weitere Nachweise angefordert zum Ausschluss schwerer psychiatrischer Erkrankungen und endokrinologischer Ursachen der Adipositas. Eine Frist zur Beibringung der Unterlagen wird in dem Schreiben nicht gesetzt. Die Klägerin hat die angeforderten Nachweise mit Schreiben vom 31.07.2015 eingereicht.
Der Gesetzgeber fordert mit § 13 Abs. 3a Satz 5 i.V.m. Satz 1 SGB V eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung an die Versicherten, dass die hier geltende 3-Wochen-Frist nicht eingehalten werden kann unter Darlegung der Gründe für die Verzögerung (§ 13 Abs. 3 a Satz 5 SGB V). Der Normzweck besteht darin, den Versicherten Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Entscheidung fristgerecht erfolgt oder eine Selbstbeschaffung zulässig sein wird (SG Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13, juris, Rn. 29). Hier jedoch hat die Beklagte noch nicht einmal gegenüber der Klägerin kenntlich gemacht, dass sie binnen einer 3-Wochen-Frist zu entscheiden hat, geschweige denn, dass diese nicht eingehalten werden kann. Ebenso fehlt es an einer ausdrücklichen Mitteilung eines Grundes für die fehlende Einhaltung der Frist. Der Gesetzgeber fordert an dieser Stelle gerade einen expliziten Hinweis, an dem es hier aber fehlt. Nicht genügen lassen will er, dass sich – wie hier – nur aus der Gesamtsituation ergibt, dass die 3-Wochen-Frist (die hier noch nicht einmal zutreffend benannt wird) nicht eingehalten werden kann.
Unabhängig davon kann von einem hinreichenden Grund schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Beklagte hier von der Klägerin Unterlagen angefordert hat, die für ihre am 04.08.2015 getroffene Ablehnungsentscheidung überhaupt nicht relevant sind. Gestützt hat die Beklagte ihre Ablehnung allein darauf, dass die Klägerin bisher kein multimodales Programm durchgeführt habe. Diese Begründung steht in keinem Zusammenhang mit den angeforderten Unterlagen und hätte daher ohne weiteres auch innerhalb der 3 Wochen-Frist bis zum 09.04.2015 erfolgen können. Statt zu entscheiden hat die Beklagte jedoch Nachweise von der Klägerin verlangt, die nichts an ihrer Entscheidung ändern. Dies ist nicht nur treuwidrig, sondern auch in keiner Weise durch den – hier gar nicht eingeschalteten – Medizinischen Dienst gedeckt gewesen. Ihm obliegt es festzustellen, welche medizinischen Unterlagen ggf. noch benötigt werden. Es besteht damit nicht der geringste Anlass, die eingetretene Verzögerung der Klägerin anzulasten.
5. Der Antrag betraf eine Leistung, die die Klägerin für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung lag.
Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V entspricht, der wiederum eine selbst beschaffte "erforderliche" Leistung voraussetzt. Dies bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Denn die Fiktionsgenehmigung soll nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 26).
Die beantragte Adipositasbehandlung unterfällt ihrer Art nach dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin konnte auch aufgrund der fachlichen Befürwortung ihres Antrags durch das C.-Klinikum die begehrte Versorgung für geeignet und erforderlich halten. Der Gedanke an einen Rechtsmissbrauch liegt fern.
Insbesondere stellt die Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" (Stand: April 2014) eine chirurgische Intervention auch nicht ausnahmslos unter den Vorbehalt der Erschöpfung vorrangiger Behandlungsmöglichkeiten (multimodales Behandlungskonzept). Gemäß Ziffer 5.45 kann eine chirurgische Therapie vielmehr "auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt." Dies ist nach der S3-Leitlienie u.a. bei einem BMI ) 50 kg/m² - wie er hier vorliegt - gegeben.
Zur Überzeugung der Kammer stehen dem Eintritt der Genehmigungsfiktion auch keine grundsätzlichen medizinischen Bedenken entgegen, die es ausnahmsweise zum Schutz des Versicherten erlauben können, die vom Gesetzgeber gewollte Genehmigungsfiktion außer Kraft zu setzen.
6. Entgegen der Auffassung der Beklagten begründet die Genehmigungsfiktion zugunsten des Leistungsberechtigten auch einen Naturalleistungsanspruch.
Eine Beschränkung auf einen Kostenerstattungsanspruch ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Nach dem klaren Wortlaut des § 13 Abs. 3 a SGB V gewähren die Sätze 6 und 7 mittels Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch oder Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst nur einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen vorgesehen, wie der Entwurf des Patientenrechtsgesetzes (PatRechtG) zeigt (BR-Drucks. 312/12, S.46, siehe auch BT-Drucks. 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistung bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (BT-Drucks. 17/11710, S. 30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 - ohne weitere Einschränkungen - in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Eine andere Auslegung schlösse mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3 a SGB V aus. Selbst wenn man annähme, § 13 Abs. 3a SGB V gewähre nur einen Kostenerstattungsanspruch, führte dies zu keinem anderen Ergebnis, da der Kostenerstattungsanspruch auch einen Anspruch auf Freistellung umfasst (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 25; SG Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13, juris, Rn. 34).
7. Die mithin fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (z.B. bei relevanter Änderung des Gesundheitszustands). Derartiges ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem vollständigen Obsiegen der Klägerin Rechnung.
2. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V.
Mit am 19.03.2015 eingegangen Schreiben vom 17.03.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Bezugnahme auf ein Gutachten des C.-Klinikums vom 11.03.2015 Kostenübernahme für eine stationäre konservative Therapie über zwei Wochen und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch (Bl. 3 der Verwaltungsakte der Beklagten) zur Gewichtsreduktion bei Super-Super-Adipositas mit einem BMI von 67 kg/m². Diagnostiziert sind in dem Gutachten außerdem Gonarthrose, Arterielle Hypertonie, Reflux GERD, Fußbelastungsschmerzen, Gelenkschmerzen, Chronische Bursitis und Asthma bronchiale.
Mit Schreiben vom 27.03.2015 forderte die Beklagte von der Klägerin ergänzend folgende Unterlagen an: 1. Bescheinigung eines Psychologen zur Ausschließung von schweren psychiatrischen Erkrankungen; 2. Bescheinigung zum Ausschluss endokrinologischer Ursachen der Adipositas. Eine Fristsetzung zur Beibringung der Unterlagen und ein Verweis auf die Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V erfolgten nicht.
Mit am 31.07.2015 eingegangenem Anschreiben übersandte die Klägerin ein Psychologisches Gutachten von Frau D. vom 19.05.2015, die im Ergebnis keine Kontraindikation sah. Beigefügt war außerdem ein Arztbericht des MVZ B-Stadt vom 23.07.2015, nach dessen Ergebnis sich in der Untersuchung am 13.07.2015 laborchemisch kein Hinweis auf eine endokrine Störung als Ursache der Adipositas zeigte.
Mit Bescheid vom 04.08.2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die beantragte Operation ab. Die konservativen Therapien, insbesondere die Durchführung einer multimodalen Behandlung für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten, seien nicht erschöpft.
Hiergegen erhob die Klägerin mit am 24.08.2015 eingegangen Schreiben Widerspruch, den die Beklagte bisher nicht beschieden hat.
Die Klägerin hat anwaltlich vertreten am 05.10.2015 Klage zu dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, die mit Beschluss vom 15.09.2016 an das zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen wurde. Die Klägerin trägt vor, dass die beantragte Operation als Sachleistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte, da die Beklagte über ihren Antrag innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht entschieden habe. Der am 19.03.2015 gestellte Antrag sei erst am 04.08.2015 beschieden worden. Eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung der Beklagten über die Unmöglichkeit einer fristgerechten Entscheidung unter Darlegung hinreichender Gründe – wie § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V dies vorschreibe – sei nicht erfolgt. Mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion sei das Antragsverfahren in der Hauptsache erledigt. Es bestehe ab diesem Zeitpunkt – neben der Möglichkeit der Forderung der Kostenerstattung nach Selbstbeschaffung – ein originärer Sachleistungsanspruch, der im Wege der Feststellungsklage zu verfolgen sei. Die Beklagte sei nunmehr mit Einwendungen ausgeschlossen. Die im Zuge des Patientenrechtsgesetzes 2013 eingeführte Norm diene der Entscheidungsbeschleunigung und entfalte Sanktionscharakter. Die beantragte Leistung sei auch unproblematisch genehmigungsfähig, da es sich um eine Leistung innerhalb des Systems der GKV handele.
Die Klägerin beantragt,
"es wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung (zweiwöchige konservative Therapie zur Operationsvorbereitung, gefolgt von einer Operation in Gestalt einer biliopankreatischen Diversion) als Sachleistung vom 17.03.2015 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt".
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Klage für unzulässig mit der Begründung, dass das Vorverfahren nicht abgeschlossen sei. Unabhängig davon ist sie der Ansicht, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei. Zu dem am 19.03.2015 eingegangen Antrag habe die Klägerin auf Anforderung der Beklagten vom 27.03.2015 erst am 31.07.2015 weitere erforderliche Unterlagen eingereicht. Nach Eingang dieser Unterlagen sei zeitnah am 04.08.2015 entschieden worden. Im Übrigen könne eine Kostenerstattung nur nach Selbstbeschaffung der begehrten Leistung verlangt werden. Hieran fehle es jedoch. Außerdem lägen im Fall der Klägerin die Leistungsvoraussetzungen mangels vorheriger Durchführung eines multimodalen Behandlungskonzepts nicht vor.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung sind.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten (vgl. Bl. 69 und 71 der Gerichtsakte) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Der Antrag der anwaltlich vertretenen Klägerin war dahin auszulegen, dass nicht die Feststellung der Genehmigung eines Antrags auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung vom 17.03.2015, sondern die Feststellung der Genehmigung eines am 19.03.2015 bei der Beklagten eingegangenen Antrags gemeint ist. Soweit in der Klageschrift von einem Antrag vom 17.03.2015 gesprochen wird, handelt es sich evident um den am 19.03.2015 bei der Beklagten eingegangen Antrag. Bei Anträgen ist der Eingang des Antrages bei der Beklagten maßgeblich.
Die in der Folge einer zweiwöchigen konservativen Therapie zur Operationsvorbereitung beantragte "Operation in Gestalt einer biliopankreatischen Diversion" wird unter Bezugnahme auf die nach dem Gutachten des C.-Klinikums vom 11.03.2015 indizierte "zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch" präzisierend auch als solche bezeichnet. In der Sache handelt es sich jedoch um denselben Eingriff.
Die Klage ist zulässig.
Die erhobene Feststellungsklage ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Denn die Klägerin hat im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die begehrte Behandlung als genehmigt gilt. Ohne gerichtliche rechtskräftige Feststellung der Genehmigungsfiktion trägt die Klägerin im Hinblick auf die grundsätzliche Einhaltung des Beschaffungsweges (vgl. § 13 SGB V) nämlich das Risiko, die Kosten für die Maßnahme selbst tragen zu müssen. Der Einwand der Beklagten, das Vorverfahren sei nicht abgeschlossen, verfängt nicht. Denn festzustellen ist, ob der Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 als genehmigt gilt. Gilt er – wie hier – als genehmigt, haben weitere Bescheide der Beklagten keine entgegenstehende Rechtswirkung.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Auf den Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 auf Kostenübernahme für eine stationäre konservative Therapie über zwei Wochen und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch ist am 09.04.2015 die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten.
Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder – falls eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, eingeholt wird – innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Hält die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V).
Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen (§ 13 Abs. 3a S. 9 SGB V).
1. Die Regelung ist zeitlich anwendbar. Sie greift für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.02.2013 stellen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 9). Der Antrag der Klägerin datiert vom 19.03.2015.
2. Die Regelung ist sachlich anwendbar. Denn die Klägerin verlangt weder unmittelbar eine Geldleistung noch Erstattung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i.S.v. § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V).
3. Der am 19.03.2015 gestellte Antrag war fiktionsfähig. Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 23). So lag es hier. Der Antrag der Klägerin vom 19.03.2015 richtete sich auf Gewährung einer stationären Adipositasbehandlung (zweiwöchige konservative Therapie zur Operationsvorbereitung und anschließende zweizeitige biliopankreatische Teilung mit duodenalem Switch), wie sich aus dem Gutachten des C.-Klinikums vom 11.03.2015, auf das der Antrag Bezug nimmt, ergibt.
4. Die am 19.03.2015 beantragte Versorgung galt am 09.04.2015 nach Maßgabe von § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt.
Die Beklagte hatte über den am 19.03.2015 eingegangenen Antrag gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 1. Alt. SGB V binnen drei Wochen, d.h. bis zum 09.04.2015, zu entscheiden, weil keine gutachterliche Stellungnahme eingeholt wurde. Eine fristgemäße Entscheidung ist nicht erfolgt. Vielmehr hat die Beklagte über den Antrag erst mit Bescheid vom 04.08.2015, also fast vier Monate nach Fristablauf entschieden.
Eine Mitteilung der Verzögerung der Entscheidung an die Klägerin im Sinne von § 13 Abs. 3 a Satz 5 SGB V erfolgte nicht, ebenso wenig die Darlegung hinreichender Gründe. Insbesondere ist derartiges nicht mit Schreiben vom 27.03.2015 erfolgt.
Mit Schreiben vom 27.03.2015 hat die Beklagte von der Klägerin ergänzend weitere Nachweise angefordert zum Ausschluss schwerer psychiatrischer Erkrankungen und endokrinologischer Ursachen der Adipositas. Eine Frist zur Beibringung der Unterlagen wird in dem Schreiben nicht gesetzt. Die Klägerin hat die angeforderten Nachweise mit Schreiben vom 31.07.2015 eingereicht.
Der Gesetzgeber fordert mit § 13 Abs. 3a Satz 5 i.V.m. Satz 1 SGB V eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung an die Versicherten, dass die hier geltende 3-Wochen-Frist nicht eingehalten werden kann unter Darlegung der Gründe für die Verzögerung (§ 13 Abs. 3 a Satz 5 SGB V). Der Normzweck besteht darin, den Versicherten Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Entscheidung fristgerecht erfolgt oder eine Selbstbeschaffung zulässig sein wird (SG Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13, juris, Rn. 29). Hier jedoch hat die Beklagte noch nicht einmal gegenüber der Klägerin kenntlich gemacht, dass sie binnen einer 3-Wochen-Frist zu entscheiden hat, geschweige denn, dass diese nicht eingehalten werden kann. Ebenso fehlt es an einer ausdrücklichen Mitteilung eines Grundes für die fehlende Einhaltung der Frist. Der Gesetzgeber fordert an dieser Stelle gerade einen expliziten Hinweis, an dem es hier aber fehlt. Nicht genügen lassen will er, dass sich – wie hier – nur aus der Gesamtsituation ergibt, dass die 3-Wochen-Frist (die hier noch nicht einmal zutreffend benannt wird) nicht eingehalten werden kann.
Unabhängig davon kann von einem hinreichenden Grund schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Beklagte hier von der Klägerin Unterlagen angefordert hat, die für ihre am 04.08.2015 getroffene Ablehnungsentscheidung überhaupt nicht relevant sind. Gestützt hat die Beklagte ihre Ablehnung allein darauf, dass die Klägerin bisher kein multimodales Programm durchgeführt habe. Diese Begründung steht in keinem Zusammenhang mit den angeforderten Unterlagen und hätte daher ohne weiteres auch innerhalb der 3 Wochen-Frist bis zum 09.04.2015 erfolgen können. Statt zu entscheiden hat die Beklagte jedoch Nachweise von der Klägerin verlangt, die nichts an ihrer Entscheidung ändern. Dies ist nicht nur treuwidrig, sondern auch in keiner Weise durch den – hier gar nicht eingeschalteten – Medizinischen Dienst gedeckt gewesen. Ihm obliegt es festzustellen, welche medizinischen Unterlagen ggf. noch benötigt werden. Es besteht damit nicht der geringste Anlass, die eingetretene Verzögerung der Klägerin anzulasten.
5. Der Antrag betraf eine Leistung, die die Klägerin für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung lag.
Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V entspricht, der wiederum eine selbst beschaffte "erforderliche" Leistung voraussetzt. Dies bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Denn die Fiktionsgenehmigung soll nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 26).
Die beantragte Adipositasbehandlung unterfällt ihrer Art nach dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin konnte auch aufgrund der fachlichen Befürwortung ihres Antrags durch das C.-Klinikum die begehrte Versorgung für geeignet und erforderlich halten. Der Gedanke an einen Rechtsmissbrauch liegt fern.
Insbesondere stellt die Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" (Stand: April 2014) eine chirurgische Intervention auch nicht ausnahmslos unter den Vorbehalt der Erschöpfung vorrangiger Behandlungsmöglichkeiten (multimodales Behandlungskonzept). Gemäß Ziffer 5.45 kann eine chirurgische Therapie vielmehr "auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt." Dies ist nach der S3-Leitlienie u.a. bei einem BMI ) 50 kg/m² - wie er hier vorliegt - gegeben.
Zur Überzeugung der Kammer stehen dem Eintritt der Genehmigungsfiktion auch keine grundsätzlichen medizinischen Bedenken entgegen, die es ausnahmsweise zum Schutz des Versicherten erlauben können, die vom Gesetzgeber gewollte Genehmigungsfiktion außer Kraft zu setzen.
6. Entgegen der Auffassung der Beklagten begründet die Genehmigungsfiktion zugunsten des Leistungsberechtigten auch einen Naturalleistungsanspruch.
Eine Beschränkung auf einen Kostenerstattungsanspruch ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Nach dem klaren Wortlaut des § 13 Abs. 3 a SGB V gewähren die Sätze 6 und 7 mittels Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch oder Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst nur einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen vorgesehen, wie der Entwurf des Patientenrechtsgesetzes (PatRechtG) zeigt (BR-Drucks. 312/12, S.46, siehe auch BT-Drucks. 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistung bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (BT-Drucks. 17/11710, S. 30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 - ohne weitere Einschränkungen - in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Eine andere Auslegung schlösse mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3 a SGB V aus. Selbst wenn man annähme, § 13 Abs. 3a SGB V gewähre nur einen Kostenerstattungsanspruch, führte dies zu keinem anderen Ergebnis, da der Kostenerstattungsanspruch auch einen Anspruch auf Freistellung umfasst (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R –, juris, Rn. 25; SG Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13, juris, Rn. 34).
7. Die mithin fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (z.B. bei relevanter Änderung des Gesundheitszustands). Derartiges ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem vollständigen Obsiegen der Klägerin Rechnung.
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