L 6 U 16/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 19 U 133/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 16/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 34/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf die Zahlung einer Verletztenrente als Verschlimmerungsanteil auf eine abgefundene Verletztenrente hat.

Bei dem heute 72-jährigen Kläger ist seit 1978 sowohl eine Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule nach Nr. 70 der Berufskrankheitenliste der DDR (in der am 30. Juni 1990 geltenden Fassung), wie auch ein Meniskusschaden als Berufskrankheit nach Nr. 71 der Berufskrankheitenliste anerkannt. Nach einem Gutachten vom 18. März 1985 schätzte der Gutachter den Körperschaden für die Lendenwirbelsäulenerkrankung mit 25 % und für den Knieschaden mit "unter 20 %" ein. Daraus leitete er einen Gesamtkörperschaden von 30 % ab. Für diesen Körperschaden erhielt der Kläger über den 31. Dezember 1991 hinaus Verletztenrente.

Mit Bescheid vom 9. Mai 2005 fand die Beklagte die Verletztenrente des Klägers antragsgemäß ab. Eine neue Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nahm sie dabei nicht vor; neue ärztliche Einschätzungen erfolgten nur zur Frage der Lebenserwartung.

Mit einem bei der Beklagten am 19. März 2009 eingegangenen Antrag machte der Kläger ein Wiederaufleben der Rentenzahlung wegen Verschlimmerung der Folgen der Berufskrankheiten geltend.

Dipl.-Med. D. berichtete unter dem 14. Juni 2009, er habe bei dem Kläger ein Zeichen nach Schober von 10/12 cm und ein Zeichen nach Lasègue rechts bei 30° erhoben. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien unregelmäßig mit Physiotherapie behandelt worden und hätten sich darunter regelmäßig gebessert. 2002 sei auch eine Behandlung des linken Kniegelenkes erfolgt.

Mit Bescheid vom 18. November 2009 lehnte die Beklagte nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme eine Rentenerhöhung ab. Sie führte zur Begründung aus, beim Kläger sei keine Änderung in der Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten; diese belaufe sich weiterhin auf 30 v. H.

Der Kläger legte noch im gleichen Monat Widerspruch ein und bezog sich auf eine neu festgestellte Erhöhung seines Grades der Behinderung von 30 auf 50.

Aus der beigezogenen Schwerbehindertenakte ergab sich, dass der Grund der Erhöhung des Grades der Behinderung in der Verstärkung einer Schwerhörigkeit mit einer Gradänderung von 10 auf 40 lag. In der Akte findet sich ein Befundbericht des Chirurgen Dipl.-Med. D. vom Mai 2009, wonach eine beginnende Arthrose im linken Kniegelenk ohne wesentliche Funktionseinschränkungen vorlag. Von Seiten der Lendenwirbelsäule zeigte sich ein Schober von 10/12 cm, ein Ott´sches Zeichen von 30/ 33 cm und ein beiderseits negatives Lasèguesches Zeichen ohne neurologische Ausfälle. Die Beweglichkeit sei in allen Ebenen endgradig schmerzhaft gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2010 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück und führte aus, anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen lasse sich eine wesentliche Änderung in den Folgen der Berufskrankheit nicht nachweisen.

Mit der noch im gleichen Monat beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der Zustand seiner Unfallfolgen habe sich in der letzten Zeit schwerwiegend verschlimmert. Wegen vom Kläger zur Akte gereichter Röntgenbefunde wird auf Bl. 21 - 28 d. A. Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Dr. W., Facharzt für Unfallchirurgie/Orthopädie von den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannstrost in Halle, vom 27. März 2012 mit einem radiologischen Zusatzgutachten des Chefarztes Dr. B. vom 23. März 2012 eingeholt, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 50 - 73 d. A. Bezug genommen wird. Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu der Einschätzung gelangt, eine Verschlimmerung der Situation am linken Kniegelenk sei nicht nachweisbar. Die aktuelle Minderung der Erwerbsfähigkeit dafür schätze er mit unter 10 v. H. ein. Es liege eine innenseitige Kniegelenksarthrose mit Ausbiegung des Knies nach außen vor, die kaum über das Altersmaß hinausgehe. Auch von Seiten der Lendenwirbelsäule sei eine Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit über das bisherige Maß hinaus nicht zu erkennen. Es handele sich im Wesentlichen um Lumbagobeschwerden auf Grund einer schweren Abbauveränderung der Bandscheibe im Übergang von der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein (L5/S1) mit gelegentlich ins rechte Bein ausstrahlenden Schmerzen und Gefühlsstörungen. Dieses Beschwerdebild sei so bereits vor 30 Jahren beschrieben worden. Weitere Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule seien im Wesentlichen altersentsprechend. Der übernommene Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit liege noch über dem heute zu veranschlagenden Prozentsatz.

Mit Urteil vom 4. Dezember 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt und diese für nachvollziehbar erachtet.

Gegen das ihm am 13. März 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger noch im gleichen Monat Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt, die bereits 2011 erhobenen MRT-Befunde seien nicht beachtet worden. Der Grad der Behinderung sei mittlerweile mit 70 festgestellt worden. Nach Einsetzung einer Knieteilendoprothese am 3. November 2014 dürfe eine Verschlechterung auf der Hand liegen. Auch nach einer weiteren Operation mit offener chirurgischer Gelenkmobilisation und Resektion der äußeren Kniescheibe sei die Funktionalität noch nicht zufriedenstellend und bestünden erhebliche Beschwerden. Auch von Seiten der Lendenwirbelsäule bestünden weiterhin Beschwerden mit Ausstrahlung ins rechte Bein. Wegen vom Kläger vorgelegter Unterlagen wird auf Bl. 117 - 124, 167 f. d. A. verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Dezember 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2010 aufzuheben und

die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 19. März 2009 an für die als Berufskrankheit anerkannten Veränderungen im Bereich des linken Kniegelenkes und der Lendenwirbelsäule Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 35 v. H. abzüglich des abgefundenen Anspruchs zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung und sieht sich durch die weiteren medizinischen Ermittlungen darin Auffassung bestätigt. Sie hat weitere Unterlagen, Bl. 157 - 163, 172 - 194, 224 - 246 und 299 - 302 d. A., vorgelegt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Beiziehung der Schwerbehindertenakte des Klägers und die Einholung eines Befundberichts des Orthopäden/Unfallchirurgen Sp. vom 18. Juli 2013, Bl. 133 f. d. A. Aus der Schwerbehindertenakte ergibt sich die Erhöhung des Grades der Behinderung auf 90 nach erneuter Verschlechterung des Hörvermögens.

Das Gericht hat schließlich ein Gutachten des Sachverständigen Dr. K., Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie, vom 29. September 2016 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 261 - 288 d. A. Bezug genommen wird. Dieser ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, eine wesentliche Erhöhung des Satzes der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 5 v. H. gegenüber der bisherigen Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. könne nicht begründet werden. Diese sei für die Lendenwirbelsäule seit Anfang 2009 mit 10 v. H. und für das linke Kniegelenk mit 20 v. H. einzuschätzen. Es handele sich beim Kläger um eine leichtgradige Leistungseinschränkung bei bandscheibenbedingter Erkrankung des Abschnittes L5/S1 sowie um eine Knietotalendoprothese mit guter Funktionalität.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Termin vom 24. November 2016 zugestimmt.

Bei der Entscheidung hat neben den Gerichtsakten die Akte der Beklagten – Az. 03-78-0090516611 ARM – in zwei Bänden und die Schwerbehindertenakte des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt – Az. 81 0846 – vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Sie ist unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2010 den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert. Denn die Beklagte hat zu Recht die Wiederaufnahme der Zahlung auf den Anspruch des Klägers auf Verletztenrente abgelehnt.

Der Kläger hat gem. § 76 Abs. 3 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254) keinen Anspruch auf erneute Zahlung seiner Rente vom Antragsdatum an, weil im Sinne der Vorschrift keine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls nach der Bestimmung des § 73 Abs. 3 SGB VII eingetreten ist. Denn ihre Auswirkungen erreichen jedenfalls nicht ein Ausmaß von mehr als 5 v. H., das erst eine wesentliche Änderung darstellen würde.

Der Verschlimmerungsantrag des Klägers ist gem. § 1154 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO – in der Fassung durch G. v. 25.7.1991, BGBl. I S. 1606, 1669) hierbei nicht nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu beurteilen. Bei der Änderung von Renten, die – so beim Kläger – bereits vor dem 1. Januar 1992 auf Versicherungsfälle in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (der vorherigen Deutschen Demokratischen Republik) gezahlt worden sind, ordnet § 215 Abs. 6 SGB VII nämlich an, die Ermittlung grundsätzlich nach § 1154 RVO vorzunehmen, wobei die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit den Grundsätzen des § 56 SGB VII folgen soll. Grundlage der Rentenzahlung des Klägers ist noch die Anordnung in § 1154 Abs. 1 S. 1 RVO, wonach der Grad des Körperschadens – nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik – kraft unmittelbarer gesetzlicher Unterstellung als Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Dritten Buch der RVO gilt und gem. § 214 Abs. 3 SGB VII auch als solche nach dem SGB VII. Nur dann, wenn sich aus der Neubestimmung nach bundesdeutschem Recht ein höherer Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergibt, ist dieser neu festgestellte Grad maßgeblich, wie § 1154 Abs. 1 S. 5 RVO regelt. Einer Änderung kommt dabei nur insoweit Bedeutung zu, als diese überhaupt im tragenden Sachverhalt eingetreten sein muss, der den Körperschaden als Grundlage der bisherigen Zahlung bestimmt hat. Denn nur dann besteht der in § 1154 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 RVO genannte Anlass für eine Neubestimmung auf einen Verschlimmerungsantrag. Diese Regelungen erstreckt § 1154 Abs. 4 S. 1, 2 RVO auf den beim Kläger vorliegenden Fall einer Rentenzahlung nach einem Gesamtkörperschaden und behandelt die zu Grunde liegenden Versicherungsfälle als einen Versicherungsfall.

Diese besondere Umsetzung einer Änderung ist wiederum Bestandteil der Prüfung einer wesentlichen Verschlimmerung im Sinne von § 73 Abs. 3 SGB VII. So wie diese Prüfung in § 1154 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 RVO an die Stelle der Prüfung nach § 48 Abs. 1 SGB X tritt, ist dies auch hinsichtlich der Verweisung darauf in § 73 Abs. 3 SGB VII der Fall. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers auch hier, Zahlungserhöhungen wegen Bagatellveränderungen der Minderung der Erwerbsfähigkeit um bis zu 5 v. H. nicht vorzunehmen. Folgerichtig liegt nahe, geringere Veränderungen auch nicht zu einer Wiederaufnahme abgefundener Renten nach § 76 Abs. 3 SGB VII führen zu lassen.

Der Senat verwertet zur Ermittlung der jeweils zu erhebenden Befunde auch das Gutachten von Dr. W ... Soweit man in dem Vorwurf der Befangenheit gegen den Sachverständigen im Schriftsatz vom 18. Juni 2012 ein Ablehnungsgesuch sehen will, ist dieses verspätet. Gem. § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ist ein nicht bei der Ernennung des Sachverständigen bekannter Grund unverzüglich geltend zu machen. Den vom Kläger mit seiner Erklärung geltend gemachten Grund einer Äußerung des Sachverständigen anlässlich der gutachterlichen Untersuchung am 21. März 2012 hat er mit einer Verzögerung von nahezu drei Monaten geltend gemacht. Darin liegt ein schuldhaftes Zögern, zumal er mit einem sofortigen Gesuch noch Kosten für die Ausarbeitung des Gutachtens hätte verhindern können. Im Übrigen hat der Kläger das Gesuch auch nicht zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht aufrechterhalten.

Das Gericht sieht als gesichert an, dass eine Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, die den Feststellungen aus dem Jahre 1985 zu Grunde lagen. Bei der Knieverletzung ist eine Verschlechterung eingetreten. Bei der Untersuchung 1985 stellten die Ärzte annähernd normale klinische Verhältnisse fest, die sich in einer vollen Beweglichkeit und im Fehlen einer Ergussbildung oder Quadrizepsatrophie niederschlugen. Beschwerden wurden nur nach stärkeren Belastungen wiedergegeben, mitunter Anschwellungen und Knacken, manchmal Gangunsicherheiten. Insoweit lässt sich bereits aus dem Gutachten von Dr. W. eine Verschlechterung ableiten, weil eine Normalbeweglichkeit nicht mehr vorlag. Zudem berichtete der Kläger über seit ca. 3 Jahren bestehende Dauerschmerzen im Knie bei Unsicherheit im Laufen. Der Senat geht im Hinblick auf die seither stetig bis zur Einsetzung einer Endoprothese und zu einer weiteren Operation führenden Entwicklung zum Schlechteren von der Richtigkeit dieser Angaben aus.

Weiterhin ist eine Änderung in Form einer Verbesserung hinsichtlich der Lendenwirbelsäule eingetreten. Soweit die Ärzte 1985 von einer gravierenden Gefügestörung im Lumbosakralübergang mit wiederkehrenden Wurzelreizungen ausgegangen sind, hatte der Kläger entsprechende Beschwerden in Form von ständigen Rückenschmerzen, Schmerzverstärkung beim Bücken, Anheben von Lasten und bei gebeugter Körperhaltung, Erforderlichkeit eines regelmäßigen Haltungswechsels und Pressschmerz in verschiedenen Situationen angegeben.

Ab Stellung des Verschlimmerungsantrags sind insbesondere die Zeichen der Gefügestörung mit wiederkehrenden Wurzelreizungen und die entsprechenden Möglichkeiten der Schmerzentstehung so nicht mehr nachweisbar gewesen. Nach einem Bericht des Chirurgen D. in der Schwerbehindertenangelegenheit des Klägers über eine letzte Behandlung am 17. März 2009 hatte dieser nur noch eine in allen Ebenen endgradig schmerzhafte Bewegung bei Fehlen des Lasègueschen Zeichens und neurologischer Ausfälle erhoben. Dr. L. berichtete am 13. August 2010 zwar über einen Lendenmuskelhartspann mit erheblicher Einschränkung der Lendenwirbelsäule und Schmerzausstrahlung in den hinteren rechten Oberschenkel. Neurologische Ausfälle fanden sich jedoch weiterhin nicht. Nach der Befunderhebung von Dr. W. fielen ausgeprägte Schmerzangaben, die der Kläger noch bei früheren Untersuchungen geäußert hatte, am Untersuchungstag nicht auf. Es verblieb allein eine als diskret angegebene Sensibilitätsabschwächung an der Oberschenkelaußenseite. Der Bandscheibenschaden ziehe weder schwerwiegende Funktionseinbußen noch bedeutsame neurologische Veränderungen nach sich. Die Lendenwirbelsäule sei in ihrer Entfaltung begrenzt (Schober 10/12 cm), die Messungen beim Aufrichten aus der Rücken- oder Bauchlage oder der Finger-Boden-Abstand seien etwa altersgemäß. Über Schmerzverstärkung bei bestimmten Verrichtungen finden sich keine Angaben.

In seinem weiteren Bericht vom 12. Januar 2012 in der Schwerbehindertenangelegenheit teilte auch Dr. L. mit, die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule sei eingeschränkt und die Rückenmuskulatur verhärtet. Es lägen aber keine radikulären Reiz- oder Ausfallerscheinungen vor. Während der Rehabilitation im November 2014 schilderten die Ärzte eine schmerzfrei mögliche Bewegungsprüfung der Lendenwirbelsäule bei ausreichender Beweglichkeit; lediglich Vor- und Rückbeuge waren endgradig schmerzhaft. Die Lendenmuskulatur zeigte einen erhöhten Spannungszustand und war über dem rechten Kreuzbein klopfschmerzhaft. Die Diagnose lautete auf ein lokales Schmerzsyndrom.

Dr. K. schließlich bestätigt eine diskrete Entfaltungsstörung in den unteren Lendenwirbelabschnitten bei einem Schoberschen Zeichen von 10/12 cm. Der "deutliche" Finger-Boden-Abstand von 25 cm ergab sich auch aus einer mangelhaften Mitanwinkelung des Beckens und der Hüftgelenke. Die Seitneige und Rotationsfähigkeit des Rumpfes zeigte jeweils altersphysiologisch genügende Ausschläge bei minimaler Teilkontraktur der unteren Lendenwirbelsäule. Im Abschnitt L5/S1 ließ sich ein Druckschmerz erheben, während ein Klopf- oder Stauchungsschmerz nicht auslösbar war. Es ergaben sich keine Hinweise auf segmentale Gefügelockerungen oder Dysfunktionen, auch keine sicheren Zeichen für eine Nervenwurzelreizerscheinung im Rumpfbereich. Das Lasèguesche und das Bragard´sche Zeichen waren negativ.

Das Gericht folgt dem Sachverständigen Dr. K. in seiner Einschätzung, dass die genannten Veränderungen der Lendenwirbelsäule nach den durch sie hervorgerufenen funktionellen Störungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v. H. begründen.

Die Höhe der Rente nach Bundesrecht ist gem. § 56 Abs. 3 S. 2 SGB VII vom Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, ausgedrückt in einem Vomhundertsatz, abhängig. Die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Ihre Bemessung ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft. Diese sind in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst (siehe etwa bei Mehrtens, SGB VII, Anhang 12). Diese Werte sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit unterbreitet (vgl. nur BSG, Urt. v. 18.3.2003 – B 2 U 31/ 02 R – Breithaupt 2003, 565 ff.; Urt. v. 22.6.2004 – B 2 U 14/03 RSozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Die Beurteilung der Wirbelsäulenveränderungen hat der Sachverständige nachvollziehbar aus den Leitlinien zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in den sog. Konsensempfehlungen abgeleitet (veröffentlicht von Bolm-Audorff u.a., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Teil II, Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 327). Er hat die Auswirkungen als leicht eingestuft und dies schlüssig mit dem Fehlen belastungsabhängiger Beschwerden oder lumbaler Wurzelkompressionssyndrome begründet. Dies entspricht den Befunden aus der Zeit seit Stellung des Verschlimmerungsantrages und greift die Gesichtspunkte auf, die aus den "Konsensempfehlungen" zur Abgrenzung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. und 20 v. H. hervorgehen.

Der Senat folgt dem Sachverständigen auch im Wesentlichen, soweit er die Minderung der Erwerbsfähigkeit für das linke Kniegelenk höchstens mit 20 v. H. einschätzt. Allerdings bestehen daran für den Zeitraum von März 2014 bis Ende 2014 und von Mai 2015 bis Februar 2016 Zweifel; hier geht der Senat von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. aus. Es handelt sich hierbei um die Zeiträume, in denen die Kniegelenkserkrankung so weit fortgeschritten war, dass die Einsetzung der Endoprothese durch die behandelnden Fachärzte als Verbesserungsmaßnahme eingeschätzt wurde, weiter um die Zeit, als die Ausheilung nach erfolgter Operation noch nicht die volle Funktion der eingesetzten Prothese ermöglichte, schließlich um die Zeit, als erneute Beschwerden und Funktionsstörungen des Knies eine weitere Operation erforderlich machten, bis zur Ausheilung der Operationsfolgen. Zu all diesen Zeiten hat die Funktion des Kniegelenks unterhalb derjenigen gelegen, die ein Kniegelenk mit ordnungsgemäß eingeheilter Kniegelenksprothese zulässt.

Im Einzelnen hat Dr. G. ausweislich seines Nachschauberichtes vom 31. Januar 2014 nach Auswertung neuer Röntgenaufnahmen den endoprothetischen Ersatz des Kniegelenkes ausdrücklich empfohlen. Nach dem Bericht des Orthopäden S. vom 20. März 2014 äußerten sich die Befunde im Kniegelenk in ständig schlimmer werdenden Schmerzen, nahezu ohne schmerzfreie Phasen auch in Ruhe. Auch der Durchgangsarzt S. hat nur noch eine Knieprothese als Option gesehen. Diese Verhältnisse hat Dr. G. in seinem Bericht vom 16. September 2014 erneut bestätigt. Nach dem Reha-Entlassungsbericht über die Anschlussheilbehandlung bis zum ... Dezember 2014 sollten bei gebesserten Befunden noch bis zur sechsten nachoperativen Woche zwei Gehstützen zum Einsatz kommen.

Neue erhebliche Beschwerden ergeben sich aus dem Bericht der Dres. P. vom 5. Juni 2015. Danach berichtete der Kläger über seit 4 Wochen zunehmende Beschwerden, zeigte sich eine Weichteilschwellung mit geringem Erguss und eine leichte Überwärmung. Die Beweglichkeit hatte sich in Streckung und Beugung wieder auf 0/0/95° vermindert. Dies führte nach dem Bericht vom 23. Juni 2015 zur Planung der neuen Operation. Hinweise für eine verzögerte Heilung nach der zweiten Operation ergeben sich insbesondere nach dem Gutachten von Dr. K. nicht.

Höher als mit 30 v. H. war die Minderung der Erwerbsfähigkeit von Seiten des linken Kniegelenkes zu keiner Zeit zu beurteilen. Eine höhere Bewertung ergibt sich bei einer Versteifung des Kniegelenkes in einer Stellung von 0/0/20° oder bei einem verunstaltend verheilten Kniegelenksbruch mit stärkerer Fehlstellung. Solche Verhältnisse haben beim Kläger nie vorgelegen. Vielmehr hätte die bloße Beweglichkeit für sich genommen zu keiner Zeit ausgereicht, schon eine Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 v. H. zu rechtfertigen (zu allen vorgenannten Tabellenwerten Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 654 f., jedenfalls nicht höher nach 9. Aufl. 2017, S. 685 ff.).

Insgesamt ergibt sich aus den Einschätzungen der Folgen beider Berufskrankheiten auch für die Zeiten der höheren Bewertung der Kniegelenkserkrankung keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 35 v. H., weil die Auswirkungen der Funktionsstörungen sich überschneiden. In einem solchen Fall ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit geringer als die Summe der einzelnen Werte der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 103 f., auch mit Nachweis entsprechender Rechtsprechung, ebso. 9. Aufl., S. 131 f.). So begründen die Rückenbeschwerden nach den "Konsensempfehlungen" (a.a.O.) Einschränkungen für das Handhaben schwerer Lasten und für Arbeiten in gebückter Haltung. Beide Belastungsformen werden auch durch die Kniegelenksbeschwerden beeinträchtigt, weil sie zumindest auch im Gehen und Stehen erfolgen, bei dem sich die Kniegelenksbeschwerden auswirken.

Erst recht lässt sich eine Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht für die übrigen Zeiten rechtfertigen; hier folgt die von Dr. K. vorgeschlagene Minderung der Erwerbsfähigkeit um insgesamt 30 v. H. jedenfalls aus der Anwendung von § 1154 Abs. 1 S. 3 RVO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und richtet sich hier nach dem Unterliegen des Klägers.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht. Soweit die Fragen der Neubewertung einer Verletztenrente nach § 1154 RVO noch nicht abschließend geklärt sein sollten, sind solche Fälle heute in der Entscheidungspraxis nur Einzelfälle.
Rechtskraft
Aus
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