Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 205/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 54/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 57/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Mammakarzinom der Klägerin wie eine Berufskrankheit (BK) anzuerkennen ist.
Die Klägerin ist 1969 geboren. Am 27. Mai 2013 erstattete die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin Dipl.-Med. K. eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine BK wegen eines seit August 2012 bestehenden Mammakarzinoms durch Schichtarbeit. Beigefügt waren das Ergebnis einer pathologischen Untersuchung sowie ein Bericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Eisenmoorbad Bad S., die dies jeweils bestätigten.
In einer Stellungnahme vom 9. Juli 2013 führte die Landesgewerbeärztin St. -S. aus, die wissenschaftliche Belastbarkeit für einen kausalen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Brustkrebs würde vom IARC (International Agency for Research on Cancer; Internationale Agentur für Krebsforschung) als beschränkt bewertet. Eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeitern sei bisher in Studien nicht beobachtet worden. Die Tendenz zur Risikoerhöhung nach langjähriger Nachtschichtarbeit weise auf weiteren Forschungsbedarf hin. Es gebe bisher zwar theoretische Überlegungen, doch es sei nicht hinreichend geklärt, dass die bislang diskutierten Mechanismen tatsächlich zu einer Krebserkrankung führen könnten. Insgesamt lasse sich aus den gegenwärtig vorliegenden Studien ein erhöhtes Risiko für die Menschen aufgrund von Schichtarbeit nicht belegen. Daher werde keine Anerkennung empfohlen.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Brustkrebserkrankung als BK ab und führte aus, eine solche Erkrankung durch Schichtarbeit sei nicht in der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufgeführt (§ 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII). Auch eine Anerkennung wie eine BK sei nicht möglich, da keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft beständen, wonach die Klägerin einer im Vergleich zur Restbevölkerung höheren Gefahr ausgesetzt gewesen sei, an Brustkrebs zu erkranken. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2013 zurück und wiederholte ihre bisherige Begründung.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. September 2013 Klage am Sozialgericht Magdeburg erhoben und ausgeführt, die Beklagte habe die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII verkannt. Sie habe zudem übersehen, dass in der einschlägigen Fachliteratur ein Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebs als "biologisch plausibel" bezeichnet werde. Die IARC fordere bei der Schichtplangestaltung eine stärkere Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse der Arbeitsmedizin. Ergänzend hat die Klägerin verschiedene Fachaufsätze sowie zwei Zeitungsartikel zu dem Thema Krebs und Schichtarbeit vorgelegt.
Mit Urteil vom 18. März 2014 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, auch aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergebe sich eindeutig, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Brustkrebserkrankung und Schichtarbeit nicht wahrscheinlich im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sei.
Gegen das ihr am 3. April 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Mai 2014 Berufung eingelegt und zur Begründung ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, sie sei im Rahmen ihrer Ausbildung und Arbeit oftmals mit ihr teils unbekannten aggressiven chemischen Substanzen in Berührung gekommen. Auch diese seien geeignet, das Krebsrisiko zu erhöhen. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass es noch eine Vielzahl unbekannter Auslösefaktoren von Brustkrebs gebe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2013 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. März 2014 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, bei ihr ein Mammakarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und sieht sich durch die Ausführungen des Sachverständigen bestätigt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage von Prof. Dr. H. (der Mitautor der von der Klägerin vorgelegten Fachaufsätze war). Dieser hat in seinem Gutachten vom 9. September 2015 ausgeführt, nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand gebe es Hinweise auf eine mögliche kanzerogene Wirkung von Schichtarbeit. Dies reiche jedoch nicht aus, um diese berufliche Exposition als sicheren kanzerogenen Faktor zu klassifizieren. Im konkreten Fall der Klägerin sei nicht von einem wesentlichen ursächlichen Anteil von Schicht- und Nacharbeit bei Entstehung der Krebserkrankung auszugehen.
Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass ein Sachverständigengutachten das Gericht nicht binde.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Brustkrebserkrankung wie eine BK.
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. Öffnungsklausel für Wie-BKen).
§ 9 Abs. 1 SGB VII lautet:
"(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; [ ]
In den Gesetzesmaterialien wird zu Abs. 2 ausgeführt: "Voraussetzung für die Entschädigung einer Krankheit wie eine Berufskrankheit ist zusätzlich zu den sonstigen Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 2 das Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über den Ursachenzusammenhang zwischen schädigender Einwirkung infolge einer versicherten Tätigkeit und Erkrankung. Wie bei der Entscheidung des Verordnungsgebers im Rahmen des Absatzes 1 muß bei der Anwendung des Absatzes 2 hinreichend gesichert sein, daß die schädigende Einwirkung generell geeignet ist, die Entstehung oder Verschlimmerung einer bestimmten Erkrankung hervorzurufen. Nach herrschender Auffassung gilt eine solche medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis nicht erst dann als gesichert, wenn alle Fachmediziner eine bestimmte Lehrmeinung einhellig vertreten; es genügt vielmehr, wenn es sich um die überwiegende Meinung der entsprechenden medizinischen Fachleute handelt, die auf dem jeweiligen Gebiet über entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse verfügen. Vereinzelte Meinungen - auch von Sachverständigen - reichen dagegen nicht aus (BSG vom 31. Januar 1984 - 2 RU 67/82)." (BT-Drs. 13/2204, S. 78).
Die Feststellung einer Wie-BK ist u.a. vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22).
Der Senat unterstellt zu Gunsten der Klägerin, dass sie tatsächlich aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit als Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Krankenschwestern mit Schichtarbeit besonderen Einwirkungen ausgesetzt war. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG, a.a.O.). Die Klägerin leidet an einer Krebserkrankung und ihren Folgen, die eine Krankheit i.S. des § 9 Abs. 1 SGB VII darstellen.
Allerdings fehlt es an einem feststellbaren generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen Einwirkung (hier der Schichtarbeit).
Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" i.S. des § 9 Abs. 2 SGB VII nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22).
Hier ergibt sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten und dem übrigen Akteninhalt, dass soweit ersichtlich alle entsprechenden medizinischen Fachleute nicht davon ausgehen, dass Schichtarbeit generell geeignet ist, die Entstehung oder Verschlimmerung von Krebs hervorzurufen. Ein Zusammenhang zwischen Brustkrebs und Schichtarbeit wird nicht einmal angesprochen. Viele krebserregende Einflussfaktoren wirken jedoch organspezifisch (Rauchen/Lungenkrebs; Asbest/Lungenkrebs [vgl. Nr. 4104 Anlage 1 BKV], Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen/Hautkrebs [vgl. Nr. 5102 Anlage 1 BKV]).
Es genügt nicht, dass ein Zusammenhang teilweise als "plausibel" oder "möglich" bezeichnet wird (vgl. BSG, a.a.O; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 66). Krankheiten, die sich ein Versicherter zuzieht, können auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, die nicht allein dem versicherten Bereich entstammen, sondern ihre Ursachen (auch) in der Person des Versicherten oder in den allgemeinen Lebensverhältnissen haben. Die Frage, ob eine Krankheit die Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK erfüllt, kann daher nur anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen festgestellt werden.
Dies gilt hier besonders, da für das Mammakarzinom auch viele weitere unbekannte Ursachen in Betracht kommen. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. H. liegen für den überwiegenden Anteil der Tumore (90 % oder mehr) "bislang keine belastbare Assoziation zu einem spezifischen Risikofaktor (außer dem Alter)" vor. Dies heißt, bei der ganz überwältigenden Anzahl von Brustkrebserkrankungen ist unbekannt, welche Ursache sie haben. Umso schwieriger ist es dann, bei einer Versicherten einen einzelnen Risikofaktor, wie beispielsweise die Schichtarbeit, als Ursache für den Brustkrebs wissenschaftlich nachzuweisen. Berechtigte Zweifel an der generellen Geeignetheit von Schichtarbeit zur Verursachung von Brustkrebs gehen zu Lasten der Klägerin.
Selbst die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zeigen, dass bisher keine solche generelle Geeignetheit belegt ist. So heißt es in dem von ihr vorgelegten Aufsatz aus dem Ärzteblatt (2010, 657): "Obwohl es keinesfalls belegt ist, dass Schichtarbeit zur Krebsentwicklung beiträgt, sollten vorsorglich bei der Schichtplangestaltung Einsichten aus der Arbeitsmedizin, Chronobiologie und Arbeitswissenschaft stärker berücksichtigt werden." Eindeutig heißt es weiter: "Gleichwohl fehlen epidemiologische Studien, die mögliche Risiken bei Menschen beschreiben oder ausschließen könnten." Es ist für den Senat unmittelbar nachvollziehbar, dass im Bereich der Prävention Risiken bereits auf einer geringeren Stufe vermieden werden sollten und noch mehr, dass einzelne Stimmen sich für eine Risikominimierung einsetzen (so die Zusammenfassung zu Beginn des zitierten Aufsatzes).
Ähnlich heißt es in dem von der Klägerin vorgelegten Aufsatz aus dem DGUV-Forum 4/11, dass eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeitern noch nicht beobachtet wurde. Schlussfolgernd wird dort ausgeführt: "Insgesamt lässt sich allerdings aus den gegenwärtig vorliegenden Studien kein erhöhtes Krebsrisiko für den Menschen aufgrund von Schichtarbeit belegen." Fast identische Ausführungen finden sich in dem Fachaufsatz in Arbeitsmedizin/Sozialmedizin/Umweltmedizin 45, 7 (2010). Darin wird in einer Zwischenüberschrift hervorgehoben, die krebserzeugende Wirkung sei nicht gesichert. Auch in den weiteren vorgelegten Artikeln aus der Süddeutschen Zeitung vom 23. September 2010 sowie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Dezember 2008 wird jeweils ausgeführt, geklärt sei noch nichts bzw. ein Zusammenhang sei plausibel.
Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat bestätigt, dass auch nach dem neuesten Stand der Wissenschaft keine anderen Erkenntnisse vorliegen. Hinweise auf einen Zusammenhang genügen nicht, wie auch der Sachverständige ausführt. Ähnliches hatte bereits die Landesgewerbeärztin S. ausgeführt.
Soweit die Klägerin unsubstantiiert auf teils unbekannte Substanzen verweist, die geeignet seien, das Krebsrisiko zu erhöhen, so kann damit ein genereller Zusammenhang von Brustkrebs und Schichtarbeit nicht belegt werden. Unbekannte Faktoren entziehen sich zudem einer Bewertung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, weil es sich um eine Entscheidung aufgrund tatsächlicher Würdigung auf rechtlich nicht umstrittener Grundlage handelt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Mammakarzinom der Klägerin wie eine Berufskrankheit (BK) anzuerkennen ist.
Die Klägerin ist 1969 geboren. Am 27. Mai 2013 erstattete die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin Dipl.-Med. K. eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine BK wegen eines seit August 2012 bestehenden Mammakarzinoms durch Schichtarbeit. Beigefügt waren das Ergebnis einer pathologischen Untersuchung sowie ein Bericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Eisenmoorbad Bad S., die dies jeweils bestätigten.
In einer Stellungnahme vom 9. Juli 2013 führte die Landesgewerbeärztin St. -S. aus, die wissenschaftliche Belastbarkeit für einen kausalen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Brustkrebs würde vom IARC (International Agency for Research on Cancer; Internationale Agentur für Krebsforschung) als beschränkt bewertet. Eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeitern sei bisher in Studien nicht beobachtet worden. Die Tendenz zur Risikoerhöhung nach langjähriger Nachtschichtarbeit weise auf weiteren Forschungsbedarf hin. Es gebe bisher zwar theoretische Überlegungen, doch es sei nicht hinreichend geklärt, dass die bislang diskutierten Mechanismen tatsächlich zu einer Krebserkrankung führen könnten. Insgesamt lasse sich aus den gegenwärtig vorliegenden Studien ein erhöhtes Risiko für die Menschen aufgrund von Schichtarbeit nicht belegen. Daher werde keine Anerkennung empfohlen.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Brustkrebserkrankung als BK ab und führte aus, eine solche Erkrankung durch Schichtarbeit sei nicht in der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufgeführt (§ 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII). Auch eine Anerkennung wie eine BK sei nicht möglich, da keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft beständen, wonach die Klägerin einer im Vergleich zur Restbevölkerung höheren Gefahr ausgesetzt gewesen sei, an Brustkrebs zu erkranken. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2013 zurück und wiederholte ihre bisherige Begründung.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. September 2013 Klage am Sozialgericht Magdeburg erhoben und ausgeführt, die Beklagte habe die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII verkannt. Sie habe zudem übersehen, dass in der einschlägigen Fachliteratur ein Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebs als "biologisch plausibel" bezeichnet werde. Die IARC fordere bei der Schichtplangestaltung eine stärkere Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse der Arbeitsmedizin. Ergänzend hat die Klägerin verschiedene Fachaufsätze sowie zwei Zeitungsartikel zu dem Thema Krebs und Schichtarbeit vorgelegt.
Mit Urteil vom 18. März 2014 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, auch aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergebe sich eindeutig, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Brustkrebserkrankung und Schichtarbeit nicht wahrscheinlich im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sei.
Gegen das ihr am 3. April 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Mai 2014 Berufung eingelegt und zur Begründung ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, sie sei im Rahmen ihrer Ausbildung und Arbeit oftmals mit ihr teils unbekannten aggressiven chemischen Substanzen in Berührung gekommen. Auch diese seien geeignet, das Krebsrisiko zu erhöhen. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass es noch eine Vielzahl unbekannter Auslösefaktoren von Brustkrebs gebe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2013 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. März 2014 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, bei ihr ein Mammakarzinom als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und sieht sich durch die Ausführungen des Sachverständigen bestätigt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage von Prof. Dr. H. (der Mitautor der von der Klägerin vorgelegten Fachaufsätze war). Dieser hat in seinem Gutachten vom 9. September 2015 ausgeführt, nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand gebe es Hinweise auf eine mögliche kanzerogene Wirkung von Schichtarbeit. Dies reiche jedoch nicht aus, um diese berufliche Exposition als sicheren kanzerogenen Faktor zu klassifizieren. Im konkreten Fall der Klägerin sei nicht von einem wesentlichen ursächlichen Anteil von Schicht- und Nacharbeit bei Entstehung der Krebserkrankung auszugehen.
Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass ein Sachverständigengutachten das Gericht nicht binde.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Brustkrebserkrankung wie eine BK.
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. Öffnungsklausel für Wie-BKen).
§ 9 Abs. 1 SGB VII lautet:
"(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; [ ]
In den Gesetzesmaterialien wird zu Abs. 2 ausgeführt: "Voraussetzung für die Entschädigung einer Krankheit wie eine Berufskrankheit ist zusätzlich zu den sonstigen Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 2 das Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über den Ursachenzusammenhang zwischen schädigender Einwirkung infolge einer versicherten Tätigkeit und Erkrankung. Wie bei der Entscheidung des Verordnungsgebers im Rahmen des Absatzes 1 muß bei der Anwendung des Absatzes 2 hinreichend gesichert sein, daß die schädigende Einwirkung generell geeignet ist, die Entstehung oder Verschlimmerung einer bestimmten Erkrankung hervorzurufen. Nach herrschender Auffassung gilt eine solche medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis nicht erst dann als gesichert, wenn alle Fachmediziner eine bestimmte Lehrmeinung einhellig vertreten; es genügt vielmehr, wenn es sich um die überwiegende Meinung der entsprechenden medizinischen Fachleute handelt, die auf dem jeweiligen Gebiet über entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse verfügen. Vereinzelte Meinungen - auch von Sachverständigen - reichen dagegen nicht aus (BSG vom 31. Januar 1984 - 2 RU 67/82)." (BT-Drs. 13/2204, S. 78).
Die Feststellung einer Wie-BK ist u.a. vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22).
Der Senat unterstellt zu Gunsten der Klägerin, dass sie tatsächlich aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit als Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Krankenschwestern mit Schichtarbeit besonderen Einwirkungen ausgesetzt war. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG, a.a.O.). Die Klägerin leidet an einer Krebserkrankung und ihren Folgen, die eine Krankheit i.S. des § 9 Abs. 1 SGB VII darstellen.
Allerdings fehlt es an einem feststellbaren generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen Einwirkung (hier der Schichtarbeit).
Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" i.S. des § 9 Abs. 2 SGB VII nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22).
Hier ergibt sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten und dem übrigen Akteninhalt, dass soweit ersichtlich alle entsprechenden medizinischen Fachleute nicht davon ausgehen, dass Schichtarbeit generell geeignet ist, die Entstehung oder Verschlimmerung von Krebs hervorzurufen. Ein Zusammenhang zwischen Brustkrebs und Schichtarbeit wird nicht einmal angesprochen. Viele krebserregende Einflussfaktoren wirken jedoch organspezifisch (Rauchen/Lungenkrebs; Asbest/Lungenkrebs [vgl. Nr. 4104 Anlage 1 BKV], Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen/Hautkrebs [vgl. Nr. 5102 Anlage 1 BKV]).
Es genügt nicht, dass ein Zusammenhang teilweise als "plausibel" oder "möglich" bezeichnet wird (vgl. BSG, a.a.O; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 66). Krankheiten, die sich ein Versicherter zuzieht, können auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, die nicht allein dem versicherten Bereich entstammen, sondern ihre Ursachen (auch) in der Person des Versicherten oder in den allgemeinen Lebensverhältnissen haben. Die Frage, ob eine Krankheit die Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK erfüllt, kann daher nur anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen festgestellt werden.
Dies gilt hier besonders, da für das Mammakarzinom auch viele weitere unbekannte Ursachen in Betracht kommen. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. H. liegen für den überwiegenden Anteil der Tumore (90 % oder mehr) "bislang keine belastbare Assoziation zu einem spezifischen Risikofaktor (außer dem Alter)" vor. Dies heißt, bei der ganz überwältigenden Anzahl von Brustkrebserkrankungen ist unbekannt, welche Ursache sie haben. Umso schwieriger ist es dann, bei einer Versicherten einen einzelnen Risikofaktor, wie beispielsweise die Schichtarbeit, als Ursache für den Brustkrebs wissenschaftlich nachzuweisen. Berechtigte Zweifel an der generellen Geeignetheit von Schichtarbeit zur Verursachung von Brustkrebs gehen zu Lasten der Klägerin.
Selbst die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zeigen, dass bisher keine solche generelle Geeignetheit belegt ist. So heißt es in dem von ihr vorgelegten Aufsatz aus dem Ärzteblatt (2010, 657): "Obwohl es keinesfalls belegt ist, dass Schichtarbeit zur Krebsentwicklung beiträgt, sollten vorsorglich bei der Schichtplangestaltung Einsichten aus der Arbeitsmedizin, Chronobiologie und Arbeitswissenschaft stärker berücksichtigt werden." Eindeutig heißt es weiter: "Gleichwohl fehlen epidemiologische Studien, die mögliche Risiken bei Menschen beschreiben oder ausschließen könnten." Es ist für den Senat unmittelbar nachvollziehbar, dass im Bereich der Prävention Risiken bereits auf einer geringeren Stufe vermieden werden sollten und noch mehr, dass einzelne Stimmen sich für eine Risikominimierung einsetzen (so die Zusammenfassung zu Beginn des zitierten Aufsatzes).
Ähnlich heißt es in dem von der Klägerin vorgelegten Aufsatz aus dem DGUV-Forum 4/11, dass eine generelle Häufung von Krebserkrankungen bei Schichtarbeitern noch nicht beobachtet wurde. Schlussfolgernd wird dort ausgeführt: "Insgesamt lässt sich allerdings aus den gegenwärtig vorliegenden Studien kein erhöhtes Krebsrisiko für den Menschen aufgrund von Schichtarbeit belegen." Fast identische Ausführungen finden sich in dem Fachaufsatz in Arbeitsmedizin/Sozialmedizin/Umweltmedizin 45, 7 (2010). Darin wird in einer Zwischenüberschrift hervorgehoben, die krebserzeugende Wirkung sei nicht gesichert. Auch in den weiteren vorgelegten Artikeln aus der Süddeutschen Zeitung vom 23. September 2010 sowie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Dezember 2008 wird jeweils ausgeführt, geklärt sei noch nichts bzw. ein Zusammenhang sei plausibel.
Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat bestätigt, dass auch nach dem neuesten Stand der Wissenschaft keine anderen Erkenntnisse vorliegen. Hinweise auf einen Zusammenhang genügen nicht, wie auch der Sachverständige ausführt. Ähnliches hatte bereits die Landesgewerbeärztin S. ausgeführt.
Soweit die Klägerin unsubstantiiert auf teils unbekannte Substanzen verweist, die geeignet seien, das Krebsrisiko zu erhöhen, so kann damit ein genereller Zusammenhang von Brustkrebs und Schichtarbeit nicht belegt werden. Unbekannte Faktoren entziehen sich zudem einer Bewertung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, weil es sich um eine Entscheidung aufgrund tatsächlicher Würdigung auf rechtlich nicht umstrittener Grundlage handelt.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
Saved