S 18 KR 366/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 366/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 159/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid der Beklagten vom 13.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kosten in Höhe von 9.903,25 EUR zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Schlauchmagen-Operation bzw. die Kostenerstattung hierfür hat.

Die 1943 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin beantragte am 15.02.2016 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Schlauchmagen-Operation unter Vorlage verschiedener ärztlicher Unterlagen, u.a. einem Antrag des Krankenhauses Sachsenhausen auf Kostenübernahme. Darin heißt es, das eine Primärindikation entsprechend S3 Leitlinie (Stand 04/2014) gegeben sei für eine laparoskopischen Schlauchmagen-Operation zur operativen Behandlung der krankhaften Adipositas Grad III (BMI 52,5 kg/m²).

Mit Schreiben vom 24.02.2016 informierte die Beklagte die Klägerin, dass die Unterlagen am 24.02.2016 an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) weitergeleitet worden seien. Der MDK forderte die Klägerin unter dem 01.03.2016 auf, verschiedene weitere Unterlagen bis zum 11.03.2016 vorzulegen. Nach Fristablauf werde der Antrag unerledigt an die Krankenkasse zurückgegeben.

Mit Schreiben vom 17.03.2016 bat die Beklagte die Klägerin, die vom MDK angeforderten Unterlagen nachzureichen, damit eine Begutachtung durch den MDK erfolgen könne. Weiter enthielt das Schreiben den Hinweis: "Nach dem Patientenrechtegesetz hat die Krankenkasse Leistungsanträge grundsätzlich innerhalb einer Frist von 3 Wochen bzw. 5 Wochen zu bearbeiten. Da die eingangs erwähnten Unterlagen für eine Entscheidung zwingend erforderlich sind, beginnen die oben genannten Fristen erst mit vollständigem Eingang der benötigten Dokumente."

Am 20.04.2016 legte die Klägerin weitere ärztliche Unterlagen vor. Die Beklagte gab die Unterlagen mit dem Antrag erneut an den MDK weiter und informierte die Klägerin mit Schreiben vom 26.04.2016 darüber.

Mit Schreiben vom 29.04.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass am 09.05.2016 eine körperliche Untersuchung durch den MDK erfolgen müsse für die Bearbeitung des Antrags. "Eine abschließende Entscheidung über Ihr Anliegen ist nicht binnen der gesetzlich vorgegebenen Frist von 5 Wochen möglich, da eine persönliche Begutachtung beim MDK notwendig ist. Eine Entscheidung über Ihren Antrag kann bis zum 23.05.2016 nicht erfolgen.

Den Termin am 09.05.2016 nahm die Klägerin nicht war. Mit Schreiben vom 09.05.2016 forderte die Beklagte die Klägerin auf, innerhalb von 14 Tagen mitzuteilen, ob sie ihren Antrag auf Kostenübernahme aufrechterhalten möchte. Die Beklagte werde in diesem Fall den MDK erneut beauftragen. Sollte die Beklagte innerhalb der nächsten 14 Tage nichts von der Klägerin hören, sehe sie ihren Antrag als erledigt an.

Dazu gab die Klägerin an, dass sie das Schreiben vom 29.04.2016 erst am 09.05.2016 spätnachmittags erhalten habe.

Unter dem 10.05.2016 teilte der MDK der Beklagten mit, dass die Klägerin nach aktuellen Auskünften nicht in der Lage sei, die Beratungsstelle zu einer persönlichen Begutachtung zu erreichen. Zudem habe sie einen Antrag auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit gestellt. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei zudem unklar, inwiefern bzgl. der Psyche Kontraindikationen vorliegen. Es sei eine Befundberichtsanforderung gestellt worden an die behandelnde Hausärztin. Zudem sollte das ausführliche Pflegegutachten abgewartet werden.

Im Gutachten vom 07.06.2016 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass zum jetzigen Zeitpunkt die vorrangige medizinische Notwendigkeit einer bariatrischen Maßnahme nicht nachvollzogen werden könne. Es werde eine mindestens dreiwöchige stationäre Behandlung mit der Ernährung einer reinen Formulardiät zur Einleitung einer suffizienten Gewichtsreduktion empfohlen. Daneben weitere psychiatrische und schmerztherapeutische Mitbehandlung.

Mit Bescheid vom 13.06.2016 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab.

Dagegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Dieser wies darauf hin, dass eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V eingetreten sei. Er erwarte deshalb eine Kostenübernahmeerklärung bis zum 08.07.2016. Bei fruchtlosem Fristablauf werde danach Klage erhoben.

Mit Schreiben vom 13.07.2016 teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass nach ihrer Auffassung keine Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Die fehlenden Unterlagen seien erst am 25.04.2016 eingegangen. Am 12.07.2016 hat die Klägerin Klage erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt zunächst schriftlich,
es wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer bariatrischen Operation (Schlauchmagen) als Sachleistung vom 15.02.2016 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.

Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt die Beklagte vor, dass die erhobene Feststellungsklage unzulässig sei. Es gehe um einen Sachleistungsanspruch, den die Klägerin durchsetzen wolle. Das Widerspruchsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Für eine Feststellungsklage sei kein Raum, wenn das eigentliche Klageziel mit einer kombinierten Anfechtungs-/Leistungsklage erreicht werden könne. Letztlich diene die vorliegende Feststellungsklage der Umgehung des Widerspruchsverfahrens und damit der kombinierten Anfechtungs-/Leistungsklage. Unabhängig davon sei die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten. Es lagen hinreichende Gründe dafür vor, dass innerhalb der maßgeblichen Frist von fünf Wochen keine Entscheidung getroffen werden konnte. Über diese hinreichenden Gründe sei die Klägerin auch stets informiert worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 20.09.2016 hat die Klägerin dagegen Klage erhoben durch Umstellung des Klageantrags.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt zuletzt schriftlich,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin – aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V – die verauslagten Kosten für die am 12.08.2016 durchgeführte bariatrische Operation zu erstatten, dies unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides.

Ausweislich der vorgelegten Rechnung vom 12.10.2016 beliefen sich die Kosten für den stationären Aufenthalt vom 11.08. – 17.08.2016 auf insgesamt 10.344,70 EUR (Krankenhausaufenthalt: 7.514,75 EUR; Wahlleistung Chefarzt: 2.066,34 EUR; Wahlleistung Chefarzt, Anästhesie: 322,16 EUR; Wahlleistung Einbettzimmer: 441,45 EUR).

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zuletzt noch streitgegenständliche Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 13.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin eine Schlauchmagen-Operation zur Verfügung zu stellen bzw. die Kosten dafür zu erstatten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf diese Leistung aus der eingetretenen Genehmigungsfiktion.

Nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ist die Krankenkasse zu Erstattung der entstandenen Kosten verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. (§ 13 Abs. 3a Satz 5 und 6 SGB V) Die beantragte Schlauchmagen-Operation galt nach Ablauf der fünfwöchigen Frist als genehmigt. Die Klägerin hat am 15.02.2016 die Leistung beantragt. Innerhalb der fünfwöchigen Frist bis zum 21.03.2016 erfolgte keine Entscheidung der Beklagten. Die Klägerin wurde zwar innerhalb dieser Frist darüber informiert, dass der MDK eingeschaltet werde (Schreiben vom 17.03.2016). Allerdings enthielt dieses Schreiben lediglich den allgemeinen Hinweis darauf, dass sich die Fristen verschieben, bis alle Unterlagen vorliegen. Es fehlt aber eine einer taggenau bestimmen Frist, bis zu der sich die Fristen verschieben. Dies ist aber notwendig, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern. "Will eine Krankenkasse den Eintritt der Genehmigungsfiktion eines Antrags auf Krankenbehandlung hinausschieben, muss sie den Antragsteller von einem hierfür hinreichenden Grund und einer taggenau bestimmten Fristverlängerung jeweils vor Fristablauf in Kenntnis setzen" (BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, 2. Leitsatz, juris).

Es ist für ein Verschieben der Fristen nicht ausreichend, dass ein zureichender Grund vorlag, um noch nicht zu entscheiden. Liegt ein Grund vor, noch nicht zu entscheiden, muss der Antragstellerin mitgeteilt werden, um welchen Grund es sich handelt und bis wann sich die Frist verlängert. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, wird der Eintritt der Genehmigungsfiktion hinausgeschoben.

Die Klägerin hat bei der Beklagten einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt. Bei der Schlauchmagen-Operation handelt es sich um eine erforderliche Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3a SGB V. Es ist nicht notwendig, dass die Operation objektiv erforderlich war. "Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen." (BSG, Urteil vom 08.03.2016, b 1 KR 25/15 R, Rdnr. 26) Ihrer Art nach handelt es sich bei der Schlauchmagen-Operation um eine Leistung, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Da der Klägerin die Schlauchmagen-Operation ärztlicherseits empfohlen worden war, durfte sie diese für geeignet und erforderlich halten. Aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion sind Kosten in Höhe von 9.903,25 EUR. Die Kosten für das Einbettzimmer sind nicht zu erstatten. Diese Leistung ist von der Klägerin nicht beantragt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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