L 8 SB 3028/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 SB 1761/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3028/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
für Recht erkannt: Tenor: Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.07.2016 sowie der Bescheid des Beklagten vom 10.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.03.2012 abgeändert. Der Beklagte wird verpflichtet, bei der Klägerin für die Zeit vom 30.11.2012 bis 14.01.2015 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "G" festzustellen. Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ein Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches (Merkzeichens) "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) erfüllt.

Bei der 1971 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt S. mit Bescheid vom 14.07.1995 wegen einer psychischen Erkrankung (depressive Neurose mit Essstörung - GdB 40 -) sowie einer Teillähmung des linken Beins und des linken Arms (- GdB 20 -) den GdB mit 50 fest.

Am 09.03.2011 beantragte die Klägerin beim nunmehr zuständigen Landratsamt R. (LRA) die Feststellung des Merkzeichens "G". Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (ärztliche Bescheinigung/Stellungnahme Dr. H. vom 05.05.2009 und 29.09.2009, Diagnosen: Adipositas per magna, Essstörung, Somatisierungsstörung mit zunehmend depressiver destruktiver Tendenz, Hypertonie, Asthma bronchiale und Zustand nach postpartaler Parese mit Schwäche der linken Hand und des linken Fußes; Bericht Dr. S. vom 21.09.2010; ärztlicher Entlassungsbericht der d.-Fachklinik E. an die Deutsche Rentenversicherung vom 21.09.2010; Attest des Facharztes für psychosomatische Medizin und Psychotherapie W. vom 15.02.2011; Bericht Dr. G. vom 04.11.2010). In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 08.08.2011 schlug Dr. F. wegen einer seelischen Krankheit (GdB 40), einer Gebrauchseinschränkung des linken Beines und Gebrauchsunfähigkeit des linken Arms (GdB 20) sowie Bronchialasthma und Allergie (GdB 10) den GdB weiterhin mit 50 vor und verneinte eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.

Mit Bescheid vom 10.08.2011 lehnte das LRA eine Neufeststellung des GdB sowie die Feststellung des Merkzeichens "G" ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 05.09.2011 Widerspruch ein. Sie machte zur Begründung geltend, sie sei wegen einer mangelnden Koordinationsfähigkeit infolge einer Cerebralparese nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zurückzulegen. Die Klägerin legte das Attest des Dr. R. vom 20.10.2011 vor. Weiter holte das LRA den Befundschein von Dr. Kü. vom 29.12.2011 ein. Entsprechend der hierzu eingeholten weiteren gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes, Dr. Si. , vom 15.01.2012 wies das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2012 zurück. Eine Verschlimmerung, die eine Erhöhung des bisherigen Gesamt-GdB von 50 rechtfertige, könne nicht festgestellt werden. Die Feststellung des Merkzeichens "G" sei vom LRA zu Recht abgelehnt worden.

Hiergegen erhob die Klägerin (durch ihre Prozessbevollmächtigte) am 27.03.2012 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG), mit dem Ziel, bei ihr das Merkzeichen "G" festzustellen. Sie machte zur Begründung geltend, seit dem Feststellungsbescheid im Jahr 1995 habe sich ihr Gehvermögen erheblich verschlechtert. Sie könne nur noch mit orthopädischen Schuhen langsam gehen und kurze Strecken zurücklegen. Eine Wegstrecke von etwa 2 km in etwa einer halben Stunde könne sie nicht mehr zurücklegen. Sie berief sich auf das Attest des Dr. R. vom 20.10.2011 sowie auf den Befundschein von Dr. Kü. vom 29.12.2011.

Das SG hörte behandelnde Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Allgemeinmedizin Dr. W. teilte in seiner Aussage vom 30.06.2012 - unter Vorlage medizinischer Unterlagen (insbesondere Bericht des D.-Klinikums S. vom 20.04.2012) - den Behandlungsverlauf und die Befunde mit. Zur Frage einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr konnte er aus psychotherapeutischer Sicht keine Stellung beziehen. Der Orthopäde Dr. R. teilte in seiner Aussage vom 18.07.2012 den Behandlungsverlauf, die Diagnosen (Tibialis posterior Insuffizienz links, infantile Cerebralparese links und Fußheberparese links) mit, schätzte auf orthopädischem Gebiet den GdB mit 40 ein und erachtete das Merkzeichen "G" für gerechtfertigt. Die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. Kü. teilte in ihrer Aussage vom 06.08.2012 den Behandlungszeitraum, die Befunde und Diagnosen mit. Sie schätzte wegen einer zentral bedingten dysplastischen Hemiparese links mit vorwiegender Feinmotorikstörung des linken Armes und einer deutlichen Einschränkung der Gehfähigkeit den GdB auf 50 ein und verneinte die Frage, ob die Klägerin übliche Wegstrecken im Ortsverkehr (etwa 2 km in einer halben Stunde) ohne erhebliche Schwierigkeiten oder ohne Gefahr für sich oder andere zurücklegen kann. Eine schwere geistige Behinderung oder ein hirnorganisches Anfallsleiden sei nicht bekannt.

Das SG holte (von Amts wegen) das orthopädische Gutachten des Dr. D. vom 26.11.2012 ein. Dr. D. gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, an Gesundheitsstörungen (auf orthopädischem Gebiet) bestünden eine ganz endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule (GdB 0) sowie eine endgradig eingeschränkte Streckung im linken Ellenbogengelenk von 15° (GdB 0), sowie (auf neurologischem Gebiet aufgrund der infantilen Cerebralparese) Bewegungseinschränkungen der Sprunggelenke und der Zehen links und eine Muskelminderung des linken Beines (GdB 30). Die Frage, ob die Klägerin ohne erhebliche Schwierigkeiten bzw. ohne Gefahren für sich oder andere eine Wegstrecke von 2 km im Ortsverkehr in einer halben Stunde zurücklegen könne, stellte Dr. D. in die Beantwortung eines neurologischen Gutachtens.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. W. vom 22.05.2012 und 20.08.2012, der unter Abänderung der Tenorierung (seelische Krankheit GdB 40, inkomplette Halbseiten GdB 30 und Bronchialasthma, Allergie GdB 10) den Gesamt-GdB weiterhin mit 50 vorschlug und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" verneinte, sowie von Dr. R. vom 12.02.2013, der eine neurologische und gegebenenfalls psychiatrische Begutachtung durch das Gericht vorschlug, der Klage entgegen.

Das SG holte daraufhin (von Amts wegen) das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vom 22.05.2013 ein. Dr. P. gelangte in seinem Gutachten (auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet) zu den Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit allenfalls leichtgradig, einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, selbstunsicheren und abhängigen Zügen, einer angegebenen posttraumatischen Störungen, einem Binge eating mit sekundärer Adipositas (GdB 30) und einer infantilen Cerebralparese mit leichter beinbetonter Hemisymptomatik links (GdB 30). Fachfremd diagnostizierte Dr. P. ein Bronchialasthma, Allergie (GdB 10). Den Gesamt-GdB schätzte Dr. P. - wie bisher wohlwollend grenzwertig - auf 50. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" wurden verneint. Es ergäben sich keine objektivierbaren neurologischen Auffälligkeiten, um die Kriterien für eine Anerkennung des Merkzeichens "G" zu rechtfertigen.

Die Klägerin erhob durch ihre Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 24.06.2012 gegen das Gutachten des Dr. P. Einwendungen. Das Gutachten sei weder schlüssig noch nachvollziehbar. Mit Schriftsatz vom 31.03.2014 wandte sich die Klägerin gegen das Gutachten des Dr. D. und trug weiter zu ihren Beeinträchtigungen vor. Neurologisch bedingten Schmerzen im Rücken und beim Gehen seien nur noch mit starken Schmerzmitteln in den Griff zu bekommen. Zuletzt habe sie sehr starke Schmerzmittel (Opiate) verschrieben bekommen.

Das SG hörte die Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung am 21.03.2014 an. Hierzu wird auf die Niederschrift des SG vom 21.03.2014 Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 14.10.2014 wies die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte mitteilen, dass Dr. M. sie für die Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege begutachtet habe.

Das SG zog von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Verkehrsmedizin Dr. M. vom 31.07.2014 wegen eines Arbeitsunfalls der Klägerin (Wegeunfall) am 30.11.2012, wobei die Klägerin einen Kniebinnenschaden links (Versorgung einer vorderen Kreuzbandruptur mit einer Semitendinosusplastik im Klinikum S. am 14.03.2013 mit zögerlichem Behandlungsfortschritt und Arbeitsunfähigkeit bis 24.10.2013) erlitt, bei. Dr. M. gelangte in seinem Gutachten im Wesentlichen zu den Bewertungen, der Unfall vom 30.11.2012 habe beim Vorschaden einer sensomotorischen dysplastischen Beinparese links zu einem Kniebinnenschaden mit verbliebener Schmerzsymptomatik und Bewegungseinschränkung des linken Knies mit Verschlechterung der Mobilität im Vergleich zum Vorzustand geführt. Die durch die Schmerzsymptomatik getriggerte Zunahme der Spastik überlappe funktionell mit der verbliebenen Funktionsstörung des Kniens, welche durch die fehlende Streckung und Bewegungseinschränkung nachvollziehbar zur Abnahme der Mobilität auf 500 bis 700 m Gehstrecke geführt habe.

Die Klägerin legte den Bescheid der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege vom 11.09.2014 vor, mit dem der Klägerin wegen des Unfalls vom 30.11.2012 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. als vorläufige Entschädigung gewährt wurde.

Das SG zog von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege das 2. Rentengutachten des Prof. Dr. A. , Klinikum L. , vom 16.08.2015 sowie den Bescheid vom 16.11.2015 über die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. wegen der Folgen des Unfalls vom 30.11.2012 bei.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 26.03.2015 und Dr. K. vom 10.03.2016, der ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten vorschlug, weiter entgegen.

Entsprechend dem Vorschlag des Dr. K. holte das SG (von Amts wegen) das orthopädische Gutachten des Dr. H. vom 17.05.2016 ein. Dr. H. diagnostizierte in seinem Gutachten eine infantile beinbetonte Cerebralparese links, eine geringe Streckhemmung des linken Ellenbogens, eine Muskelminderung des linken Beines, eine Quadrizepsschwäche sowie eine Fußheber- und Fußsenkerschwäche links, einen Zustand nach Arthroskopie und Ersatzplastik des vorderen Kreuzbandes, einen Senk- und Spreizfuß beidseits sowie Adipositas per magna. Dr. H. schätzte den GdB für die linksseitige beinbetonte Hemiparese auf 30 und für die diskrete Streckhemmung im Bereich des linken Ellenbogengelenks, für Veränderungen im Bereich des linken Hüftgelenkes, für Beschwerden im Bereich des linken Kniegelenkes und eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform den GdB auf jeweils unter 10 ein. Er gelangte zu der Bewertung, die Klägerin könne aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen nur mit erheblichen Schwierigkeiten die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurücklegen. Wegstrecken von 2 km im Ortsverkehr in einer halben Stunde seien nur zeitweise möglich. Die vorliegenden Behinderungen entsprächen nicht einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung. Eine Gefahr für sich oder andere bestehe nicht. Die Voraussetzungen für die Zubilligung des Merkzeichens "G" würden nicht erfüllt.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.07.2016 wies das SG die Klage ab. Streitgegenständlich sei vorliegend, ob die Klägerin für die Zeit ab dem 09.03.2011 die Feststellung des Merkzeichens "G" beanspruchen könne. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lägen nicht vor. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im Straßenverkehr sei zur Überzeugung der Kammer nicht nachgewiesen. Das SG stützte sein Entscheidung insbesondere auf die Gutachten von Dr. D. , Dr. P. und Dr. H ...

Gegen den der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12.07.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die von der Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 12.08.2016 eingelegte Berufung. Die Klägerin hat zur Begründung unter Bezug auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 11.08.2015 und des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2015 geltend gemacht, das SG habe sich mit einer Vergleichbarkeit ihrer Gesundheitsstörung mit den Regelbeispielen nicht auseinandergesetzt. Sie berief sich auf die Zeugenaussagen von Dr. Kü. und Dr. R. die von einem GdB von 50 bzw. 40 ausgingen. Der Gerichtsbescheid stütze sich auf Gutachten, welche zum Teil vor dem Arbeitsunfall erstellt worden seien. Zu den Beeinträchtigungen aufgrund der links betonten Hemiparese, die sich verschlimmert habe, seien Beeinträchtigungen im Kniegelenk aufgrund des Arbeitsunfalles hinzugekommen. Das Gutachten von Dr. H. stehe den Gutachten von Dr. M. und Prof. Dr. A. entgegen und enthalte einige Unrichtigkeiten. Es sei auch vernachlässigt worden, dass es bislang aufgrund der Gangunsicherheit zu Stürzen gekommen sei.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.07.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.03.2012 zu verpflichten, bei ihr das Merkzeichen "G" seit dem 09.03.2011 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Er hat zur Begründung ausgeführt, die objektive Befundlage stütze die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht. Im abschließend eingeholten Gutachten des Dr. H. sei als einzige, sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Beeinträchtigung die linksseitige beinbetonte Hemiparese aufgeführt worden, die jedoch nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr geführt habe. Die größtenteils subjektiven Einwände der Klägerin in der Berufungsbegründung seien nicht geeignet, das in sich schlüssige Gutachten des Dr. H. stichhaltig zu widerlegen.

Der mit Terminsbestimmung des Vorsitzenden vom 02.12.2016 anberaumte Termin zur münd-lichen Verhandlung am 27.01.2017 wurde wegen eines Antrags der Klägerin gemäß § 109 SGG, von Dr. Z. ein Gutachten einzuholen, mit Verfügung des Vorsitzenden vom 16.01.2017 aufgehoben. Am 20.02.2017 wurde Dr. Z. gemäß § 109 SGG mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am 27.02.2017 hat Dr. Z. den Gutachtensauftrag zurückgegeben. Mit Terminsbestimmung des Vorsitzenden vom 28.02.2017 ist der Rechtsstreit erneut zur mündlichen Verhandlung am 24.03.2017 terminiert worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist nur, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" seit dem Tag der Antragstellung am 09.03.2011 vorliegen. Nicht Streitgegenstand ist, ob bei der Klägerin wegen einer eingetretenen Verschlimmerung ein höherer GdB festzustellen ist. Zwar hat der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 10.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.03.2012 sowohl über die Feststellung des GdB, ohne dass dies im Änderungsantrag vom 09.03.2011 von der Klägerin beantragt war, als auch über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G entschieden, wobei es sich um zwei unterschiedliche Verfügungssätze bzw. Verwaltungsakte handelt. Gegen die Ablehnung der Neufeststellung eines höheren GdB hat sich die Klägerin im Widerspruchsverfahren sowie im Klageverfahren jedoch nicht gewandt, sondern ausdrücklich jeweils nur die Zuerkennung des Merkzeichens "G" beantragt. Damit ist der streitgegenständliche Bescheid vom 10.08.2011, soweit eine Neufeststellung eines höheren GdB vom Beklagten abgelehnt wurde, bestandskräftig geworden, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt hat. Dem entspricht auch der von der Klägerin im Berufungsverfahren gestellte Antrag, der auf die Feststellung des Merkzeichens "G" beschränkt ist.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und teilweise begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Feststellung des Merkzeichens "G" für die Zeit vom 30.11.2012 bis 14.01.2015 abgelehnt wurde. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 30.11.2012 bis 14.01.2015 Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G". Insoweit sind der streitgegenständliche Bescheid sowie der Gerichtsbescheid des SG abzuändern. Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens "G" für die Zeit vom 09.03.2011 bis 29.11.2012 und ab dem 15.01.2015. Insoweit sind der angefochtene Bescheid sowie der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden.

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. §§ 145 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erfordern eine doppelte Kausalität: Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken (BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 99a SB 7/06 R -, juris Rn. 12).

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten.

Bis zum 15.01.2015 konnte sich der Beklagte jedoch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "G" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "G" waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, beide veröff. in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 -,unveröffentlicht). Rechtsgrundlage bis zum 15.01.2015 waren daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte (grundlegend BSG, Urteil vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 , SozR 3870 § 60 Nr. 2; BSG, Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 , SozR 3 3870 § 60 Nr. 2) die Bewältigung von Wegstrecken von zwei Kilometern in einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall. Sowohl die Gesetzesmaterialien zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1979 als auch die AHP 1983 (Seite 123, 127f.) enthielten keine Festlegung zur Konkretisierung des Begriffs der im Ortsverkehr üblichen Wegstrecke. Diese Festlegung geht auf eine in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis gegriffene Größe von zwei Kilometern zurück, die als allgemeine Tatsache, welche zur allgemeingültigen Auslegung der genannten Gesetzesvorschrift herangezogen wurde, durch verschiedene Studien (vgl. die Nachweise in BSG, Urteil vom 10.12.1987 a.a.O.) bestätigt worden ist. Der außerdem hinzukommende Zeitfaktor enthält den in ständiger Rechtsprechung bestätigten Ansatz einer geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit als die von fünf bis sechs Kilometern pro Stunde zu erwartende Gehgeschwindigkeit rüstiger Wanderer, da im Ortsverkehr in der Vergleichsgruppe auch langsam Gehende, die noch nicht so erheblich behindert sind wie die Schwerbehinderten, denen das Recht auf unentgeltliche Beförderung zukommt, zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.1987, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass infolge des Zeitablaufs sich die Tatsachengrundlage geändert haben könnte, hat der Senat nicht. Der Senat legt daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil des Senats vom 02.10.2012 - L 8 SB 1914/10, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) diese Erkenntnisse weiter der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ortsüblichen Wegstrecken im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX zugrunde, auch wenn die entsprechenden Regelungen der VG zu dem Nachteilsausgleich (Merkzeichen) "G" wie oben ausgeführt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats unwirksam waren (ebenso der 3. und 6. Senat des LSG Baden Württemberg, Urteile vom 17.07.2012 a.a.O. und vom 04.11.2010 a.a.O.).

1. Hiervon ausgehend sind für die Zeit vom 09.03.2011 bis 29.11.2012 (dem Tag vor dem Arbeitsunfall der Klägerin) das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht festzustellen. Nach dem von Dr. W. seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG beigefügten Befundbericht des D.-Klinikums S. vom 20.04.2012 wird im körperlichen Untersuchungsbefund die Wirbelsäule sowie die Extremitäten aktiv und passiv als frei beweglich sowie das Gangbild als nur leicht hinkend beschrieben. Darüber hinaus war die neurologische Untersuchung orientierend unauffällig, insbesondere fand sich bei der Untersuchung kein Hinweis auf eine höhergradige Halbseitenschwäche bei bekannter infantiler Cerebralparese. Dem entsprechen im Wesentlichen auch die Befundbeschreibungen im Gutachten von Dr. D. vom 26.11.2012. Danach hat Dr. D. lediglich eine ganz endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule ohne messbaren GdB feststellen können. Eine die Gehfähigkeit der Klägerin einschränkende Behinderung der Hüft- und Kniegelenke beschreibt Dr. D. in seinem Gutachten nicht, vielmehr bestand eine seitengleich vollständige Beweglichkeit beider Hüft- und Kniegelenke. Eine scheinbar endgradige Einschränkung der Beugung in den Hüftgelenken (Streckung/Beugung 10-0-90° beidseits) resultiert nach den Ausführungen von Dr. D. aus der Adipositas der Klägerin. Nach den weiteren Befundbeschreibungen von Dr. D. in seinem Gutachten bestanden bei der neurologischen Untersuchung der unteren Extremitäten der Klägerin - mit Auswirkungen auf die Gehfähigkeit - ein 20%iger Kraftverlust der Fußheberkraft, ein etwa 10%iger Kraftverlust der Fußsenkerkraft sowie ein geringer Kraftverlust der Oberschenkelstreck- und Hüftbeugemuskulatur. Korrelierend zu der Fußheberschwäche bestand bei der Klägerin im linken oberen Sprunggelenk eine fehlende Überstreckbarkeit und eine um 50 % reduzierte Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk. Die Beweglichkeit der Zehen links war um ein Drittel eingeschränkt. Der Zehengang links, der beidseitige Fersenstand links und der linksseitige Fersengang waren durch die Peronaeusparese erschwert bzw. deutlich erschwert. Der Einbeinstand war beidseits unauffällig. Im Seitenvergleich war bei der vergleichenden Inspektion der unteren Gliedmaßen eine verminderte Muskelbemantelung des linken Beines augenfällig. Weiter stellte Dr. D. einen leichten Hohlfuß links fest. Das Gangbild im Barfußgang auf ebenem Boden beschreibt Dr. D. infolge der Fußheberschwäche links als verändert, indem in der Anfangsphase des linksseitigen Schrittes der Fuß komplett mit der Fußsohle aufgesetzt wird. Dr. P. beschreibt in seinem Gutachten vom 22.05.2013 - soweit zur Beurteilung der Gehfähigkeit der Klägerin relevant - auf neurologischem Gebiet eine angegebene Hemihypästhesie vom Scheitel bis zur Sohle links sowie Beeinträchtigungen im Bereich der linksseitigen Körperhälfte in Form einer Spitzfußstellung mit Beeinträchtigung der Fußextention im oberen Sprunggelenk ohne wesentliche neurogenen Störungen. Bei Gebrauch im Rahmen der Bewegungsfähigkeit besteht nach dem Gutachten von Dr. P. keine wesentliche Störung.

Nach diesen Befunden lassen sich orthopädische und neurologische/neurogene Behinderungen, die eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr der Klägerin plausibel machen, nicht feststellen. Die nur geringgradige Fußheberparese wirkt sich zur Überzeugung des Senats nicht bedeutsam auf die Gehfähigkeit der Klägerin aus. Entsprechendes gilt für die von Dr. D. beschriebene Einschränkung der erschwerten Gangprüfungen links (Zehengang, Fersengang und Fersenstand) bei unauffälligem Einbeinstand beidseits. Eine Versteifung des Sprunggelenkes links liegt bei der Klägerin nicht vor. Die beschriebenen Befunde führen nach den Beschreibungen von Dr. D. und Dr. P. in ihren Gutachten zu einem nicht bedeutsam eingeschränkten Gangbild, das nicht die Feststellung rechtfertigt, die Klägerin sei in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Die beschriebene Muskelminderung des linken Beines ist nach dem Gutachten von Dr. P. auf eine Wuchsstörung der Extremitäten zurückzuführen und damit nicht Ausdruck einer behinderungsbedingten Schonung, die Rückschlüsse auf eine bedeutsame Einschränkung der Gehfähigkeit zuließe. Hiervon geht insbesondere auch Dr. P. aus, der bei Gebrauch im Rahmen der Bewegungsfähigkeit keine wesentliche Störung festgestellt und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" verneint hat. Dieser Bewertung schließt sich der Senat für den Zeitraum vom 09.03.2011 bis 29.11.2012 an.

Der abweichenden Bewertung von Dr. R. und Dr. Kü. in ihren schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen an das SG, die übereinstimmend bei der Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens "G" für gerechtfertigt erachteten, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dr. R. beschreibt keine abweichenden Befunde, die seine Ansicht plausibel machen. Entsprechendes gilt auch für die Aussage von Dr. Kü ... Sie stützt ihre Bewertung maßgeblich auf Angaben der Klägerin ("dass sich der Zustand verschlechtert habe, so lasse die Kraft im Bein nach, sie knicke häufiger in Knie weg und könne den Fuß schlechter heben, sei auch mehrfach gestürzt, "). Eigene Befunde, die die Angaben der Klägerin bestätigen, beschreibt Dr. Kü. in ihrer Aussage nicht. Vielmehr entspricht ihre Beschreibung der von ihr erhobenen Befunde im Wesentlichen denen von Dr. D. und Dr. P. in ihren Gutachten. So beschreibt Dr. Kü. ebenfalls Paresen der Zehenhebung, Fußhebung und Fußaußenrandhebung links vom KG (Kraftgrad) 4/5, Zehen- und Fußsenkung links KG 4+/5. Der Zehenstand wird als beidseits möglich, der Fersenstand links deutlich schlechter beschrieben. Das Gangbild wird als spastisch links mit eingeschränkter Abrollfunktion des linken Fußes angegeben, was dem von Dr. D. beschriebenen Gangbild im Wesentlichen entspricht. Soweit daher Dr. Kü. die Beschwerdeangaben der Klägerin mit ihren Befunden als vereinbar erachtet und hierauf ihre Ansicht, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vorlägen, mit der Begründung stützt, dass die Klägerin nach wenigen 100 m ein deutliches Nachlassen der Kraft im linken Bein bemerke, sie dann häufiger im Knie weg knicke und den Fuß auch schlechter heben könne, wobei es bereits mehrfach zu Stürzen gekommen sei, ist dies für den Senat nicht überzeugend.

Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten des Dr. P. (Schriftsatz vom 24.06.2013) rechtfertigen keine andere Bewertung. Dass Dr. P. als einziger Arzt eine leichte beinbetonte Hemisymptomatik links beschreibt und die sachverständigen Zeugenaussagen in krassem Widerspruch zu den Aussagen des Dr. P. stünden, triff, nach dem oben Ausgeführten nicht zu. Die von Dr. P. - bezogen auf die Gehfähigkeit der Klägerin - in seinem Gutachten beschriebenen Befunde stehen vielmehr im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den vom D.-Klinikums S., von Dr. D. wie auch von Dr. Kü. beschriebenen (eigenen) Befunderhebungen. Soweit die Klägerin weiter verschiedene Ausführungen von Dr. P. in seinem Gutachten und die Beantwortung der Beweisfragen rügt, nimmt die Klägerin eigene, subjektive Bewertungen zu ihren Gunsten vor, die ihre Ansicht, das Gutachten des Dr. P. sei weder schlüssig noch nachvollziehbar, nicht rechtfertigt. Außerdem kommt es auf die von der Klägerin gerügten Ausführungen im Gutachten von Dr. P. nicht entscheidungsrelevant an.

2. Für die Zeit vom 30.11.2012, dem Arbeitsunfall der Klägerin, bis 14.01.2015 kann der Senat nach den oben dargestellten Grundsätzen bei der Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" feststellen. Bei der Klägerin ist durch Bescheid des Versorgungsamtes Stuttgart vom 14.07.1995 die Schwerbehinderteneigenschaft bestandskräftig festgestellt. Hieran ist der Senat gebunden. Es bedarf deshalb keiner Erörterung durch den Senat, ob bei der Klägerin zwischenzeitlich eine wesentliche Besserung ihres Gesundheitszustandes eingetreten ist, der im genannten Zeitraum die Herabsetzung des GdB auf unter 50 und damit die Aberkennung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin rechtfertigt. Durch den Arbeitsunfall hat die Klägerin bei einem Fahrradsturz einen erheblichen Kniebinnenschaden links erlitten. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig, weshalb sich der Senat nicht gedrängt fühlte, die Unfallakte der Klägerin von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beizuziehen.

Durch den Arbeitsunfall ist es - nach der Untersuchung der Klägerin durch Dr. D. - zur Überzeugung des Senats zu einer über sechs Monate andauernden (temporären) zusätzlichen Behinderung der Gehfähigkeit der Klägerin gekommen, die es rechtfertigt, bei der Klägerin im genannten Zeitraum die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" festzustellen. Zu dieser Feststellung gelangt der Senat aufgrund des vom SG beigezogenen Gutachtens von Dr. M. vom 31.07.2014 an die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Nach dem Gutachten des Dr. M. ist es durch den Unfall zu einer Verschlechterung der Mobilität der Klägerin im Vergleich zum Vorzustand gekommen. Eine durch die Schmerzsymptomatik getriggerte Zunahme der Spastik, funktionell überlappt mit der verbliebenen Funktionsstörung des Knies, führte nach der nachvollziehbaren und überzeugenden Bewertung von Dr. M. durch eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenkes links (eingeschränkte Streckung und Beugung) bei der Klägerin zu einer für den Gutachter nachvollziehbaren Abnahme der Mobilität auf 500 bis 700 m Gehstrecke. Hiervon ausgehend kann der Senat feststellen, dass die Klägerin im genannten Zeitraum nicht in der Lage war, infolge ihrer Einschränkung des Gehvermögens Wegstrecken ohne erhebliche Schwierigkeiten im Ortsverkehr üblicherweise (ca. 2 km in einer halben Stunde) noch zu Fuß zurückzulegen. Der Klägerin steht deshalb im genannten Zeitraum gegen den Beklagten ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G" zu.

3. Ab dem 15.01.2015 ist eine geänderte Rechtslage eingetreten, die zum maßgeblichen Entscheidungszeit der vorliegenden Verpflichtungsklage, dem Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Berufungsverfahren, zu beachten ist. Danach ist es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr rechtfertigt, vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" auszugehen. Der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Nach der am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" geschaffen (insoweit offen lassend der 3. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 13.05.2015 - L 3 SB 1100/14 -). Soweit eine entsprechende Anwendung der Maßstäbe der VersMedV durch das Gesetz angeordnet ist, lässt sich dem Wortlaut hinreichend deutlich die Regelung für Merkzeichen entnehmen, dass die Bewertungsmaßstäbe der VG Teil D unmittelbar anzuwenden sind. Der Regelung der mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassenen VersMedV ist bis zum Erlass einer neuen Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX damit praktisch Gesetzescharakter verliehen worden (so auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 - L 6 SB 3121/14 - unter Verweis auf BT-Drs. 18/3190, S. 5, juris, www.sozialgerichtsbar-keit.de). Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" entfaltet nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 22.05.2015 - L 8 SB 70/13 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam. Eine Rückwirkung ist in der Übergangsbestimmung gesetzlich nicht geregelt worden, weshalb die gesetzliche Neuregelung erst am Tag des Inkrafttretens Gültigkeit erlangt. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zu der Neufassung von § 70 Abs. 2 und § 159 Abs. 7 SGB IX, mit der der Gesetzgeber die Zweifel, ob § 30 Abs. 16 BVG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung (zusätzlich gemeint wohl: für die Feststellung von Merkzeichen) darstellt, ausräumen will, so dass die VersMedV "künftig auf beide Ermächtigungsnormen" gestützt werden kann (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 2), also eine Regelung für die Zukunft beabsichtigt. Zudem geht der Gesetzgeber mit der Schaffung der Übergangsregelung davon aus, dass "in der Übergangszeit das derzeitige Recht weiter Anwendung findet" (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 3). Folglich stellt der Senat für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab.

Gemäß den Grundsätzen der VG Teil D 1b) Satz 1 für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (BSG, Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R -, juris). Bei der Prüfung der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen vorliegen, kommt es zudem nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden (VG Teil D 1b) Satz 2). Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (VG Teil D 1b) Sätze 3, 4). Nähere Umschreibungen für einzelne Krankheitsbilder und Behinderungen enthalten die VG Teil D 1 d), e) und f). Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind nach den VG Teil D 1 d) als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Besonderheiten gelten für hirnorganische Anfälle - VG Teil D 1e) - und Orientierungsstörungen infolge von Sehstörungen, Hörstörungen oder geistiger Behinderung - VG Teil D 1f) -.

Die VG beschreiben in Teil D 1 d) bis f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können. Die VG geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit tragen die VG dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen. Von diesen Faktoren filtern die VG all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des schwerbehinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen (BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R -, juris, zu den mit den VG vergleichbaren AHP; BSG, Beschluss vom 17.08.2010 - B 9 SB 32/10 B -, juris, zu den VG und AHP).

Dass bei der Klägerin ein konkret gelistetes Krankheitsbild der VG Teil D 1 d) bis f) vorliegt, kann für die Zeit ab 15.01.2015 nicht mehr festgestellt werden.

Das Krankheitsbild der VG Teil D 1 d) liegt bei der Klägerin nicht vor. Der Senat konnte keine funktionelle Beeinträchtigung der Klägerin an der Lendenwirbelsäule oder den unteren Gliedmaßen feststellen, die jeweils für sich oder in ihrem Zusammenwirken einen GdB 50 rechtfertigt. Es kann schon keine sich auf die Gehfähigkeit der Klägerin auswirkende Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule, die mit einem GdB von wenigstens 10 zu bewerten ist, festgestellt werden. Den oben dargestellten Befundbeschreibungen hinsichtlich der Lendenwirbelsäule des Dr. D. in seinem Gutachten entsprechen auch die von Dr. H. im Gutachten vom 17.05.2016 beschriebenen Lendenwirbelsäulenbefunde (Finger-Boden-Abstand 25 cm, Rechts- und Linksneigung jeweils 30°, Rumpfdrehung jeweils 35°, normale Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule). Eine GdB-relevante Funktionsbehinderung der von Lendenwirbelsäule kann damit auch für die Zeit ab 15.01.2015 nicht festgestellt werden.

Die Funktionseinschränkungen der unteren Gliedmaßen ergeben keinen GdB 50. Hinsichtlich der unteren Extremitäten der Klägerin bestehen nach den von Dr. H. im Gutachten vom 17.05.2016 dargestellten Befunde weiterhin im Wesentlichen unverändert die von Dr. D. und Dr. P. in ihren Gutachten und von Dr. Kü. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG übereinstimmenden beschriebenen Beeinträchtigungen einer Fußheber- und Fußsenkerparese sowie ein geringer Kraftverlust der Oberschenkelstreck- und Hüftbeugemuskulatur, im linken oberen Sprunggelenk eine fehlende Überstreckbarkeit und eine um 50 % reduzierte Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk, eine Einschränkung der Beweglichkeit der Zehen links, eine verminderte Muskelbemantelung des linken Beines sowie eine leichten Fußdeformität links. Auch Dr. H. beschreibt in seinem Gutachten eine Atrophie des Quadrizepsmuskels sowie eine Umfangminderung der Wadenmuskulatur, eine diskrete Schwäche beim Anheben des linken Beines im Bereich der Oberschenkelmuskulatur, eine Fußheber- und Fußsenkerschwäche links mit Einschränkung der Fuß- und Zehenhebung auf 4/5 und angegebene Hypästhesien im Bereich des gesamten linken Beines. Dr. H. wertet die Missempfindungen und die Muskelatrophie des linken Beines ebenfalls als Folge der infantilen Cerebralparese.

Hinsichtlich der Hüft- und der Kniegelenke sind nach den Gutachten von Prof. Dr. A. und Dr. H. bei der Klägerin keine bedeutsamen Behinderungen der Klägerin feststellen, die ihre Gehfähigkeit relevant einschränken. Insbesondere kann für die Zeit ab 15.01.2015 eine (verbliebene unfallbedingte) GdB-relevante Einschränkung des Kniegelenks links, nicht festgestellt werden. Vielmehr ist von einer Besserung durch Heilbehandlung auszugehen. Prof. Dr. A. beschreibt in seinem vom SG beigezogenen 2. Rentengutachten eine im Wesentlichen frei Beweglichkeit der Hüftgelenke der Klägerin (Streckung/Beugung rechts 0-0-110°, links 0-0-100°) sowie eine im Vergleich zu rechts nicht GdB-relevant eingeschränkte Beweglichkeit der Kniegelenke (Streckungen/Beugung rechts 0-0-130°, links 0-5-110°bzw. 0-10-120°). Einen Kniegelenkserguss, eine Instabilität der Seitenbänder oder eine pathologische Schubladenbewegung hat Prof. Dr. A. beidseits nicht feststellen können. Entsprechendes gilt bezüglich einer Krampfaderbildung oder einer Venenerweiterung. Prof. Dr. A. beschreibt eine seitengleich kräftige Fußsohlenbeschwielung, was auf einen seitengleiche Einsatz der Beine beim Gehen hindeutet. Dr. H. beschreibt in seinem Gutachten vergleichbare Befunde. Die Beweglichkeit der Hüftgelenke ist nicht GdB-relevant eingeschränkt (Beugung/Streckung beidseitig 100-0-10°). Entsprechendes gilt für die Kniegelenke (Beugung/Streckung beidseitig 120-0-0°). Bei der aktiven Bewegung besteht eine schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit des linken Kniegelenks, bei der passiven Bewegungsprüfung gibt die Klägerin bei passiv freier Beweglichkeit keine Schmerzen an. Nach den Beschreibungen von Dr. H. sind die Kreuzbänder sowie das innere und äußere Seitenband (beidseits) stabil. Das vordere und hintere Schubladenphänomen, der Lachmann-Test, der Jerk-Test, das Pivot-shift-Phänomen und die Meniskuszeichen sind jeweils (beidseits) negativ. Rotationsinstabilitäten bestehen nicht. Funktionsbehinderungen der Hüft- und Kniegelenke, die nach den VG einen GdB von 10 begründen (vgl. VG Teil B 18.14), sind danach (für die Zeit ab 15.01.2015) nicht festzustellen. Hiervon geht auch Dr. H. in seinem Gutachten, den VG entsprechend, aus.

Die bei der Klägerin hinsichtlich der unteren Extremitäten festzustellenden, sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Behinderungen, wie oben beschrieben, rechtfertigen nach den VG einen GdB von 30. Die Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenkes der Klägerin rechtfertigt nach den VG Teil B 18.14 noch keinen GdB von 20. Eine Fußdeformität stärkeren Grades oder eine Versteifung der Zehen liegen bei der Klägerin nicht vor, weshalb nach den VG Teil B 18.14 einen GdB von 20 ebenfalls nicht erreicht wird. Insgesamt stellt sich der Behinderungszustand der Klägerin günstiger als die Versteifung eines Hüftgelenks in günstiger Stellung, eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk beidseits mittleren Grades oder einer Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenkes in ungünstiger Stellung, für die nach den VG Teil B 18.14 jeweils ein GdB von 40 veranschlagt ist, dar. Von einem GdB von 30 wegen der Funktionsbehinderung des linken Beines gehen auch übereinstimmend Dr. D. , Dr. P. sowie Dr. H. in ihren Gutachten aus. Dass die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (zuletzt) mit Bescheid vom 16.11.2015 der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 30.11.2012 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. bewilligt hat, rechtfertigt keine andere Bewertung des GdB. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Die Höhe der MdE ist aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu bestimmen (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die nicht versicherungsfallbedingte, abgrenzbare Gesundheitsstörungen unberücksichtigt lassende MdE lässt sich damit nicht auf die nach den rechtlichen Vorgaben der VG vorzunehmende Bewertung des GdB übertragen und ist für die Bestimmung des GdB (nach den VG) nicht von wesentlicher Bedeutung. Eine der Klägerin günstigere Beurteilung rechtfertigt auch nicht § 69 Abs. 2 SGB IX. Nach dieser Vorschrift sind Feststellungen (zum GdB) nach § 69 Abs. 1 SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon u.a. in einem Rentenbescheid getroffen worden ist, wie dies bei der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 30.11.2012 durch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (zuletzt) mit Bescheid vom 16.11.2015 mit einer MdE um 20 v.H. erfolgt ist. Diese Feststellung der MdE ist nicht verbindlich, weil bei der Klägerin der GdB unter Berücksichtigung weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu bewerten ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R -, juris). Im Übrigen wäre selbst dann, wenn zu Gunsten der Klägerin hinsichtlich des Kniegelenks links ein Teil-GdB von 20 berücksichtigt würde, die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht gerechtfertigt. Nach der Heilbehandlung sind bei der Klägerin am linken Kniegelenk - wie oben dargestellt - lediglich noch geringfügige Beeinträchtigungen verblieben, die - entgegen der Ansicht der Klägerin - die Feststellung einer sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkende Behinderung, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40, nicht rechtfertigen, wovon auch Dr. H. in seinem Gutachten überzeugend ausgeht. Damit erreicht der Behinderungszustand der Klägerin hinsichtlich der unteren Extremitäten (einschließlich der Lendenwirbelsäule) keinen GdB von 50, wovon auch Dr. H. in seinem Gutachten ausgeht, und liegen auf die Gehfähigkeit sich besonders auswirke Behinderungen nicht vor, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht festgestellt werden können.

Der abweichenden Bewertung des GdB durch Dr. R. (GdB 40 orthopädisch) und Dr. Kü. (GdB 50) in ihren schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen an das SG kann nicht gefolgt werden. Dr. R. beschreibt keine Befunde, die seine Bewertung des GdB plausibel machen. Die von Dr. Kü. in ihrer Aussage beschriebenen erhobenen Befunde, die nach dem oben Ausgeführten im Wesentlichen mit den Befundbeschreibungen im Gutachten des Dr. D. , Dr. P. und Dr. H. übereinstimmen, rechtfertigen nach den VG die Bewertung des GdB von 50 nicht.

Dass bei der Klägerin die Regelbeispiele der VG Teil D 1 e) oder f) vorliegen, kann nicht festgestellt werden. Anhaltspunkte für das Auftreten relevanter hirnorganischen Anfälle, Störungen der Orientierungsfähigkeit, eine bedeutsame Sehbehinderung (GdB mindestens 70) auch in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) sowie eine Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit finden sich in den Gutachten vom SG eingeholten des Dr. D. , Dr. P. und Dr. H. , den vom SG beigezogenen Gutachten von Dr. M. und Prof. Dr. A. sowie der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. R. und Dr. Kü. und den - zahlreich - zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht. Nach dem Gutachten von Dr. H. vom 17.05.2016 bestehen inspektorisch keine Hinweise auf kardiale, pulmonale, renale oder abdominelle oder arterielle Leiden. Zwar besteht bei der Klägerin nach dem Gutachten von Dr. M. eine Visusminderung des linken Auges 4,5 mit Schielstellung, und nach den Angaben der Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. H. rechts 3,25 dpt., links 5,5 dpt. Eine im Hinblick auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G" bedeutsame Sehbehinderung lässt sich hieraus nicht herleiten. Das Vorliegen der Regelbeispiele der VG Teil D 1 e) oder f) hat die Klägerin im Übrigen im Verlauf des Rechtsstreites auch nicht geltend gemacht.

Ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens "G" besteht auch über die Regelbeispiele der VG Teil D 1 d) bis f) hinaus nicht. Zwar besteht ein Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G" über die genannten Regelbeispiele hinaus auch bei einem schwerbehinderten Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielshaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist. Denn die VG Teil D 1 enthalten keine abschließende Listung in Betracht kommender Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen, sondern erfasst etwa auch psychische Behinderungen (BSG, Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 1/14 R -, juris) oder nach der Listung in Betracht kommender Behinderungen im Zusammenwirken mit funktionellen Auswirkungen einer Adipositas per magna (BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R -, juris).

Andere, von den Regelbeispielen der VG Teil D 1 nicht erfasst Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke sind bei der Klägerin jedoch nicht festzustellen, weshalb die Klägerin dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis nicht gleichgestellt werden kann. Dass die Klägerin durch eine (im letzten Feststellungsbescheid vom 14.07.1950 mit einem Einzel-GdB von 40 berücksichtigte) psychische Erkrankung mit Essstörung zu den vom Senat festgestellten Behinderungen des linken Beines in ihrer Gehfähigkeit - zusätzlich - beeinträchtigt ist, die die Feststellung des Merkzeichens "G" rechtfertigt, lässt sich nach den vom SG eingeholten Gutachten von Dr. D. , Dr. P. und Dr. H. , wie auch den beigezogenen Gutachten von Dr. M. und Prof. Dr. A. und den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht feststellen. Entsprechendes gilt auch für die Adipositas per magna. Eine relevante Beeinträchtigung ihrer Gehfähigkeit durch eine psychische Erkrankung bzw. durch die Adipositas per magna hat die Klägerin im Verlaufe des Rechtsstreites im Übrigen auch nicht (substantiiert) geltend gemacht.

4. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Bewertung. Allein der Umstand, dass die Klägerin nach ihren Angaben orthopädische Schuhe benötigt und außerhalb der Wohnung Walking-Stöcke und bei längeren Strecken einen Rollator benutzt, rechtfertigt noch nicht die Feststellung des Merkzeichens "G". Soweit sich die Klägerin auf die Bewertungen von Dr. R. und Dr. Kü. beruft, kann diesen Bewertungen, wie bereits ausgeführt, nicht gefolgt werden. Den von Dr. M. in seinem Gutachten beschriebenen Beeinträchtigungen hat der Senat für die Zeit vom 30.11.2012 bis 14.01.2015 Rechnung getragen. Insbesondere eine bedeutsame Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks kann nach den später eingeholten Gutachten von Prof. Dr. A. vom 16.08.2015 und dem Gutachten von Dr. H. vom 17.05.2016 jedoch nicht mehr festzustellen. Die von der Klägerin sonst (subjektiv) als nicht berücksichtigt geltend gemachten Beeinträchtigungen, werden durch die objektive gutachtliche Befunderhebung nicht belegt. Soweit die Kläger im Klageverfahren eingewendet hat (Schriftsatz vom 31.03.2014), sie habe sehr starke Schmerzmittel verschrieben bekommen (Opiate), ist dieses Vorbringen nicht belegt. Die von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. M. (Untersuchung am 25.07.2014) nach den Beschreibungen von Dr. M. nach ihren Angaben regelmäßig eingenommenen Medikamente (insbesondere Viveo 150 mg und Ramiplus 15 mg) sind nach den im Internet zu diesen Medikamenten veröffentlichten Beipackzettel keine starken opiathaltige Schmerzmittel. Entsprechendes gilt für die Beschreibung der eingenommenen Medikamente (Tolperison 150 mg) im Gutachten des Prof. Dr. A ... Eine bedeutsame Verschlimmerung der Hemiparese seit 1995, wie die Klägerin geltend macht, kann, wie oben ausgeführt, nicht festgestellt werden.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren gemäß § 109 SGG die Einholung eines Gutachtens des Dr. Z. beantragt hat, war die Einholung des mit Senatsschreiben vom 20.02.2012 bei Dr. Z. in Auftrag gegebenen Gutachtens nicht möglich, da Dr. Z. mit Schreiben vom 23.02.2017 - aus Altersgründen - den Gutachtensauftrag zurückgegeben hat. Der Senat ist nicht verpflichtet gewesen, die Erstellung des Gutachtens beim Sachverständigen unter Hinweis auf seine Verpflichtung nach § 407 ZPO durchzusetzen.

Der Klägerbevollmächtigten war im Hinblick auf ihre nach der Terminierung des Rechtsstreits am 02.12.2016 zur mündlichen Verhandlung auf den 27.01.2017 am 05.12.2016 erfolgte Mitteilung, mit der Klägerin zu besprechen, ob eine Gutachten nach § 109 SGG eingeholt werden soll, mit richterlicher Verfügung vom 07.12.2016 unter Hinweis auf § 109 Abs. 2 SGG für die Stellung eines Antrags nach § 109 SGG - antragsgemäß - eine Frist bis 13.01.2017 gesetzt worden. Es hätte der Prozessbevollmächtigten der Klägerin oblegen, im Rahmen der am 27.12.2016 erfolgten Antragstellung, Dr. Z. gemäß § 109 SGG als Gutachter zu beauftragen, sicher zu stellen, dass Dr. Z. zur Erstattung des Gutachtens bereit ist (zu grober Nachlässigkeit in einem vergleichbaren Fall vgl. Senatsurteil vom 30.01.2015 - L 8 SB 2159/14 -, juris). Dies war nicht der Fall. Vielmehr hat Dr. Z. den vom Senat erteilten Gutachtensauftrag zurückgegeben. Dass sich Dr. Z. absprachewidrig verhält, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat keine Umstände hierfür vorgetragen, sondern sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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