L 12 AS 3815/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 3468/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3815/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts M. vom 28.07.2015 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 01.12.2013. Verfahrensrechtlich geht es zunächst darum, ob die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist unzulässig ist.

Der geborene Kläger, der gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann ist und im streitigen Zeitraum mietfrei bei seinen Eltern lebte, betrieb im hier interessierenden Zeitraum auf selbstständiger Basis einen Einzelhandel mit Bio-Lebensmitteln. Gleichzeitig war er seit dem Sommersemester 2006 als Student an der Universität M. eingeschrieben, wobei er vom 01.02. bis 31.07.2008 und vom 01.08.2012 bis 31.01.2013 jeweils ein Urlaubssemester genehmigt bekam. Seit Juni 2012 stand er beim Beklagten im (teilweise ergänzenden) vorläufigen Leistungsbezug nach dem SGB II (zuletzt: Bescheid vom 14.11.2013 mit vorläufiger Bewilligung von monatlich 383,- EUR für die Zeit vom 01.11.2013 bis 30.04.2014). Als Grund für die Vorläufigkeit gab der Beklagte jeweils das aufgrund der selbstständigen Tätigkeit des Klägers schwankende Einkommen an. Bei seinen (Weiter-) Bewilligungsanträgen gab der Kläger jeweils nicht an, dass er als Student eingeschrieben war. In seinen Anträgen vom 10.06.2012, 28.01.2013 und 20.03.2013 kreuzte er unter Nr. 2c des Antragsformulars bei der Frage, ob er Student sei, das mit "Nein" bezeichnete Kästchen an.

Am 21.11.2013 sprach der Kläger beim Beklagten persönlich vor und teilte mit, sich aus dem Leistungsbezug abmelden zu wollen, da er sein Studium wieder aufnehme, um durch einen Abschluss seine Integrationschancen zu verbessern. Er legte eine Studienbescheinigung der Universität M. vom 21.11.2013 vor, aus der sich ergibt, das er seit dem Sommersemester 2006 durchgehend ordentlicher Student im Fach Betriebswirtschaftslehre und zu diesem Zeitpunkt im 14. Hochschulsemester (Herbst-Winter-Semester 2013/2014) immatrikuliert war. Aus der Studienbescheinigung ergeben sich außerdem die beiden genannten Urlaubssemester und dass bis dahin noch keine Abschlussprüfung abgelegt wurde.

Mit Bescheid vom 21.11.2013 nahm der Beklagte die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.12.2013 zurück. Aufgrund seiner Immatrikulation bei der Universität M. habe der Kläger nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen Leistungsanspruch, so dass die Leistungsbewilligung rechtswidrig gewesen sei. Dies sei auf seine unzutreffenden Angaben in den Weiterbewilligungsanträgen zurückzuführen, in denen er angegeben habe, kein Student zu sein. Mit weiteren Bescheiden vom 25., 26. und 27.11.2013 setzte der Beklagte die bewilligten Leistungen ab 01.06.2012 endgültig fest und machte die Erstattung von 3.698,12 EUR zuzüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 1.417,06 EUR geltend. Der Kläger habe aufgrund seiner Immatrikulation bei der Universität M. keinen Leistungsanspruch gehabt. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2014 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. (Dies ist Gegenstand des Berufungsverfahrens L 12 AS 3816/15.)

Am 07.01.2014 ging beim Beklagten ein Weiterbewilligungsantrag für die Zeit vom 01.01. bis 31.07.2014 ein, in dem der Kläger erneut angab, selbstständig im Einzelhandel tätig zu sein. Mit Schreiben vom 09.01.2014 forderte der Beklagte den Kläger auf, verschiedene Unterlagen zu einem persönlichen Vorstellungstermin am 22.01.2014 mitzubringen, um den geltend gemachten Anspruch prüfen zu können. Das Schreiben enthielt einen Hinweis auf die Folgen einer fehlenden Mitwirkung (§§ 60, 66, 67 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -). Am 09.01.2014 stellte der Kläger einen Hauptantrag auf Leistungen nach dem SGB II und gab an, bei den Eltern zu wohnen, Student in Teilzeit und im Übrigen in Vollzeit selbstständig zu sein. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 05.02.2014 versagte der Beklagte dem Kläger Leistungen ab 01.01.2014. Der Kläger habe notwendige Unterlagen zur Prüfung seines Anspruchs nicht vorgelegt.

Am 14.04. und 07.07.2014 beantragte der Kläger erneut Leistungen nach dem SGB II und gab an, dass er seine selbstständige Tätigkeit aufgegeben habe und jetzt sein Studium beenden wolle. Er begehrte Leistungen im Rahmen eines Härtefalls nach § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Mit Bescheiden vom 25.04. und 15.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2014 lehnte der Beklagte die Anträge des Klägers ab. Zur Begründung führte er aus, ausweislich der Studienbescheinigung der Universität M. vom 21.11.2013 sei der Kläger seit dem Sommersemester 2006 Student der Betriebswirtschaftslehre und befinde sich derzeit im 16. Studiensemester. Dieses Ausbildung sei grundsätzlich über das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderfähig. Damit greife der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II. Dabei komme es nicht darauf an, dass der Kläger tatsächlich keinen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG habe. Auch eine darlehensweise Leistungsgewährung nach § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II komme nicht in Betracht. Es liege kein Härtefall vor.

Der Kläger hat deswegen am 10.11.2014 Klage beim Sozialgericht M. (SG) erhoben. Da er sein Ladengeschäft wegen fehlender Unterstützung des Beklagten habe schließen müssen, bleibe ihm nichts anderes übrig, als sein Studium fortzuführen und abzuschließen.

Durch Urteil vom 28.07.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Sie sei zum Teil unzulässig und im Übrigen nicht begründet. Das Studium des Klägers sei dem Grunde nach nach dem BAföG förderungsfähig, weshalb der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II eingreife. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine darlehensweise Leistungsgewährung nach § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Denn der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II bedeute hier keine besondere Härte; es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sein Studium in absehbarer Zeit zum Abschluss bringen werde, da er noch nicht zur Abschlussprüfung angemeldet sei und nach seinen eigenen Angaben noch zahlreiche Leistungsnachweise erbringen müsse. Der Studienabschluss sei auch nicht die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt.

Gegen dieses ihm am 05.08.2015 mit Postzustellungsurkunde durch Einlegung in den Briefkasten zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 09.09.2015 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingegangenem Schreiben vom 02.09.2015 Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift war nicht unterschrieben; sie befand sich in einem Umschlag mit Poststempel vom 07.09.2015 und mit handschriftlicher Angabe des Absenders und Empfängers. Nach Hinweis auf die fehlende Unterschrift hat der Kläger am 12.10.2015 ein unterschriebenes Exemplar der Berufungsschrift eingereicht.

Der Kläger macht geltend, er benötige für sein Studium finanzielle Unterstützung. Der Abschluss des Studiums sei die einzige Möglichkeit für eine Integration in den Arbeitsmarkt. In seinem früheren kaufmännischen Beruf wolle er nicht arbeiten, dies sei für ihn nicht zumutbar.

In der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2017, in der der Kläger nicht anwesend war, hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist versäumt sein dürfte. Der Senat hat den Kläger darauf sowie auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch mit Schreiben vom 21.02.2017 hingewiesen. Der Kläger trägt hierzu vor (Schreiben vom 08.03.2017), seiner Erinnerung nach habe er die Berufung zwei Tage vor Fristende zur Post gegeben. Außerdem sei es ihm in dieser Zeit aufgrund von Krankheit nicht möglich gewesen, unmittelbar nach der Zustellung des Urteils sofort Berufung einzulegen. Hinzugekommen sei, dass sein PC-Drucker innerhalb der damaligen Frist defekt gewesen sei. Somit beantrage er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, falls die Berufung nicht rechtzeitig eingegangen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts M. vom 28.07.2015 sowie die Bescheide vom 25.04. und 15.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 01.12.2013 Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise als Darlehen, zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zu verwerfen, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Berufung für unzulässig und in der Sache das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, aber wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht zulässig und daher ohne sachliche Prüfung des geltend gemachten Anspruchs zu verwerfen.

Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Urteils des SG vom 28.07.2015 ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde durch Einlegen in den Briefkasten am 05.08.2015 wirksam zugestellt worden; der Zusteller hat auch beurkundet, den Tag der Zustellung auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt zu haben (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 180 Zivilprozessordnung - ZPO -). Der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist begann somit am 06.08.2015 und endete am (Montag, den) 07.09.2015 (vgl. § 64 SGG). Durch die vom Kläger per Post übersandte Berufungsschrift mit Datum vom 02.09.2015, die am 09.09.2015 beim LSG eingegangen ist, konnte die Berufungsfrist, über die der Kläger im angefochtenen Urteil zutreffend belehrt wurde, nicht gewahrt werden, denn zum Zeitpunkt des Eingangs dieses Schriftsatzes war diese bereits abgelaufen (weshalb es auf die Frage nicht ankommt, wie sich die fehlende Unterschrift auswirkt).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist ist dem Kläger nicht zu gewähren. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 67 Abs. 1 SGG voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Wiedereinsetzungsgrund einer ungewöhnlich langen Postlaufzeit kommt hier nicht in Betracht, denn der Umschlag mit der Berufungsschrift trägt den Poststempel vom 07.09.2015, also dem letzten Tag der Frist, weshalb nichts dafür spricht, dass der Kläger mit einem rechtzeitigen Eingang innerhalb der Frist rechnen durfte. Die nicht näher konkretisierte Behauptung des Klägers, die rechtzeitige Einlegung der Berufung sei ihm "aufgrund von Krankheit" nicht möglich gewesen, führt ebenfalls nicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, denn zur Einlegung einer Berufung reicht (u.a.) die Abfassung und Absendung einer kurzen schriftlichen Erklärung, was nicht durch jede Erkrankung verhindert wird; zudem sind auch Zeitpunkt und Dauer der behaupteten Erkrankung nicht angegeben. Schon gar nicht wird die Einlegung einer Berufung durch einen defekten Drucker verhindert, was keiner näheren Darlegung bedarf. Der Senat hat den Kläger im Anschluss an seinen Wiedereinsetzungsantrag mit Schreiben vom 10.03,2017 darauf hingewiesen, dass die Begründung nicht ausreicht bzw. ungeeignet ist; der Kläger hat sich indessen nicht mehr geäußert. Sonstige Gründe für eine Wiedereinsetzung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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