L 1 U 3435/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 3010/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3435/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts U vom 09.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen seines sechsten Überprüfungsantrags nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 27.03.1984.

Der 1951 geborene Kläger erlitt bei seiner Arbeit als versicherungspflichtig beschäftigter Kfz-Schlosser bei der Firma in U am 27.03.1984 einen Unfall, als sein linker Fuß an einem Montageband zuerst auf das Band und dann in die Transportvorrichtung geriet. Ausweislich des Durchgangsarztberichtes des Prof. Dr. S. (unfallchirurgische Abteilung der Universität U) vom 27.03.1984 erlitt der Kläger hierdurch eine Quetschung am linken Fuß mit tiefer Weichteilwunde und knöcherner Aussprengung aus dem Os cuboideum. Nach weiteren Berichten dieser Klinik vom 04. und 18.06.1984 (Dr. W. und Prof. Dr. L.) zeigte sich unfallunabhängig eine Osteochondrose des Talus (Sprungbein) des linken Fußes. Prof. Dr. W. von der BG-Unfallklinik T. kam in einem ambulanten Untersuchungsbericht vom 14.08.1984 zu dem Ergebnis, es seien keine wesentlichen Funktionseinschränkungen verblieben. Es bestehe nur eine geringe Minderung der Beweglichkeit im linken oberen und unteren Sprunggelenk (im Folgenden: OSG und USG). Eigentlich bestehe Arbeitsfähigkeit. Da der Kläger jedoch ein erhebliches Beschwerdebild demonstriere, sei es unmöglich, ihn alleine durch die Erklärung der Arbeitsfähigkeit wieder zum Arbeiten zu bringen. Eine kurze Wiedereingliederung sei sinnvoll. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) holte daraufhin das erste Rentengutachten des Prof. Dr. W. vom 03.10.1984 ein. Dieser diagnostizierte eine durch den Unfall bedingte deutliche schmerzhafte Bewegungseinschränkung im linken OSG und USG, sowie in den Zehengrundgelenken mit ausgeprägtem Schonhinken ohne klinisch oder röntgenologisch fassbares morphologisches Substrat. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 10 v.H. seit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 17.09.1984. Der Neurologe Dr. W. fand bei seiner Untersuchung keine objektivierbaren Nervenschäden (Bericht vom 15.10.1984). Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 26.11.1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.1985 die Gewährung einer Verletztenrente ab, da die durch die Unfallfolgen (geringe Bewegungseinschränkung im OSG und USG sowie in den Zehengrundgelenken, Minderung der Unterschenkelmuskulatur sowie belastungsabhängige Beschwerden im linken Fuß) die MdE nur 10 v.H. betrage.

Mit der hiergegen beim Sozialgericht U (SG) eingelegten Klage (S 2 U 412/84) machte der Kläger geltend, es liege eine unfallbedingte MdE von mindestens 30 v.H. wegen erheblicher Schmerzen im linken Fuß vor. Das SG holte auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. M. vom 06.08.1985 ein. Dieser gelangte zu der Einschätzung, die vom Kläger angegebenen Sachverhalte stimmten nicht mit den objektiven Tatsachen überein. Es liege Aggravation vor. Der Kläger überziehe, indem er Armstützen benutze, was nicht erforderlich sei. Zudem schildere er seine Beschwerden unklar und uneindeutig. Zu beachten sei, dass im Bereich des linken Fußes schon vor dem Unfall eine Osteochondritis vorgelegen habe. Allerdings sei eine zeitlich begrenzte Verschlimmerung dieser Vorerkrankung durch ein posttraumatisches Sudeck-Syndrom nicht auszuschließen. Die unfallbedingte MdE betrage ab dem 17.09.1984 30 v.H. und ab dem 02.01.1985 für die Dauer eines Jahres 20 v.H ... Dieser Einschätzung widersprach Prof. Dr. S. in seinem - von der Beklagten vorgelegten - Gutachten vom 15.10.1985. Zu keinem Zeitpunkt seien objektive Anzeichen für das Vorliegen einer Sudeck’schen Dystrophie nachweisbar gewesen. Deswegen könne er sich der Diagnose des Prof. Dr. M. nicht anschließen, zumal dieser eine entsprechende Erkrankung zwar nicht ausgeschlossen, hierfür aber auch keinen Erkrankungsnachweis erbracht habe. Insofern überzeuge auch dessen MdE-Einschätzung nicht. Hierzu legte der Kläger verschiedene Atteste vor, unter anderem das des Klinikarztes Dr. D. (Krankenhaus T., früheres Jugoslawien) vom 23.12.1985, wonach der Kläger an einem Morbus Sudeck III. Stadium leide. Mit Urteil vom 12.06.1986 wies das SG die Klage ab. Im dagegen angestrengten Berufungsverfahren (L 10 U 1875/86) holte das Landessozialgericht (LSG) das orthopädische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. R. vom 30.04.1987 ein. Danach sei es unwahrscheinlich, dass eine Sudeck-Dystrophie abgelaufen sei. Der Röntgenbefund zeige lediglich eine Schonungsatrophie. Die MdE betrage 10 v.H ... Gestützt hierauf wies das LSG die Berufung zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) blieb erfolglos (Beschluss vom 13.01.1988 - 2 BU 160/87 -).

Ein erstes Überprüfungsverfahren des Klägers blieb nach erneuter Ausschöpfung des Rechtswegs erfolglos (Urteil des SG vom 31.05.1996 - S 9 U 380/94; Urteil des LSG vom 28.01.1997 - L 10 U 2900/96; Beschluss des BSG vom 27.05.1997 - 2 BU 50/97). Zuvor hatte bereits der Chirurg Dr. L. in seinem Gutachten vom 30.08.1989, erstattet für das SG im Verfahren S 9 U 179/88 über die Gewährung von Verletztengeld, einen Morbus Sudeck als Unfallfolge verneint. Aufgrund eines weiteren Gutachtens des Dr. L. vom 30.10.1989, wonach der Kläger seinen erlernten Beruf als Kfz-Schlosser nicht mehr ausüben könne, erhielt der Kläger eine vom SG (mit Urteil vom 30.05.1990 - S 9 J 1085/88) zugesprochene und vom LSG (Urteil vom 25.10.1993 - L 11 J 1820/90) bestätigte Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 01.01.1988 von der LVA Niederbayern-Oberpfalz.

Auch der zweite Überprüfungsantrag des Klägers vom Februar 1988 blieb erfolglos, nachdem der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. F. in seinem nach § 109 SGG erstatteten Gutachten vom 30.11.2000 einen Morbus Sudeck verneinte und das SG daraufhin die Klage mit Urteil vom 30.03.2001 (S 8 U 2268/98) abwies.

Nach Ablehnung des dritten Überprüfungsantrags durch die Beklagte und der hiergegen erhobenen Klage vor dem SG (S 6 U 1701/02) schloss Prof. Dr. M. (BG-Klinik B.) in seinem Gutachten nach § 109 SGG vom 16.06.2003 einen Morbus Sudeck aus. Im Übrigen sei die MdE mit 0 v.H. zu bewerten. Das Ausmaß der tatsächlichen Schmerzen lasse sich aufgrund ausgeprägter Aggravation nicht zuverlässig bestimmen. Eine beim Kläger bestehende Persönlichkeitsstörung sei unfallunabhängig. Mit Urteil vom 14.07.2004 wies das SG die Klage ab. Schon damals berief sich der Kläger darauf, die Ärzte der Klinik B. hätten ihm gegenüber anlässlich der gutachterlichen Untersuchung das Vorliegen eines Morbus Sudeck bestätigt.

Mit dieser angeblichen mündlichen Äußerung von Prof. Dr. M. begründete der Kläger maßgeblich auch seinen vierten Überprüfungsantrag, der jedoch ebenfalls erfolglos blieb (PKH-Ablehnung des SG mit Beschluss vom 18.04.2007 - S 9 U 1190/07, bestätigt durch Beschluss des LSG vom 05.06.2007 - L 10 U 2404/07 PKH-B - mit anschließender Klagerücknahme).

Mit seinem fünften Überprüfungsantrag machte der Kläger geltend, er habe niemals eine andere Verletzung an seinem Fuß erlitten und der Zustand sei daher einzig auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Auch dieses Verfahren blieb erfolglos (PKH-Ablehnung des SG mit Beschluss vom 22.03.2010 - S 10 U 3899/08, bestätigt durch Beschluss des LSG vom 06.05.2010 - L 6 U 2123/10 B; Klagerücknahme nach Androhung von Missbrauchskosten). In diesem Klageverfahren hatte das SG zunächst die Prozessfähigkeit des Klägers überprüfen lassen. Die Amtsärztin Dr. Blum kam in ihrem Gutachten vom 17.07.2009 jedoch zu dem Ergebnis einer uneingeschränkten Prozessfähigkeit. Die beim Kläger vorliegende Persönlichkeitsstörung habe nicht die Ausprägung einer schweren seelischen Erkrankung.

Am 03.04.2014 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und stellte seinen sechsten Überprüfungsantrag mit dem Ziel, ihm aufgrund des Arbeitsunfalls vom 27.03.1984 eine Verletztenrente ab dem Unfalltag zu gewähren. Zur Begründung legte er das Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S. (undatiert) vor, das dieser für den Kläger (aufgrund einer Untersuchung am 27.05.2013) erstattet hatte. Der Kläger legte Dr. S. zahlreiche Befundberichte und Gutachten vor, jedoch - ausweislich der Auflistung von Dr. S. (Bl. 133/134 der Verw.-Akte) - nicht den Befundbericht des Prof. Dr. W. vom 14.08.1984, dessen Gutachten vom 03.10.1984, den neurologischen Befundbericht des Dr. W. vom 15.10.1984, das Gutachten des Prof. Dr. S. vom 15.10.1985, das Gutachten des Prof. Dr. R. vom 30.04.1987 sowie das unfallchirurgische Gutachten des Dr. L. vom 30.08.1989. Der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, dass er nach einem posttraumatischen Morbus Sudeck (CRPS) in den Jahren nach 1984 einige Jahre weitgehend beschwerdefrei gewesen sei. Seit 2006 sei es zunehmend zu belastungsabhängigen Schmerzen im Bereich des linken Sprunggelenkes gekommen. Er sei auf eine Gehstockhilfe sowie weiche Sportschuhe angewiesen. Der Kläger leide an einem chronischen Schmerzsyndrom mit Gehstörung, Gefühlsverlust, Muskelminderung und Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Sprunggelenks mit Osteochondritis dissecans der medialen Talusschulter links (Stadium IV) mit mittelgradiger Arthrose des OSG und USG sowie des Talonavikulargelenkes bei Zustand nach abgelaufenem Morbus Sudeck. Die Osteochondritis sei traumatisch bedingt, auch wenn dies ohne Vorlage der ursprünglichen Röntgenbilder nicht zweifelsfrei beurteilt werden könne. Zumindest sei es sicherlich zu einer wesentlichen Verschlimmerung mit chronischem Schmerzsyndrom und vorübergehend zu einem Morbus Sudeck gekommen. Außerdem sei es "sicherlich möglich", dass die vorhandenen Arthrosen im Bereich des OSG und USG eine direkte Folge des Unfalls seien. Die MdE schätze er wie folgt ein: Vom 27.03.1984 bis 16.09.1984 auf 100 v.H., vom 17.09.1984 bis 26.03.1985 auf 30 v.H., vom 27.03.1985 bis 26.03.1988 auf 20 v.H., vom 27.03.1988 bis 26.03.2006 auf unter 10 v.H. und ab dem 27.03.2006 auf 20 v.H ...

Mit Bescheid vom 16.09.2014 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers unter Hinweis auf den bisherigen Verfahrensverlauf ab. Die vom Kläger veranlasste Begutachtung durch Dr. S. führe zu keinem anderen Ergebnis. Seine Beurteilung beruhe im Ergebnis auf Annahmen und Vermutungen. Auch er habe nicht den Nachweis erbringen können, dass eine unfallbedingte Reflexdystrophie (Morbus Sudeck, CRPS) vorliege. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser erneut auf das Privatgutachten des Dr. S. Bezug nahm, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.09.2015).

Hiergegen hat der Kläger am 02.10.2015 Klage beim SG erhoben (S 7 U 3010/15). Zur Begründung hat er sich auf das Gutachten des Dr. S. gestützt und zudem den Befundbericht des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. F. vom 05.05.2014 vorgelegt, wonach der Kläger an einer OSG-Arthrose beidseits nach Osteochondrosis dissecans beidseits leide. Es bestehe aber "kein gesicherter Zusammenhang mit [dem] Arbeitsunfall".

Mit Schreiben vom 08.02.2016 wies das SG den vertretenen Kläger darauf hin, dass auch das erneute Überprüfungsverfahren keine Aussicht auf Erfolg biete. Dr. S. begründe in seinem Gutachten nicht, wieso die Vielzahl entgegenstehender Gutachten aus vorherigen Verfahren, welche alle zeitlich näher am Arbeitsunfall lägen, unzutreffend sein solle. Zudem seien keine bislang unbekannte medizinische Befunde beschrieben worden. Auch habe Dr. S. sein Gutachten offenbar ohne vollständige Aktenkenntnis erstellt und beruhe primär auf den Angaben des Klägers, weshalb seine Einschätzung nicht überzeugend sei. Die Klage sei insofern rechtsmissbräuchlich, weshalb Missbrauchskosten in Höhe von mindestens 150,00 EUR (maximal 1.000,00 EUR) bei Fortführung der Klage verhängt würden. Mit weiterem Schreiben vom 23.05.2016 kündigte das SG den Erlass eines Gerichtsbescheids an. Daraufhin erklärte der Kläger sein Einverständnis sowohl mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung als auch mit einer Verhängung von Missbrauchskosten in Höhe von 150,00 EUR.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.08.2016 (dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 12.08.2016) wies das SG die Klage ab und legte dem Kläger Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR auf. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Rentengewährung komme nach Überprüfung gem. § 44 SGB X nicht in Betracht, weil die ursprüngliche Rentenablehnung zutreffend sei. Die Frage der Rentengewährung richte sich nach dem im Zeitpunkt des Erlasses der zu überprüfenden Entscheidung geltenden Rechts. Demnach sei das klägerischen Begehren an § 581 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu messen. Unter Zugrundelegung des gesetzlichen Maßstabs liege eine MdE von 20 v.H. beim Kläger ab dem 01.01.2010 (§ 44 Abs. 4 SGB X) nicht vor. Vorliegend seien die Gesundheitsstörungen im Bereich des linken Fußes bzw. linken Unterschenkels zu beurteilen. Aus der Vielzahl von Vorgutachten ergebe sich eine Bewegungseinschränkung im Bereich des OSG und des USG. Auch Dr. S. habe eine entsprechende Einschränkung gemessen (Beweglichkeit linkes OSG 5-0-30 Grad, linkes USG 1/3 der normalen Beweglichkeit, Zehengelenke links normal beweglich). Keiner der Gutachter habe eine Versteifung des OSG oder des USG festgestellt. Damit komme eine Einschätzung der MdE von 20 v.H. unter Zugrundelegung der geltenden Erfahrungssätze (Bezugnahme auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 678 f.) nicht in Betracht. Die von Dr. S. gemessene Funktionseinschränkung des OSG bedinge nicht einmal eine MdE von 10 v.H ... Mangels Versteifung des USG liege auch hier keine MdE von 10 v.H. vor. Angesichts dieses Ergebnisses könne dahinstehen, ob beim Kläger eine auf den Unfall zurückführende Osteochondrosis vorliege, was Dr. S. nach eigener Aussage nicht zweifelsfrei habe beurteilen können. Eine Erhöhung der MdE wegen eines chronischen Schmerzsyndroms bzw. Morbus Sudeck sei nicht vorzunehmen. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte für ein Vorliegen dieser Erkrankung im Zeitraum ab dem 01.01.2010. Auch Dr. S. habe nur von einer Verschlimmerung mit chronischem Schmerzsyndrom und vorübergehendem Morbus Sudeck nach dem Unfall gesprochen. Aus seinem Gutachten lasse sich nicht ableiten, dass die Störung aktuell noch bestehe. Entsprechende objektive Befunde seien von ihm nicht erhoben worden. Damit führe das Gutachten des Dr. S. zu keinem anderen Ergebnis. Zudem leide das Gutachten auch an zahlreichen Mängeln (z.B. Erstellung ohne Kenntnis wesentlicher Vorbefunde/Gutachten, alleiniges Stützen auf den subjektiven Beschwerdevortrag des Klägers, völliges Fehlen einer Beschwerdevalidierung bzw. Objektivierung trotz erheblicher Aggravationstendenzen in vorherigen Gutachtungssituationen). Die Vorgutachten hätten das Vorliegen eines Morbus Sudeck überwiegend abgelehnt. Prof. Dr. M. sei lediglich von einer temporären Problematik im Zeitraum bis 1986 ausgegangen, sodass dieses Gutachten das aktuelle Klagebegehren nicht stütze. Letztendlich treffe die Einschätzung des Prof. Dr. M. zu, wonach bereits im Jahr 2001 angesichts der widersprüchlichen Vorbefunde nicht mehr sicher zu klären sei, ob zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit ein Morbus Sudeck vorgelegen habe oder nicht. Ein Nachweis dieser Störung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge sei damit nicht möglich. Die MdE liege mithin weit unter 20 v.H ... Die anderweitige MdE-Einschätzung durch Dr. S. sei von diesem nicht begründet worden und widerspreche den einschlägigen Erfahrungssätzen, weshalb ihr nicht zu folgen sei. Die Entscheidung über die Verschuldenskosten beruhe auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Der Kläger erhebe unermüdlich immer neue Überprüfungsanträge. Dieses Verhalten stelle einen eklatanten Missbrauch der Regelung des § 44 SGB X dar. Diese Vorschrift solle nicht dazu dienen, bei völlig unveränderter Sach- und gerichtlich geklärter Rechtslage subjektiv als unrichtig empfundene Entscheidungen immer wieder zum Gegenstand verwaltungsverfahrensrechtlicher und gerichtlicher Überprüfungen zu machen. Eine neue Sachlage liege auch nicht aufgrund des Privatgutachtens des Dr. S. vor. Es stelle kein Gerichtsgutachten dar, sondern nur qualifiziertes Vorbringen des Klägers. Der Kläger habe Dr. S. zudem eine Vielzahl von gegen das Klagebegehren sprechender Vorbefunde und Gutachten nicht vorgelegt. Er habe damit vorsätzlich eine Fehlbegutachtung zu seinen Gunsten erreichen wollen. Das manipulative Verhalten spreche in besonderer Weise für die Verhängung von Verschuldenskosten. Der Kläger habe auch die Aussichtslosigkeit des Verfahrens erkannt. Die vorliegende Persönlichkeitsstörung stehe seiner Einsichtsfähigkeit nicht in relevanter Art und Weise entgegen.

Hiergegen richtet sich die am 12.09.2016 beim LSG eingelegte Berufung des (nunmehr unvertretenen) Klägers, mit der er geltend macht, aus dem Gutachten von Dr. S. und auch aus den anderen Gutachten gehe hervor, dass es sich um das Vorliegen einer Sudeck’schen Dystrophie als Folge des Arbeitsunfalls handle. Hieraus sei auch eine rentenberechtigende MdE entstanden, die bis heute fortbestehe. Die Erkrankung habe nicht durch andere Umstände entstehen können. Seine Beschwerden seien nicht die Folge irgendeiner anderen Erkrankung. Sie bestünden erst seit dem Monat des Arbeitsunfalls.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts U vom 09.08.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheids vom 26.11.1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.1985 ab dem 01.01.2010 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27.03.1984 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.2015 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 27.03.1984.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Abänderung des Bescheids vom 26.11.1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.1985 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung (§ 77 SGG) eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG, Urteil vom 04.02.1998 - B 9 V 16/96 R = SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28.01.1981 - 9 RV 29/80 = BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 5; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss die Verwaltung in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG, Urteil vom 25.09.2006 - B 2 U 24/05 R = BSGE 97, 54 = juris, RdNr. 12 m.w.N.). § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X führt zwei Alternativen an, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kommt es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel an, woran sich ggf. ein abgestuftes Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder Erkenntnisse – Prüfung derselben, insbesondere ob sie erheblich sind – Prüfung, ob Rücknahme zu erfolgen hat – neue Entscheidung) anschließt (BSG, Urteil vom 25.09.2006, a.a.O., RdNr. 13). Bei der ersten Alternative handelt es sich demgegenüber um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen zu erfolgen hat.

Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Klageziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren (bzw. den ihrer Rechtsvorgängerin), dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in allen Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsaktes nach § 44 SGB X nicht. Mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid kann zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).

Die Voraussetzungen für eine Korrektur der angegriffenen Entscheidung der Beklagten nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Anhaltspunkte für eine unrichtige Rechtsanwendung oder für einen neuen Sachverhalt liegen nicht vor. Dies gilt auch im Hinblick auf das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten des Dr. S ... Das SG hat zutreffend und ausführlich dargelegt, weshalb das Gutachten des Dr. S. an zahlreichen Mängeln leidet und auch seine MdE-Einschätzung nicht überzeugt. Dr. S. hat sich weder mit dem Gutachten des Prof. Dr. W. vom 03.10.1984 noch mit dem Gutachten des Prof. Dr. S. vom 15.10.1985, dem Gutachten des Prof. Dr. R. vom 30.04.1987 oder mit dem Gutachten von Dr. L. vom 30.08.1989 auseinandergesetzt. All diese Gutachter konnten jedoch entweder schon nicht den Befund einer Sudeck’schen Dystrophie erheben oder eine entsprechende Unfallbedingtheit erkennen. Der Senat kann daher auch in Kenntnis des Gutachtens des Dr. S. nicht feststellen, dass der Kläger an einem durch den Arbeitsunfall vom 27.03.1984 verursachten Schmerzsyndrom (CRPS) bzw. Morbus Sudeck leidet. Auch die von Dr. S. erhobenen Befunde im Bereich des OSG und des USG führen nicht zu einer MdE 20 v.H ... Dies hat das SG unter Berücksichtigung der aktuellen unfallmedizinischen Literatur zutreffend dargelegt. Weitere Ermittlungen von Amts wegen kommen daher nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen des SG vollumfänglich an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und, soweit das erstinstanzliche Verfahren betroffen ist, auch auf § 192 SGG. Die Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG durch das SG ist nicht zu beanstanden. Denn der Kläger hat trotz des deutlichen Hinweises des SG auf die Erfolglosigkeit seines Begehrens das Klageverfahren fortgesetzt. Dies stellt angesichts des Umstandes, dass es sich bereits um das sechste Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X handelt, eine missbräuchliche Fortführung des Verfahrens bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Klage dar. Das SG hat in seinem Schreiben vom 08.02.2016 ausführlich dargelegt, weshalb auch das Gutachten des Dr. S. keine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage begründet. Auch hat das SG berücksichtigt, dass gemäß § 192 Abs. 1 Satz 3 SGG i.V.m. § 184 Abs. 2 SGG der Mindestbetrag für die erste Instanz 150,00 EUR beträgt. Der Senat sieht angesichts der Tatsache, dass bereits im erstinstanzlichen Verfahren entsprechende Kosten auferlegt wurden, für das Berufungsverfahren von der Auferlegung entsprechender Kosten nach § 192 SGG ab.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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