L 4 R 812/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3316/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 812/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Nachforderung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung sowie der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und der Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes in Höhe von insgesamt EUR 11.722,20 für die vom Kläger zu 2 bei der Klägerin zu 1 in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 verrichteten Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer.

Die Klägerin zu 1 ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Die GmbH wurde gegründet durch notariellen Gesellschaftsvertrag (GV) vom 8. Dezember 2007 und am 14. Januar 2008 in das Handelsregister eingetragen. Sie ist aus einer vom Kläger zu 2 geführten Rechtanwaltskanzlei hervorgegangen. Gegenstand des Unternehmens ist die Übernahme von Aufträgen, die zur Berufstätigkeit von Rechtsanwälten gehören. Das Stammkapital in Höhe von insgesamt EUR 25.000,00 wurde im streitgegenständlichen Zeitraum von sechs Gesellschaftern gehalten. Der 1952 geborene Kläger zu 2 hielt Anteile am Stammkapital im Umfang von 19 %. Fünf Gesellschafter, darunter der Kläger zu 2, waren Rechtsanwälte (R. Me. mit einem Anteil am Stammkapital von 10 %, E. Me. mit 10 %, Dr. Br. mit 10 %, Dr. Sc. mit 2 %), ein Gesellschafter war Steuerberater (F.-J. W. mit einem Anteil am Stammkapital von 49 %). Der Gesellschafter Dr. Br. schied am 23. Februar 2011 aus und veräußerte seine Anteile an die Klägerin zu 1. Der Kläger zu 2 war wie auch Dr. Br., R. Me. und E. Me. Geschäftsführer der GmbH. Der GV enthält u.a. folgende Bestimmungen:

§ 4 (Geschäftsführung und Vertretung) 1. Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. 2. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer oder einen von ihnen gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten, es kann aber auch einem Geschäftsführer oder mehreren von ihnen Alleinvertretungsbefugnis eingeräumt werden. 3. Diese Regelung gilt entsprechend für die Führung der Geschäfte, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt. Sie leiten die Gesellschaft entsprechend § 76 AktG in eigener Verantwortung. 4. Die Rechtsanwaltsgesellschaft muss mehrheitlich von Rechtsanwälten verantwortlich geführt werden. Die Geschäftsführer müssen mehrheitlich Rechtsanwälte sein. Bei Geschäftsführern und Prokuristen, die zugleich Gesellschafter sind, ist der Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer und der Widerruf der Prokura nur zulässig, wenn wichtige Gründe dieses notwendig machen. [ ] 5. [ ] 6. Die Berufstätigkeit der Geschäftsführer und der anderen im Dienst der Gesellschaft stehenden Rechtsanwälte und Angehörigen anderer sozietätsfähiger Berufe bei der Ausübung der Anwaltsaufträge unterliegt keinen Beschränkungen durch Beschlüsse der Gesellschafter, deren Weisungsrecht demgemäß ausgeschlossen ist. Beschlüsse der Gesellschafter über Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung bedürfen der Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen. 7. Die Geschäftsführer geben sich durch Beschluss mit einer Mehrheit von 75 % ihrer Stimmen eine Geschäftsordnung nebst Geschäftsverteilungsplan, die insbesondere Übernahme der Mandate und ihre Bearbeitung durch die Geschäftsführung und die übrigen im Dienste der Gesellschaft stehenden Personen nach ihrer fachlichen Ausrichtung im Rahmen ihrer eigenen beruflichen Befugnisse regelt. Bei der Beschlussfassung der Geschäftsführer hat jeder von ihnen eine Stimme. Die Gesellschafter erlassen durch Beschluss mit der Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen diese Geschäftsordnung, wenn die Geschäftsführer es unterlassen. Die Bestellung von Prokuristen obliegt den Geschäftsführern durch Beschluss mit der Mehrheit ihrer Stimmen. 8. [ ]

§ 5 (Gesellschafterbeschlüsse, Stimmrechte und Vollmachten) 1. Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen mit 75-prozentiger Mehrheit gefasst, sofern der Gesellschaftsvertrag oder unabdingbare gesetzliche Vorschriften nichts anderes bestimmen. 2. [.] 3. Bei der Beschlussfassung über die Vornahme eines Rechtsgeschäftes gegenüber einem Gesellschafter ist der betreffende Gesellschafter vom Stimmrecht für sich und andere nicht ausgeschlossen. [ ].

Unter dem 13. Dezember 2007 schlossen die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 einen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag (GF-AV), der u.a. folgende Bestimmungen enthält:

§ 1 (Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis) Der Geschäftsführer ist berechtigt und verpflichtet, die Gesellschaft unter Beachtung der Vorschriften des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft und der Rechte der Gesellschafterversammlung einzeln zu vertreten. Als Geschäftsführer obliegt ihm die selbständige Leitung der Rechtsanwaltsgesellschaft nach Maßgabe der Gesetze und des Gesellschaftsvertrages unter voller Beachtung der im Rechtsanwaltsgesetz festgelegten Grundsätze. Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.

§ 2 (Arbeitsleistung, Wettbewerb) 1. Das Anstellungsverhältnis beginnt am 2. Januar 2008. 2. Eine bestimmte Arbeitszeit ist nicht vereinbart. Es besteht jedoch Übereinstimmung darin, dass die wöchentliche Durchschnittsarbeitszeit mindestens 40 Stunden beträgt und die Einteilung der Arbeitszeit sich nach den betrieblichen Erfordernissen der Gesellschaft zu richten hat. 3. Der Geschäftsführer verpflichtet sich, für die Laufzeit dieses Vertrages seine Arbeitskraft, seine Kenntnisse und Erfahrungen ausschließlich der Gesellschaft zu widmen. Er ist mit Rücksicht auf seine hervorragende Stellung als Organ der Gesellschaft nicht berechtigt, sonstige aktive Geschäfte für Eigen- oder Fremdrechnung zu betreiben; er darf auch nicht außerhalb der Gesellschaft in deren Tätigkeitsbereich selbständig oder unselbständig, beratend, gelegentlich oder mittelbar tätig werden oder sich an Konkurrenzunternehmen beteiligen. Das Verbot umfasst auch eine Beteiligung als stiller Teilhaber oder Unterbeteiligter sowie die Beratung von Konkurrenzunternehmen. [ ].

§ 3 (Geschäftsführung und Vertretung) 1. Geschäfte, die über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens der Gesellschaft hinausgehen, bedürfen der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Hierzu zählen insbesondere: a) Erwerb, Veräußerung, Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie alle Verfügungen über Rechte an einem Grundstück oder Rechte an einem Grundstücksrecht und die Verpflichtung zur Vornahme solcher Verfügungen; b) [ ]; c) Die Anschaffung oder Herstellung von einzelnen Anlagegegenständen im Wert von über EUR 25.000,00; d) [ ]; e) [ ]; f) Die Eingehung von Verpflichtungen im laufenden Geschäftsjahr mit einem Risiko von mehr als EUR 25.000,00; g) [ ]; h) Die Einstellung und Entlassung von Berufsangehörigen, die Erhöhung von Gehältern der Berufsangehörigen und eine allgemeine Gehaltsanpassung der anderen Angestellten, die den üblichen Rahmen übersteigt, und die Verlängerung von Kündigungsfristen über den gesetzlichen Zeitraum hinaus, die Eingehung von Ruhegehaltsverpflichtungen und Gewinnbeteiligungen; [ ]. 2. Im Übrigen richten sie Geschäftsführung und Vertretung nach dem dem Geschäftsführer bekannten Gesellschaftsvertrag.

§ 4 (Bezüge des Geschäftsführers) 1. Der Geschäftsführer erhält für die Dauer seiner Tätigkeit eine Vergütung von jährlich EUR 150.000,00. Auf die Jahresvergütung erfolgen monatliche Vorauszahlungen in Höhe von EUR 12.500,00. 2. Ist der Geschäftsführer an der Ausübung seiner Tätigkeit durch Krankheit oder andere unverschuldete Ursachen vorübergehend gehindert, bleiben ihm seine Bezüge für die Zeit der Behinderung bis zur Dauer von drei Monaten erhalten. Die Weiterzahlung der Bezüge vermindert sich jedoch um den Betrag, der dem von einer Krankenkasse gezahlten Krankengeld entspricht. [ ] § 5 (Dienstreisen) 1. [ ]. 2. Der Geschäftsführer hat ab dem Zeitpunkt der vollständigen Tilgung der Anschaffungskosten inklusive der halbfertigen Arbeiten Anspruch auf die Benutzung eines gesellschaftseigenen Kraftwagens, für den die Anschaffungskosten EUR 50.000,00 nicht wesentlich übersteigen dürfen. Die Nutzung erstreckt sich ebenfalls auf Privatfahrten. Eine besondere Vergütung wird hierfür nicht vereinbart. Die anfallende Lohnsteuer trägt der Geschäftsführer. [ ] 3. Die anlässlich von Dienstreisen den Geschäftsführer entstehenden Aufwendungen werden gegen Vorlage der Abrechnungen und Belege erstattet. [ ].

§ 6 (Urlaub) Der Geschäftsführer hat Anspruch 30 Tage bezahlten Urlaub im Geschäftsjahr. Der Geschäftsführer hat den Zeitpunkt seines Urlaubes in Abstimmung mit etwaigen weiteren Geschäftsführern und den Gesellschaftern so einzurichten, dass den Bedürfnissen der Gesellschaft Rechnung getragen wird.

[ ].

Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen eines Antragsverfahrens gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gaben die Kläger unter dem 25. August 2010 u.a. an, dass der Kläger zu 2 keinen Weisungen in zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Art unterliege, seinen Urlaub nicht genehmigen lassen müsse und nach Beschluss durch die Gesellschafterversammlung am Gewinn der Gesellschaft beteiligt werde, der Kläger zu 2 nicht als einziger Geschäftsführer bzw. Gesellschafter über die für die Führung des Unternehmens erforderlichen einschlägigen Branchenkenntnisse verfüge, von der Vergütung Lohnsteuer entrichtet und die Vergütung als Betriebsausgabe verbucht werde. Aus den vorgelegten Abrechnungen für die Monate Februar und April 2010 ergab sich, dass der Kläger zu 2 in diesen Monaten Tantiemen in Höhe von jeweils EUR 10.000,00 erhalten hatte. Ein Verfahren auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status wurde im Ergebnis für den Kläger zu 2 nicht durchgeführt, weil von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund erbetene Unterlagen zur Zahlung von Tantiemen nicht eingereicht wurden (vgl. Bescheid der DRV Bund vom 28. Oktober 2010).

In der Zeit vom 29. Juni 2012 bis 24. Januar 2013 führte die Beklagte bei der Klägerin zu 1 für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2011 eine Betriebsprüfung durch.

Nach telefonischer Anhörung der Klägerin zu 1 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 2013 von der Klägerin zu 1 Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und der Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes sowie Säumniszuschläge von EUR 124,00 in Höhe von insgesamt EUR 12.258,60, wobei EUR 11.722,20 auf den Kläger zu 2 entfielen. Zur Begründung gab die Beklagte an, der Kläger zu 2 könne mit einem Anteil von 19 % an den Stammeinlagen und der erforderlichen qualifizierten Mehrheit zur Fassung von Gesellschafterbeschlüssen nicht maßgeblich auf die Geschicke der Gesellschaft Einfluss nehmen. Durch die nicht vorhandene Sperrminorität könne er keine Gesellschafterbeschlüsse verhindern. Er sei vollumfänglich den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterworfen. Dass er alleinvertretungsberechtigt und vom Selbstkontrahierungsverbot befreit sei, spreche nicht zwingend für eine selbständige Tätigkeit. Auch dass im Anstellungsvertrag keine festen Arbeitszeiten geregelt seien, sei im Rahmen der Tätigkeit als Rechtsanwalt üblich. Es sei eine feste Vergütung vereinbart. Eine Gewinnbeteiligung gebe es nicht. Da keine Nachweise für den Prüfzeitraum vorgelegt worden seien, sei davon auszugehen, dass keine Tantiemen ausbezahlt worden seien. Insgesamt überwögen die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Durch Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenzen bestünde Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Pflegeversicherung. Wegen der berufsständischen Versorgung des Klägers zu 2 würden nur Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen erhoben.

Hiergegen legte die Klägerin zu 1 am 15. März 2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, der Bescheid sei bereits formell rechtswidrig, weil keine ordnungsgemäße Anhörung stattgefunden habe. Zudem sei der Amtsermittlungsgrundsatz missachtet worden, weil nicht alle bedeutsamen Tatsachen ermittelt worden seien. Die Beklagte dürfe nicht von der Nichtexistenz von Tantiemen ausgehen, nur weil kein schriftlicher Nachweis vorgelegt werden könne. Die Tantiemen seien bislang an den Kläger zu 2 nicht ausbezahlt worden. Bis zur Tilgung der für den Kauf der Kanzlei von der Klägerin zu 1 aufgenommenen Darlehen verblieben diese im Unternehmen. Sie seien als Rückstellungen bilanziert. Zudem seien auch Tantiemen zu berücksichtigen, die zunächst nicht ausbezahlt würden und im Unternehmen verblieben. Das unternehmerische Risiko sei einem solchen Fall sogar höher. Die Beklagte habe zudem nicht alle Aspekte des GF-AV und GV in die Gesamtwürdigung miteinbezogen. Darüber hinaus habe die Beklagte ihre (der Klägerin zu 1) Entstehungsgeschichte vernachlässigt. Sie übersehe, dass sie (die Klägerin zu 1) aus der lange Jahre bestehenden Kanzlei des Klägers zu 2 hervorgegangen sei. Er sei "Kopf und Seele" der Kanzlei geblieben. Es sei nicht verständlich, warum die nur mit jeweils 10 % Stammeinlagen beteiligten Gesellschafter E. Me., R. Me. und Dr. Br. nach Auffassung der Beklagten selbständig seien, während der Kläger zu 2 mit einem Vierteljahrhundert Berufserfahrung abhängig beschäftigt sein solle. Sie sei vom Kläger zu 2 abhängig. Der Kläger zu 2 habe eine tatsächliche Unabhängigkeit von ihr, welche die formale Stellung nach dem Gesellschaftsvertrag überlagere. Die von ihm unterhaltenen und getragenen Vertrauensbeziehungen seien die nahezu alleinige wirtschaftliche Basis des Unternehmens und das Ergebnis jahrelanger höchstpersönlicher Leistung und persönlicher Verbundenheit. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass der Kläger zu 2 überwiegend als Insolvenzverwalter tätig sei. Insolvenzverwalter könne nach § 56 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) nur eine natürliche Person sein. Sie werde vom Gericht bestellt. Die Stellung eines Insolvenzverwalters sei notwendigerweise diejenige eines selbständig und selbstverantwortlich Handelnden. Vor diesem Hintergrund seien die Verträge entsprechend einschränkend auszulegen.

Auf Anforderung der Beklagten legte die Klägerin zu 1 die Gesellschafterbeschlüsse vom 18. Dezember 2007 und 25. November 2009 vor, wonach der Kläger zu 2 Tantiemen für das Jahr 2008 in Höhe von EUR 50.000,00 und für die Jahre 2010 und 2011 in Höhe von jährlich EUR 80.000,00 erhalte.

Die Beklagte unterrichtete den Kläger zu 2, dass sie im Rahmen der Betriebsprüfung bei der Klägerin zu 1 festgestellt habe, er stehe von Januar 2008 bis Dezember 2011 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin zu 1 und werde deshalb am Widerspruchsverfahren beteiligt.

Nach erfolgter schriftlicher Anhörung wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zu 1 mit - an die Klägerin zu 2 gerichtetem - Widerspruchsbescheid vom 2. September 2014 zurück und führte zur Begründung aus, der Kläger zu 2 sei weder aufgrund einer entsprechenden Kapitalbeteiligung noch aufgrund einer Sperrminorität in der Lage, maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu nehmen. Dass er bei der Ausübung seiner Tätigkeit weitestgehend frei sei, werde nicht angezweifelt. Dies könne bei Diensten höherer Art auf eine funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess beschränkt sein. Dennoch liege eine fremdbestimmte Arbeit vor. Nach § 1 GF-AV habe er den GV und die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu beachten. Nicht ausschlaggebend für die Beurteilung sei die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot. Dem Kläger zu 2 werde unabhängig von der Vertragslage eine gleichbleibende Vergütung gezahlt. Eine Klausel, nach der der Kläger zu 2 verpflichtet wäre, im Falle einer wirtschaftlichen Krise Kapital nachzuschießen, enthalte der GF-AV nicht. Ein entscheidendes Unternehmerrisiko ergebe sich auch nicht durch an den Kläger zu 2 gezahlte Tantiemen, wobei eine Zahlung bisher nicht nachgewiesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris) genüge die Zahlung von Tantiemen nicht, um ein Beschäftigungsverhältnis auszuschließen. Die Gewährung von Tantiemen an Arbeitnehmer sei nicht ungewöhnlich. Darüber hinaus sei die Arbeit des Klägers zu 2 wie ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis abgewickelt worden. Er erhalte ein regelmäßiges monatliches Gehalt von zuletzt EUR 13.500,00. Es werde als Betriebsausgabe verbucht und dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Zudem seien arbeitnehmertypische Ansprüche vereinbart. Soweit in der Widerspruchsbegründung die Eigenschaft des Klägers zu 2 als "Kopf und Seele" der Klägerin zu 1 angeführt werde, betreffe dies Rechtsprechung zu Familien-GmbHs und sei daher für die Beurteilung des Klägers zu 2 nicht relevant. Überdies müsse nach der neusten Rechtsprechung vorrangig auf die Rechtsmacht abgestellt werden.

Eine Mehrfertigung des Widerspruchsbescheids übersandte die Beklagte dem Kläger zu 2.

Am 26. September 2014 erhoben die Kläger beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage. Zur Begründung verwiesen sie auf ihren bisherigen Vortrag und führten ergänzend aus, schon aufgrund seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter komme dem Kläger zu 2 – wie auch den beiden anderen als Insolvenzverwalter tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer E. Me. und R. Me. – maßgeblicher Einfluss auf die Geschicke der Klägerin zu 1 zu. Das Geschäftsfeld der Klägerin zu 1 sei allein die Insolvenzverwaltung mit den sich daraus ergebenden "Nebengeschäften". Dieses Geschäftsfeld könne nur aufgrund der überragenden fachlichen Qualifikation und des überregionalen Bekanntheitsgrads der drei als Insolvenzverwalter tätigen Rechtsanwälte erfolgreich betrieben werden. Nach § 56 InsO könne nur eine natürliche Person zum Insolvenzverwalter bestellt werden. Es handele sich um ein höchstpersönliches Amt. Die Klägerin zu 1 habe hierbei keinerlei Mitwirkungs- oder Entscheidungsbefugnisse. Vor dem Hintergrund der Befugnisse eines Insolvenzverwalters als vom Gericht bestellter und kontrollierter Sachwalter fremder Vermögensinteressen seien die von der Beklagten angeführten Kriterien zur Beurteilung, ob eine selbständige Tätigkeit oder ein Beschäftigungsverhältnis vorliege, völlig ungeeignet. Gäbe es den Kläger zu 2 und die beiden anderen als Insolvenzverwalter tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer nicht, verlöre die Klägerin zu 1 ihr Alleinstellungsmerkmal und damit ihr Geschäftsfeld. Sie seien "Kopf und Herz" der Kanzlei. § 59f Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) räume den als Rechtsanwalt tätigen Gesellschafter-Geschäftsführern die notwendige Rechtsmacht ein, nicht genehme Beschlüsse oder Weisungen zu verhindern. Eine vergleichbare Konstellation habe das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg im Urteil vom 24. Februar 2015 (L 11 KR 3995/13 – juris) entschieden. Nach diesem Urteil führten die besonderen Fähigkeiten und der wirtschaftliche Einfluss des Gesellschafters zu einer fehlenden Eingliederung und damit zu einem fehlenden Beschäftigungsverhältnis. Die Klägerin zu 1 sei von den als Insolvenzverwalter tätigen Rechtsanwälten abhängig. Das Ausscheiden dieser Gesellschafter hätte den Wegfall der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Klägerin zu 1 zur Folge. Wesentlich sei zudem, dass es sich bei dem Kläger zu 2 um den Kanzleigründer handele, der die Insolvenzverwaltung durch die Kanzlei erst zu der profitablen Rechtsanwaltseinheit entwickelt habe, als die sie heute am Markt auftrete. Auch dieser Aspekt sei nach Auffassung des zitierten Urteils im Rahmen der "Wohl und Wehe"-Rechtsprechung zu berücksichtigen.

Die Beklagte erwiderte, dass die standesrechtliche Unabhängigkeit eines Rechtsanwalts oder Insolvenzverwalters nicht bedeute, dass sozialversicherungsrechtlich eine selbständige Tätigkeit vorliege. Für die Beurteilung sei allein § 7 SGB IV maßgeblich. Inwieweit der Kläger zu 2 Einfluss auf die Geschicke der GmbH nehmen könne, bestimme sich nicht nach seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter bzw. nach der InsO, sondern ergebe sich aus dem GV. Die sog. "Kopf und Seele"-Rechtsprechung sei veraltet. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG komme es entscheidend auf die Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers an. Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg sei nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Mit Urteil vom 10. Februar 2016 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, der angefochtene Bescheid vom 18. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2014 sei – soweit er angefochten worden sei – rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Beklagte habe zutreffend § 7 Abs. 1 SGB IV für die Beurteilung der Versicherungspflicht herangezogen. Sie habe die maßgeblichen rechtlichen Kriterien zutreffend und ausführlich aufgezeigt. Auf den Widerspruchsbescheid werde gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach eigener Prüfung Bezug genommen. Ergänzend werde darauf aufmerksam gemacht, dass nach der neueren Rechtsprechung des BSG (unter Verweis auf das Urteil vom 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R – juris) die im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht entscheidendes Kriterium sei. Die "Kopf- und Seele"-Rechtsprechung sei nicht mehr anwendbar. Die BRAO sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht von Relevanz, weil die Vorschriften dem Kläger zu 2 gegenüber der Klägerin zu 1 keine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht verliehen. Es könne offen bleiben, ob die Rechtsprechung des 11. Senats des LSG Baden-Württemberg vor diesem Hintergrund überholt sei. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit, wie sie im Fall, den der 11. Senat des LSG Baden-Württemberg zu entscheiden gehabt habe, vorgelegen habe, sei angesichts von insgesamt sechs Gesellschaftern (und hiervon fünf offensichtlich gleichermaßen auf das Insolvenzrecht spezialisierten Rechtsanwälten) nicht ersichtlich.

Am 2. März 2016 haben die Kläger gegen das ihnen am 17. Februar 2016 zugestellte Urteil Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung auf ihren bisherigen Vortrag verwiesen. Ergänzend haben sie ausgeführt, unzutreffend sei das SG davon ausgegangen, bei § 59f Abs. 4 BRAO handele es sich um eine rein das Berufsrecht prägende Bestimmung. Aus der Vorschrift leite sich das Spezialgesellschaftsrecht der Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung ab. Es sei daher notwendiger Satzungsbestandteil und greife tief in die Organisationsstruktur der Gesellschaft ein. So sei auch die Satzung der Klägerin zu 1 darauf ausgerichtet, den tätigen Rechtsanwälte, die in der Klägerin zu 1 gesellschaftsrechtlich verbunden seien, neben dem Kläger zu 2 seien dies E. Me. und R. Me., so umfangreiche rechtliche Befugnisse im gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis zuzuweisen, wie sie als Mitglieder (und Gesellschafter) einer Dreiersozietät hätten. Entgegen der Ausführungen im Urteil des SG seien nicht fünf Gesellschafter auf das Insolvenzrecht spezialisiert. Franz-Josef W. sei Steuerberater und Dr. Sc. sei nicht auf das Insolvenzrecht spezialisiert. Dr. Br. sei am 23. Februar 2011 ausgeschieden. Entscheidend seien aber nur die Beteiligungsverhältnisse, die von Gesellschaftern gehalten werden, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassen seien. Das sei gerade Regelungsgegenstand des § 59f Abs. 4 BRAO. Das entspreche exakt der Rechtsmachtverteilung innerhalb der Klägerin zu 1, denn ohne die Stimmen der vorgenannten drei Gesellschafter-Geschäftsführer seien realiter Beschlussfassungen innerhalb der Klägerin zu 1 nicht möglich. Verbündeten sich beispielsweise zwei Gesellschafter-Geschäftsführer gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer bestünden die gleichen Mehrheitsverhältnisse, wie in einer Dreiersozietät. Bei einer solchen käme niemand auf die Idee, die Personengesellschafter als betrieblich in die Personengesellschaft eingegliedert zu qualifizieren. Die Stimmrechtsanteile der nicht tätigen Gesellschafter der Klägerin zu 1 (Steuerberater W. und Dr. Sc.) seien damit wegen der Anordnung in § 59f Abs. 4 BRAO neutralisiert. Die tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer könnten ihnen nicht genehme Gesellschafterbeschlüsse verhindern. Zudem handele es sich bei dem Amt des Insolvenzverwalters, zu dem nur die tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer bestellt würden, um ein höchstpersönliches Amt. Der weitaus überwiegende Teil der von der Klägerin zu 1 erwirtschafteten Erlöse rührten aus der Insolvenzverwaltertätigkeit des Klägers zu 2 und seiner Kollegen Me. her. Fielen diese Personen weg, könnten Erlöse innerhalb der GmbH nicht mehr generiert werden. Aufgrund ihrer Erfahrung und Bekanntheit bei den Insolvenzgerichten seien diese auch nicht ersetzbar. Das Wohl und Wehe der Klägerin zu 1 sei von der Person des Klägers zu 2 abhängig. Zur Höchstpersönlichkeit des Amtes des Insolvenzverwalters werde auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. September 2013 (IX AR(VZ) 1/12 – juris) verwiesen. Hieraus werde überdeutlich, dass nicht nur das Spezialgesellschaftsrecht des § 59f Abs. 4 BRAO, sondern auch die Bestellung des Klägers zu 2 und der Gesellschafter Me. zu dem höchstpersönlichen Amt des Insolvenzverwalters das Rückgrat bilde, welches der Klägerin zu 1 ihre wirtschaftliche Existenz sichere. Abschließend werde noch auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) hingewiesen (VIII R 50/09 – juris), in welchem der BFH davon ausgegangen sei, dass es sich bei den Einkünften aus der Insolvenzverwaltung ertragssteuerlich um Einkünfte aus sonstiger selbständiger Tätigkeit handele.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2016 den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2014 insoweit aufzuheben, als für den Kläger zu 2 Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen in Höhe von insgesamt EUR 11.722,20 gefordert werden und festzustellen, dass der Kläger zu 2 in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 1 in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 nicht abhängig beschäftigt war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, dass sich aus der Berufungsbegründung keine neuen Gesichtspunkte ergäben, die zu einer Änderung ihrer Auffassung führen könnten.

Die beigeladene Bundesagentur für Arbeit hat keine Anträge gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist auch statthaft. Ein Ausschlussgrund gemäß § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben.

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2014 insoweit, als für den Kläger zu 2 Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz und Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes in Höhe von insgesamt EUR 11.722,20 gefordert werden. Im Übrigen ist der Bescheid mangels Anfechtung in Bestandskraft erwachsen. Weitere Bescheide, die nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sein könnten, sind nicht ersichtlich.

3. Die Berufung des Klägers zu 2 ist schon deshalb nicht begründet, weil seine Klage bereits unzulässig ist. Denn ihm gegenüber erließ die Beklagte keinen Bescheid. Die Beklagte ist zwar berechtigt, im Rahmen der Prüfung nach § 28p SGB IV auch gegenüber einem Mitarbeiter des geprüften Arbeitgebers einen Bescheid zu erlassen und die Versicherungspflicht festzustellen. Diese Befugnis der Beklagten schließt die Rechtsmacht ein, einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu erlassen und damit rechtsgestaltend im Sinne von § 12 Abs. 2 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in die Rechtssphäre des Arbeitnehmers (hier des Klägers zu 2) als Drittbetroffenen einzugreifen. Die Beklagte darf den an den Arbeitgeber gerichteten Bescheid gegenüber dem Drittbetroffenen mit dem Hinweis, dass dieser berechtigt sei, Rechtsbehelfe einzulegen, bekanntgeben (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Dezember 2014 – B 12 R 13/13 R – juris Rn. 20 ff). Von dieser Befugnis machte die Beklagte allerdings vorliegend keinen Gebrauch. Der Bescheid vom 18. Februar 2014 erging nur gegenüber der Klägerin zu 1. Dem Kläger zu 2 übersandte die Beklagte auch keine Abschrift dieses Bescheids. Es fehlt der Bekanntgabewille der Beklagten in Bezug auf den Kläger zu 2. Bekanntgabe erfordert, dass die Behörde dem Adressaten willentlich den Inhalt vermittelt (vgl. BSG, Urteil vom 14. April 2011 – B 8 SO 12/09 R – juris, Rn. 12). Dass die Beklagte den Kläger zu 2 am Widerspruchsverfahren beteiligte, indem sie ihn unterrichtete, dass anlässlich der Betriebsprüfung seine abhängige Beschäftigung festgestellt worden sei, und ihm den Widerspruchsbescheid vom 2. September 2014 übermittelte, ersetzt deswegen die fehlende Bekanntgabe des Bescheids vom 18. Februar 2014 an den Kläger zu 2 nicht.

4. Die Berufung der Klägerin zu 1 ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2014 ist – soweit er angefochten ist – rechtmäßig. Denn die Beklagte forderte zu Recht Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 nach, weil der Kläger zu 2 in diesem Zeitraum bei der Klägerin zu 1 abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung war (dazu unter a). Die Höhe der nachgeforderten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen in Höhe von insgesamt EUR 11.722,20 sind im gerichtlich zu überprüfenden Umfang nicht zu beanstanden (dazu unter b).

a) Die Beklagte forderte zu Recht Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und Umlagen für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 nach, weil der Kläger zu 2 in diesem Zeitraum bei der Klägerin zu 1 abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung war.

aa) Die Beklagte ist nach § 28p Abs. 1 SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I, S. 3710) für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre (Satz 1). Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden (Satz 4). Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

bb) Die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r SGB IV) gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch für die Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitsförderung. Als Gesamtsozialversicherungsbeitrag werden nach § 28d Satz 1 SGB IV u.a. der Beitrag des Arbeitnehmers und der Teil des Beitrags des Arbeitgebers zur Bundesagentur für Arbeit, der sich nach der Grundlage für die Bemessung des Beitrags des Arbeitnehmers richtet, gezahlt. Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung werden nach dem seit 1. Januar 2006 gültigen § 7 Abs. 1 AAG durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht. Die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes werden nach § 358 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 2 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (UVMG) vom 30. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 2130) durch eine monatliche Umlage von den Arbeitgebern aufgebracht und sind nach § 359 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 2 UVMG zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu zahlen.

cc) Versicherungspflichtig sind in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 30. April 2013 – B 12 KR 19/11 R – juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R – juris, Rn. 23, Urteil vom 31. März 2015 – B 12 KR 17/13 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 12 KR 9/14 R –, juris Rn. 19, BSG, Urteil vom 24. März 2016 – B 12 KR 20/14 R – juris, Rn. 13, jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der anhand dieser Kriterien häufig schwierigen Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit: Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96 – juris Rn. 17). Maßgebend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung (zum Ganzen z.B. zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 15 f.; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R – juris, Rn. 23 ff.; BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 12 KR 9/14 R –, juris Rn. 19, jeweils m.w.N.).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1994 – 11 RAr 49/94 – juris Rn. 20). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSG, Urteil vom 1. Dezember 1977 – 12/3/12 RK 39/74 – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 10. August 2000 – B 12 KR 21/98 R – juris, Rn. 17, jeweils m.w.N.). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt auch BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 16).

Nach diesen Grundsätzen ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSG, Urteil vom 4. Juli 2007 – B 11a AL 5/06 R – juris, Rn. 16 m.w.N.; BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 – B 12 KR 30/04 R – juris, Rn. 23; BSG, Urteil vom 24. September 1992 – 7 RAr 12/92 – juris, Rn. 17). Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft ist nicht bereits durch die Stellung des Betroffenen als Gesellschafter ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 4. Juli 2007 – B 11a AL 5/06 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 24. September 1992 – 7 RAr 12/92 – juris, Rn. 17). Bei am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer ist der Umfang der Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenen Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal (BSG, Urteil vom 4. Juli 2007 – B 11a AL 5/06 R – juris, Rn. 16).

Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis liegt nicht vor, wenn der Geschäftsführer an der Gesellschaft beteiligt ist und allein oder jedenfalls mit Hilfe seiner Gesellschafterrechte die für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit vermeiden kann (BSG, Urteil vom 24. September 1992 – 7 RAr 12/92 – juris, Rn. 18). Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ist daher vom BSG verneint worden, wenn der Geschäftsführer Alleingesellschafter ist (BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 – B 12 KR 30/04 R juris, Rn. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 24. November 2005 – B 12 RA 1/04 R – juris, Rn. 13), wenn der Geschäftsführer über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt (BSG, Urteil vom 25. Mai 1965 – 2 RU 176/59 – juris, Rn. 21; BSG, Urteil vom 30. April 1976 – 8 RU 78/75 – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 34/00 R – juris, Rn. 15; weitere Nachweise bei BSG, Urteil vom 24. September 1992 – 7 RAr 12/92 – juris, Rn. 18) und wenn der Geschäftsführer über eine Sperrminorität verfügt, um ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu verhindern (BSG, Urteil vom 27. Juli 1989 – 11/7 RAr 71/87 – juris, Rn. 21; BSG, Urteil vom 18. April 1991 – 7 RAr 32/90 – juris, Rn. 25; BSG, Urteil vom 30. April 2013 – B 12 KR 19/11 R – juris, Rn. 16, m.w.N.).

Bei Fehlen einer (maßgeblichen) Unternehmensbeteiligung hat die Rechtsprechung des BSG bereits früher eine abhängige Beschäftigung nur in sehr eng begrenzten Einzelfällen angenommen, etwa bei Familienunternehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die beispielsweise dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon sei insbesondere bei demjenigen auszugehen, der – obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt – aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 – 7 RAr 25/86 – juris, Rn. 31). Diese Rechtsprechung hat das BSG inzwischen zugunsten einer streng am Vorliegen von Rechtsmacht orientierten Normanwendung aufgegeben. Eine vom rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten abhängige Statuszuordnung sei mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht vereinbar (BSG, Urteile vom 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R und B 12 R 1/15 R – juris, Rn. 26, 30 sowie Urteil vom 11. November 2015 – B 12 KR 10/14 R – juris, Rn. 31; in diese Richtung bereits BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 32; Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2015 – L 4 R 2959/14 – nicht veröffentlicht). Vor diesem Hintergrund kann die von den für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung und das Recht der Unfallversicherung zuständigen Senaten des BSG entwickelte sog. "Kopf und Seele"-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht herangezogen werden. Soweit auch der für das Statusrecht zuständige Senat des BSG in der Vergangenheit vereinzelt hierauf zurückgegriffen hat, hat er dies inzwischen ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urteile vom 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R und B 12 R 1/15 R – juris, Rn. 29).

dd) Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Kläger zu 2 bei der Klägerin zu 1 vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 abhängig beschäftigt.

(1) Der Kläger zu 2 war in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin zu 1 in eine vorgegebene Betriebsordnung eingegliedert und weisungsgebunden. Entscheidend hierfür ist, dass dem Kläger zu 2 keine Rechtsmacht zukam, Weisungen der Gesellschafterversammlung in Bezug auf seine Geschäftsführertätigkeit zu verhindern.

Nach den Regelungen des GF-AV war der Kläger zu 2 zwar einzelvertretungsberechtigt, vom Selbstkontrahierungsverbot befreit und in der Einteilung seiner Arbeitszeit frei. Eine Weisungsgebundenheit ergibt sich aber aus § 1 GF-AV, wonach der Kläger zu 2 verpflichtet war, bei der Vertretung der Gesellschaft die Vorschriften des GV und der Rechte der Gesellschafterversammlung zu beachten. Die Gesellschafterversammlung war damit rechtlich in der Lage, dem Kläger zu 2 verbindliche Vorgaben zu seiner Geschäftsführertätigkeit zu machen. Der Kläger zu 2 musste ferner nach § 3 Nr. 1 GF-AV für zahlreiche Geschäfte die vorherige Zustimmung der Gesellschafter einholen (z.B. der Erwerb, die Veräußerung und die Belastung von Grundstücken, die Einstellung und Entlassung von Berufsangehörigen, die Erhöhung von Gehältern der Berufsangehörigen und die Eingehung von Verpflichtungen im laufenden Geschäftsjahr mit einem jeweiligen Risiko von EUR 25.000,00).

Im Übrigen richtete sich die Geschäftsführung und Vertretung nach dem GV (§ 3 Nr. 2 GF-AV), in dem zwar geregelt ist, dass die Geschäftsführer die Gesellschaft "entsprechend § 76 AktG in eigener Verantwortung" leiten (§ 4 Nr. 3 Satz 2 GV). § 4 Nr. 6 Satz 2 GV sieht aber vor, dass die Gesellschafter (mit einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen) Beschlüsse "über Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung" beschließen können. Darüber hinaus sieht § 4 Nr. 4 Satz 2 und Nr. 8 Satz 2 GV die Möglichkeit der Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund vor.

Der Kläger zu 2 war rechtlich nicht in der Lage, seine Abberufung oder ihm nicht genehme Weisungen durch Gesellschafterbeschlüsse zu verhindern. Ihm fehlte die hierfür erforderliche Rechtsmacht. Nach § 5 Nr. 1 GV werden die Gesellschafterbeschlüsse mit einer Mehrheit von 75 % gefasst. Eine Sperrminorität zugunsten des Klägers zu 2 sieht der GV nicht vor. Mit einem Anteil am Stammkapital von nur 19 % hatte er somit rechtlich keinen entscheidenden Einfluss auf die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung. Auch das Zustandekommen der Geschäftsordnung nebst Geschäftsverteilungsplan konnte der Kläger zu 2 angesichts seines Stimmenanteils nicht rechtlich beeinflussen. Denn diese wird nach § 4 Nr. 7 Satz 1 und 2 GV mit einer Stimmenmehrheit von 75 % von den insgesamt vier Geschäftsführern erlassen, wobei jeder Geschäftsführer eine Stimme hat.

Der Annahme einer Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb der Klägerin zu 1 steht nicht entgegen, dass die Gesellschaft nach § 4 Nr. 4 GV mehrheitlich von Rechtsanwälten verantwortlich geführt werden muss und nach § 4 Nr. 6 Satz 1 GV die Berufstätigkeit der Rechtsanwälte bei der Ausführung der Anwaltsaufträge keinen Beschränkungen durch Beschlüsse der Gesellschafter unterliegt, deren Weisungsrecht insoweit ausgeschlossen ist. Diese Vorgaben entsprechen dem anwaltlichen Berufsrecht, das in den §§ 59c ff. BRAO Voraussetzungen für die Zulassung von Rechtsanwaltsgesellschaften aufstellt und dem der GV selbstredend nicht widersprechen darf.

Nach § 59f Abs. 4 BRAO ist die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte, die Geschäftsführer sind, bei der Ausübung ihres Rechtsanwaltsberufs zu gewährleisten; Einflussnahmen der Gesellschafter, namentlich durch Weisungen oder vertragliche Bindungen, sind unzulässig. Dies ist zwingende Folge aus § 1 und § 2 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist und einen freien Beruf ausübt. Im Übrigen schränkt § 59f Abs. 4 BRAO das Weisungsrecht der Gesellschafter aber nicht ein. In Bezug auf die hier allein zu beurteilende Geschäftsführertätigkeit verbleibt es dabei, dass eine Einflussnahme der Gesellschafterversammlung aufgrund der oben aufgezeigten Mehrheitsverhältnisse möglich ist. Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es damit nicht allein auf die Beteiligungsverhältnisse der Gesellschafter, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind, an. Insofern kann es auch nicht zu einer "Neutralisierung" der Stimmrechtsanteile der nicht als Rechtsanwalt tätigen Gesellschafter kommen.

(2) Die vertraglichen Regelungen des GV sind rechtlich zulässig und verbindlich. Hinweise auf ein Scheingeschäft (§ 117 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) liegen nicht vor. Die genannten Gesellschaftsvertragsregelungen sind auch nicht (wirksam) abbedungen worden. Hierzu hätte es nach § 53 Abs. 2 Satz 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) einer notariellen Beurkundung bedurft. Notariell beurkundete Vertragsänderungen liegen jedoch nicht vor.

(3) Mangels einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht rechtfertigen auch die besonderen Fähigkeiten, die langjährige Erfahrung und die Bekanntheit des Klägers zu 2 kein anderes Ergebnis, selbst wenn – den Vortrag der Kläger als zutreffend unterstellt – hierdurch das "Wohl und Wehe" der Klägerin zu 1 abhängig ist. Nach der neusten Rechtsprechung des BSG (s.o., BSG, Urteile vom 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R und B 12 R 1/15 R – juris, Rn. 26, 30 sowie Urteil vom 11. November 2015 – B 12 KR 10/14 R – juris, Rn. 31) kann die von den Klägern in Bezug genommene "Kopf und Seele"-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht mehr herangezogen werden. Zwar sind ein besonderes Fachwissen und die Erfahrung eines Geschäftsführers für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens durchaus von Bedeutung. Rechtlich – und hierauf kommt es entscheidend an – hat es aber allein die Klägerin zu 1 in der Hand, im Falle eines Zerwürfnisses mit dem Kläger zu 2 auch unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Nachteile beispielsweise den Unternehmenszweck zu ändern, eine Neuausrichtung des Unternehmens vorzunehmen oder dieses gar zu liquidieren. Ebenso steht es ihr von Rechts wegen frei, den Kläger zu 2 von seinen Aufgaben zu entbinden, ihm (zwar innerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums nicht ordentlich aber) zumindest aus wichtigen Gründen zu kündigen und ihn durch einen anderen Geschäftsführer zu ersetzen.

Die Tätigkeit des Klägers zu 2 und der Gesellschafter-Geschäftsführer Me. als Insolvenzverwalter ändert hieran nichts. Die Höchstpersönlichkeit des Amtes des Insolvenzverwalters (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 1 BvR 3102/13 – juris, Rn. 42; vorgehend BGH, Beschluss vom 19. September 2013 – IX AR (VZ) 1/12 – juris, Rn. 7 ff) hat lediglich zur Folge, dass nur die einzelnen, als Rechtsanwalt zugelassenen Gesellschafter der Klägerin zu 1 als Insolvenzverwalter bestellt werden können, nicht aber die Klägerin zu 1 als juristische Person des Privatrechts. Deshalb ist der Gegenstand des Unternehmens laut GV auch auf die Übernahme von Anwaltsaufträgen ausgerichtet und nicht auf die Insolvenzverwaltung. Fielen die drei als Insolvenzverwalter tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer aus, hätte dies somit rechtlich keine Auswirkungen auf den Bestand des Unternehmens. Die möglicherweise eintretenden wirtschaftlichen Folgen spielen für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung dagegen wie dargelegt keine entscheidende Rolle. Im Übrigen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger zu 2 und die Gesellschafter-Geschäftsführer Me. nicht durch andere entsprechend spezialisierte Rechtsanwälte ersetzt werden könnten.

(4) Die weiteren Regelungen des GF-AV sprechen ebenfalls für eine abhängige Beschäftigung. Sie enthalten arbeitnehmertypische Ansprüche wie bezahlten Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Nutzung eines Dienstwagens, ein Wettbewerbsverbot sowie die Zahlung einer festen monatlichen Vergütung, die als Betriebsausgabe verbucht und auf die Lohnsteuer entrichtet wurde. Hinsichtlich der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit wird – ebenfalls arbeitnehmertypisch – von 40 Stunden ausgegangen. Gleiches gilt jedenfalls bei Arbeitnehmern in Leitungspositionen auch für die Zahlung einer gewinnabhängigen Tantieme neben der festen Vergütung. Erfolgsabhängige Vergütungsanteile sind bei leitenden Angestellten nicht untypisch. Allerdings ist der Umstand, dass die Tantiemen – wie behauptet – bisher nicht ausbezahlt worden sind, ein Indiz für die Übernahme eines Unternehmerrisikos und damit für eine selbständige Tätigkeit, weil der Kläger zu 2 insoweit das Insolvenzrisiko und damit ein Verlustrisiko trägt. Angesichts der fehlenden gesellschaftsrechtlichen Rechtsmacht, der Höhe der festen Vergütung, die durchgängig die jeweilige Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich überschritt, dem geringen Kapitaleinsatz des Klägers zu 2 in Höhe von 19 % der Stammeinlagen (= EUR 4.750,00) und dem Umstand, dass die Verträge keine Verpflichtung seitens des Klägers zu 2 vorsehen, im Falle einer wirtschaftlichen Krise Kapital nachzuschießen, kommt diesem Aspekt allerdings im Rahmen der Würdigung des Gesamtbildes keine entscheidende Bedeutung zu.

b) Die Höhe der nachgeforderten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einschließlich der Umlagen wurde von der Beklagten jedenfalls nicht zu Lasten der Klägerin zu 1 falsch errechnet.

Nicht zu prüfen hat der Senat, ob andere Tätigkeiten des Klägers zu 2 als Selbständiger oder als abhängig Beschäftigter Auswirkungen auf die Höhe des zu entrichtenden Beitrags sowie der Umlagen hat. Es ist Sache der Einzugsstellen aufgrund der von dem prüfenden Träger der Rentenversicherung erfolgten Unterrichtung (§ 28p Abs. 3 SGB IV) im Rahmen der ihnen obliegenden Aufgabe, den Beitragseinzug zu überwachen, zu prüfen, inwieweit weitere Tatsachen, die die Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrags berühren, Auswirkungen auf die vom geprüften Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge haben (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris, Rn. 22 ff.).

c) Weil der Kläger zu 2 wie dargelegt in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 bei der Klägerin zu 1 abhängig beschäftigt war, ist die zusätzlich zur Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage jedenfalls unbegründet. Der Senat lässt dahingestellt, ob die zusätzlich zur Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage nicht bereits unzulässig war. Denn maßgebliche Regelung des Bescheids vom 18. Februar 2013 dürfte nur die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen sein. Dass der Kläger zu 2 bei der Klägerin zu 1 im genannten Zeitraum abhängig beschäftigt war, dürfte demgegenüber nur die Begründung der Nachforderung sein.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (vgl. Urteil des Senats vom 10. Oktober 2014 – L 4 R 2204/13 – juris, Rn. 76).

6. Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved