L 2 SO 992/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 3557/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 992/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Februar 2017 abgeändert.

Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des derzeit bei der Beigeladenen unter dem Aktenzeichen 071.42-621D212106 W 66401-0016/16 geführten Vorverfahrens, einschließlich eines rechtskräftigen Abschlusses eines sich etwaig anschließenden gerichtlichen Verfahrens, längstens jedoch bis zum 31. August 2017, die Kosten für die Unterbringung des Antragstellers ab 1. Februar 2017 in der Außenwohngruppe "A." der C.-M.-Jugendhilfe zu übernehmen.

Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers und des Antragsgegners.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt und im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig - was vorliegend einschlägig ist -, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 42).

Zutreffend geht der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung davon aus, dass gemäß § 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) die Beigeladene "nach außen" - also dem Antragsteller gegenüber - der allein zuständige Reha-Träger ist und deshalb auch für die Kosten der Unterbringung des Antragstellers in der Außenwohngruppe "A." der C.-M.-Jugendhilfe zuständig ist.

Der am 3. Mai 1995 geborene Antragsteller leidet unter einer Aufmerksamkeitsstörung mit schwerer psychomotorischer Verlangsamung, Schwächen in der Selbstorganisation und Selbstständigkeitsentwicklung, einer Angststörung mit hoher Selbstunsicherheit und Leistungsängsten. Der Antragsteller ist in der Außenwohngruppe der C.-M.-Schule "A." untergebracht. Seit dem 11. Januar 2016 hat er an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen. Ab 11. Januar 2016 wurde ihm von der Beigeladenen Ausbildungsgeld als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt.

Seit dem 8. September 2016 absolviert er eine Ausbildung zum Metallfacharbeiter bei der B.-Diakonie. Im Rahmen der Ausbildungsaufnahme wurde mit der Beigeladenen am 25. Juli 2016 eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen. Im Rahmen dieser Eingliederungsvereinbarung verpflichtete sich die Beigeladene zur Gewährung finanzieller Leistungen für die Ausbildung. Eine Übernahme der Unterbringungskosten wurde nicht geregelt. Am 2. August 2016 beantragte die Betreuerin des Antragstellers beim Antragsgegner die Kostenübernahme für das stationäre Wohnen des Antragstellers. Mit Schreiben vom 26. August 2016 hat der Antragsteller auch bei der Beigeladenen einen entsprechenden Antrag gestellt. Dieser wurde mit Bescheid vom 7. Oktober 2016 durch die Beigeladene abgelehnt. Gegen diese Ablehnung legte der Antragsteller am 24. Oktober 2016 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2016 zurückgewiesen wurde.

Werden gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (Satz 2). Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest, wenn der Antrag nicht weitergeleitet wird.

Die Beigeladene war somit als "erstangegangener" Reha-Träger mit dem Reha-Antrag des Antragstellers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX) befasst. Dies ergibt sich schon aus ihrem eigenen Schreiben vom 7. Oktober 2016 an den Antragsgegner, aus dem sich ergibt, dass es das Ziel des Antragstellers ist, die Ausbildung zum Metallfeinbearbeiter bei der B.-Diakonie in R. am 8. September 2016 zu beginnen und dass diesbezüglich seitens des Antragstellers die Beantragung von Leistungen im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben erfolgte. Diese Leistungen wurden - so das Schreiben der Beigeladenen - über die schriftliche Eingliederungsvereinbarung vom 25. Juli 2016 zugesagt. Zu den vom Antragsteller beantragten Leistungen im Rahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben gehören aber auch unzweifelhaft gemäß § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn für die Ausführung einer Leistung eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Teilhabe notwendig ist. Da somit die Unterbringungskosten offensichtlich auch als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von Gesetzes wegen in Betracht gekommen sind, vom Antragsteller (auch) beantragt wurden und von der Beigeladenen (auch) hätten geprüft werden müssen, ist die Einlassung der Beigeladenen mit Schreiben vom 7. April 2017 für den Senat in keinster Weise nachvollziehbar, wonach es nach ihrer Sicht zweifelhaft sei, ob der Antragsteller bei ihr am 25. Juli 2016 die Erstattung von Leistungen für seine auswärtige Unterbringung beantragt habe. Eine Weiterleitung des Antrages auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an den Antragsgegner oder einen anderen Reha-Träger erfolgte seitens der Beigeladenen nicht.

Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist es, dass grundsätzlich der erstangegangene Reha-Träger auch die erforderlichen Leistungen erbringen soll. Deshalb hat er innerhalb von nur zwei Wochen nach Stellung des Antrages auf Leistungen zur Teilhabe festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Nach Ablauf dieser Zwei-Wochen-Frist ist der erstangegangene Träger gegenüber dem behinderten Menschen für die umfassende Leistungserbringung zuständig und muss den Antrag auch auf der Grundlage und auch unter Beachtung der Leistungsgesetze anderer Rehabilitationsträger prüfen, verbescheiden und ggf. Leistungen erbringen. Mit einem Ablehnungsbescheid auf der Grundlage des eigenen Leistungsgesetzes ist es daher nicht getan. Der Ablehnungsbescheid der Beigeladenen vom 7. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2016 ändert somit nichts an der nach § 14 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 , Abs. 2 SGB IX gegebenen (formellen) Zuständigkeit der Beigeladenen dem Antragsteller gegenüber.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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