Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 1793/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 68/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.11.2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 00.00.1962 geborene Klägerin hat erfolgreich eine Ausbildung zur Krankenschwester durchlaufen und war von 1983 bis 2000 - unterbrochen durch eine Familienpause von 1989 bis 1991 - als solche tätig. Nachfolgend arbeitete die Klägerin von Januar 2006 bis September 2007 als Luftsicherheitsassistentin und von Oktober 2007 bis Januar 2008 als Medizinische Kodierfachkraft. Wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach der Nummer 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) bezieht die Klägerin eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE in Höhe von 20 v.H. (Bescheid der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege vom 06.05.2008).
Am 25.11.2009 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht über eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 23.04.2009 bis zum 21.05.2009 in der N-Klinik für Rehabilitation, Bad P, bei. Aus der Maßnahme wurde die Klägerin zwar als arbeitsunfähig, aber leistungsfähig für eine körperlich leichte Tätigkeit in einem Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr entlassen.
Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie, Chirurgie, Unfallchirurgie Dr. N untersuchen und begutachten. Dieser diagostizierte nach Untersuchung der Klägerin am 10.03.2010:
- Zustand nach Implantation einer Hüft-TEP links mit Zustand nach einmaliger postoperativer Luxation und regelrechter Gelenkfunktion
- Deformierende Coxarthrose rechts mit noch befriedigender Gelenkfunktion
- Discusprotrusion L4/5 mit rez. Lumboischialgien ohne radiukuläre Symptomatik
- Rezidivierende Cervicobrachialgien bds. bei Discusprolaps C5/6 ohne akute radikuläre Symptomatik
- Impingement-Symptomatik beider Schultergelenke mit leichtgradiger funktioneller Beeinträchtigung.
Er hielt die Klägerin noch für in der Lage, eine körperlich leichte Tätigkeit überwiegend im Sitzen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zu verrichten.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte daraufhin die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab.
Die Klägerin legte am 15.04.2010 Widerspruch ein und trug unter Vorlage einer Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie Dr. U vom 04.05.2010 zur Begründung vor, sie sei aufgrund ihrer orthopädischen Beschwerden nicht in der Lage, drei Stunden täglich leichte Tätigkeiten zu verrichten. Nach Einholung eines Befundberichtes des Dr. U vom 13.07.2010 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück. Aus dem Befundbericht des behandelnden Orthopäden ergebe sich keine Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin.
Die Klägerin hat am 19.10.2010 Klage erhoben. Sie sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten sechs Stunden zu verrichten. Im Vordergrund ihrer Beschwerden stünden ein Fibromyalgiesyndrom und erhebliche Gesundheitsstörungen von Seiten des Bewegungs- und Stützapparates.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. I vom 06.01.2011, des Orthopäden Dr. U1 (Orthopädische Gemeinschaftspraxis Dres. U, M, U1 und C) vom 05.01.2011, des Arztes für Innere Medizin Dr. J vom 03.02.2011, des Arztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. C1 vom 23.02.2011 und des Dr. O (Klinik C) vom 23.02.2011 eingeholt.
Sodann hat das Sozialgericht den Arzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. I1 mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat nach Untersuchung am 11.07.2011 folgende Diagnosen gestellt:
- rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht- bis mittelgradige Episode
- HWS-LWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen ohne Nachweis eines neurologischen Defizits
- Karpaltunnelsyndrom
- Amauriosis (Blindheit) rechts.
Die Klägerin könne nur körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, mit gelegentlichem Gehen und Stehen, mit Heben und Tragen von Lasten bis ca. zehn Kilogramm verrichten. Ausgeschlossen seien Arbeiten in gebückter Haltung, im Knien, Hocken oder in sonstigen Zwangshaltungen, auf Gerüsten, Leitern und Regalleitern, mit besonderen Einwirkungen von Nässe, Hitze, Kälte, Zugluft, atembelastenden Stoffen, Lärm und Schmutz, in Nachtschicht, unter besonderem zeitlichen Druck und mit häufigem Publikumsverkehr. Bedenken gegen Arbeiten an Schreibmaschine oder PC bestünden nicht. Geistig einfache bis mittelschwierige Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien zumutbar. Tätigkeiten, die ein besonderes manuelles Geschick erforderten und besondere Anforderungen an die Feinmotorik stellten, seien ausgeschlossen. Aus nervenärztlicher Sicht bestünden keine Bedenken gegen Bildschirmarbeit. Die Klägerin könne täglich noch vollschichtig (sechs Stunden und mehr) regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein. Die Wegefähigkeit sei erhalten.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. O mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 29.12.2011 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Chronifizierte Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
- Rezidivierende depressive Störung, aktuell schwere depressive Episode
- Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik
- Karpaltunnelsyndrom (rechts schwer, links leicht)
- Wiederkehrende Zervikozephalgien
- Wiederkehrende Zervikobrachialgien
- Wiederkehrender zervikogener Schwindel
- Verschleißveränderungen zervikaler Bandscheiben
- Dorsalgien und Lumboischialgien
- Verschleißveränderungen lumbaler Bandscheiben
- Psychophysiologische Insomnie
- Restless-legs-Syndrom.
Der Sachverständige ist unter Einbeziehung der weiteren bislang festgestellten Leiden (Dysplasie-Coxarthrose, Verschleißveränderungen des Bewegungsapparats, hochgradige Amblyopie des rechten Auges, Z.n. Operation einer rechtsseitigen Leistenhernie, Fibromyalgiesyndrom) zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin noch ständig körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen verrichten könne. Ausgeschlossen seien Arbeiten im Bücken, mit Zwangshaltungen, auf Gerüsten und Leitern, mit Einwirkung widriger klimatischer Bedingungen, in Wechsel- und Nachtschicht, mit besonderem zeitlichen Druck. Die Klägerin könne ständig geistig mittelschwierige Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten verrichten. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände sei eingeschränkt, betreffend Kraft und Feinmotorik. Die Fähigkeit zur Bildschirmarbeit sei durch die Sehstörung nicht eingeschränkt. Die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Die depressive Störung und die chronischen Schmerzen wirkten sich auf die Fähigkeit aus, eine Tätigkeit über mehr als vier Stunden täglich auszuführen. Sie störten sowohl die Verfügbarkeit der kognitiven Fähigkeiten als auch die Fähigkeit, die notwendigen körperlichen Funktionen stabil aufrecht zu erhalten. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Es bestünden Aggravationstendenzen. Als Dissimulationstendenz könne das Herabspielen der Depressivität gewertet werden.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 24.05.2012 hat Dr. I1 ausgeführt, dass die von ihm erhobenen Befunde und die von Dr. O mitgeteilten neurologischen und psychopathologischen Befunde kein schwerwiegendes Funktionsdefizit erkennen ließen, das die Annahme eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens begründe. Eine Änderung der sozialmedizinischen Beurteilung sei nicht erforderlich.
In einem Befundbericht vom 24.09.2012 hat der Arzt für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. C1 ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin kontinuierlich verschlechtert habe.
Die Klägerin hat einen Bericht über eine stationäre Behandlung vom 09.01.2012 bis zum 19.01.2012 in der Fachklinik für rheumatische Erkrankungen, I, vorgelegt.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Gemeinschaftskrankenhauses I1 (Tagesklinik X) vom 02.04.2013 eingeholt, dem der Entlassungsbericht über die dort durchgeführten teilstationären Behandlungen vom 08.01.2013 bis zum 29.01.2013 und vom 04.02.2013 bis zum 01.03.2013 beigefügt war.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2013 hat Dr. I1 ausgeführt, die vorgelegten Berichte belegten zwar ein komplexes Krankheitsbild des psychiatrischen Fachgebiets, nicht jedoch eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens. Lediglich der von Dr. C1 im August 2012 mitgeteilte psychopathologische Befund deute auf eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens hin. Es sei jedoch nicht von dauerhaften Einschränkungen auszugehen, da andere Befunde für ein erhaltenes zeitliches Leistungsvermögen im Erwerbsleben sprächen.
Die Klägerin hat einen vorläufigen Entlassungsbericht des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums C, C, vom 02.10.2013 über eine Behandlung vom 23.09.2013 bis zum 06.10.2013 und einen Bericht des Klinikums am Q, Bad G, vom 15.10.2013 über eine Untersuchung vom selben Tag vorgelegt.
Durch Urteil vom 22.11.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich der Leistungsbeurteilung des Dr. I1 angeschlossen.
Gegen das am 16.12.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.01.2014 Berufung eingelegt. Das Gutachten des Dr. I1 sei aufgrund vielfältiger Mängel nicht verwertbar. Im Übrigen habe sich das Sozialgericht nicht mit ihren orthopädischen Erkrankungen auseinandergesetzt. Die Klägerin hat einen Entlassungsbericht des Klinikums am Q vom 10.02.2014 über eine stationäre Behandlung vom 27.01.2014 bis zum 10.02.2014 und einen Bericht über eine ambulante Behandlung in der W Klinik, Bad S, vom 17.02.2014 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.11.2013 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2010 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einem Leistungsfall bis spätestens März 2014 erfüllt seien.
Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich des Neurologen und Psychiaters Dr. C2 vom 18.06.2014, des Direktors der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Dr. N1 (Klinikum am Q) vom 26.06.2014 und des Orthopäden Dr. M1 vom 10.09.2014.
Die Klägerin hat einen Bericht des Radiologischen Zentrums X vom 25.07.2014 und einen Bericht der fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis N3 und C4 (Radiologie/Neurologie) vom 06.08.2014 vorgelegt.
Der Senat hat sodann den Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, Chirurgie, Sozialmedizin Dr. C3 und den Facharzt für Psychiatrie Dr. N2 mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt.
Dr. C3 hat die Klägerin am 19.12.2014 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Chronisch rezidivierendes, degeneratives HWS-LWS-Syndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion, Fehlhaltung, ohne radikuläre Symptomatik
- Zustand nach Hüft-TEP-Implantation bei Coxarthrose beidseits, radiologisch und klinisch ohne Lockerungs- und Sinterungszeichen, mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion
- Gonarthrose beidseits, Außenmeniskopathie rechts mit endgradiger Einschränkung der Funktion, ohne Instabilitätszeichen
- Sprunggelenks-, Fußarthralgie bei Senk-Spreizfußbildung sowie Krallenzehenbildung beidseits, ohne signifikante Einschränkung der Funktion
- Beginnende Heberden- und Bouchard-Arthrose ohne signifikante Einschränkung der Funktion, belastungsabhängige Schmerzsymptomatik
- Schulterarthralgie mit endgradig schmerzhafter Einschränkung der Funktion ohne Instabilitätszeichen.
Die Klägerin könne noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten "über 10 kg vor dem Körper, bzw. mit ausgestreckten Armen über 5 kg", mit Kälte- oder Hitzeexposition, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung, in allen Schichtarten, mit häufigem Publikumsverkehr verrichten. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten im Knien, Hocken, Bücken, regelmäßig über Kopfhöhe, über Schulterniveau, gehäuft auf Gerüsten und Leitern, mit gehäuftem Treppensteigen, mit gehäuftem Besteigen von Regalleitern. Die Kraftentfaltung der Hände sei leichtgradig gemindert, Faustschluss und Fingerstreckung sowie Feinmotorik und Tastaturbedienung seien nicht beeinträchtigt. Die Klägerin könne regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen zeitlich uneingeschränkt tätig sein. Eine rentenrelevante Einschränkung der Gehstrecke liege nicht vor. Die Klägerin könne öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit benutzen. Pkw und Führerschein stünden zur Verfügung. Anlässlich seiner Begutachtung hat dem Sachverständigen ein Entlassungsbrief des Krankenhauses C1 vom 15.12.2014 über eine stationäre Behandlung vom 01.12.2014 bis zum 10.12.2014 vorgelegen.
Dr. N2 hat die Klägerin am 20.02.2015 untersucht. Er hat eine rezidivierende depressive Störung (derzeit allenfalls leichtgradige Episode) diagnostiziert und ausgeführt, dass er weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung habe diagnostizieren können. Aus fachpsychiatrischer Sicht seien Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck, mit häufigem Publikumsverkehr, mit besonderen Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen oder mit erhöhter Verantwortung (Vorgesetztentätigkeit) nicht zumutbar. Tätigkeiten mit durchschnittlichen oder geringen Anforderungen an kognitive Fähigkeiten wie Konzentration, Aufmerksamkeit oder Durchhaltevermögen seien möglich. Arbeiten, die ein beidseitiges Sehen erfordern, seien ausgeschlossen. Die Klägerin könne regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen vollschichtig tätig sein. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Es sei durchaus davon auszugehen, dass die Klägerin die Vorstellung habe, nicht mehr in der Lage zu sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diese Vorstellung könne sie mit entsprechender psychotherapeutischer Unterstützung überwinden.
In seiner abschließenden Stellungnahme vom 04.05.2015 ist der Sachverständige C3 zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten täglich vollschichtig (6 Stunden und mehr) verrichten könne. Arbeiten mit Bewegen schwerer Lasten, im Knien, Hocken und Bücken, häufig über Kopfhöhe, über Schulterniveau, gehäuft auf Gerüsten und Leitern, mit Treppensteigen oder dem Besteigen von Regalleitern, in Wechsel- oder Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeiten) und mit häufigem Publikumsverkehr seien nicht zumutbar. Arbeiten mit besonderen geistigen Anforderungen und mit erhöhter Verantwortung könne die Klägerin nicht mehr verrichten.
Die Klägerin hat sich ausführlich zu den Sachverständigengutachten geäußert und ergänzend einen Bericht des Universitätsklinikums I vom 28.05.2015 über eine Untersuchung von diesem Tag vorgelegt.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 29.06.2015 hat Dr. C3 ausgeführt, dass er aufgrund der Ausführungen der Klägerin keine Veranlassung sehe, von seiner Einschätzung des Leistungsvermögens auf orthopädischem Fachgebiet abzuweichen.
Der Senat hat ergänzend einen Befundbericht des Augenarztes Dr. W vom 20.07.2015 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass die Klägerin in der Lage sei, eine leichte körperliche Tätigkeit sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben.
Sodann hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Spezielle Schmerztherapie Dr. U2 eingeholt. Dieser hat nach Untersuchung der Klägerin am 28.09.2015 folgende Diagnosen gestellt:
- Chronisches degeneratives HWS-Syndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion, Fehlhaltung ohne radikuläre Symptomatik bei nachgewiesenem Bandscheibenvorfall
- Zustand nach Hüft-TEP-Implantation nach Dysplasie-Coxarthrosen beidseits, vorbefundlich radiologisch und klinisch ohne Lockerungs- und Sinterungszeichen mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion
- Chronische Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei kleinem Bandscheibenvorfall L3/4 und L4/5 sowie L5/S1 und degenerativen Veränderungen in Form von mäßigen Spondylarthrosen, insbesondere bei L4/5; insgesamt aber keine neurologischen Ausfälle und relevanten Funktionseinschränkungen
- Polyarthrosen der Hände, röntgenologisch nur mäßiggradig ausgeprägt
- Leichte Fußdeformität mit Knick- Spreizfuß sowie leichter Gangstörung auch im Zusammenhang mit der Hüftproblematik
- Myofasziales Schmerzsyndrom, V.a. Fibromyalgie-Syndrom
- Amblyopie mit Einschränkung des räumlichen Sehens, starke Sehminderung des rechten Auges.
Er ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, überwiegend sitzend, kurzzeitig im Knien, Hocken oder Bücken, über Kopfhöhe, mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten kurzfristig bis zu fünf Kilogramm, in geschlossenen Räumen verrichten könne. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten auf Gerüsten und Leitern, mit Treppensteigen, auf Regalleitern, mit Kälte, Nässe und Temperaturschwankungen, in Wechselschicht und in Nachtschicht. Ausdauerleistungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit seien sicher für die Dauer von ein bis zwei Stunden gewährleistet, dann seien Pausen notwendig. Arbeiten an Maschinen mit erhöhtem Bedarf an Reaktion und Aufmerksamkeit seien schwierig. Arbeiten mit erhöhten Ansprüchen an das Sehvermögen seien nicht zumutbar. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei nur leicht eingeschränkt. Kraftentfaltung und Faustschlusskraft seien deutlich reduziert, nicht jedoch die Feinmotorik. Tastaturbedienung sei noch möglich, allerdings nicht in einem vollen Umfang von acht Stunden pro Tag. Die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich eingesetzt werden. Leistungsführend seien aus seiner Sicht die nachhaltigen psychischen Störungen, mit posttraumatischer Belastungsstörung, somatoformer Schmerzverarbeitungsstörung, Angst und Depression sowie Verbitterung und zunehmend dissozialer Persönlichkeitsveränderung.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 01.04.2016 hat Dr. N2 ausgeführt, dass der von Dr. U2 wiedergegebene psychische Befund keine wesentlichen Pathologika zeige. Eine somatoforme Schmerzstörung liege nicht vor. Dies könne den Beschreibungen in den ICD-10 entnommen werden. Die von Dr. U2 angeführten "Belege" seien nicht geeignet, die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen. Der Sachverständige U2 habe keinen abweichenden psychischen Befund festgestellt. Psychiatrische Diagnosen seien von ihm ebenfalls nicht gestellt worden. Es ergebe sich keine andere Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin.
In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 04.10.2016 hat Dr. N2 ausgeführt, zwar habe die Klägerin die durch objektive Befunde nicht begründbare Vorstellung, nicht mehr erwerbstätig sein zu können. Jedoch müsse aus sachverständiger Sicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aus psychiatrischer Sicht seit Antragstellung einer Erwerbstätigkeit in beschriebenem Umfang habe nachgehen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten (Az: 000) verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2010 ist rechtmäßig. Auch zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Nach § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - neben den allgemeinen und besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs 2 S 1 Nr 2 und 3 SGB VI - voll erwerbsgemindert sind. Gemäß § 43 Abs 2 S 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Über die (gesetzliche) Definition des Versicherungsfalles der vollen Erwerbsminderung hinaus sind auch die Versicherten voll erwerbsgemindert, die noch einer Erwerbstätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich nachgehen können - und damit den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs 1 S 2 SGB VI erfüllen -, ihnen der Teilzeitarbeitsmarkt jedoch verschlossen ist; denn wie nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Rechtslage ist die konkrete Arbeitsmarktsituation auch im Rahmen des § 43 SGB VI zu berücksichtigen. Nicht erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 3 SGB VI hingegen Versicherte, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein können.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass die Klägerin nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 1 und 2 SGB VI ist; denn sie ist noch in der Lage, einer Erwerbstätigkeit sechs Stunden und mehr pro Tag nachzugehen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vor, die ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben beeinflussen:
- Rezidivierende depressive Störung
- Chronisch rezidivierendes, degeneratives HWS-LWS-Syndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion, Fehlhaltung, ohne radikuläre Symptomatik
- Zustand nach Hüft-TEP-Implantation bei Coxarthrose beidseits, radiologisch und klinisch ohne Lockerungs- und Sinterungszeichen, mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion
- Gonarthrose beidseits, Außenmeniskopathie rechts mit endgradiger Einschränkung der Funktion, ohne Instabilitätszeichen
- Sprunggelenks-, Fußarthralgie bei Senk-Spreizfußbildung sowie Krallenzehenbildung beidseits, jedoch ohne signifikante Einschränkung der Funktion
- Beginnende Heberden- und Bouchard-Arthrose ohne signifikante Einschränkung der Funktion, belastungsabhängige Schmerzsymptomatik
- Schulterarthralgie mit endgradig schmerzhafter Einschränkung der Funktion ohne Instabilitätszeichen
- Amauriosis (Blindheit) rechts.
Trotz dieser Gesundheitsstörungen ist die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Nicht zumutbar sind Arbeiten im Knien, Hocken und Bücken, häufig über Kopfhöhe, über Schulterniveau, auf Gerüsten und Leitern, mit Treppensteigen, mit Besteigen von Regalleitern, in Wechsel- oder Nachtschicht, unter besonderem zeitlichen Druck und mit häufigem Publikumsverkehr. Die Klägerin ist einfachen bis durchschnittlichen Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen und durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten wie Konzentration, Aufmerksamkeit oder Durchhaltevermögen gewachsen. Zwar ist die Kraftentfaltung der Hände leichtgradig gemindert, jedoch sind Faustschluss und Fingerstreckung sowie Fernmotorik nicht beeinträchtigt. Die Klägerin kann Tastaturen bedienen. Die Klägerin ist in der Lage, die für zumutbar erachteten Tätigkeiten noch an fünf Tagen in der Woche regelmäßig unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten.
Der Senat folgt insoweit den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. I1, Dr. N2 und Dr. C3. Die Sachverständigen sind als Fachärzte auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet in der Lage, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen und daraus resultierenden Auswirkungen auf das Leistungsvermögen festzustellen. Die Sachverständigen sind aufgrund Untersuchung der Klägerin und sorgfältigen Anamnese- und Befunderhebung unter Berücksichtigung der übrigen im Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen zu ihrer Beurteilung gelangt. Ihre Einschätzungen des Restleistungsvermögens der Klägerin sind vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde schlüssig, in sich widerspruchsfrei und überzeugend.
Die Einschätzung des Dr. O, die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein, überzeugt dagegen nicht. Dr. O begründet seine Leistungsbeurteilung damit, dass auf Grund der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen die Verfügbarkeit der kognitiven Fähigkeiten und auch die Fähigkeit, die notwendigen körperlichen Funktionen stabil aufrecht zu erhalten, gestört seien. Befunde, die diese Beurteilungen stützen, hat er jedoch nicht erhoben. Auch nach dem von Dr. O erhobenen psychopathologischen Befund waren Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit, Auffassung und Gedächtnisfunktionen ungestört, so dass auch seiner Auffassung nach geistig mittelschwierige Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten zumutbar sind.
Gleichfalls überzeugt nicht die Leistungseinschätzung des Facharztes für Innere Medizin mit den Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie, Palliativmedizin, Rehabilitationswesen, Chirotherapie, Homöpathie Dr. U2 in seinem algesiologischen Gutachten. Der Sachverständige stützt seine Beurteilung, die Klägerin sei nur noch leistungsfähig für eine Tätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich, auf für ihn fachfremde Diagnosen. Leistungsführend sind aus seiner Sicht die nachhaltigen psychischen Störungen, mit posttraumatischer Belastungsstörung, somatoformer Schmerzverarbeitungsstörung, Angst und Depression sowie Verbitterung und zunehmend dissozialer Persönlichkeitsveränderung. Die Erkrankungen der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet wurden von den Sachverständigen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet Dr. I1 und Dr. N2 vollständig erfasst und in ihren Auswirkungen auf deren Leistungsfähigkeit nachvollziehbar berücksichtigt.
Da die Klägerin noch in der Lage ist, einer leichten und gelegentlich auch mittelschweren Arbeit nachzugehen, bedarf es der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht. Die Pflicht zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes besteht nur bei Versicherten, die nur noch in der Lage sind, ausschließlich körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten und die in ihrem damit bereits deutlich reduzierten Restleistungsvermögen durch eine schwere spezifische Behinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zusätzlich eingeschränkt werden.
Die Klägerin ist auch in der Lage, den Weg zur Arbeitsstelle zurückzulegen. Denn sie kann nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme Fußwege von mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten auch mehrmals am Tag zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen (BSG Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 8/02 R - mit weiteren Nachweisen).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 Nr 1 oder 2 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 00.00.1962 geborene Klägerin hat erfolgreich eine Ausbildung zur Krankenschwester durchlaufen und war von 1983 bis 2000 - unterbrochen durch eine Familienpause von 1989 bis 1991 - als solche tätig. Nachfolgend arbeitete die Klägerin von Januar 2006 bis September 2007 als Luftsicherheitsassistentin und von Oktober 2007 bis Januar 2008 als Medizinische Kodierfachkraft. Wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach der Nummer 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) bezieht die Klägerin eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE in Höhe von 20 v.H. (Bescheid der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege vom 06.05.2008).
Am 25.11.2009 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht über eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 23.04.2009 bis zum 21.05.2009 in der N-Klinik für Rehabilitation, Bad P, bei. Aus der Maßnahme wurde die Klägerin zwar als arbeitsunfähig, aber leistungsfähig für eine körperlich leichte Tätigkeit in einem Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr entlassen.
Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie, Chirurgie, Unfallchirurgie Dr. N untersuchen und begutachten. Dieser diagostizierte nach Untersuchung der Klägerin am 10.03.2010:
- Zustand nach Implantation einer Hüft-TEP links mit Zustand nach einmaliger postoperativer Luxation und regelrechter Gelenkfunktion
- Deformierende Coxarthrose rechts mit noch befriedigender Gelenkfunktion
- Discusprotrusion L4/5 mit rez. Lumboischialgien ohne radiukuläre Symptomatik
- Rezidivierende Cervicobrachialgien bds. bei Discusprolaps C5/6 ohne akute radikuläre Symptomatik
- Impingement-Symptomatik beider Schultergelenke mit leichtgradiger funktioneller Beeinträchtigung.
Er hielt die Klägerin noch für in der Lage, eine körperlich leichte Tätigkeit überwiegend im Sitzen arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zu verrichten.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte daraufhin die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab.
Die Klägerin legte am 15.04.2010 Widerspruch ein und trug unter Vorlage einer Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie Dr. U vom 04.05.2010 zur Begründung vor, sie sei aufgrund ihrer orthopädischen Beschwerden nicht in der Lage, drei Stunden täglich leichte Tätigkeiten zu verrichten. Nach Einholung eines Befundberichtes des Dr. U vom 13.07.2010 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück. Aus dem Befundbericht des behandelnden Orthopäden ergebe sich keine Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin.
Die Klägerin hat am 19.10.2010 Klage erhoben. Sie sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten sechs Stunden zu verrichten. Im Vordergrund ihrer Beschwerden stünden ein Fibromyalgiesyndrom und erhebliche Gesundheitsstörungen von Seiten des Bewegungs- und Stützapparates.
Das Sozialgericht hat Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. I vom 06.01.2011, des Orthopäden Dr. U1 (Orthopädische Gemeinschaftspraxis Dres. U, M, U1 und C) vom 05.01.2011, des Arztes für Innere Medizin Dr. J vom 03.02.2011, des Arztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. C1 vom 23.02.2011 und des Dr. O (Klinik C) vom 23.02.2011 eingeholt.
Sodann hat das Sozialgericht den Arzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. I1 mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat nach Untersuchung am 11.07.2011 folgende Diagnosen gestellt:
- rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht- bis mittelgradige Episode
- HWS-LWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen ohne Nachweis eines neurologischen Defizits
- Karpaltunnelsyndrom
- Amauriosis (Blindheit) rechts.
Die Klägerin könne nur körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, mit gelegentlichem Gehen und Stehen, mit Heben und Tragen von Lasten bis ca. zehn Kilogramm verrichten. Ausgeschlossen seien Arbeiten in gebückter Haltung, im Knien, Hocken oder in sonstigen Zwangshaltungen, auf Gerüsten, Leitern und Regalleitern, mit besonderen Einwirkungen von Nässe, Hitze, Kälte, Zugluft, atembelastenden Stoffen, Lärm und Schmutz, in Nachtschicht, unter besonderem zeitlichen Druck und mit häufigem Publikumsverkehr. Bedenken gegen Arbeiten an Schreibmaschine oder PC bestünden nicht. Geistig einfache bis mittelschwierige Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien zumutbar. Tätigkeiten, die ein besonderes manuelles Geschick erforderten und besondere Anforderungen an die Feinmotorik stellten, seien ausgeschlossen. Aus nervenärztlicher Sicht bestünden keine Bedenken gegen Bildschirmarbeit. Die Klägerin könne täglich noch vollschichtig (sechs Stunden und mehr) regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein. Die Wegefähigkeit sei erhalten.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. O mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 29.12.2011 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Chronifizierte Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
- Rezidivierende depressive Störung, aktuell schwere depressive Episode
- Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik
- Karpaltunnelsyndrom (rechts schwer, links leicht)
- Wiederkehrende Zervikozephalgien
- Wiederkehrende Zervikobrachialgien
- Wiederkehrender zervikogener Schwindel
- Verschleißveränderungen zervikaler Bandscheiben
- Dorsalgien und Lumboischialgien
- Verschleißveränderungen lumbaler Bandscheiben
- Psychophysiologische Insomnie
- Restless-legs-Syndrom.
Der Sachverständige ist unter Einbeziehung der weiteren bislang festgestellten Leiden (Dysplasie-Coxarthrose, Verschleißveränderungen des Bewegungsapparats, hochgradige Amblyopie des rechten Auges, Z.n. Operation einer rechtsseitigen Leistenhernie, Fibromyalgiesyndrom) zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin noch ständig körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen verrichten könne. Ausgeschlossen seien Arbeiten im Bücken, mit Zwangshaltungen, auf Gerüsten und Leitern, mit Einwirkung widriger klimatischer Bedingungen, in Wechsel- und Nachtschicht, mit besonderem zeitlichen Druck. Die Klägerin könne ständig geistig mittelschwierige Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten verrichten. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände sei eingeschränkt, betreffend Kraft und Feinmotorik. Die Fähigkeit zur Bildschirmarbeit sei durch die Sehstörung nicht eingeschränkt. Die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Die depressive Störung und die chronischen Schmerzen wirkten sich auf die Fähigkeit aus, eine Tätigkeit über mehr als vier Stunden täglich auszuführen. Sie störten sowohl die Verfügbarkeit der kognitiven Fähigkeiten als auch die Fähigkeit, die notwendigen körperlichen Funktionen stabil aufrecht zu erhalten. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Es bestünden Aggravationstendenzen. Als Dissimulationstendenz könne das Herabspielen der Depressivität gewertet werden.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 24.05.2012 hat Dr. I1 ausgeführt, dass die von ihm erhobenen Befunde und die von Dr. O mitgeteilten neurologischen und psychopathologischen Befunde kein schwerwiegendes Funktionsdefizit erkennen ließen, das die Annahme eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens begründe. Eine Änderung der sozialmedizinischen Beurteilung sei nicht erforderlich.
In einem Befundbericht vom 24.09.2012 hat der Arzt für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. C1 ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin kontinuierlich verschlechtert habe.
Die Klägerin hat einen Bericht über eine stationäre Behandlung vom 09.01.2012 bis zum 19.01.2012 in der Fachklinik für rheumatische Erkrankungen, I, vorgelegt.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Gemeinschaftskrankenhauses I1 (Tagesklinik X) vom 02.04.2013 eingeholt, dem der Entlassungsbericht über die dort durchgeführten teilstationären Behandlungen vom 08.01.2013 bis zum 29.01.2013 und vom 04.02.2013 bis zum 01.03.2013 beigefügt war.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2013 hat Dr. I1 ausgeführt, die vorgelegten Berichte belegten zwar ein komplexes Krankheitsbild des psychiatrischen Fachgebiets, nicht jedoch eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens. Lediglich der von Dr. C1 im August 2012 mitgeteilte psychopathologische Befund deute auf eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens hin. Es sei jedoch nicht von dauerhaften Einschränkungen auszugehen, da andere Befunde für ein erhaltenes zeitliches Leistungsvermögen im Erwerbsleben sprächen.
Die Klägerin hat einen vorläufigen Entlassungsbericht des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums C, C, vom 02.10.2013 über eine Behandlung vom 23.09.2013 bis zum 06.10.2013 und einen Bericht des Klinikums am Q, Bad G, vom 15.10.2013 über eine Untersuchung vom selben Tag vorgelegt.
Durch Urteil vom 22.11.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich der Leistungsbeurteilung des Dr. I1 angeschlossen.
Gegen das am 16.12.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.01.2014 Berufung eingelegt. Das Gutachten des Dr. I1 sei aufgrund vielfältiger Mängel nicht verwertbar. Im Übrigen habe sich das Sozialgericht nicht mit ihren orthopädischen Erkrankungen auseinandergesetzt. Die Klägerin hat einen Entlassungsbericht des Klinikums am Q vom 10.02.2014 über eine stationäre Behandlung vom 27.01.2014 bis zum 10.02.2014 und einen Bericht über eine ambulante Behandlung in der W Klinik, Bad S, vom 17.02.2014 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.11.2013 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2010 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einem Leistungsfall bis spätestens März 2014 erfüllt seien.
Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich des Neurologen und Psychiaters Dr. C2 vom 18.06.2014, des Direktors der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Dr. N1 (Klinikum am Q) vom 26.06.2014 und des Orthopäden Dr. M1 vom 10.09.2014.
Die Klägerin hat einen Bericht des Radiologischen Zentrums X vom 25.07.2014 und einen Bericht der fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis N3 und C4 (Radiologie/Neurologie) vom 06.08.2014 vorgelegt.
Der Senat hat sodann den Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, Chirurgie, Sozialmedizin Dr. C3 und den Facharzt für Psychiatrie Dr. N2 mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt.
Dr. C3 hat die Klägerin am 19.12.2014 untersucht und folgende Diagnosen gestellt:
- Chronisch rezidivierendes, degeneratives HWS-LWS-Syndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion, Fehlhaltung, ohne radikuläre Symptomatik
- Zustand nach Hüft-TEP-Implantation bei Coxarthrose beidseits, radiologisch und klinisch ohne Lockerungs- und Sinterungszeichen, mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion
- Gonarthrose beidseits, Außenmeniskopathie rechts mit endgradiger Einschränkung der Funktion, ohne Instabilitätszeichen
- Sprunggelenks-, Fußarthralgie bei Senk-Spreizfußbildung sowie Krallenzehenbildung beidseits, ohne signifikante Einschränkung der Funktion
- Beginnende Heberden- und Bouchard-Arthrose ohne signifikante Einschränkung der Funktion, belastungsabhängige Schmerzsymptomatik
- Schulterarthralgie mit endgradig schmerzhafter Einschränkung der Funktion ohne Instabilitätszeichen.
Die Klägerin könne noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen, mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten "über 10 kg vor dem Körper, bzw. mit ausgestreckten Armen über 5 kg", mit Kälte- oder Hitzeexposition, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung, in allen Schichtarten, mit häufigem Publikumsverkehr verrichten. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten im Knien, Hocken, Bücken, regelmäßig über Kopfhöhe, über Schulterniveau, gehäuft auf Gerüsten und Leitern, mit gehäuftem Treppensteigen, mit gehäuftem Besteigen von Regalleitern. Die Kraftentfaltung der Hände sei leichtgradig gemindert, Faustschluss und Fingerstreckung sowie Feinmotorik und Tastaturbedienung seien nicht beeinträchtigt. Die Klägerin könne regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen zeitlich uneingeschränkt tätig sein. Eine rentenrelevante Einschränkung der Gehstrecke liege nicht vor. Die Klägerin könne öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit benutzen. Pkw und Führerschein stünden zur Verfügung. Anlässlich seiner Begutachtung hat dem Sachverständigen ein Entlassungsbrief des Krankenhauses C1 vom 15.12.2014 über eine stationäre Behandlung vom 01.12.2014 bis zum 10.12.2014 vorgelegen.
Dr. N2 hat die Klägerin am 20.02.2015 untersucht. Er hat eine rezidivierende depressive Störung (derzeit allenfalls leichtgradige Episode) diagnostiziert und ausgeführt, dass er weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung habe diagnostizieren können. Aus fachpsychiatrischer Sicht seien Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck, mit häufigem Publikumsverkehr, mit besonderen Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen oder mit erhöhter Verantwortung (Vorgesetztentätigkeit) nicht zumutbar. Tätigkeiten mit durchschnittlichen oder geringen Anforderungen an kognitive Fähigkeiten wie Konzentration, Aufmerksamkeit oder Durchhaltevermögen seien möglich. Arbeiten, die ein beidseitiges Sehen erfordern, seien ausgeschlossen. Die Klägerin könne regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen vollschichtig tätig sein. Die Wegefähigkeit sei erhalten. Es sei durchaus davon auszugehen, dass die Klägerin die Vorstellung habe, nicht mehr in der Lage zu sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diese Vorstellung könne sie mit entsprechender psychotherapeutischer Unterstützung überwinden.
In seiner abschließenden Stellungnahme vom 04.05.2015 ist der Sachverständige C3 zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten täglich vollschichtig (6 Stunden und mehr) verrichten könne. Arbeiten mit Bewegen schwerer Lasten, im Knien, Hocken und Bücken, häufig über Kopfhöhe, über Schulterniveau, gehäuft auf Gerüsten und Leitern, mit Treppensteigen oder dem Besteigen von Regalleitern, in Wechsel- oder Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeiten) und mit häufigem Publikumsverkehr seien nicht zumutbar. Arbeiten mit besonderen geistigen Anforderungen und mit erhöhter Verantwortung könne die Klägerin nicht mehr verrichten.
Die Klägerin hat sich ausführlich zu den Sachverständigengutachten geäußert und ergänzend einen Bericht des Universitätsklinikums I vom 28.05.2015 über eine Untersuchung von diesem Tag vorgelegt.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 29.06.2015 hat Dr. C3 ausgeführt, dass er aufgrund der Ausführungen der Klägerin keine Veranlassung sehe, von seiner Einschätzung des Leistungsvermögens auf orthopädischem Fachgebiet abzuweichen.
Der Senat hat ergänzend einen Befundbericht des Augenarztes Dr. W vom 20.07.2015 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass die Klägerin in der Lage sei, eine leichte körperliche Tätigkeit sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben.
Sodann hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Spezielle Schmerztherapie Dr. U2 eingeholt. Dieser hat nach Untersuchung der Klägerin am 28.09.2015 folgende Diagnosen gestellt:
- Chronisches degeneratives HWS-Syndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion, Fehlhaltung ohne radikuläre Symptomatik bei nachgewiesenem Bandscheibenvorfall
- Zustand nach Hüft-TEP-Implantation nach Dysplasie-Coxarthrosen beidseits, vorbefundlich radiologisch und klinisch ohne Lockerungs- und Sinterungszeichen mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion
- Chronische Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei kleinem Bandscheibenvorfall L3/4 und L4/5 sowie L5/S1 und degenerativen Veränderungen in Form von mäßigen Spondylarthrosen, insbesondere bei L4/5; insgesamt aber keine neurologischen Ausfälle und relevanten Funktionseinschränkungen
- Polyarthrosen der Hände, röntgenologisch nur mäßiggradig ausgeprägt
- Leichte Fußdeformität mit Knick- Spreizfuß sowie leichter Gangstörung auch im Zusammenhang mit der Hüftproblematik
- Myofasziales Schmerzsyndrom, V.a. Fibromyalgie-Syndrom
- Amblyopie mit Einschränkung des räumlichen Sehens, starke Sehminderung des rechten Auges.
Er ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, überwiegend sitzend, kurzzeitig im Knien, Hocken oder Bücken, über Kopfhöhe, mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten kurzfristig bis zu fünf Kilogramm, in geschlossenen Räumen verrichten könne. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten auf Gerüsten und Leitern, mit Treppensteigen, auf Regalleitern, mit Kälte, Nässe und Temperaturschwankungen, in Wechselschicht und in Nachtschicht. Ausdauerleistungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit seien sicher für die Dauer von ein bis zwei Stunden gewährleistet, dann seien Pausen notwendig. Arbeiten an Maschinen mit erhöhtem Bedarf an Reaktion und Aufmerksamkeit seien schwierig. Arbeiten mit erhöhten Ansprüchen an das Sehvermögen seien nicht zumutbar. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei nur leicht eingeschränkt. Kraftentfaltung und Faustschlusskraft seien deutlich reduziert, nicht jedoch die Feinmotorik. Tastaturbedienung sei noch möglich, allerdings nicht in einem vollen Umfang von acht Stunden pro Tag. Die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich eingesetzt werden. Leistungsführend seien aus seiner Sicht die nachhaltigen psychischen Störungen, mit posttraumatischer Belastungsstörung, somatoformer Schmerzverarbeitungsstörung, Angst und Depression sowie Verbitterung und zunehmend dissozialer Persönlichkeitsveränderung.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 01.04.2016 hat Dr. N2 ausgeführt, dass der von Dr. U2 wiedergegebene psychische Befund keine wesentlichen Pathologika zeige. Eine somatoforme Schmerzstörung liege nicht vor. Dies könne den Beschreibungen in den ICD-10 entnommen werden. Die von Dr. U2 angeführten "Belege" seien nicht geeignet, die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen. Der Sachverständige U2 habe keinen abweichenden psychischen Befund festgestellt. Psychiatrische Diagnosen seien von ihm ebenfalls nicht gestellt worden. Es ergebe sich keine andere Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin.
In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 04.10.2016 hat Dr. N2 ausgeführt, zwar habe die Klägerin die durch objektive Befunde nicht begründbare Vorstellung, nicht mehr erwerbstätig sein zu können. Jedoch müsse aus sachverständiger Sicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aus psychiatrischer Sicht seit Antragstellung einer Erwerbstätigkeit in beschriebenem Umfang habe nachgehen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten (Az: 000) verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2010 ist rechtmäßig. Auch zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Nach § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - neben den allgemeinen und besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs 2 S 1 Nr 2 und 3 SGB VI - voll erwerbsgemindert sind. Gemäß § 43 Abs 2 S 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Über die (gesetzliche) Definition des Versicherungsfalles der vollen Erwerbsminderung hinaus sind auch die Versicherten voll erwerbsgemindert, die noch einer Erwerbstätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich nachgehen können - und damit den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs 1 S 2 SGB VI erfüllen -, ihnen der Teilzeitarbeitsmarkt jedoch verschlossen ist; denn wie nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Rechtslage ist die konkrete Arbeitsmarktsituation auch im Rahmen des § 43 SGB VI zu berücksichtigen. Nicht erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 3 SGB VI hingegen Versicherte, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein können.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass die Klägerin nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 1 und 2 SGB VI ist; denn sie ist noch in der Lage, einer Erwerbstätigkeit sechs Stunden und mehr pro Tag nachzugehen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegen bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vor, die ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben beeinflussen:
- Rezidivierende depressive Störung
- Chronisch rezidivierendes, degeneratives HWS-LWS-Syndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion, Fehlhaltung, ohne radikuläre Symptomatik
- Zustand nach Hüft-TEP-Implantation bei Coxarthrose beidseits, radiologisch und klinisch ohne Lockerungs- und Sinterungszeichen, mit schmerzhafter Einschränkung der Funktion
- Gonarthrose beidseits, Außenmeniskopathie rechts mit endgradiger Einschränkung der Funktion, ohne Instabilitätszeichen
- Sprunggelenks-, Fußarthralgie bei Senk-Spreizfußbildung sowie Krallenzehenbildung beidseits, jedoch ohne signifikante Einschränkung der Funktion
- Beginnende Heberden- und Bouchard-Arthrose ohne signifikante Einschränkung der Funktion, belastungsabhängige Schmerzsymptomatik
- Schulterarthralgie mit endgradig schmerzhafter Einschränkung der Funktion ohne Instabilitätszeichen
- Amauriosis (Blindheit) rechts.
Trotz dieser Gesundheitsstörungen ist die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Nicht zumutbar sind Arbeiten im Knien, Hocken und Bücken, häufig über Kopfhöhe, über Schulterniveau, auf Gerüsten und Leitern, mit Treppensteigen, mit Besteigen von Regalleitern, in Wechsel- oder Nachtschicht, unter besonderem zeitlichen Druck und mit häufigem Publikumsverkehr. Die Klägerin ist einfachen bis durchschnittlichen Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen und durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten wie Konzentration, Aufmerksamkeit oder Durchhaltevermögen gewachsen. Zwar ist die Kraftentfaltung der Hände leichtgradig gemindert, jedoch sind Faustschluss und Fingerstreckung sowie Fernmotorik nicht beeinträchtigt. Die Klägerin kann Tastaturen bedienen. Die Klägerin ist in der Lage, die für zumutbar erachteten Tätigkeiten noch an fünf Tagen in der Woche regelmäßig unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten.
Der Senat folgt insoweit den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. I1, Dr. N2 und Dr. C3. Die Sachverständigen sind als Fachärzte auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet in der Lage, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen und daraus resultierenden Auswirkungen auf das Leistungsvermögen festzustellen. Die Sachverständigen sind aufgrund Untersuchung der Klägerin und sorgfältigen Anamnese- und Befunderhebung unter Berücksichtigung der übrigen im Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen zu ihrer Beurteilung gelangt. Ihre Einschätzungen des Restleistungsvermögens der Klägerin sind vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde schlüssig, in sich widerspruchsfrei und überzeugend.
Die Einschätzung des Dr. O, die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein, überzeugt dagegen nicht. Dr. O begründet seine Leistungsbeurteilung damit, dass auf Grund der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen die Verfügbarkeit der kognitiven Fähigkeiten und auch die Fähigkeit, die notwendigen körperlichen Funktionen stabil aufrecht zu erhalten, gestört seien. Befunde, die diese Beurteilungen stützen, hat er jedoch nicht erhoben. Auch nach dem von Dr. O erhobenen psychopathologischen Befund waren Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit, Auffassung und Gedächtnisfunktionen ungestört, so dass auch seiner Auffassung nach geistig mittelschwierige Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten zumutbar sind.
Gleichfalls überzeugt nicht die Leistungseinschätzung des Facharztes für Innere Medizin mit den Zusatzbezeichnungen Spezielle Schmerztherapie, Palliativmedizin, Rehabilitationswesen, Chirotherapie, Homöpathie Dr. U2 in seinem algesiologischen Gutachten. Der Sachverständige stützt seine Beurteilung, die Klägerin sei nur noch leistungsfähig für eine Tätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich, auf für ihn fachfremde Diagnosen. Leistungsführend sind aus seiner Sicht die nachhaltigen psychischen Störungen, mit posttraumatischer Belastungsstörung, somatoformer Schmerzverarbeitungsstörung, Angst und Depression sowie Verbitterung und zunehmend dissozialer Persönlichkeitsveränderung. Die Erkrankungen der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet wurden von den Sachverständigen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet Dr. I1 und Dr. N2 vollständig erfasst und in ihren Auswirkungen auf deren Leistungsfähigkeit nachvollziehbar berücksichtigt.
Da die Klägerin noch in der Lage ist, einer leichten und gelegentlich auch mittelschweren Arbeit nachzugehen, bedarf es der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht. Die Pflicht zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes besteht nur bei Versicherten, die nur noch in der Lage sind, ausschließlich körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten und die in ihrem damit bereits deutlich reduzierten Restleistungsvermögen durch eine schwere spezifische Behinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zusätzlich eingeschränkt werden.
Die Klägerin ist auch in der Lage, den Weg zur Arbeitsstelle zurückzulegen. Denn sie kann nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme Fußwege von mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten auch mehrmals am Tag zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen (BSG Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 8/02 R - mit weiteren Nachweisen).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 Nr 1 oder 2 SGG.
Rechtskraft
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