L 9 AS 363/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 4645/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 363/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 20.01.2017 ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17.08.2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, sondern in einer Wechselbeziehung, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., § 86b Rdnr. 27, m.w.N). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (Keller, a.a.O., Rdnr. 29, m.w.N.). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - jeweils Juris, jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Das SG hat in dem angefochtenen Beschluss vom 20.01.2017 den zugrundeliegenden Sachverhalt und die Grundlagen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend rechtlich gewürdigt. Der Senat nimmt hierauf Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer erneuten Darstellung weitgehend ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Soweit das SG dargelegt hat, dass sowohl hinsichtlich des Anordnungsanspruchs als auch des Anordnungsgrundes keine Notwendigkeit besteht, die Kosten für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, ist dies nicht zu beanstanden. Die geltend gemachten Kosten beziehen sich auf einen Mietvertrag mit der Mutter des Antragstellers Ziff. 2, die Eigentümerin der Wohnung ist. Da ausweislich der Mietbescheinigung vom 01.03.2016 bereits hohe Mietrückstände aufgelaufen waren, ohne dass das Mietverhältnis beendet worden wäre, bestehen keine Anhaltspunkte für eine Kündigung des Mietverhältnisses oder eine Räumung der Wohnung und damit eine drohende Obdachlosigkeit der Antragsteller. Vor diesem Hintergrund bedarf es anlässlich des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung, ob ein Anordnungsgrund im Bereich der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung erst dann besteht, wenn eine Räumungsklage anhängig ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 10.09.2014 - L 7 AS 1385/14 B ER - und vom 23. Oktober 2013 – L 12 AS 1449/13 B - , LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juli 2012 – L 18 AS 1867/12 B - jeweils Juris, jeweils m.w.N.), oder ob die erforderliche Eilbedürftigkeit einer Entscheidung bereits dann erfüllt sein kann, wenn das Bestehen einer Kündigungslage glaubhaft gemacht ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.07.2014 - L 10 AS 1393/14 B ER). Denn beides ist hier nicht der Fall. Die Antragsteller haben weder substantiiert noch nachvollziehbar vorgetragen, dass konkret und zeitnah eine Wohnungs- und Obdachlosigkeit (zu dem Erfordernis vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.10.2016 - L 3 AS 3210/16 ER-B - Juris) oder der bevorstehenden Wohnungslosigkeit vorgelagerte nennenswerte Beeinträchtigungen drohen (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss vom 18.04.2016 - 1 BvR 704/16 - Juris). Angesichts des engen familiären Verhältnisses zwischen den Antragstellern und der Vermieterin und des Umstandes, dass trotz vorgetragener erheblicher Mietschulden in der Vergangenheit keine Kündigung des Mietverhältnisses erfolgte, fehlt es hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung, wie das SG zutreffend dargelegt hat, an Anordnungsanspruch und -grund. So tragen die Antragsteller zur Beschwerdebegründung selbst vor, auf eine Kündigung werde seitens der Vermieterin wohl wegen der im Haushalt lebenden Kinder verzichtet.

Ebenso zutreffend hat das SG dargelegt, dass nach vorläufiger Prüfung der - ohne die Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft - noch zu deckende Bedarf in Höhe von 2.157,00 EUR durch das Einkommen der Antragsteller gedeckt ist. Als Einkommen zu berücksichtigen sind zunächst Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für die Antragsteller Ziff. 3 und 4 (monatlich jeweils 291,00 EUR) sowie Kindergeld (987,00 EUR bis 31.12.2016 und 997,00 EUR ab 01.01.2017). Ausgehend von den Angaben vom 15.09.2016 erwartete der Antragsteller Ziff. 2 in dem Bewilligungszeitraum vom 01.09.2016 bis 28.02.2017 Betriebseinnahmen in Höhe von 14.400,00 EUR. Überzeugend hat das SG Absetzungen in Höhe von insgesamt 3.000,00 für plausibel erachtet, ein monatliches Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit in Höhe von 1.900,00 EUR errechnet und darüber hinaus monatlich 434,00 EUR aus dem am 06.10.2016 zugeflossenen Betrag von 2.606,00 EUR für die Hausverwaltung für die V. E. berücksichtigt. Insgesamt errechnen sich damit monatlich Einnahmen in Höhe von 3.903,00 EUR (bis 31.12.2016) und 3.913,00 EUR (ab 01.01.2017). Nicht zu beanstanden ist insoweit, dass das SG - wie auch der Antragsgegner - bei der hinsichtlich der Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit vorzunehmenden Einkommensprognose die eigenen Angaben der Antragsteller in der Anlage EKS vom 15.09.2016 (Bl. 783 ff. der Verwaltungsakte) zugrunde gelegt haben. Auch unter Berücksichtigung der Einnahmen in der Zeit von März 2016 bis August 2016, die sich aus der Anlage EKS vom 20.09.2016 (Bl. 809 ff. der Verwaltungsakte) ergeben, ist das für den Folgezeitraum geschätzte Einkommen, das deutlich unter dem in den Vormonaten tatsächlich erzielten liegt, jedenfalls im Rahmen der Prognoseentscheidung nicht als zu niedrig anzusehen.

Damit sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht, weshalb die Beschwerde gegen den Beschluss des SG zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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