L 12 AS 1455/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 3282/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1455/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.03.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.

Die geborene Klägerin lebt zusammen mit ihrem am 10.04.2009 geborenen Sohn in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Klägerin bezog – mit Unterbrechungen – seit 2005 bis September 2015 Leistungen vom Beklagten. Am 13.03.2015 beantragte die Klägerin für sich und den ihren Sohn die Weiterbewilligung von Leistungen.

Mit Bescheid vom 23.04.2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig monatlich 752,68 EUR (Regelbedarf 399,00 EUR, Mehrbedarf für Alleinerziehende 143,64 EUR, Kosten der Unterkunft 200,04 EUR). Dem Sohn der Klägerin bewilligte der Beklagte Kosten der Unterkunft von 103,14 EUR für April 2015 sowie 113,04 EUR für die Monate Mai bis September 2015, dabei wurde ab Mai auf Grund seines Geburtstages höheres Sozialgeld berücksichtigt, in allen Monaten wurde als Einkommen Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR sowie Unterhaltsvorschuss in Höhe von 180,00 EUR angerechnet. Die Kosten der Unterkunft wurden mit 420,08 EUR angesetzt (Miete 269,38 EUR, Heizung 85,00 EUR, Nebenkosten 34,50 EUR, Wasser und Abwasser 31,00 EUR), da die Klägerin den Mieterhöhungsverlangen nicht zugestimmt hatte, wurde die auf 293,00 EUR erhöhte Miete bis auf weiteres nicht berücksichtigt. Die Leistungen wurden vorläufig bewilligt, da die Höhe des Unterhaltes für den Sohn noch nicht endgültig feststehe und außerdem der Mehrbedarf für kostenaufwändigere Ernährung bei Laktoseintoleranz nach Rechtskraft der Entscheidung S 7 AS 2117/13 zu prüfen sein werde. Bezüglich des Mehrbedarfs sei insoweit kein erneuter Widerspruch erforderlich. Die Kosten der Unterkunft würden direkt an den Vermieter überwiesen.

Mit Schreiben vom 29.04.2015 erhob die Klägerin Widerspruch, da der monatliche Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz nicht berücksichtigt worden sei, ebenso nicht berücksichtigt seien die Nebenkosten von monatlich 58,00 EUR die an F. zu zahlen seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Mit Bescheid vom 21.08.2015 wurden die Leistungen für September 2015 dahingehend vorläufig neu festgesetzt, dass für den Sohn ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von 192,00 EUR berücksichtigt wurde, sodass ihm Kosten der Unterkunft in Höhe nur noch von 101,04 EUR gewährt wurden.

Mit E-Mail vom 11.06.2015 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie ab 01.06.2015 eine Arbeitsstelle bei der Firma GmbH aufgenommen habe. Mit Schreiben vom 15.07.2015 forderte der Beklagte die Klägerin auf, bis 01.08.2015 einen Arbeitsvertrag, die Lohnabrechnungen sowie einen Kontoauszug als Nachweis des Gehaltsflusses einzureichen. Da die Klägerin bis zum 06.08.2015 nichts einreichte, wurde sie mit Schreiben vom selben Tag unter Fristsetzung bis 23.08.2015 aufgefordert, die Unterlagen vorzulegen. Da die Klägerin erneut nicht reagierte, wandte sich der Beklagte an den Arbeitgeber der Klägerin sowie mit Schreiben vom 27.08.2015 erneut an die Klägerin. Auch einer weiteren Aufforderung vom 02.10.2015 kam die Klägerin nicht nach.

Auf Grund eines Postrücklaufs und einer daraufhin folgenden EMA-Anfrage erfuhr der Beklagte, dass die Klägerin am 21.09.2015 nach Tübingen verzogen sei.

Am 09.10.2015 ging bei der Agentur für Arbeit Reutlingen eine Arbeitsbescheinigung ein sowie die Lohnabrechnung für September 2015 ein, wonach die Klägerin 1.300,00 EUR brutto verdiente. Ausgezahlt wurden 1.009,54 EUR. Aus der Abrechnung vom 25.09.2015 ergibt sich im September ein Gesamtbrutto von 5.200,00 EUR.

Mit Schreiben vom 21.10.2015 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer Rückforderung an, der hiergegen erhobene Widerspruch wurde als unzulässig verworfen, die Klage abgewiesen. Die gegen die Entscheidung erhobene Berufung wurde mit Urteil vom 24.04.2017 zurückgewiesen (L 12 AS 1275/16)

Mit Bescheid vom 09.11.2015 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen teilweise auf. Von der Klägerin wurden 2.486,64 EUR zurückgefordert, vom Sohn der Klägerin insgesamt 362,89 EUR. Die Klägerin sei zum 21.09.2015 umgezogen, womit die Zuständigkeit des Beklagten nicht mehr gegeben sei. Darüber hinaus sei die Entscheidung wegen der Erzielung von Einkommen aufzuheben, da anrechenbares Einkommen erzielt worden sei. Der Klägerin stünden nach Anrechnung des Einkommens Leistungen für Kosten der Unterkunft in Höhe von 144,48 EUR zu, dem Sohn der Klägerin 2 in Höhe von 21,70 EUR.

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 03.12.2015 Widerspruch. Sie habe vom Beklagten als Leistungen für die Monate Juni bis September 2015 jeweils monatlich nur 464,65 EUR erhalten. Außerdem sei bei der Berechnung beim Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung bei schwerer Laktoseintoleranz nicht berücksichtig worden. Darüber hinaus sei der Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht korrekt berechnet worden. Die Miete betrage 412,50 EUR und die Nebenkosten für Wasser und Abwasser 31,00 EUR, also insgesamt 443,50 EUR. Bei der Einkommensberechnung sei der Freibetrag für Werbungskosten und Versicherungspauschale sowie der zusätzliche Freibetrag in Höhe von 10 % für das minderjährige Kind nicht gewährt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.300,00 EUR bzw. 1.009,54 EUR netto erzielt. Dieses sei ausweislich der Arbeitgeberauskunft jeweils zum Ende des Monats zugeflossen. Durch die Erzielung dieses Einkommens sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Mit Bescheid vom 23.04.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.08.2015 seien der Klägerin und ihrem Sohn für Juni bis August 2015 monatlich insgesamt 865,72 EUR sowie für September 2015 insgesamt 853,72 EUR bewilligt worden. Durch das tatsächlich anzurechnende Arbeitsentgelt verringere sich die Hilfebedürftigkeit. Das anrechenbare Einkommen betrage insgesamt 699,54 EUR, auf die Klägerin entfielen hiervon 608,20 EUR. Ab 21.09.2015 sei der Bewilligungsbescheid ganz aufzuheben, da die Klägerin und ihr Sohn verzogen seien und dies dem Beklagten nicht mitgeteilt hätten.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 28.12.2015, eingegangen am 29.12.2015, Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Sie hätte vom Beklagten nur 464,65 EUR monatlich erhalten. Außerdem sei der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen schwerer Laktoseintoleranz nicht berücksichtigt und die Unterkunftskosten falsch berechnet, die Miete betrage 412,50 EUR, die Nebenkosten für Wasser und Abwasser 31,00 EUR.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16.03.2016, zugestellt am 22.03.2016, abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Ergänzend hat das SG ausgeführt, dass in dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid über einen Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz vom Beklagten nicht entschieden worden sei. Ab 21.09.2015 bestehe auf Grund des Umzugs kein Anspruch mehr.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 18.04.2016, eingegangen am nächsten Tag, Berufung eingelegt. Sie habe vom Beklagten als Leistungen für die Monate Juni bis September 2015 jeweils monatlich nur 464,65 EUR erhalten. Außerdem sei bei der Berechnung beim Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Mehrbedarf für kostenaufwändig Ernährung bei schwerer Laktoseintoleranz nicht berücksichtig worden. Darüber hinaus sei der Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht korrekt berechnet worden. Die Miete betrage 412,50 EUR und die Nebenkosten für Wasser und Abwasser 31,00 EUR, also insgesamt 443,50 EUR. Bei der Einkommensberechnung sei der Freibetrag für Werbungskosten und Versicherungspauschale sowie der zusätzliche Freibetrag in Höhe von 10 % für das minderjährige Kind nicht gewährt worden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.03.2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 09.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die zutreffenden Ausführungen des SG.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, und auch ansonsten zulässig, sie ist jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid des Beklagten vom 09.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat von der Klägerin zu Recht einen Betrag von 2.486,64 EUR zurückgefordert, da die Klägerin ab Juni 2015 Einkommen erzielt hat und ab 21.09.2015 nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Beklagten lebte.

I. Aufhebung und Erstattung für die Monate Juni bis August 2015

Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 48 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ab Änderung der Verhältnisse u.a. aufzuheben, soweit 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid steht nicht entgegen, dass der Beklagte auch berechtigt gewesen wäre, die Leistungen ggfs. endgültig festzusetzen. Eine endgültige Festsetzung der Leistungen war dem Beklagten im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht möglich, da die Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei Laktoseintoleranz besteht, noch nicht abschließend geklärt war. Andererseits war dem Beklagten ein Abwarten dieser Entscheidung auch nicht zumutbar, da die Rückforderungssumme selbst den von der Klägerin geltend gemachten Mehrbedarf von monatlich ca. 120 EUR (vgl. L 12 AS 2413/15) um ein Vielfaches übersteigt. Nach Abschluss des Verfahrens L 12 AS 2413/15 wird der Beklagte jedoch ggfs. eine endgültige Festsetzung vornehmen müssen und dabei auch zu beachten habe, welche Kosten der Unterkunft die Klägerin tatsächlich im streitgegenständlichen Zeitraum gezahlt hat.

Die Klägerin hat auf Grund ihrer Beschäftigung bei der Firma GmbH Einkommen in Höhe von 1.300,00 EUR (brutto) erzielt. Dies entnimmt der Senat der Auskunft sowie der Abrechnung der Firma 4little GmbH, wonach mit der Klägerin ein monatlicher Verdienst von 1.300,00 EUR vereinbart war und sie in den vier Monaten von Juni bis September 2015 insgesamt 5.200,00 EUR verdient hatte. Auf Grund der Vereinbarung einer Zahlung zum Monatsende und der Erstellung der Abrechnung für September bereits am 25.09.2015 sowie mangels anderweitiger Angaben der Klägerin stellt der Senat fest, dass das Einkommen im jeweiligen Monat zugeflossen ist.

Von dem Einkommen sind folgende Beträge abzusetzen: Bruttoeinkommen 1.300,00 EUR Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (§ 11b Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB II) 290,46 EUR Freibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II (da keine Kosten über 100,00 EUR geltend gemacht wurden) 100,00 EUR Freibetrag nach § 11b Abs. 3 Nr. 1 SGB II (20 % des Einkommens zwischen 100 und 1.000 EUR) 180,00 EUR Freibetrag nach § 11b Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Satz 3 SGB II (10% des Einkommens zwischen 1.000 und 1.500 EUR) 30,00 EUR Summe Abzüge 600,46 EUR Anrechenbares Einkommen 699,54 EUR Soweit die Klägerin einen weiteren Freibetrag in Höhe von 10 % geltend macht, da ein minderjähriges Kind in ihrer Bedarfsgemeinschaft lebt, findet dieser keine Stütze im Gesetz. § 11 Abs. 3 Satz 3 sieht lediglich vor, dass anstelle des Betrages von 1.200 EUR für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1.500 EUR tritt, dies hat der Beklagte in seiner Berechnung jedoch bereits berücksichtigt.

Nach § 9 Abs. 3 Satz 2 SGB II gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist, so dass das Einkommen entsprechend dem Anteil am Gesamtbedarf aufzuteilen ist.

Der Klägerin und ihrem Sohn wurden vom Beklagten mit Bescheid vom 23.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2015 in der Fassung des Bescheides vom 21.08.2015 folgende Leistungen vorläufig bewilligt: Juni bis August 2015 Klägerin Sohn Regelbedarf 399,00 EUR 267,00 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende 143,64 EUR Kosten der Unterkunft 210,04 EUR 210,04 EUR Abzug Einkommen 364,00 EUR Summe 752,68 EUR 113,04 EUR Somit betrug der Anteil der Klägerin am Gesamtbedarf ca. 87% (752,68/865,72), so dass sich bei ihr anrechenbares Einkommen in Höhe von monatlich 608,20 EUR (87 % von 699,54 EUR) ergibt, das nach § 50 SGB X von der Klägerin zu erstatten ist.

Die Aufhebung ab Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz Nr. 3 SGB X ist von einem Verschulden der Klägerin unabhängig, sie hängt lediglich davon ab, ob Einkommen erzielt wurde. Der Einwand der Klägerin, sie habe nur 464,65 EUR erhalten, geht insoweit fehl, als er nicht berücksichtigt, dass die Kosten der Unterkunft direkt an den Vermieter überwiesen wurden.

Soweit die Klägerin geltend macht, die Kosten der Unterkunft seien falsch berechnet worden, stellt dies einen Einwand gegen den bestandskräftigen (vorläufigen) Bewilligungsbescheid dar, der im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der Aufhebung geht, nicht beachtlich ist. Der Beklagte wird dies jedoch noch zu ermitteln und bei der endgültigen Festsetzung zu berücksichtigen haben. Gleiches gilt für eine eventuelle Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung bei Laktoseintoleranz.

II. Aufhebung und Erstattung für September

Auch die Aufhebung und Erstattung für September 2015 erweist sich als rechtmäßig. Der Bescheid vom 21.08.2015 ersetzt den ursprünglichen Bewilligungsbescheid, so dass, da die Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt die Beschäftigung bereits aufgenommen war, der Bescheid insoweit von Anfang an rechtswidrig war.

Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist ein von Anfang an rechtwidriger Verwaltungsakt ab Änderung der Verhältnisse zurückzunehmen, wenn sich der Betroffene auf Vertrauen nicht berufen kann. Auf Vertrauen kann sich nicht berufen, wer die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Die Klägerin hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen müssen, dass der Ersetzungsbescheid vom 21.08.2015 rechtswidrig war, da ihr Einkommen nicht angerechnet worden war. Zwar hatte sie die Arbeitsaufnahme mitgeteilt, sie hatte jedoch trotz mehrfacher Aufforderung seitens des Beklagten keine Lohnabrechnungen oder Kontoauszüge vorgelegt, so dass dem Beklagten auf Grund des Verschuldens der Klägerin eine Anrechnung des Einkommens nicht möglich war.

Da sich der Unterhaltsvorschuss für den Sohn der Klägerin geändert hatte, wurden folgende Leistungen bewilligt: Klägerin Sohn Regelbedarf 399,00 EUR 267,00 EUR Mehrbedarf Alleinerziehende 143,64 EUR Kosten der Unterkunft 210,04 EUR 210,04 EUR Abzug Einkommen 376,00 EUR Summe 752,68 EUR 101,04 EUR Somit betrug der Anteil der Klägerin am Gesamtbedarf ca. 88% (752,68/853,72), so dass sich bei ihr anrechenbares Einkommen in Höhe von monatlich 616,75 EUR (88 % von 699,54 EUR) ergibt, das nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 50 SGB X von ihr zu erstatten ist. Da nach § 19 Abs. 3 SGB II das Einkommen zunächst auf die Regelleistungen anzurechnen ist, verbleibt ein Anspruch auf Kosten der Unterkunft in Höhe von 135,93 EUR.

Daneben erfolgte die Aufhebung nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X für die Zeit ab 21.09.2015, da die Klägerin die für ihren Anspruch nachteilige Tatsache des Umzugs nach Tübingen nicht mitgeteilt hat, obwohl sie hierzu verpflichtet war, und ihre Pflicht grob fahrlässig verletzt hat. Darüber hinaus hätte sie auch wissen müssen, dass durch den Umzug keine Kosten der Unterkunft vom Beklagten übernommen werden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).

Die Klägerin hat sich zum 21.09.2015 in Tübingen angemeldet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist ein Umzug erfolgt. Da der Beklagte erst ab diesem Zeitpunkt die Leistungen ganz aufgehoben hat, stellt sich die Frage nicht, wann genau der Umzug erfolgt ist. Die Klägerin war zur Mitteilung des Umzugs verpflichtet, da nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen sind. Der Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers stellt für die Kosten der Unterkunft – anders als für die Regeleistung – eine entscheidungserhebliche Tatsache dar, da Kosten der Unterkunft nur für die tatsächlich genutzte Wohnung gewährt werden (Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.04.2011 – L 7 AS 264/11 B ER –, juris; Luik in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 22 Rn. 44).

Die Klägerin handelte auch grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist in Bezug auf die Unterlassung der Mitteilung der Veränderung dann der Fall, wenn der Betroffene hier einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem einleuchten muss. Es ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falls abzustellen (Brandenburg, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 48 SGB X, Rn. 118). Bereits aus dem Merkblatt SGB II ergibt sich, dass eine Änderung der Anschrift unverzüglich mitzuteilen ist. Die Klägerin wurde außerdem im Bescheid vom 23.04.2015 auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen. Zwar wird der Umzug nicht explizit genannt, jedoch wird bei den aufgeführten Beispielen der Aus- und Zuzug einer Person erwähnt. Hieraus lässt sich – auch für die Klägerin – unschwer erkennen, dass sie einen Umzug (zumal in den Bereich eines anderen Trägers) mitteilen muss. Allein dass sie, wie sie angibt, angenommen hat, die Bewilligung ende ohnehin zum 30.09.2015, ändert hieran nichts, sondern legt vielmehr nahe, dass die Klägerin wusste, dass solche Änderungen grundsätzlich mitzuteilen sind. Aus den o.g. Gründen hätte die Klägerin auch wissen können, dass ein Anspruch auf Kosten der Unterkunft für eine nicht genutzte Wohnung nicht besteht (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Folglich hat die Klägerin auch die Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 21.-30.09.2015 in Höhe von 45,32 EUR (10/30 von 135,93 EUR) zu erstatten.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved