Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 2662/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4318/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.10.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für ein elektrisches Rutschbrett (Pkw Ein- und Ausstiegshilfe für Rollstuhlfahrer) iHv 3.040,45 EUR.
Der 1936 geborene Kläger ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Er leidet an einer Post-Polio-Parese und Polyarthrose mit progredienter Mobilitätseinschränkung. Seit 1998 ist er Rollstuhlfahrer. Es besteht Pflegestufe II (jetzt Pflegegrad 2) und ein Grad der Behinderung von 100 mit Merkzeichen G, aG und H ist anerkannt.
Am 05.05.2015 beantragte der Kläger eine elektrische Pkw-Einstiegshilfe und legte hierzu einen Kostenvoranschlag der Firma R. Technik GmbH vom 06.10.2014 über 3.040,45 EUR Gesamtkosten vor. Mit Bescheid vom 07.05.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es handele sich bei diesem Hilfsmittel nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Des Weiteren dürften Hilfsmittel nur übernommen werden, wenn eine Verordnung vorliege.
Mit seinem Widerspruch vom 28.05.2015 legte der Kläger eine ärztliche Verordnung für ein elektrisches Rutschbrett vom 26.05.2015 vor. Die Beklagte holte ein Gutachten beim medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Dr. H. führte unter dem 03.07.2015 aus, ein elektrisches Rutschbrett würde dem Kläger das Ein- und Aussteigen stark erleichtern, später vielleicht sogar überhaupt noch ermöglichen. Autofahren sei allerdings kein anerkanntes Grundbedürfnis. Demzufolge falle die behindertengerechte Pkw-Zurüstung nicht in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. In Betracht komme hier nur die Gewährung eines Hilfsmittels zum Ausgleich einer Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Hierzu gehöre auch die Erschließung des Nahbereichs. Damit werde die Entfernung bezeichnet, die ein Gesunder zu Fuß zurücklege. Bei behinderten Menschen werde dieser Nahbereich idR durch einen handbetriebenen oder Elektrorollstuhl erschlossen. Die konkreten Wohn- und Lebensverhältnisse seien dabei nicht maßgeblich.
Hiergegen richtet sich die am 02.10.2015 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage. Zur Erschließung des Nahbereichs als Grundbedürfnis des täglichen Lebens gehöre auch das Bedürfnis, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe nicht entgegen, weil es in den Entscheidungen vom 06.08.1998 (SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 171) und 26.03.2003 (BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 17) nur darum gegangenen sei, mit dem Hilfsmittel größere Strecken als allein mittels Rollstuhl zurückzulegen und damit den eigenen Aktionsradius zu erweitern. Hier stehe im Vordergrund das Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten. Der Kläger müsse zur Physiotherapie in verschiedene Stadtgebiete von Friedrichshafen fahren. Mit dem Rollstuhl sei diese Entfernung von ca 5 km nicht zumutbar. Ergänzend hat der Kläger nach erfolgtem Einbau die Rechnung vom 21.07.2015 über 3.040,45 EUR vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Entscheidung des BSG vom 25.02.2015 (B 3 KR 13/13 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 44 – zu Autoschwenksitz) Bezug genommen. Danach komme es bei der Bestimmung des Nahbereichs nicht auf die konkreten Verhältnisse an.
Das SG hat den Rechtsstreit am 06.04.2016 mit den Beteiligten erörtert und sodann mit Gerichtsbescheid vom 12.10.2016 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor, da die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung des elektrischen Rutschbrettes nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Ein solcher Anspruch wäre nur unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs einer Behinderung denkbar. Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs bestehe ein Anspruch darauf, dass die direkten oder indirekten Folgen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder gemildert würden, soweit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei. Hierzu gehöre die Fähigkeit zum Tätigen der Geschäfte des täglichen Bedarfs, wobei der Freiraum iSd Mobilität regelmäßig nur den Nahbereich umfasse. Es gelte ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab. Die Benutzung eines Pkw, um einen über den Nahbereich hinausreichenden Radius zu erschließen, gehöre grundsätzlich nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens iSv § 33 SGB V (unter Hinweis auf BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R und 19.04.2007, B 3 KR 9/06 R). Der Kläger könne den Nahbereich mit dem vorhandenen Rollstuhl erschließen, das elektrische Rutschbrett sei hierfür nicht erforderlich. Es bestehe auch kein Anspruch nach § 13 Abs 3a SGB V, da die Dreiwochen-Frist nach Satz 1 der Vorschrift eingehalten sei. Bezüglich eines möglichen Anspruchs gegen den Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe habe der Kläger mitgeteilt, dass Bedürftigkeit im Sozialhilfebereich bei ihm nicht vorliege. Eine Beiladung des Sozialhilfeträgers erübrige sich damit.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 25.10.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22.11.2016 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.10.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für ein elektrisches Rutschbrett iHv 3.040,45 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegt sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Der angefochtene Bescheid vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das zwischenzeitlich angeschaffte elektrische Rutschbrett.
Die Beiladung weiterer Leistungsträger nach § 75 Abs 2 SGG ist nicht geboten, da Leistungsansprüche außerhalb des Bereichs der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit nicht in Betracht kommen. Als erstangegangener Rehabilitationsträger ist die Beklagte nach § 14 Abs 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zur Leistungsgewährung auch unter den Voraussetzungen der Leistungen zur Teilhabe nach anderen Leistungsgesetzen zuständig, denn sie hat den Antrag vom 05.05.2015 auf Rehabilitationsleistungen nicht innerhalb der Fristen des § 14 SGB IX weitergeleitet. Die entsprechenden Leistungsvoraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt. Als Bezieher einer Altersrente ist der Kläger von Teilhabeleistungen der Rentenversicherung nach § 12 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch von vornherein ausgeschlossen (zu diesem Gesichtspunkt BSG 22.03.2012, B 8 SO 30/10 R, BSGE 110, 301). Nach den Vorschriften über die Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch besteht schon deshalb kein Anspruch, weil der Kläger nach eigenem Vorbringen nicht hilfebedürftig für die grundsätzlich einkommens- und vermögensabhängigen Sozialhilfeleistungen ist.
Auch ein von der Beklagten nach § 40 Abs 5 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zu prüfender Anspruch gegen die Pflegeversicherung kommt nicht in Betracht. Als Pflegehilfsmittel iSv § 40 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB XI als Mobilitätshilfe zum Aufsuchen einer Arzt- oder Physiotherapeutenpraxis ist das elektrische Rutschbrett nicht erforderlich, weil für die ggf nötigen Fahrten nach Maßgabe des § 60 SGB V die Krankenkasse zuständig ist (vgl BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 44, RdNr 44). Auch die Voraussetzungen der insoweit allein noch in Betracht kommenden dritten Alternative des § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI, die Ermöglichung einer selbstständigeren Lebensführung des Pflegebedürftigen, greift nicht, da dieser Bereich eingegrenzt ist auf jene Verrichtungen, die dem Leben im häuslichen Bereich zugeordnet sind und im weiteren Sinne der Aufrechterhaltung der Fähigkeit dienen, möglichst lange in der eigenen Wohnung zu verbleiben. Zu diesem Bereich der Lebensführung zählt nicht das Autofahren selbst und auch nicht die Erreichbarkeit von Zielen und Personen mit einem Pkw zu Zwecken, die nicht zum Zuständigkeitsbereich der sozialen Pflegeversicherung gehören, sondern in den Zuständigkeitsbereich anderer Leistungsträger fallen (BSG 25.02.2015, aaO RdNr 47).
Auch nach den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts besteht kein Anspruch des Klägers. Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte. Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Fall der Unaufschiebbarkeit liegt ersichtlich nicht vor. Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12).
Der Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V ist zudem nur gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, Breithaupt 2010, 914 mwN). Der Versicherte darf sich insbesondere nicht – unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt – von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt haben (BSG 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R, juris). Der Beschaffungsweg ist vorliegend eingehalten, denn der Kläger hat sich erst nach Ablehnung seines Antrags am 21.07.2015 das Rutschbrett einbauen lassen.
Er hat jedoch keinen Anspruch, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung die Zurüstung seines Pkw mit einem elektrischen Rutschbrett zu erhalten.
Versicherte haben nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V (hier in der zum Zeitpunkt der Leistungsverschaffung geltenden Fassung des Art 3 Nr 8 Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz vom 23.10.2012, BGBl I 2246, im Folgenden §§ 33 SGB V aF) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
In Betracht kommt hier allein der Behinderungsausgleich nach § 33 Abs 1 Satz 1, 3. Variante SGB V. In dem von der gesetzlichen Krankenversicherung abzudeckenden Bereich der medizinischen Rehabilitation ist das elektrische Rutschbrett nicht erforderlich. Die mit dem Leistungsbegehren des Klägers verfolgten Zwecke reichen über die Versorgungsziele hinaus, für die die Krankenkassen im Bereich der Mobilitätshilfen aufzukommen haben.
Zur Frage der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleich iS des § 33 Abs 1 S 1 3. Variante SGB V wird vom BSG, dem der Senat sich anschließt, stets unterschieden zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar zum Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst eingesetzt wird, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird (vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl)).
Im Ausgangspunkt bemisst sich die Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung im Bereich des Behinderungsausgleichs gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob eine Leistung zum unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird. Im Vordergrund steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es zB bei Prothesen der Fall ist. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 RdNr 4 (C-Leg II)).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die gesetzliche Krankenversicherung nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl zB § 5 Nr 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN; BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R, aaO).
Als solches allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in Bezug auf die Mobilität nur die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung eines Versicherten anerkannt, nicht aber das darüber hinausreichende Interesse an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit zu gewährleistenden Basisausgleich ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31 und 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1). Dazu haben die Krankenkassen die Versicherten so auszustatten, dass sie sich nach Möglichkeit in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 (Rollstuhl-Bike II)). Dagegen können die Versicherten - von besonderen zusätzlichen qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich nicht beanspruchen, den Radius der selbstständigen Fortbewegung in Kombination von Auto und Rollstuhl (erheblich) zu erweitern, auch wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers möglicherweise übersteigen (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN).
Das SG hat insoweit zutreffend und unter Heranziehung des maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, dass ein elektrisches Rutschbrett zur Erschließung des Nahbereichs für den Kläger nicht erforderlich ist. Auch bezüglich des Bedürfnisses, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, ist auf den Nahbereich abzustellen, denn die Krankenkasse hat nicht für individuelle Besonderheiten der Wohnsituation einzustehen (BSG 20.11.2008, B 3 KR 6/08 R; BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R, aaO). Eine Ausnahmekonstellation, bei welcher der Besuch von Ärzten erst durch die Benutzung eines Pkw ermöglicht würde (vgl BSG 16.09.2004, B 3 KR 19/03 R – zu einer Wachkomapatientin), liegt hier nicht vor. Der Senat weist die Berufung insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen unter Bezugnahme auf die zutreffenden und überzeugenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück (§ 153 Abs 2 SGG). Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte für den Transport zu Ärzten und Therapeuten unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm den Krankentransportrichtlinien sachleistungspflichtig wäre; der Kläger besitzt einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen aG und H und ist zudem in Pflegestufe II bzw Pflegegrad 2 eingestuft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für ein elektrisches Rutschbrett (Pkw Ein- und Ausstiegshilfe für Rollstuhlfahrer) iHv 3.040,45 EUR.
Der 1936 geborene Kläger ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Er leidet an einer Post-Polio-Parese und Polyarthrose mit progredienter Mobilitätseinschränkung. Seit 1998 ist er Rollstuhlfahrer. Es besteht Pflegestufe II (jetzt Pflegegrad 2) und ein Grad der Behinderung von 100 mit Merkzeichen G, aG und H ist anerkannt.
Am 05.05.2015 beantragte der Kläger eine elektrische Pkw-Einstiegshilfe und legte hierzu einen Kostenvoranschlag der Firma R. Technik GmbH vom 06.10.2014 über 3.040,45 EUR Gesamtkosten vor. Mit Bescheid vom 07.05.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es handele sich bei diesem Hilfsmittel nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Des Weiteren dürften Hilfsmittel nur übernommen werden, wenn eine Verordnung vorliege.
Mit seinem Widerspruch vom 28.05.2015 legte der Kläger eine ärztliche Verordnung für ein elektrisches Rutschbrett vom 26.05.2015 vor. Die Beklagte holte ein Gutachten beim medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Dr. H. führte unter dem 03.07.2015 aus, ein elektrisches Rutschbrett würde dem Kläger das Ein- und Aussteigen stark erleichtern, später vielleicht sogar überhaupt noch ermöglichen. Autofahren sei allerdings kein anerkanntes Grundbedürfnis. Demzufolge falle die behindertengerechte Pkw-Zurüstung nicht in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. In Betracht komme hier nur die Gewährung eines Hilfsmittels zum Ausgleich einer Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Hierzu gehöre auch die Erschließung des Nahbereichs. Damit werde die Entfernung bezeichnet, die ein Gesunder zu Fuß zurücklege. Bei behinderten Menschen werde dieser Nahbereich idR durch einen handbetriebenen oder Elektrorollstuhl erschlossen. Die konkreten Wohn- und Lebensverhältnisse seien dabei nicht maßgeblich.
Hiergegen richtet sich die am 02.10.2015 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage. Zur Erschließung des Nahbereichs als Grundbedürfnis des täglichen Lebens gehöre auch das Bedürfnis, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe nicht entgegen, weil es in den Entscheidungen vom 06.08.1998 (SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 171) und 26.03.2003 (BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 17) nur darum gegangenen sei, mit dem Hilfsmittel größere Strecken als allein mittels Rollstuhl zurückzulegen und damit den eigenen Aktionsradius zu erweitern. Hier stehe im Vordergrund das Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten. Der Kläger müsse zur Physiotherapie in verschiedene Stadtgebiete von Friedrichshafen fahren. Mit dem Rollstuhl sei diese Entfernung von ca 5 km nicht zumutbar. Ergänzend hat der Kläger nach erfolgtem Einbau die Rechnung vom 21.07.2015 über 3.040,45 EUR vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Entscheidung des BSG vom 25.02.2015 (B 3 KR 13/13 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 44 – zu Autoschwenksitz) Bezug genommen. Danach komme es bei der Bestimmung des Nahbereichs nicht auf die konkreten Verhältnisse an.
Das SG hat den Rechtsstreit am 06.04.2016 mit den Beteiligten erörtert und sodann mit Gerichtsbescheid vom 12.10.2016 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor, da die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung des elektrischen Rutschbrettes nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Ein solcher Anspruch wäre nur unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs einer Behinderung denkbar. Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs bestehe ein Anspruch darauf, dass die direkten oder indirekten Folgen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder gemildert würden, soweit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei. Hierzu gehöre die Fähigkeit zum Tätigen der Geschäfte des täglichen Bedarfs, wobei der Freiraum iSd Mobilität regelmäßig nur den Nahbereich umfasse. Es gelte ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab. Die Benutzung eines Pkw, um einen über den Nahbereich hinausreichenden Radius zu erschließen, gehöre grundsätzlich nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens iSv § 33 SGB V (unter Hinweis auf BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R und 19.04.2007, B 3 KR 9/06 R). Der Kläger könne den Nahbereich mit dem vorhandenen Rollstuhl erschließen, das elektrische Rutschbrett sei hierfür nicht erforderlich. Es bestehe auch kein Anspruch nach § 13 Abs 3a SGB V, da die Dreiwochen-Frist nach Satz 1 der Vorschrift eingehalten sei. Bezüglich eines möglichen Anspruchs gegen den Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe habe der Kläger mitgeteilt, dass Bedürftigkeit im Sozialhilfebereich bei ihm nicht vorliege. Eine Beiladung des Sozialhilfeträgers erübrige sich damit.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 25.10.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22.11.2016 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.10.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für ein elektrisches Rutschbrett iHv 3.040,45 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegt sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Der angefochtene Bescheid vom 07.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das zwischenzeitlich angeschaffte elektrische Rutschbrett.
Die Beiladung weiterer Leistungsträger nach § 75 Abs 2 SGG ist nicht geboten, da Leistungsansprüche außerhalb des Bereichs der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit nicht in Betracht kommen. Als erstangegangener Rehabilitationsträger ist die Beklagte nach § 14 Abs 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zur Leistungsgewährung auch unter den Voraussetzungen der Leistungen zur Teilhabe nach anderen Leistungsgesetzen zuständig, denn sie hat den Antrag vom 05.05.2015 auf Rehabilitationsleistungen nicht innerhalb der Fristen des § 14 SGB IX weitergeleitet. Die entsprechenden Leistungsvoraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt. Als Bezieher einer Altersrente ist der Kläger von Teilhabeleistungen der Rentenversicherung nach § 12 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch von vornherein ausgeschlossen (zu diesem Gesichtspunkt BSG 22.03.2012, B 8 SO 30/10 R, BSGE 110, 301). Nach den Vorschriften über die Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch besteht schon deshalb kein Anspruch, weil der Kläger nach eigenem Vorbringen nicht hilfebedürftig für die grundsätzlich einkommens- und vermögensabhängigen Sozialhilfeleistungen ist.
Auch ein von der Beklagten nach § 40 Abs 5 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zu prüfender Anspruch gegen die Pflegeversicherung kommt nicht in Betracht. Als Pflegehilfsmittel iSv § 40 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB XI als Mobilitätshilfe zum Aufsuchen einer Arzt- oder Physiotherapeutenpraxis ist das elektrische Rutschbrett nicht erforderlich, weil für die ggf nötigen Fahrten nach Maßgabe des § 60 SGB V die Krankenkasse zuständig ist (vgl BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 44, RdNr 44). Auch die Voraussetzungen der insoweit allein noch in Betracht kommenden dritten Alternative des § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI, die Ermöglichung einer selbstständigeren Lebensführung des Pflegebedürftigen, greift nicht, da dieser Bereich eingegrenzt ist auf jene Verrichtungen, die dem Leben im häuslichen Bereich zugeordnet sind und im weiteren Sinne der Aufrechterhaltung der Fähigkeit dienen, möglichst lange in der eigenen Wohnung zu verbleiben. Zu diesem Bereich der Lebensführung zählt nicht das Autofahren selbst und auch nicht die Erreichbarkeit von Zielen und Personen mit einem Pkw zu Zwecken, die nicht zum Zuständigkeitsbereich der sozialen Pflegeversicherung gehören, sondern in den Zuständigkeitsbereich anderer Leistungsträger fallen (BSG 25.02.2015, aaO RdNr 47).
Auch nach den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts besteht kein Anspruch des Klägers. Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte. Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Fall der Unaufschiebbarkeit liegt ersichtlich nicht vor. Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12).
Der Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V ist zudem nur gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, Breithaupt 2010, 914 mwN). Der Versicherte darf sich insbesondere nicht – unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt – von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt haben (BSG 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R, juris). Der Beschaffungsweg ist vorliegend eingehalten, denn der Kläger hat sich erst nach Ablehnung seines Antrags am 21.07.2015 das Rutschbrett einbauen lassen.
Er hat jedoch keinen Anspruch, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung die Zurüstung seines Pkw mit einem elektrischen Rutschbrett zu erhalten.
Versicherte haben nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V (hier in der zum Zeitpunkt der Leistungsverschaffung geltenden Fassung des Art 3 Nr 8 Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz vom 23.10.2012, BGBl I 2246, im Folgenden §§ 33 SGB V aF) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
In Betracht kommt hier allein der Behinderungsausgleich nach § 33 Abs 1 Satz 1, 3. Variante SGB V. In dem von der gesetzlichen Krankenversicherung abzudeckenden Bereich der medizinischen Rehabilitation ist das elektrische Rutschbrett nicht erforderlich. Die mit dem Leistungsbegehren des Klägers verfolgten Zwecke reichen über die Versorgungsziele hinaus, für die die Krankenkassen im Bereich der Mobilitätshilfen aufzukommen haben.
Zur Frage der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleich iS des § 33 Abs 1 S 1 3. Variante SGB V wird vom BSG, dem der Senat sich anschließt, stets unterschieden zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar zum Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst eingesetzt wird, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird (vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl)).
Im Ausgangspunkt bemisst sich die Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung im Bereich des Behinderungsausgleichs gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob eine Leistung zum unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird. Im Vordergrund steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es zB bei Prothesen der Fall ist. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 RdNr 4 (C-Leg II)).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die gesetzliche Krankenversicherung nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl zB § 5 Nr 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN; BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R, aaO).
Als solches allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in Bezug auf die Mobilität nur die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung eines Versicherten anerkannt, nicht aber das darüber hinausreichende Interesse an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit zu gewährleistenden Basisausgleich ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31 und 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1). Dazu haben die Krankenkassen die Versicherten so auszustatten, dass sie sich nach Möglichkeit in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 (Rollstuhl-Bike II)). Dagegen können die Versicherten - von besonderen zusätzlichen qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich nicht beanspruchen, den Radius der selbstständigen Fortbewegung in Kombination von Auto und Rollstuhl (erheblich) zu erweitern, auch wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers möglicherweise übersteigen (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN).
Das SG hat insoweit zutreffend und unter Heranziehung des maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, dass ein elektrisches Rutschbrett zur Erschließung des Nahbereichs für den Kläger nicht erforderlich ist. Auch bezüglich des Bedürfnisses, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, ist auf den Nahbereich abzustellen, denn die Krankenkasse hat nicht für individuelle Besonderheiten der Wohnsituation einzustehen (BSG 20.11.2008, B 3 KR 6/08 R; BSG 25.02.2015, B 3 KR 13/13 R, aaO). Eine Ausnahmekonstellation, bei welcher der Besuch von Ärzten erst durch die Benutzung eines Pkw ermöglicht würde (vgl BSG 16.09.2004, B 3 KR 19/03 R – zu einer Wachkomapatientin), liegt hier nicht vor. Der Senat weist die Berufung insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen unter Bezugnahme auf die zutreffenden und überzeugenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück (§ 153 Abs 2 SGG). Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte für den Transport zu Ärzten und Therapeuten unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm den Krankentransportrichtlinien sachleistungspflichtig wäre; der Kläger besitzt einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen aG und H und ist zudem in Pflegestufe II bzw Pflegegrad 2 eingestuft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved