S 17 R 87/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 87/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 309/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für einen Anspruch auf Teilhabeleistung zum Arbeitsleben einer Kreditsachbearbeiterin, welche geltend macht, aufgrund einer Tonerstauballergie keine Büroarbeiten verrichten zu können, muss sowohl eine tatsächliche Gefährdung durch Tonerstaub am Arbeitsplatz objektiv erweislich sein, als auch eine erfolgversprechende Teilhabeleistung ersichtlich sein.
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 15. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig ist die Gewährung von Teilhabeleistungen zum Arbeitsleben, § 16 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in Verbindung mit §§ 33 - 38 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX). Die am 1970 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Bankkauffrau absolviert und war zuletzt als Kreditsachbearbeiterin einer Bank tätig. Nach längerer Arbeitsunfähigkeit aufgrund von unterschiedlichen Beschwerden wie Erschöpfung und Schwindel sowie Schleimhautreizungen, aber auch generalisierten Schmerz der Muskulatur und der Wirbelsäule stellte die Klägerin bei der Bundesagentur für Arbeit am 30.12.2011 Antrag auf Teilhabeleistungen zum Arbeitsleben. Geltend gemacht wurde dabei eine Unverträglichkeit gegenüber Tonerstaub aus Laserdruckern, welche die Beschwerden hervorrufe. Hinzu komme eine Fibromyalgie, die sich nicht mit einer überwiegend sitzenden Tätigkeit vereinbaren lasse. Die Bundesagentur für Arbeit betrachtete sich als nicht zuständig im Sinne des § 14 SGB IX und leitete den Antrag an die Beklagte weiter. Diese zog die Befund- und Behandlungsberichte der Orthopädin und Rheumatologin Dr. N. , des Dr. M. und Umweltmediziners Dr. F. bei, außerdem eine sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. E., Ärztlicher Dienst der Bundesagentur für Arbeit. Mit Bescheid vom 15.02.2012 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab, weil weder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit als Bankkauffrau noch eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ersichtlich sei. Hiergegen erhob der damalige Bevollmächtigte der Klägerin am 24.02.2012 Widerspruch. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Klägerin in Räumen mit Luftbelastung durch Toner nicht mehr wettbewerbsfähig arbeiten könne. Sie sei nach langer Krankheit im August 2011 nun ausgesteuert und strebe eine Umschulung, beispielsweise zur Ergotherapeutin an. Die Beklagte zog daraufhin den Arztbrief des Lungenarztes Dr. S. vom 05.03.2012 bei. Darin beschrieb Dr. S. eine geringe obstruktive Ventilationsstörung bei schwerer bronchialer Überreagibilität und diagnostizierte ein Asthma bronchiale überwiegend intrinsischer Genese. Dr. M. berichtete über beklagte Beschwerden wie Müdigkeit, Schwindel, Husten, Hautausschläge, Konzentrationsstörungen und Gelenk- und Gliederschmerzen. Die Beschwerden hätten sich kurzfristig gebessert, als die Klägerin vom Arbeitsplatz fernblieb. Eine Druckertonersensibilisierung stehe nach der durchgeführten Labordiagnostik fest. Der Orthopäde Dr. P. berichtete am 27.02.2012 und 16.07.2012 bei diffusem Beschwerdebild über eine Zervikobrachialgie bei Fehlstellung mit Blockierung C3 auf C4 links und einem anamnestischen Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom. Zudem habe die Klägerin seit längerem Kiefergelenksstörungen bei nächtlichem Knirschen, sie trage seit 10 Jahren eine Aufbissschiene. Weiterhin zog die Beklagte die Unterlagen der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) über das durchgeführte Verfahren wegen angezeigtem Verdacht auf eine Berufskrankheit nach BK-Nummer 4302 bei. Demnach hatte die VBG mit Bescheid vom 04.11.2010 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Einholung einer arbeitsmedizinischen Stellungnahme des Dr. P. abgelehnt, da die Tatbestandsvoraussetzungen der Berufskrankheit nicht erfüllt seien und zudem der Tonerstaub von Laserdruckern und anderen Drucken und Kopierern generell nicht in der Lage sei, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen. Nachfolgend führte die Beklagte vom 12.06.2013 bis 17.07.2013 eine medizinische Heilbehandlung der Klägerin in der Klinik S. durch. Hier diagnostizierte die Reha-Klinik ein vorwiegend intrinsisches Asthma bronchiale mit teilweiser exogener Induktion, eine Zervikobrachialgie und eine Idiosynkrasie mit grippeartigen Symptomen. Dabei wurde im Bericht einerseits ausgeführt, dass Unverträglichkeitsreaktionen bei der Klägerin auch dann nicht zu beobachten gewesen seien, wenn diese sich in mit Druckern ausgestatteten Räumen aufhielt und kein objektiver Nachweis für die Genese der Beschwerden durch Tonerstäube vorliege, dass andererseits aber auch eine Psychogenese der Beschwerden auszuschließen sei. Die Beklagte zog noch die aktualisierten Befunde des Dr. S. vom 05.09.2013 und vom 24.11.2013 bei, in welchem dieser unter regelmäßiger Inhalationstherapie eine deutliche Besserung der Hyperreagibilität feststellte bei fortbestehender leichter Obstruktion. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin könne ihre Tätigkeit als Bankkauffrau weiterhin ohne erhebliche Gefährdung oder Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit ausüben. Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 30.01.2014 Klage, welche er am 09.05.2014 begründete. Die Klägerin könne aufgrund der bewiesenen Überempfindlichkeitsreaktion gegen Laserdrucker ihre Tätigkeit nicht mehr fortführen. Es würden daher weiterhin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt. Das Gericht zog Befundberichte des Dr. S. vom 04.06.2014 bei, außerdem den Arztbrief des Dr. L. vom 06.06.2014 mit Diagnose einer generalisierten Fibromyalgie, chronisches Schmerzsyndrom. Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung sei auszuschließen. Das Gericht beauftragte daraufhin den Internisten, Lungenarzt und Allergologen Dr. C. mit der Erstellung des Gutachtens vom 18.08.2014. Dr. C. kam darin zu dem Ergebnis, dass eine objektive Gefährdung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der bestehenden Befunde bei Diagnose eines gemischtförmigen Asthma bronchiale nicht bestehe. Die Allergietestung habe lediglich den Verdacht auf eine Pollenallergie und Schimmelpilzallergie ergeben. Der Klägerin sei die Tätigkeit einer Bankkauffrau/Kreditsachbearbeiterin auch unter Berücksichtigung der geklagten multiplen Muskelschmerzen weiterhin zumutbar. Somit seien auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne eines Arbeitsplatzwechsels, einer beruflichen Weiterbildung oder Umschulung nicht erforderlich. Bei unbestreitbarem subjektivem Leidensdruck bestehe der hochgradige Verdacht auf eine psychosomatische Erkrankung, auch wenn diese Folgerung nicht mit den Feststellungen der Reha-Klinik übereinstimme. Mit Schriftsatz vom 19.11.2014 nahm die Beklagte dahingehend Stellung, dass die Notwendigkeit von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nur auf objektiv bestehende Gefährdungen, nicht aber auf die subjektive Vorstellung einer Gefährdung durch den Betroffenen gestützt werden könne. Die Klägerseite zweifelte die Richtigkeit der gutachterlichen Schlussfolgerungen des Dr. C. an. Eine weitere Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet sei aber auch aus klägerischer Sicht nicht veranlasst. In der mündlichen Verhandlung beantragte der Klägerbevollmächtigte sinngemäß, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 zu verurteilen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragte die Abweisung der Klage.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VI erbringt die Beklagte unter anderem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu den in § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI genannten Zwecken, wenn die persönlichen (§ 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen (§ 11 SGB VI) Voraussetzungen dafür erfüllt sind und kein Ausschlussgrund nach § 12 SGB VI vorliegt. Dann werden die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 33 bis 38 SGB IX gewährt (§ 16 SGB VI), wobei der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).

Die Klägerin erfüllt die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI für einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegen die Beklagte nicht, da eine Minderung oder Gefährdung ihrer Erwerbsfähigkeit als Kreditsachbearbeiterin/Bankkauf-frau nicht erweislich ist.

Das Gericht stützt sich dabei insbesondere auf die gutachterlichen Ausführungen des Dr. C. wie auch die Befundberichte des behandelnden Lungenarztes Dr. S. sowie auf die arbeitsmedizinische Stellungnahme des Dr. P. vom 06.07.2010.

Dabei hat Dr. C. ausgeführt, dass nach dem Stand der Wissenschaft zwar gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Tonerstaub nicht ausgeschlossen sind, allerdings die Frage der für eine Beeinträchtigung erforderlichen graduellen Exposition derzeit nicht abschließend beantwortet werden kann.

Das von der Klägerin beklagte Beschwerdebild mit allgemeinen Erschöpfungszuständen, unspezifischen Beschwerden auch anderer Organe wie Harnblase und Verdauungsorgane sowie die polymuskulären Beschwerden weicht nach den Ausführungen des Dr. C. aber deutlich von dem wissenschaftlich gegebenenfalls begründbaren Beschwerdebild einer durch inhalierbare Allergene hervorgerufenen Atemwegserkrankung ab.

Dr. C. schließt angesichts des weit generalisierten unspezifischen generellen Beschwerdebildes der Klägerin schlüssig darauf, dass diese ubiquitären Beschwerden auch unter Annahme einer arbeitsmedizinisch potenziell schädigenden Exposition nicht durch Tonerstaub verursacht sein können.

Diese Schlussfolgerung ist für das Gericht gut nachvollziehbar, nachdem das Beschwerdebild bei der Klägerin nicht auf einen irritativ-toxischen Einfluss durch Inhalation schließen lässt, sondern breit angelegt mit Beschwerdebildern vergleichbar ist, welche zwar als Chronic-fatigue-Syndrom, MCS-Syndrom, Fibromyalgiesyndrom, Sick-Buildung-Syndrom bezeichnet werden, die aber im überwiegenden Teil der medizinischen Wissenschaft allesamt auf somatoforme, psychogene Ursachen zurückgeführt werden.

Auch nach anderen Studien über die Innenraumbelastung durch Laserdrucker und Fotokopiergeräte wird bei entsprechend hoher Exposition arbeitsmedizinisch zwar nicht das Auftreten von leichteren Gesundheitsstörungen wie Irritationen der Atemwege und Schleimhäute oder allergene Wirkungen ausgeschlossen, jedoch die Genese schwerwiegender Lungenerkrankungen ausgeschlossen (vgl. Siegmann und Jansing, Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Universitätsklinik Düsseldorf, Prakt. Arbeitsmedizin 2005, Seite 6 f.).

Arbeitsmedizinisch wurde die Exposition der Klägerin als Kreditsachbearbeiterin auch seitens des Präventionsdienstes der VBG beurteilt; eine potentielle Gefährdung wurde angesichts der zu erwartenden Exposition als ausgeschlossen erachtet.

Schwer vorstellbar erscheint bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung eine toxische Genese der beklagten Beschwerden, wenn die Klägerin geltend macht, diese würden auch dann auftreten, wenn kein Drucker mehr im Raum stünde, sondern einige Räume weiter betrieben wird.

Soweit die Allgemein- bzw. Umweltärzte Dr. M. und Dr. F. von einem Zusammenhang der Beschwerden mit Tonerstaubkontakt ausgehen, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass es sich bei dem durchgeführten labortechnischen Verfahren der Firma Immumed um ein wissenschaftlich anerkanntes Testverfahren zum Nachweis einer Allergie auf Tonerstaub handelt.

Soweit die Reha-Klinik S. ausgeführt hat, dass sie keine Hinweise für eine Psychogenese der Beschwerden feststellen konnte, M. dem entgegengehalten werden, dass die Klinik bei dem mehrwöchigen Aufenthalt umgekehrt auch keinerlei objektivierbare Hinweise auf tonerstaubinduzierte Beschwerden feststellen konnte und insbesondere Beschwerden auch dann nicht aufgetreten sind, als sich die Klägerin im Rahmen der Reha-Behandlung in Räumen mit Druckern aufhielt.

Auch sprechen für eine Psychogenese der Beschwerden neben den beklagten, organisch nicht begründbaren multimuskulären Beschwerden zumindest Anzeichen einer vorberuflich bestehenden Belastungssituation, nachdem die Klägerin unter Kiefergelenksschmerzen bei langjährigem nächtlichem Aufbiss leidet.

Weitere objektivierbare Gesundheitsstörungen, die einer Tätigkeit als Kreditsachbearbeiterin, welche überwiegend im Sitzen erfolgt, aber gelegentliches Gehen und Stehen ermöglicht, entgegenstehen, sind für das Gericht nicht ersichtlich geworden.

Eine psychogene Genese ihrer Beschwerden wird von der Klägerin abgelehnt, so dass in dieser Richtung auch keine weitere ärztliche Begutachtung mehr veranlasst wurde.

Hinweise auf einen gravierend gestörten psychischen Befund, welcher einer Tätigkeit als Kreditsachbearbeiterin entgegenstehen könnte, werden weder von den behandelnden Ärzten beschrieben, noch waren sie für das Gericht in der mündliche Verhandlung erkennbar.

Eine tatsächlich bestehende Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin in ihrer Tätigkeit als Bankkauffrau/ Kreditsachbearbeiterin ist jedenfalls nicht erweisbar, so dass kein Anspruch auf Teilhabeleistungen besteht.

Es erscheint auch fraglich, inwieweit eine unterstellte Gefährdung bei der Fortsetzung der Tätigkeit durch Umsetzung, Umschulung oder sonstige Teilhabeleistungen beseitigt werden könnte. Schließlich konnte die Klägerin nach eigenem Vortrag auch nicht durch Umsetzung in einen druckerfreien Raum beschwerdefrei arbeiten, es ist ihr nach eigener Überzeugung bereits nicht möglich, in Behörden und Gebäuden zu arbeiten, in welchen sich generell Drucker/Kopierer etc. befinden. Nahezu an allen qualifizierten Arbeitsplätzen befinden sich heute jedoch zumindest in benachbarten Räumen technische Gerätschaften wie Drucker oder Kopierer, so dass auch keine geeigneten Teilhabeleistungen zur Beseitigung der subjektiven Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ersichtlich sind.

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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