Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 199 SB 3853/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 273/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und die Zuerkennung des Merkzeichens G.
Bei der Klägerin war 1998 ein GdB von 20 festgestellt worden. Ihren Verschlimmerungsantrag vom 7. Januar 2015 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. März 2015 ab. Auf den Widerspruch der Klägerin stellte der Beklagte bei ihr mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2015 einen GdB von 40 fest und lehnte den Widerspruch im Übrigen ab.
Die Klägerin hat mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhoben Klage die Feststellung eines GdB von mindestens 50 und der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G begehrt. Nach Einholung von Befundberichten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2016 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Die Klägerin beantragt ihrem schriftlichen Vorbringen zufolge, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2016 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hilfsweise, den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 23. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2015 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab 7. Januar 2015 einen GdB von mindestens 50 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens G festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Die Zurückverweisung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Art. 8 Nr. 8a des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2001 (BGBl. I. S. 3057). Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (I.) und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (II.).
I. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, Rn. 3a zu § 159 SGG). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet in zweierlei Hinsicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Zum einen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren (1.). Zum anderen hat das Sozialgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (2.).
1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch die Kammervorsitzende als Einzelrichterin im Wege des Gerichtsbescheids ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es der Klägerin entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG), entzogen.
Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht zu erkennen, dass der Sachverhalt geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Denn unter dem Tatbestandsmerkmal des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG, dass der Sachverhalt geklärt sein muss, ist mehr zu verstehen als die dem Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegende Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dass die Voraussetzungen in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG enger zu fassen sind, folgt aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für den Gerichtsbescheid einen geklärten Sachverhalt als zusätzliche Voraussetzung ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen hat (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, L 13 SB 80/10, bei Juris).
Hier haben die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nicht vorgelegen, da das Sozialgericht bereits seiner allgemeinen Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend Rechnung getragen hat (siehe dazu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind.
Für die Entscheidung über die streitige Höhe des Gesamt-GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens G kam es nach eigener Sicht des Sozialgerichts wesentlich darauf an, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin bestehen und wie die hieraus folgenden Teilhabeeinschränkungen einzuschätzen sind.
Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht (BSG) an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). In einem – wie dem Schwerbehindertenrecht – medizinisch geprägtem Sachgebiet darf sich ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Auch berechtigen etwaige medizinische Grundkenntnisse, die im Zuge der richterlichen Tätigkeit in betreffenden Sparten erworben wurden, jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, ist überdies darzulegen, auf welcher Grundlage diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 9a RV 36/85, SozR 1500 § 128 Nr. 31). Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Sie sind nur schriftliche Zeugenaussagen. Den behandelnden Ärzten fehlt überdies in aller Regel eine sozialmedizinische Schulung und Erfahrung. Außerdem sollte die richterliche Sachaufklärung nicht (auch nicht ungewollt) dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigt wird, solange geeignetere Methoden der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). Dies ist im Verfahren des ersten Rechtszuges versäumt worden, da das Sozialgericht davon abgesehen hat, Sachverständigengutachten einzuholen. Vielmehr hätte das Sozialgericht sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Da es dies unterlassen hat, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin bestehen, welche Teilhabebeeinträchtigungen sie zeitigen und welcher Gesamt-GdB zu bilden ist.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, ist der danach vorliegende Verfahrensmangel auch wesentlich.
II. Auf Grund der unvollständigen Sachverhaltsaufklärung bleibt eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig. Davon ist auszugehen, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (vgl. BT-Drucks. 17/6764, S. 27, zu Art. 8 Nr. 8). Dies ist hier der Fall. Denn vorliegend muss der Sachverhalt dadurch weiter aufgeklärt werden, dass zwei Gutachten gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG einzuholen sind, und zwar auf psychiatrisch-neurologischem und orthopädischem Fachgebiet. Bereits mit der Einholung eines Gutachtens ist typischerweise der Einsatz erheblicher sächlicher und mit Blick auf die Auswertung und Bewertung des einzuholenden Gutachtens auch erheblicher personeller Mittel verbunden, das je nach der Sach- und Rechtslage ggf. auch weitere Ermittlungen nach sich ziehen kann (vgl. Urteil des Senats vom 27. Januar 2010, L 13 SB 212/11).
III. Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat das Gericht das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen vollständigen Aufklärung des Sachverhalts praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 3. November 2016 bis zum Tag der Verkündung des Urteils ca. vier Monate in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer erscheint, dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Zudem hat die Klägerin selbst die Zurückverweisung an das Sozialgericht beantragt.
Aufgrund des Erfolgs des Hauptantrags ist über den Hilfsantrag nicht mehr zu befinden.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und die Zuerkennung des Merkzeichens G.
Bei der Klägerin war 1998 ein GdB von 20 festgestellt worden. Ihren Verschlimmerungsantrag vom 7. Januar 2015 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. März 2015 ab. Auf den Widerspruch der Klägerin stellte der Beklagte bei ihr mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2015 einen GdB von 40 fest und lehnte den Widerspruch im Übrigen ab.
Die Klägerin hat mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhoben Klage die Feststellung eines GdB von mindestens 50 und der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G begehrt. Nach Einholung von Befundberichten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2016 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Die Klägerin beantragt ihrem schriftlichen Vorbringen zufolge, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2016 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hilfsweise, den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 23. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2015 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab 7. Januar 2015 einen GdB von mindestens 50 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens G festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Die Zurückverweisung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Art. 8 Nr. 8a des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2001 (BGBl. I. S. 3057). Danach kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (I.) und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (II.).
I. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, Rn. 3a zu § 159 SGG). Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet in zweierlei Hinsicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Zum einen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren (1.). Zum anderen hat das Sozialgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (2.).
1. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft durch die Kammervorsitzende als Einzelrichterin im Wege des Gerichtsbescheids ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es der Klägerin entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 125 SGG), entzogen.
Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht gegeben. Unabhängig davon, dass Gerichtsbescheide in medizinisch geprägten Fällen ohnehin nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden sollten, ist nicht zu erkennen, dass der Sachverhalt geklärt ist. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als geklärt im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG anzusehen, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des vom Gericht zugrunde gelegten entscheidungserheblichen Sachverhalts haben wird. Denn unter dem Tatbestandsmerkmal des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG, dass der Sachverhalt geklärt sein muss, ist mehr zu verstehen als die dem Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin gemäß §§ 103, 106 SGG obliegende Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dass die Voraussetzungen in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG enger zu fassen sind, folgt aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für den Gerichtsbescheid einen geklärten Sachverhalt als zusätzliche Voraussetzung ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen hat (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, L 13 SB 80/10, bei Juris).
Hier haben die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nicht vorgelegen, da das Sozialgericht bereits seiner allgemeinen Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend Rechnung getragen hat (siehe dazu unter 2.). Der bestehende Besetzungsmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht ausgeschlossen kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2. Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind.
Für die Entscheidung über die streitige Höhe des Gesamt-GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens G kam es nach eigener Sicht des Sozialgerichts wesentlich darauf an, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin bestehen und wie die hieraus folgenden Teilhabeeinschränkungen einzuschätzen sind.
Die Aufklärung eines medizinisch geprägten Sachverhalts durch ein Tatsachengericht unterliegt in allen Gerichtsinstanzen einheitlichen Qualitätsanforderungen. Im Hinblick auf die Amtsermittlung erstinstanzlicher Gerichte sind danach im Grundsatz die gleichen Anforderungen heranzuziehen, die auch das Bundessozialgericht (BSG) an die Sachverhaltsaufklärung durch die Landessozialgerichte stellt (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). In einem – wie dem Schwerbehindertenrecht – medizinisch geprägtem Sachgebiet darf sich ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Auch berechtigen etwaige medizinische Grundkenntnisse, die im Zuge der richterlichen Tätigkeit in betreffenden Sparten erworben wurden, jedenfalls nicht zu einer eigenständigen Beurteilung medizinischer Sachverhalte. Soweit das Gericht einen medizinischen Sachverhalt auf Grund eigener Sachkunde bewerten will, ist überdies darzulegen, auf welcher Grundlage diese Sachkunde beruht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 9a RV 36/85, SozR 1500 § 128 Nr. 31). Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Sie sind nur schriftliche Zeugenaussagen. Den behandelnden Ärzten fehlt überdies in aller Regel eine sozialmedizinische Schulung und Erfahrung. Außerdem sollte die richterliche Sachaufklärung nicht (auch nicht ungewollt) dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigt wird, solange geeignetere Methoden der Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es nach alledem regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. April 2011, a.a.O.). Dies ist im Verfahren des ersten Rechtszuges versäumt worden, da das Sozialgericht davon abgesehen hat, Sachverständigengutachten einzuholen. Vielmehr hätte das Sozialgericht sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Da es dies unterlassen hat, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin bestehen, welche Teilhabebeeinträchtigungen sie zeitigen und welcher Gesamt-GdB zu bilden ist.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, ist der danach vorliegende Verfahrensmangel auch wesentlich.
II. Auf Grund der unvollständigen Sachverhaltsaufklärung bleibt eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig. Davon ist auszugehen, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (vgl. BT-Drucks. 17/6764, S. 27, zu Art. 8 Nr. 8). Dies ist hier der Fall. Denn vorliegend muss der Sachverhalt dadurch weiter aufgeklärt werden, dass zwei Gutachten gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG einzuholen sind, und zwar auf psychiatrisch-neurologischem und orthopädischem Fachgebiet. Bereits mit der Einholung eines Gutachtens ist typischerweise der Einsatz erheblicher sächlicher und mit Blick auf die Auswertung und Bewertung des einzuholenden Gutachtens auch erheblicher personeller Mittel verbunden, das je nach der Sach- und Rechtslage ggf. auch weitere Ermittlungen nach sich ziehen kann (vgl. Urteil des Senats vom 27. Januar 2010, L 13 SB 212/11).
III. Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat das Gericht das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen vollständigen Aufklärung des Sachverhalts praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 3. November 2016 bis zum Tag der Verkündung des Urteils ca. vier Monate in Anspruch genommen, so dass es prozessökonomischer erscheint, dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Zudem hat die Klägerin selbst die Zurückverweisung an das Sozialgericht beantragt.
Aufgrund des Erfolgs des Hauptantrags ist über den Hilfsantrag nicht mehr zu befinden.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
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