L 27 R 131/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 8 R 772/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 131/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. November 2013 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der 1952 geborene Kläger, ein gelernter Schlosser, ist polnischer Staatsangehöriger. 1992 reiste er nach Deutschland ein. Von 1994 bis Mai 2008 war er – mehrmals unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit – als Tiefbauhelfer tätig. Im Mai 2008 unterzog er sich der Operation eines Rektumkarzinoms mit anschließender Strahlentherapie.

Seinen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 13. November 2009 lehnte die Beklagte nach Einholung des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G vom 16. März 2010 mit Bescheid vom 8. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2010 ab. Zur Begründung führte sie insbesondere aus: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Denn er sei den gutachterlichen Feststellungen zufolge zwar nicht mehr in der Lage, seinen bisherigen Beruf als Tiefbauhelfer sechs Stunden täglich zu verrichten, könne aber eine Erwerbstätigkeit mit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben.

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Facharztes für Innere Medizin F vom 15. März 2012 mit ergänzender Stellungnahme vom 27. Februar 2013 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Schluss gelangt, das Leistungsvermögen des Klägers sei auf unter drei Stunden gesunken. Eine Besserung der Beschwerden sei nicht zu erwarten, da der für die Stuhlgangkontrolle erforderliche Teil des Darms entfernt worden sei. Die häufigen Stuhlentleerungen ließen keine kontinuierliche und länger dauernde Arbeit mehr zu.

Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. November 2009 zu gewähren. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Der Kläger, der die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfülle, sei in dem streitgegenständlichen Zeitraum voll erwerbsgemindert. Denn er verfüge nicht mehr über ein dreistündiges Restleistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten. Dies ergebe sich aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen F.

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie insbesondere vorbringt, dass die der Leistungsbeurteilung im Wesentlichen zugrunde gelegte Stuhlinkontinenz bei häufigen Darmentleerungen nicht habe objektiviert werden können.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. B vom 4. November 2015 mit ergänzender Stellungnahme vom 24. September 2016. Der Sachverständige hat das Leistungsvermögen des Klägers auf unter drei Stunden täglich bei ganz leichten Tätigkeiten in Toilettennähe eingeschätzt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. November 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, ein proktologisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er ist der Ansicht, dass eine proktologische Begutachtung – die ihn zusätzlich belasten würde – nicht erforderlich sei.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 15. November 2015 hat das Sozialgericht die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. November 2009 zu gewähren, da dieser hierauf nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) einen Anspruch hat.

Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Auch die weitere Aufklärung des Sachverhalts durch den Senat rechtfertigt keine andere Entscheidung. In seinem Gutachten vom 4. November 2015 hat sich der Facharzt für Innere Medizin Dr. B dem im Klageverfahren erstellten Gutachten des Facharztes für Innere Medizin F vom 15. März 2012 angeschlossen. Wie dieser hat er bei dem Kläger ein operiertes Rektumkarzinom, einen Zustand nach Harnstauungsniere, einen arteriellen Hypertonus und einen Diabetes mellitus diagnostiziert. Darüber hinaus hat der Sachverständige Dr. B eine erhebliche Hydronephrose festgestellt. In Übereinstimmung mit dem Vorgutachter ist er überzeugend zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger lediglich noch maximal leichte Tätigkeiten unter drei Stunden ausüben könne. Hierzu hat er dargelegt, dass das Leistungsvermögen des Klägers aufgrund der beklagten Stuhlentleerungsstörungen mit wechselnder Stuhlkonsistenz und teilweise fehlender Stuhlentleerungskontrolle bei vermehrtem Stuhldrang und spontanen Stuhlentleerungen, die auf die Operation des Rektumkarzinoms mit anschließender Strahlentherapie zurückgeführt werden können, aber auch wegen der Hydronephrose eingeschränkt ist.

Der Senat sieht sich nicht veranlasst, dem Beweisantrag der Beklagten, ein proktologisches Sachverständigengutachten einzuholen Denn eine weitere Begutachtung ist nach Überzeugung des Senats nicht notwendig, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt aufgeklärt ist. Beide gerichtliche Sachverständige haben übereinstimmend ausgeführt, dass es einer weiteren Begutachtung des Klägers nicht bedarf. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den proktologischen Untersuchungen mit Messungen des Sphinktertonus, internem Druck und weiteren Verfahren um invasive Maßnahmen handelt, die eine nicht unerhebliche Belastung des Klägers darstellen würden. Vor dem Hintergrund, dass – worauf der Sachverständige F in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27. Februar 2013 hingewiesen hat – die Ergebnisse derartiger Untersuchungen oft fragwürdig sind und der Kläger durch den fast kompletten Verlust seines Mastdarms nicht das Problem hat, dass sein Darmschließmuskel nicht mehr funktionsfähig ist, sondern dass eine stuhlregulierende Funktion des Mastdarms nicht mehr erfolgen kann, ist ihm eine lediglich "zur letztendlichen Klärung der Stuhlinkontinenz" (so der Sachverständige Dr. B in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. September 2016) durchzuführende proktologische Untersuchung nicht zumutbar, da deren zweifelhafter Ertrag den Eingriff nicht rechtfertigt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 21. Mai 2004 – 2 BvR 715/04 –, NJW 2004, 3697, zur Notwendigkeit der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der gerichtlichen Beweiserhebung).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
Saved