Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 6233/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2024/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 2. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine stationäre Magenbypass-Operation als Sachleistung.
Die am 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist an Adipositas per magna, Diabetes mellitus Typ II, Metabolischem Syndrom, Hypertonus, polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) mit Insulinresistenz, Schilddrüsenunterfunktion und einer nichtalkoholischen Fettleber erkrankt.
Am 20. Dezember 2012 beantragte die Klägerin (über ihre Ärzte) bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer laparoskopischen Magenbypass-Operation im Universitätsklinikum F ... Auf Befragung gab die Klägerin an, sie wiege derzeit (26. März 2013) 116 kg bei einer Größe von 166 cm (BMI 42 kg/m²). Im Zeitraum von März 2012 bis März 2013 habe sie eine Gewichtsreduktion von 8,4 kg erreicht. Nach ihren eigenen Angaben habe sie in der Vergangenheit verschiedene Diäten ausprobiert (Brigitte, Weight Watchers, etc.), Aquapowerkurse (Januar bis August 2008 und September 2010) belegt, von Januar bis März 2008 einen Gewichtsreduktionskurs absolviert sowie ab September 2012 im Fitnessstudio trainiert. Von März 2012 bis Oktober 2012 führte sie ein Fetttagebuch. Sie legte außerdem Bescheinigungen des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) des Frauenarztes Prof. Dr. W. und der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. vom 23. Februar 2012 vor, wonach das multimodale Therapiekonzept ohne Wirkung gewesen sei. Ein bariatrischer Eingriff sei notwendig.
Dr. Zwick vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) wertete die Unterlagen aus und gelangte im Gutachten vom 12. April 2013 zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme an einer multidisziplinären konservativen Behandlung nach den definierten Qualitätskriterien für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten nicht belegt sei.
Mit Bescheid vom 17. April 2013 lehnte die Beklagte die Übernahme für eine bariatrische Operation ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 29. April 2013 Widerspruch ein und legte ärztliche Atteste von Prof. Dr. W. und Dr. W. vom 2. Mai 2013 vor. Alle erforderlichen Unterlagen seien vorgelegt worden. Die psychiatrische bzw. psychotherapeutische Untersuchung sei im MVZ erfolgt. Ein Beleg über eine Verhaltenstherapie sei nicht erforderlich. Dr. Mink vom MDK führte hierzu im Gutachten vom 29. Mai 2013 aus, die eingereichten Unterlagen lieferten keine neuen Informationen. Die Teilnahme an einem multidisziplinären Therapiekonzept sei nach wie vor nicht belegt. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2013 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme eine adipositaschirurgische Maßnahme nur als Ultima Ratio in Betracht. Die Ausschöpfung konservativer Behandlungsmethoden habe die Klägerin nicht belegt. Die durchgeführte Ernährungstherapie sei im Hinblick auf die Kriterien der Leitlinien, die eine sechs bis zwölfmonatige professionelle Ernährungstherapie forderten, nicht ausreichend.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. November 2013 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage und trug zur Begründung vor, ihre bisherigen Anstrengungen hätten zu keiner Gewichtsreduzierung geführt. Sie habe alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Unter Aufsicht von Prof. Dr. W. und Dr. W. habe sie auch an einer multimodalen Therapie teilgenommen. Abgesehen davon komme es in ihrem Fall nicht auf die Durchführung einer solchen Therapie an. Die vom Hessischen Landessozialgericht (LSG) entwickelten Voraussetzungen, bei denen ausnahmsweise eine primäre Operationsindikation bestehe (Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 KR 91/10 - juris), lägen vor.
Die Beklagte verwies auf den Widerspruchsbescheid. Die Voraussetzungen für eine operative Therapie ohne vorhergehende konservative Therapie sei nicht gegeben.
Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. und Prof. Dr. W. gaben unter dem 7. April 2014 an, die Klägerin habe bei Prof. Dr. W. insgesamt fünf Behandlungstermine wahrgenommen, erstmals im Februar 2012, zuletzt im April 2013. Dr. W. habe die Klägerin einmalig im Juli 2012 zum Ausschluss einer psychischen Erkrankung aufgesucht. Es sei eine Adipositas per magna mit einem BMI von 45 kg/m², Diabetes mellitus Typ II, ein Metabolisches Syndrom, PCOS mit Insulinresistenz, Hypertonus und eine nichtalkoholische Fettlebererkrankung festgestellt worden. Die Klägerin habe an sogenannten integrierten Programmen mit E-Mail-Unterstützung und Coaching im Sinne einer psychotherapeutischen Unterstützung teilgenommen, wie es das MVZ mit dem Fitnessstudio von Prof. Dr. M. seit 2005 regelmäßig durchführe. Diese Programme seien weltweit anerkannt und den Anforderungen, die von der – ohnehin veralteten – S3-Leitlinie ("Chirurgie der Adipositas") aufgestellt würden, deutlich überlegen. Überdies sei eine primäre Indikation zur Durchführung einer Magenbypass-Operation gegeben, weil konservative Therapien nicht erfolgsversprechend seien. Der Schaden durch konservative Therapien überwiege. Die nachweislich wirksamste Behandlung des Übergewichts sei die Magenoperation. Die S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" werde von den Krankenkassen einseitig interpretiert. Sie habe wenig hochrangige, verlässliche Evidenz und sei veraltet. Dagegen sei verlässlich bewiesen, dass die geforderten integrierten Sport- und Essprogramme nicht funktionierten und mittelfristig nur zu einer Gewichtsabnahme von 5 % führten. Das gelte auch für die "professionelle" Ernährungsberatung.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2016 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Durchführung einer Magenbypass-Operation. Ein Anspruch bestünde nur, wenn alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Dazu gehöre nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 1. März 2011 – L 11 KR 3560/09 - juris) die Durchführung einer sechs bis zwölf Monate dauernden ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapie. Nach den vorliegenden Leitlinien der Fachgesellschaften komme die Magenbypass-Operation nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten. Die Klägerin leide zwar unstreitig an Übergewicht in krankhaftem Ausmaß sowie Begleiterkrankungen. Sie habe jedoch nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Es fehle an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggf. eine pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasse und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden sei. Eine solche Therapie müsse über die Dauer von sechs bis zwölf Monaten unter Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien durchgeführt werden. Dieses Erfordernis werde von den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt. Die von der Klägerin nach ihren eigenen Angaben durchgeführten Maßnahmen ergäben keinen Hinweis darauf, dass bei ihr ein solches Gesamttherapiekonzept über die Dauer von sechs bis zwölf Monate durchgeführt worden sei. Die Bemühungen der Klägerin genügten dem beschriebenen Konzept nicht. Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, dass eine konkret lebensbedrohliche Erkrankung eine grundrechtskonforme Auslegung erfordere, liege nicht vor.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 10. Mai 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Juni 2016 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, dass sich ihre Adipositas per magna als therapieresistent gegen konservative Behandlungsmethoden gezeigt habe. Eine multimodale Behandlung sei in ihrem Fall wegen des BMI von 45 kg/m² nicht erforderlich. Der BMI übersteige, wie vom Hessischen LSG gefordert (Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 KR 91/10 – juris), den BMI von 40 kg/m² deutlich. Abgesehen davon habe sie ausweislich der Aussage ihrer Ärzte an einer multimodalen Therapie teilgenommen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 2. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2013 zu verurteilen, die Kosten für eine Magenbypass-Operation zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Neue Aspekte habe die Klägerin nicht vorgetragen.
Die Berichterstatterin hat die Rechts- und Sachlage mit den Beteiligten am 15. März 2017 erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.
2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine Magenbypass-Operation als Sachleistung.
a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R – juris, Rn. 13, 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R – juris, Rn. 10, 11. September 2012 – B 1 KR 9/12 R – juris, Rn 10 ff.). Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) und die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V). Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
b) Bei der Klägerin bestehen die Krankheiten Adipositas per magna, Diabetes mellitus Typ II, Metabolisches Syndrom, Hypertonus, PCOS mit Insulinresistenz, Schilddrüsenunterfunktion und nichtalkoholische Fettleber. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Angaben der Ärzte Prof. Dr. W. und Dr. W. sowie den vorgelegten Arztbriefen.
c) Die begehrte stationäre Magenbypass-Operation ist jedoch zur Behandlung der Erkrankungen der Klägerin nicht notwendig und wirtschaftlich im Sinne von § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 und § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V.
Behandlungsziel ist vorliegend nicht die Heilung einer Erkrankung des Magens der Klägerin. Am Magen der Klägerin bestehen keine Funktionsstörungen. Ziel des chirurgischen Eingriffs am (gesunden) Magen ist vielmehr die Gewichtsreduktion. Da die Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, kommt es darauf an, ob eine Krankenhausbehandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für einen chirurgischen Eingriff in ein gesundes Körperorgan gegeben sind.
Nach den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (S 3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas", Juni 2010, S. 12 ff.; sowie Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S 3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2.0, April 2014, S. 66 ff.) kommt die Magenbypass-Operation als chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder 35 kg/m² mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung; vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 2/08 R – juris, Rn. 23; BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 – B 1 KR 1/02 R – juris, Rn. 21). Hinweise darauf, dass diese Leitlinien im Jahr 2012 bzw. heute nicht mehr dem medizinischen Standard entsprechen, liegen nicht vor. Entgegen der Behauptung der Ärzte der Klägerin sind die Leitlinien nicht veraltet. Als die Klägerin die begehrte Leistung im Jahr 2012 beantragte, war die Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" noch gültig. Ihre Gültigkeit wurde bis 1. Juni 2015 verlängert. Die interdisziplinäre Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas" gilt seit April 2014 und hat eine Laufzeit bis 2019.
Die Klägerin leidet zwar an einer Adipositas per magna mit einem BMI von über 40 kg/m² mit erheblichen Folgeerkrankungen. Sie hat aber nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Denn es fehlt an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs. pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2011 – L 11 KR 3560/09 - juris, Rn. 29; Urteil vom 30. September 2014 – L 11 KR 1339/13 - n.v.; zu einer Gastric-Banding-Operation vgl. Urteil des Senats vom 26. Januar 2007 – L 4 KR 4439/06 – und zu einer Magenbandoperation vgl. Urteil des Senats vom 24. April 2009 – L 4 KR 4215/08 –, beide n.v.). Eine derartige qualitativ anspruchsvolle Therapie hätte anhand bestimmter Qualitätskriterien erfolgen und über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt werden müssen (Urteil des Senats vom 26. Januar 2007 – L 4 KR 4439/06 – und Urteil des Senats vom 24. April 2009 – L 4 KR 4215/08 –, beide n.v.). Dieses Erfordernis wird auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt (vgl. die S 3-Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2.0, S. 70; sowie die S 3-Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft "Chirurgie der Adipositas", Juni 2010, S. 15 f.).
Die von der Klägerin absolvierten Maßnahmen beinhalteten kein ärztlich koordiniertes und geleitetes Gesamttherapiekonzept im Sinne der Leitlinien über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten.
Den von der Klägerin und ihren Ärzten vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Jahr 2008 einen Aquapowerkurs und einen dreimonatigen Gewichtsreduktionskurs absolviert hat. Im Jahr 2010 hat sie nochmals einen Aquapowerkurs belegt. Diese Maßnahmen genügen schon deshalb nicht den Anforderungen an ein Gesamttherapiekonzept, weil damals keine ärztliche Koordination der Maßnahmen stattfand.
Von Februar 2012 bis April 2013 war die Klägerin dann an insgesamt fünf Terminen im MVZ von Prof. Dr. W. und Dr. W ... Dass dort ein ärztlich begleitetes Gesamttherapiekonzept im oben beschriebenen Sinne erstellt und durchgeführt wurde, ist allerdings nicht ersichtlich. Ausweislich des Arztbriefes vom 23. Februar 2012 wurde der Klägerin dort nach einer Erhebung ihrer Blutwerte zunächst nur empfohlen, Muskelsport im Sinne der Diabetespräventionsstudien durchzuführen und die permanente Fettreduktion unter täglich 60 Gramm zu versuchen. Vom 1. März 2012 bis Mitte Oktober 2012 führte sie sodann ein Fetttagebuch. Im Juni und November 2012 wurden nochmals die Blutwerte von Prof. Dr. W. bestimmt. Im Juli 2012 befand sich die Klägerin einmalig zur Untersuchung bei der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W., um eine behandlungsbedürftige Essstörung auszuschließen. Ab September 2012 war die Klägerin dann Mitglied der "F. Company GmbH", einem Fitnessstudio unter Leitung des Internisten Prof. Dr. M ... Dort sollen nach Angaben von Prof. Dr. W. – nicht näher bestimmte – integrierte Programme mit E-Mail-Unterstützung und Coaching stattgefunden haben. Dass es sich dabei um eine ärztlich begleitete und koordinierte Gesamttherapie im Sinne der Leitlinien handelte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht belegt, dass die Klägerin während ihrer Mitgliedschaft im Fitnessstudio eine Schulung ihres Ess- und Ernährungsverhaltens erhielt und regelmäßige Diätmaßnahmen einhielt. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die im September 2012 in der "F. Company" begonnenen Maßnahmen konsequent und stringent durchgeführt wurden. Der Nachweis ihrer Mitgliedschaft genügt allein nicht, um den Anforderungen an eine hinreichende Dokumentation zu genügen. Darüber hinaus ergibt sich aus der vorgelegten Dokumentation nicht, dass die in Zusammenarbeit mit dem Fitnessstudio durchgeführten Maßnahmen zumindest sechs Monate andauerten. Denn bereits drei Monate nach Beginn der Mitgliedschaft, im Dezember 2012, bestätigte Prof. Dr. W. gegenüber der Beklagten, dass die konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien und eine bariatrische Operation seiner Auffassung nach erforderlich sei.
Von dem Erfordernis einer ärztlich geleiteten und koordinierten Gesamttherapie im Sinne der Leitlinien kann vorliegend auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Nach der S 3-Leilinie "Prävention und Therapie der Adipositas" (S. 70 f.; vgl. auch S. 16 der S 3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas") kann eine chirurgische Therapie ausnahmsweise primär ohne eine konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt; dies ist gegeben, wenn besonders schwere Begleit- und Folgekrankheiten vorliegen, der BMI über 50 kg/m² beträgt oder psychosoziale Umstände gegeben sind, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellt. Eine solche Ausnahmesituation liegt bei der Klägerin nicht vor. Prof. Dr. W. behauptet zwar das Vorliegen einer primären Operationsindikation, führt zur Begründung aber keinen der genannten Ausnahmefälle an.
Das von der Klägerin angeführte Urteil des Hessischen LSG (Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 KR 91/10 – juris, Rn. 31 ff) ist nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der dort entschiedene Fall ist schon deshalb nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, weil die Klägerin dort einen BMI von über 52 kg/m² aufwies. Darüber hinaus entsprechen die im Urteil des Hessischen LSG aufgestellten Kriterien nicht den in den Leitlinien der Fachgesellschaften genannten Anforderungen an eine primäre Operationsindikation.
Ein Ausnahmefall im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V liegt ebenfalls nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich das Übergewicht der Klägerin in absehbarer Zeit lebensbedrohend oder in wertungsmäßig vergleichbarer Weise auswirkt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine stationäre Magenbypass-Operation als Sachleistung.
Die am 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist an Adipositas per magna, Diabetes mellitus Typ II, Metabolischem Syndrom, Hypertonus, polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS) mit Insulinresistenz, Schilddrüsenunterfunktion und einer nichtalkoholischen Fettleber erkrankt.
Am 20. Dezember 2012 beantragte die Klägerin (über ihre Ärzte) bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer laparoskopischen Magenbypass-Operation im Universitätsklinikum F ... Auf Befragung gab die Klägerin an, sie wiege derzeit (26. März 2013) 116 kg bei einer Größe von 166 cm (BMI 42 kg/m²). Im Zeitraum von März 2012 bis März 2013 habe sie eine Gewichtsreduktion von 8,4 kg erreicht. Nach ihren eigenen Angaben habe sie in der Vergangenheit verschiedene Diäten ausprobiert (Brigitte, Weight Watchers, etc.), Aquapowerkurse (Januar bis August 2008 und September 2010) belegt, von Januar bis März 2008 einen Gewichtsreduktionskurs absolviert sowie ab September 2012 im Fitnessstudio trainiert. Von März 2012 bis Oktober 2012 führte sie ein Fetttagebuch. Sie legte außerdem Bescheinigungen des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) des Frauenarztes Prof. Dr. W. und der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. vom 23. Februar 2012 vor, wonach das multimodale Therapiekonzept ohne Wirkung gewesen sei. Ein bariatrischer Eingriff sei notwendig.
Dr. Zwick vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) wertete die Unterlagen aus und gelangte im Gutachten vom 12. April 2013 zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme an einer multidisziplinären konservativen Behandlung nach den definierten Qualitätskriterien für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten nicht belegt sei.
Mit Bescheid vom 17. April 2013 lehnte die Beklagte die Übernahme für eine bariatrische Operation ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 29. April 2013 Widerspruch ein und legte ärztliche Atteste von Prof. Dr. W. und Dr. W. vom 2. Mai 2013 vor. Alle erforderlichen Unterlagen seien vorgelegt worden. Die psychiatrische bzw. psychotherapeutische Untersuchung sei im MVZ erfolgt. Ein Beleg über eine Verhaltenstherapie sei nicht erforderlich. Dr. Mink vom MDK führte hierzu im Gutachten vom 29. Mai 2013 aus, die eingereichten Unterlagen lieferten keine neuen Informationen. Die Teilnahme an einem multidisziplinären Therapiekonzept sei nach wie vor nicht belegt. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2013 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme eine adipositaschirurgische Maßnahme nur als Ultima Ratio in Betracht. Die Ausschöpfung konservativer Behandlungsmethoden habe die Klägerin nicht belegt. Die durchgeführte Ernährungstherapie sei im Hinblick auf die Kriterien der Leitlinien, die eine sechs bis zwölfmonatige professionelle Ernährungstherapie forderten, nicht ausreichend.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. November 2013 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage und trug zur Begründung vor, ihre bisherigen Anstrengungen hätten zu keiner Gewichtsreduzierung geführt. Sie habe alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Unter Aufsicht von Prof. Dr. W. und Dr. W. habe sie auch an einer multimodalen Therapie teilgenommen. Abgesehen davon komme es in ihrem Fall nicht auf die Durchführung einer solchen Therapie an. Die vom Hessischen Landessozialgericht (LSG) entwickelten Voraussetzungen, bei denen ausnahmsweise eine primäre Operationsindikation bestehe (Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 KR 91/10 - juris), lägen vor.
Die Beklagte verwies auf den Widerspruchsbescheid. Die Voraussetzungen für eine operative Therapie ohne vorhergehende konservative Therapie sei nicht gegeben.
Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. und Prof. Dr. W. gaben unter dem 7. April 2014 an, die Klägerin habe bei Prof. Dr. W. insgesamt fünf Behandlungstermine wahrgenommen, erstmals im Februar 2012, zuletzt im April 2013. Dr. W. habe die Klägerin einmalig im Juli 2012 zum Ausschluss einer psychischen Erkrankung aufgesucht. Es sei eine Adipositas per magna mit einem BMI von 45 kg/m², Diabetes mellitus Typ II, ein Metabolisches Syndrom, PCOS mit Insulinresistenz, Hypertonus und eine nichtalkoholische Fettlebererkrankung festgestellt worden. Die Klägerin habe an sogenannten integrierten Programmen mit E-Mail-Unterstützung und Coaching im Sinne einer psychotherapeutischen Unterstützung teilgenommen, wie es das MVZ mit dem Fitnessstudio von Prof. Dr. M. seit 2005 regelmäßig durchführe. Diese Programme seien weltweit anerkannt und den Anforderungen, die von der – ohnehin veralteten – S3-Leitlinie ("Chirurgie der Adipositas") aufgestellt würden, deutlich überlegen. Überdies sei eine primäre Indikation zur Durchführung einer Magenbypass-Operation gegeben, weil konservative Therapien nicht erfolgsversprechend seien. Der Schaden durch konservative Therapien überwiege. Die nachweislich wirksamste Behandlung des Übergewichts sei die Magenoperation. Die S3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" werde von den Krankenkassen einseitig interpretiert. Sie habe wenig hochrangige, verlässliche Evidenz und sei veraltet. Dagegen sei verlässlich bewiesen, dass die geforderten integrierten Sport- und Essprogramme nicht funktionierten und mittelfristig nur zu einer Gewichtsabnahme von 5 % führten. Das gelte auch für die "professionelle" Ernährungsberatung.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2016 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Durchführung einer Magenbypass-Operation. Ein Anspruch bestünde nur, wenn alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Dazu gehöre nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 1. März 2011 – L 11 KR 3560/09 - juris) die Durchführung einer sechs bis zwölf Monate dauernden ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapie. Nach den vorliegenden Leitlinien der Fachgesellschaften komme die Magenbypass-Operation nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten. Die Klägerin leide zwar unstreitig an Übergewicht in krankhaftem Ausmaß sowie Begleiterkrankungen. Sie habe jedoch nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Es fehle an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggf. eine pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasse und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden sei. Eine solche Therapie müsse über die Dauer von sechs bis zwölf Monaten unter Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien durchgeführt werden. Dieses Erfordernis werde von den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt. Die von der Klägerin nach ihren eigenen Angaben durchgeführten Maßnahmen ergäben keinen Hinweis darauf, dass bei ihr ein solches Gesamttherapiekonzept über die Dauer von sechs bis zwölf Monate durchgeführt worden sei. Die Bemühungen der Klägerin genügten dem beschriebenen Konzept nicht. Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, dass eine konkret lebensbedrohliche Erkrankung eine grundrechtskonforme Auslegung erfordere, liege nicht vor.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 10. Mai 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Juni 2016 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, dass sich ihre Adipositas per magna als therapieresistent gegen konservative Behandlungsmethoden gezeigt habe. Eine multimodale Behandlung sei in ihrem Fall wegen des BMI von 45 kg/m² nicht erforderlich. Der BMI übersteige, wie vom Hessischen LSG gefordert (Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 KR 91/10 – juris), den BMI von 40 kg/m² deutlich. Abgesehen davon habe sie ausweislich der Aussage ihrer Ärzte an einer multimodalen Therapie teilgenommen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 2. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2013 zu verurteilen, die Kosten für eine Magenbypass-Operation zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Neue Aspekte habe die Klägerin nicht vorgetragen.
Die Berichterstatterin hat die Rechts- und Sachlage mit den Beteiligten am 15. März 2017 erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.
2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine Magenbypass-Operation als Sachleistung.
a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R – juris, Rn. 13, 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R – juris, Rn. 10, 11. September 2012 – B 1 KR 9/12 R – juris, Rn 10 ff.). Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) und die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V). Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
b) Bei der Klägerin bestehen die Krankheiten Adipositas per magna, Diabetes mellitus Typ II, Metabolisches Syndrom, Hypertonus, PCOS mit Insulinresistenz, Schilddrüsenunterfunktion und nichtalkoholische Fettleber. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Angaben der Ärzte Prof. Dr. W. und Dr. W. sowie den vorgelegten Arztbriefen.
c) Die begehrte stationäre Magenbypass-Operation ist jedoch zur Behandlung der Erkrankungen der Klägerin nicht notwendig und wirtschaftlich im Sinne von § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 und § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V.
Behandlungsziel ist vorliegend nicht die Heilung einer Erkrankung des Magens der Klägerin. Am Magen der Klägerin bestehen keine Funktionsstörungen. Ziel des chirurgischen Eingriffs am (gesunden) Magen ist vielmehr die Gewichtsreduktion. Da die Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, kommt es darauf an, ob eine Krankenhausbehandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für einen chirurgischen Eingriff in ein gesundes Körperorgan gegeben sind.
Nach den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (S 3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas", Juni 2010, S. 12 ff.; sowie Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S 3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2.0, April 2014, S. 66 ff.) kommt die Magenbypass-Operation als chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder 35 kg/m² mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung; vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 2/08 R – juris, Rn. 23; BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 – B 1 KR 1/02 R – juris, Rn. 21). Hinweise darauf, dass diese Leitlinien im Jahr 2012 bzw. heute nicht mehr dem medizinischen Standard entsprechen, liegen nicht vor. Entgegen der Behauptung der Ärzte der Klägerin sind die Leitlinien nicht veraltet. Als die Klägerin die begehrte Leistung im Jahr 2012 beantragte, war die Leitlinie "Chirurgie der Adipositas" noch gültig. Ihre Gültigkeit wurde bis 1. Juni 2015 verlängert. Die interdisziplinäre Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas" gilt seit April 2014 und hat eine Laufzeit bis 2019.
Die Klägerin leidet zwar an einer Adipositas per magna mit einem BMI von über 40 kg/m² mit erheblichen Folgeerkrankungen. Sie hat aber nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Denn es fehlt an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs. pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2011 – L 11 KR 3560/09 - juris, Rn. 29; Urteil vom 30. September 2014 – L 11 KR 1339/13 - n.v.; zu einer Gastric-Banding-Operation vgl. Urteil des Senats vom 26. Januar 2007 – L 4 KR 4439/06 – und zu einer Magenbandoperation vgl. Urteil des Senats vom 24. April 2009 – L 4 KR 4215/08 –, beide n.v.). Eine derartige qualitativ anspruchsvolle Therapie hätte anhand bestimmter Qualitätskriterien erfolgen und über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt werden müssen (Urteil des Senats vom 26. Januar 2007 – L 4 KR 4439/06 – und Urteil des Senats vom 24. April 2009 – L 4 KR 4215/08 –, beide n.v.). Dieses Erfordernis wird auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt (vgl. die S 3-Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2.0, S. 70; sowie die S 3-Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft "Chirurgie der Adipositas", Juni 2010, S. 15 f.).
Die von der Klägerin absolvierten Maßnahmen beinhalteten kein ärztlich koordiniertes und geleitetes Gesamttherapiekonzept im Sinne der Leitlinien über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten.
Den von der Klägerin und ihren Ärzten vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Jahr 2008 einen Aquapowerkurs und einen dreimonatigen Gewichtsreduktionskurs absolviert hat. Im Jahr 2010 hat sie nochmals einen Aquapowerkurs belegt. Diese Maßnahmen genügen schon deshalb nicht den Anforderungen an ein Gesamttherapiekonzept, weil damals keine ärztliche Koordination der Maßnahmen stattfand.
Von Februar 2012 bis April 2013 war die Klägerin dann an insgesamt fünf Terminen im MVZ von Prof. Dr. W. und Dr. W ... Dass dort ein ärztlich begleitetes Gesamttherapiekonzept im oben beschriebenen Sinne erstellt und durchgeführt wurde, ist allerdings nicht ersichtlich. Ausweislich des Arztbriefes vom 23. Februar 2012 wurde der Klägerin dort nach einer Erhebung ihrer Blutwerte zunächst nur empfohlen, Muskelsport im Sinne der Diabetespräventionsstudien durchzuführen und die permanente Fettreduktion unter täglich 60 Gramm zu versuchen. Vom 1. März 2012 bis Mitte Oktober 2012 führte sie sodann ein Fetttagebuch. Im Juni und November 2012 wurden nochmals die Blutwerte von Prof. Dr. W. bestimmt. Im Juli 2012 befand sich die Klägerin einmalig zur Untersuchung bei der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W., um eine behandlungsbedürftige Essstörung auszuschließen. Ab September 2012 war die Klägerin dann Mitglied der "F. Company GmbH", einem Fitnessstudio unter Leitung des Internisten Prof. Dr. M ... Dort sollen nach Angaben von Prof. Dr. W. – nicht näher bestimmte – integrierte Programme mit E-Mail-Unterstützung und Coaching stattgefunden haben. Dass es sich dabei um eine ärztlich begleitete und koordinierte Gesamttherapie im Sinne der Leitlinien handelte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht belegt, dass die Klägerin während ihrer Mitgliedschaft im Fitnessstudio eine Schulung ihres Ess- und Ernährungsverhaltens erhielt und regelmäßige Diätmaßnahmen einhielt. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die im September 2012 in der "F. Company" begonnenen Maßnahmen konsequent und stringent durchgeführt wurden. Der Nachweis ihrer Mitgliedschaft genügt allein nicht, um den Anforderungen an eine hinreichende Dokumentation zu genügen. Darüber hinaus ergibt sich aus der vorgelegten Dokumentation nicht, dass die in Zusammenarbeit mit dem Fitnessstudio durchgeführten Maßnahmen zumindest sechs Monate andauerten. Denn bereits drei Monate nach Beginn der Mitgliedschaft, im Dezember 2012, bestätigte Prof. Dr. W. gegenüber der Beklagten, dass die konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien und eine bariatrische Operation seiner Auffassung nach erforderlich sei.
Von dem Erfordernis einer ärztlich geleiteten und koordinierten Gesamttherapie im Sinne der Leitlinien kann vorliegend auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Nach der S 3-Leilinie "Prävention und Therapie der Adipositas" (S. 70 f.; vgl. auch S. 16 der S 3-Leitlinie "Chirurgie der Adipositas") kann eine chirurgische Therapie ausnahmsweise primär ohne eine konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt; dies ist gegeben, wenn besonders schwere Begleit- und Folgekrankheiten vorliegen, der BMI über 50 kg/m² beträgt oder psychosoziale Umstände gegeben sind, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellt. Eine solche Ausnahmesituation liegt bei der Klägerin nicht vor. Prof. Dr. W. behauptet zwar das Vorliegen einer primären Operationsindikation, führt zur Begründung aber keinen der genannten Ausnahmefälle an.
Das von der Klägerin angeführte Urteil des Hessischen LSG (Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 KR 91/10 – juris, Rn. 31 ff) ist nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der dort entschiedene Fall ist schon deshalb nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, weil die Klägerin dort einen BMI von über 52 kg/m² aufwies. Darüber hinaus entsprechen die im Urteil des Hessischen LSG aufgestellten Kriterien nicht den in den Leitlinien der Fachgesellschaften genannten Anforderungen an eine primäre Operationsindikation.
Ein Ausnahmefall im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V liegt ebenfalls nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich das Übergewicht der Klägerin in absehbarer Zeit lebensbedrohend oder in wertungsmäßig vergleichbarer Weise auswirkt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved