L 6 U 3126/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 3971/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3126/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 24. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt in diesem Verfahren (L 6 U 3126/15) die Gewährung einer Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalls vom 17. November 1998. Das Parallelverfahren L 6 U 3127/15 betrifft eine Verletztenrente auf Grund eines Arbeitsunfalls vom 17. Mai 2010. Insoweit macht der Kläger auch einen gestützten Rentenanspruch geltend.

Der Kläger ist im Jahre 1966 geboren und in Deutschland wohnhaft. Er ist gelernter Schlosser.

Im Jahre 1998 war er als Schlosser bei einem Mitgliedsunternehmen einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) beschäftigt und in dieser Eigenschaft gesetzlich unfallversichert.

Am 17. November 1998 rutschte er während der Arbeit von einer Leiter, auf der er stand, ab. Dabei schnitt ein Blechstück in seine linke Mittelhand. Er stellte sich am selben Tage bei Dres. L. und B. vor. Diese diagnostizierten in dem D-Arzt-Bericht vom 17. November 1998 eine Schnittverletzung des linken Daumens mit Beugesehnenläsion. Bei der Untersuchung war die Beugung im Daumenendgelenk nicht durchführbar gewesen, während die Beweglichkeit des Daumengrundgelenks erhalten war, ferner bestand eine Hypästhesie der Kuppe. Noch am selben Tag wurde der Kläger in der Klinik am E. in Göppingen operiert. Dort wurde am 19. November 1998 die Sehne genäht ("Kessler und Feinadaption durch fortlaufende atraumatische Prolene-Naht"). Der Kläger wurde am 19. November 1998 aus der stationären Behandlung entlassen. In dem Zwischenbericht vom 23. November 1998 führte Prof. Dr. U. (AiP H.) aus, es habe eine Beugesehnenverletzung Dig. 1 links (Sehne des musculus flexor pollicis longus) bestanden, diese sei operiert worden, der Kläger sei mit einem Kleinert-Gips vorsorgt und nach zwei Tagen mit guten Wundverhältnissen entlassen worden, er werde voraussichtlich noch für sechs bis acht Wochen arbeitsunfähig sein, mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Umfang sei nicht zu rechnen.

Den Unfall, der Gegenstand des Parallelverfahrens ist, erlitt der Kläger am 17. Mai 2010 während der Berufstätigkeit als selbstständiger Schlosser mit eigenem Unternehmen. Er erlitt dort Verletzungen im Bereich des Ellenbogens links. In jenem Verfahren holte die Beklagte das "Erste Rentengutachten" bei dem Unfall- und Wiederherstellungschirurgen M., Helfenstein-Klinik Göppingen, vom 18. Februar 2011 vor. Dieser begutachtete nicht nur die dort relevanten Verletzungen am Ellenbogen, sondern stellte auch fest, die Funktion der linken Hand sei vollständig frei, einschließlich Fein-, Schlüssel-, Dreipunkte- und Grobgriff sowie Faustschluss. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Juli 2011 die Gewährung einer Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 17. Mai 2010 ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 11. April 2013 beantragte der Kläger die Rücknahme des Bescheids vom 19. Juli 2011 und die Gewährung einer Rente. Hierbei wies er auch auf den früheren Unfall "etwa im Jahre 2000" hin, der zu einer Versteifung des Daumenendgelenks links geführt habe, was bei der Rentengewährung zu berücksichtigen sei.

Die Beklagte zog die - noch vorhandenen - Unterlagen zu dem Unfall vom 17. November 1998 bei und erhob bei Prof. Dr. Sch., Alb-Fils-Kliniken Göppingen, den Nachschaubericht vom 24. September 2013. Dieser führte hinsichtlich der Verletzung an der Hand aus, am Daumen bestehe nach dem Unfall 1998 Beugeunfähigkeit. Die Bewegungsmaße teilte er mit 0/0/70° Streckung/Beugung im Grundgelenk (rechts 0/0/80°) und 0/0/0° (Versteifung) Streckung/Beugung im Endgelenk (rechts 0/0/85°) mit. Zu diesen Feststellungen führte Beratungsärztin Dr. K. aus, ein eingesteiftes Daumenendgelenk bedinge bei freier Beweglichkeit des Daumengrundgelenks keine MdE.

In diesem Verfahren lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Januar 2014 die Gewährung einer Rente wegen des Unfalls vom 17. November 1998 ab. Dieser habe zu einer Bewegungseinschränkung im Daumenendgelenk nach Schnittverletzung des linken Daumens mit Beugesehnendefekt geführt. Die für einen Rentenanspruch erforderliche MdE um 20 v.H. werde nicht erreicht.

Parallel dazu lehnte die Beklagte auch die Rücknahme des Bescheids vom 19. Juli 2011 und - erneut - die Gewährung einer Rente wegen des Unfalls vom 17. Mai 2010 ab.

Die Widersprüche des Klägers in beiden Verfahren wies die Beklagte mit - getrennten - Widerspruchsbescheiden vom 13. November 2014 zurück. Sie berief sich dabei unter anderem auf die Ausführungen von Prof. Dr. Sch. in dem Bericht vom 24. September 2013.

Am 9. Dezember 2014 hat der Kläger in beiden Verfahren einheitliche Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben (S 3 U 3971/14). Er hat dort beantragt, die Beklagte zur Gewährung von Verletztenrenten nach MdE-Werten um 20 v.H. wegen des Unfalls am 17. Mai 2010 und um 10 v.H. wegen des Unfalls vom 17. November 1998 zu verurteilen. In der Sache hat er seine Ausführungen aus den Widerspruchsverfahren vertieft.

Nachdem die Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG mit Beschluss vom 24. Februar 2015 das Verfahren, soweit es den Arbeitsunfall vom 17. Mai 2010 betroffen hat, abgetrennt und gesondert fortgeführt (S 3 U 586/15).

In dem Verfahren S 3 U 3971/14 hat das SG die Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2015 abgewiesen. Unter Berücksichtigung der erhobenen ärztlichen Befunde und der unfallversicherungsrechtlich anerkannten Erfahrungswerte bedingten die Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. November 1998 keine MdE von wenigstens 10 v.H. Eine MdE in dieser Höhe sei erst bei einem kompletten Verlust des Daumens im Endgelenk gegeben, demgegenüber stehe der Kläger wesentlich besser dar. Dieser Gerichtsbescheid wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 29. Juni 2015 zugestellt.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Juli 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Senat den Facharzt für Rehabilitative und Physikalische Therapie K. mit der Erstattung eines Wahlgutachtens beauftragt. Hinsichtlich der Daumenverletzung hat der Sachverständige aufgrund der Untersuchung vom 4. Juli 2016 ausgeführt, die Narben am Daumen seinen reizlos und unauffällig. Das DIP (Endgelenk) des Daumens sei eingesteift. Es bestehe eine deutliche Hypästhesie im Bereich des beugeseitigen Daumens sowie eine erhebliche Kraftlosigkeit der Dorsalextension des linken Daumens. Der Kläger habe Angst um sein Unternehmen. Auf dieser Basis sei bei ihm zusätzlich zu den körperlichen Folgen beider Unfälle eine "reaktive Depression/Somatisierungsstörung" zu diagnostizieren. Auch diese "reaktive Depression" sei schädigungsbedingt. Die Einbußen am linken Daumen seien bislang mit einer MdE unter 10 v.H. bewertet worden seien. Jedoch bedingten die Folgen des anderen Unfalls aus dem Jahre 2010 ihrerseits eine MdE um 10 v.H. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ergebe sich wegen der Daumenverletzung eine Gesamt-MdE von 30 v.H. Eine weitere Erhöhung der MdE sei möglich wegen der reaktiven Depression bzw. Somatisierungsstörung, zumal "aktuell somatisch mit der weiteren Überlastung angrenzender Gelenke eine - weitere - Verschlechterung auch der psychischen Gesundheit" drohe. Der Sachverständige hat seinem Gutachten mehrere Arztbriefe beigefügt, darunter einen Brief des Neurologen, Psychiaters, Psychosomatikers und Psychotherapeuten Prof. B. ohne Datum, in dem dieser für die Überweisung des Klägers durch den Sachverständigen dankt und ausführt, bei dem Kläger bestehe eine "Somatisierungsstörung F45.1 bei körperlicher Behinderung", die durch eine Änderung der Arbeitssituation zu therapieren sei.

Die Beklagte hat - bezogen auf den linken Daumen - gegen das Wahlgutachten eingewandt, die dort angegebene Dorsalextension betreffe die Strecksehne, die aber bei dem Unfall vom 17. November 1998 nicht verletzt worden sei. Eine Versteifung im Daumenendgelenk könne mit einer (Teil-)Amputation nicht gleichgestellt werden. Zu der reaktiven Depression habe sich der Sachverständige fachfremd geäußert. Eine Gesamt-MdE werde nicht durch Addition gebildet.

In der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2017 hat der Kläger ausführen lassen, bei ihm beständen vor allem Kraftminderung sowohl im Ellenbogen als auch im Daumen bzw. an der Hand, die ihn beruflich stark behinderten, weswegen die MdE nicht allein oder überwiegend auf Grund der verbliebenen Bewegungsmaße gebildet werden könne.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 24. Juni 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. November 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. November 1998 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil der Kläger laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) abgewiesen. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der erhobene Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 17. November 1998 besteht nicht.

Rechtsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier einer Berufskrankheit - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind - auch und gerade in den Fällen des § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII - nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII).

Sofern ein Versicherter eine Rente ausschließlich oder hilfsweise als gestützte Rente nach einer MdE um 10 v.H. begehrt, ist in einem solchen Verfahren auch über den Stützrententatbestand zu entscheiden, also über den Rentenanspruch wegen des anderen Versicherungsfalls. Zwar werden die Folgen mehrerer Versicherungsfälle nicht zu einem einheitlichen Rentenanspruch zusammengefasst, sodass z.B. keine Gesamt-MdE zu bilden ist, wie es bei der Bewertung verschiedener Folgen desselben Unfalls der Fall ist. Aber gleichwohl kann eine Entscheidung über die sich wechselseitig bedingenden Stützrenten nur einheitlich ergehen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 21/06 R –, juris, Rz. 13). In solchen Fällen ist, sofern für den geltend gemachten stützenden Versicherungsfall ein anderer Träger der Unfallversicherung oder der Träger der Beamtenversorgung oder der Träger der Beschädigtenversorgung zuständig ist, dieser beizuladen (Urteil des Senats vom 9. März 2017 - L 6 U 595/16 -, nicht veröffentlicht).

Hiernach muss der Senat in diesem Verfahren - grundsätzlich - auch über das Ausmaß der MdE wegen der Folgen des Unfalls vom 17. Mai 2010 entscheiden, die selbst Gegenstand des Parallelverfahrens ist. Dies gilt hier umso mehr, als der Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 17. November 1998 selbst nur von einer gestützten Rente nach einer MdE um 10 v.H. ausgeht und eine höhere Rente gar nicht beantragt hat. Eine Beiladung war jedoch nicht notwendig, da für beide Versicherungsfälle die Beklagte zuständig ist.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Um das Vorliegen der MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, juris, Rz. 16 m. w. N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Dagegen haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten (vgl. zum Beispiel Schönberger/Mehr¬tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017). Diese Erfahrungswerte sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (vgl. Urteil des Senats vom 15. Dezember 2016 – L 6 U 2615/16 –, juris Rz. 39).

Zeitlicher Maßstab für die erstmalige Feststellung einer MdE ist, sofern wegen des Unfalls zunächst Verletztengeld gezahlt worden ist, nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII der Tag nach dem Tag, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat.

Bei dem Kläger bedingten und bedingen die Folgen des Unfalls vom 17. November 1998 ab dem Tag nach dem 18. Januar 1999 - an diesem Tag hatte nach den vorliegenden Akten die damalige Arbeitsunfähigkeit des Klägers geendet - bis heute keine MdE von 10 v.H. oder mehr. Auch eine gestützte Verletztenrente scheidet danach aus, ohne dass es für dieses Verfahren hier auf die Folgen des Unfalls vom 17. Mai 2010 ankommt.

Bei dem Kläger ist als Unfallfolge ab diesem Tag eine vollständige Aufhebung der Beugefähigkeit des Daumenendgelenks links verblieben. Das hatte unfallnah bereits Prof. Dr. U. unter dem 23. November 1998 festgestellt, zunächst allerdings noch präoperativ. Zu Gunsten des Klägers geht der Senat davon aus, dass diese Versteifung auch nach der Operation in der Folgezeit fortbestanden hat, obwohl sie ab 1999 ärztlicherseits nirgendwo dokumentiert worden ist. Der von der Beklagten wegen der Folgen des anderen Unfalls vom 17. Mai 2010 beauftragte Gutachter M. hat in seinem Gutachten vom 18. Februar 2011 keine Beeinträchtigungen an der linken Hand bemerkt, er hat dort vielmehr - nebenbefundlich - freie Beweglichkeit notiert. Erstmals erneut festgestellt wurde die Aufhebung der Beugefähigkeit im Daumenendgelenk von Prof. Dr. Sch. am 7. August 2013 (Bericht vom 24. September 2013), der insoweit eine Restbeweglichkeit von 0/0/0° notiert hat. Zu Gunsten des Klägers kann auch noch die ebenfalls von Prof. Dr. Sch. gemessene, sehr geringfügige Beugeeinschränkung im Daumengrundgelenk von 70° (gegenüber 80° rechts) als Unfallfolge angesehen werden.

Diese Unfallfolgen bedingen keine MdE von mindestens 10 v.H. Es ist ein Vergleich zu den Erfahrungswerten bei Amputationen und Teil-Amputationen notwendig (vgl. dazu Schönberger/Mehr¬tens/Valentin, a.a.O., S. 575 und S. 605). Für den vollständigen Verlust ab dem Daumenendgelenk sehen diese Werte eine MdE von 20 für neun Monate, dies allerdings nur im Rahmen einer Gesamtvergütung vor, danach und auf Dauer beträgt die MdE in diesen Fällen 10 v.H. (ebd., S. 605, Abb. 1.1). Bereits eine Versteifung beider Daumengelenke kommt einer solchen Amputation nicht vollständig gleich, weil - je nach Grad der Versteifung - bestimmte Griffe noch möglich sind. Insbesondere sind, soweit die Beweglichkeit dies zulässt, weiterhin Feingriffe (Pinzettengriffe) möglich, bei denen die Kuppen des Daumens und eines anderen Fingers - in der Regel des zweiten Fingers - aneinanderstoßen. Bei einer Amputation ist der Daumen dazu zu kurz. Hinzu kommt, dass bei einer Amputation die besonders sensiblen Bereiche in der Kuppe fehlen, sodass auch der Tastsinn merklich beeinträchtigt ist. Dies ist bei einer Gelenkversteifung nicht der Fall, zumindest wenn keine neurologischen Schäden vorhanden sind. In jedem Falle kann aber eine Versteifung - nur - des Daumenendgelenks bei freier oder nahezu freier Beugung des Daumengrundgelenks keiner Teil-Amputation des Daumens gleichgesetzt werden. Mit nur einem versteiften Daumengelenk sind fast alle relevanten Griffe (vgl. zu Schlüssel-, Dreipunkte- und Hakengriff Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 573) möglich, wie es sich auch im Falle des Klägers zeigt. Es liegt keine Längeneinbuße des Daumens vor, sodass ferner noch die Feingriffe zwischen Daumen und der Kuppe jedes der anderen vier Finger möglich sind. Mit dieser Bewertung sind auch die üblicherweise mit der Versteifung oder sonstigen Verletzung verbundenen Schmerzen abgegolten.

Zu einer abweichenden Bewertung gelangt der Senat auch nicht auf Grund der Feststellungen und Schlussfolgerungen des Wahlgutachters K ... Vielmehr vermochte sein Gutachten nicht zu überzeugen.

Seine Ausführungen zu Beeinträchtigungen am linken Daumen aufgrund des Unfalls vom 17. November 1998 leiden bereits daran, dass er eine deutliche Kraftlosigkeit bei der "Daumenextension" (S. 4 des Gutachtens unten) bzw. der "Dorsalextension" (S. 5) festgestellt hat, also bei der Streckung, obwohl - worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat - bei dem damaligen Unfall die Beugesehne und gerade nicht die Strecksehne des Daumens verletzt worden ist. Auf diesen Widerspruch ist der Sachverständige K. auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. Februar 2017 nicht eingegangen, vielmehr hat er an einer Verletzung des "Daumenstreckers" festgehalten. Ferner hat er nicht, auch nicht in seiner Stellungnahme zu den Einwänden der Beklagten, die von ihm konkret gemessenen Bewegungsmaße mitgeteilt. Dies macht sein Gutachten unzulänglich, denn einer Messung der Bewegungseinschränkung nach der Neutral-Null-Methode kommt bei der Ermittlung der MdE eine derart große Bedeutung zu, dass es sich hierbei in der Regel um den Kern der - orthopädisch-chirurgischen - Begutachtung handelt (Hessisches LSG, Urteil vom 5. Juni 2014 - L 3 U 254/10 -, juris, Rz. 46). Im Falle des Klägers kann daher an Hand des Gutachtens nicht überprüft werden, ob eine eventuelle Bewegungseinschränkung auch an der anderen, der rechten Hand vorliegt, woraus sich ergäbe, dass sie an der betroffenen Hand nicht unfallbedingt wäre (dazu Hessisches LSG, Urteil vom 30. Mai 2016 - L 9 U 198/12 -, juris, Rz. 45). Dieser Mangel pflanzt sich fort in der MdE-Bewertung durch den Gutachter, wobei die Feststellung einer MdE ohnehin nicht sachverständige Aufgabe des Gutachters ist, sondern Rechtsanwendung durch das Gericht. Der Sachverständige K. hat sich bei seinem Vorschlag, für die Folgen der Verletzung des Daumens eine MdE von 10 v.H. anzunehmen, ganz überwiegend auf die von ihm gemessene Kraftminderung gestützt und dabei außer Acht gelassen, dass gerade für die Bewertung von Funktionseinbußen an den Fingern, also im feinmotorischen Bereich, die Restbeweglichkeiten maßgebend sind. Hinzu kommt, dass die Messungen der Kraft mitarbeitsabhängig waren und der Sachverständige K. sie nicht objektiviert hat, auch nicht in seiner ergänzenden Stellungnahme. Das Gleiche gilt für die Schmerzen, die ebenfalls von der Bewertung der funktionellen Einbußen mit umfasst sind. Zu diesem Punkt kommt hier noch hinzu, dass diese Schmerzen im Handbereich auch nach Herrn K.s eigenen Ausführungen auf das Karpaltunnelsyndrom im Handgelenk zurückzuführen sind. Seine weitere Annahme, auch dieses Karpaltunnelsyndrom sei Folge eines der beiden Unfälle, ist durch keinen Anhaltspunkt belegt. Gegen einen Zusammenhang mit dem hier streitigen Unfall im Jahre 1998 spricht bereits der Jahrzehnte lange Abstand zu der Erstdiagnose dieser Erkrankung in den Jahren 2015/2016.

Hinsichtlich der psychischen Beeinträchtigungen, die der Sachverständige K. zusätzlich angenommen und ebenfalls auf einen der beiden Unfälle zurückgeführt hat, ist einzuwenden, dass die von ihm angenommene Diagnose "reaktive Depression" nach dem insoweit maßgeblichen Klassifizierungssystem ICD-10 GM nicht existiert und auch der Arztbrief von Prof. B., auf den sich der Wahlgutachter stützt, diese Diagnose nicht nennt. Dass die bei dem Kläger womöglich bestehende, von Prof. B. diagnostizierte Somatisierungsstörung (F45.1 ICD-10 GM) auf den Unfall des Jahres 1998 zurückzuführen ist, hat der Wahlgutacher in keiner Weise näher dargelegt, was aber in Anbetracht der erforderlichen Brückensymptomatik erforderlich ist, dies gerade auch in Anbetracht des Umstandes, dass der Kläger seine Tätigkeit wieder aufnehmen konnte. Eine solche Begründung zu dem Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall im Jahre 1998 und der jetzt diagnostizierten Somatisierungsstörung wäre aber umso nötiger gewesen, als der Sachverständige selbst erstmals eine solche Diagnose gestellt hat und nicht etwa ein behandelnder Facharzt. Dies entnimmt der Senat den Ausführungen von Prof. B., er danke dem Wahlgutachter für die Überweisung des Klägers.

In formaler Hinsicht ist dem Wahlgutachten letztlich auch vorzuhalten, dass es - entgegen den Ausführungen in dem Beweisbeschluss des Senats vom 14. April 2016 - die Folgen beider Unfälle vermengt und eine Gesamt-MdE von 30 v.H. vorschlägt, was aus Rechtsgründen ausscheidet.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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