L 5 R 3472/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 722/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3472/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente.

Der 1957 geborene Kläger hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zuletzt hat er als selbstständiger Gastwirt und Automatenaufsteller bis 2013 gearbeitet. Seine letzte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit war die einer Servicekraft im Gaststättengewerbe vom 03.02.2009 bis 30.06.2009. Davor war der Kläger vom 15.06.1981 bis 31.05.1994 bei der D. Ch. AG in der Härterei sozialversicherungspflichtig beschäftigt, wobei es sich um eine ungelernte Tätigkeit gehandelt hat (Auskünfte des Arbeitgebers vom 03.05.2007 und vom 11.03.2008). Zwischen dem 01.07.2009 und 24.03.2016 entrichtete er entweder freiwillige Beiträge oder bezog Kranken- oder Übergangsgeld. Festgestellt ist seit 20.01.2014 ein anerkannter Grad der Behinderung von 50, seit 02.03.2016 von 70.

Vom 12.12.2013 bis 09.01.2014 befand sich der Kläger (erneut) zu einer Heilbehandlung in der Rehaklinik H. in B.-B ... Im Entlassungsbericht vom 10.01.2014 wurden nachfolgende Diagnosen genannt:

1. Omalgie und Impingementsyndrom beidseits 2. Rezidivierendes pseudoradikuläres LWS-Syndrom (NPP L 4/5 und L5/S1 2005) 3. Zustand nach Hinterwandinfarkt 2005 (PTCA und Stent der RCA) 4. Ängstlich gedrückte Belastungsreaktion mit Schlafstörungen 5. Diabetes mellitus Typ II

Mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen seien weiterhin sechs Stunden und mehr täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche möglich.

Am 26.03.2014 stellte der Kläger bei der Beklagten (erneut) einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Berücksichtigung des Entlassungsberichts der Rehaklinik H. vom 10.01.2014 und Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Arztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. Sch. mit Bescheid vom 09.04.2014 ab. Der hiergegen vom Kläger am 14.04.2014 erhobene Widerspruch wurde durch die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2014 zurückgewiesen. Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage (S 10 R 1935/14) wurde mit Gerichtsbescheid vom 30.04.2015 abgewiesen. Die zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung (L 10 R 2484/15) nahm der Kläger zurück, nachdem die behandelnden Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. und Orthopädie sowie Unfallchirurgie Dr. G. unter dem 17.07.2015 bzw. 02.08.2015 als sachverständige Zeugen ein vollschichtiges Leistungsvermögen sechs Stunden und mehr täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche angenommen hatten.

Am 12.03.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Mit Bescheid vom 30.03.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die letzte Leistung zur medizinischen Rehabilitation sei am 09.01.2014 beendet worden. Damit seien seit dem Ende der letzten Leistung zur medizinischen Rehabilitation noch keine vier Jahre vergangen. Dringende gesundheitliche Gründe, die eine vorzeitige Leistung erfordern würden, lägen nicht vor. Der hiergegen am 17.04.2015 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2015 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger am 12.06.2015 Klage zum SG (S 5 R 1883/15). Das SG befragte zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen und beauftragte im Anschluss den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie M. mit der Begutachtung des Klägers. Auf psychiatrischem Fachgebiet stellte dieser die Diagnose einer agitierten Depression im Sinne einer mittelgradigen bis schweren depressiven Erkrankung. Die letzte berufliche Tätigkeit als Gastwirt sei nur noch unter drei Stunden täglich möglich. Durch eine zeitnahe medizinische Rehabilitationsbehandlung sei eine Verbesserung allerdings nicht denkbar. Zur Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei einem noch vollschichtigen Leistungsbild von täglich sechs Stunden und mehr sollte ggf. im Anschluss an eine akutpsychiatrische stationäre Behandlung eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsbehandlung angeschlossen werden (Gutachten vom 08.12.2015). Der Kläger nahm daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2016 die Klage zurück.

Am 18.12.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 29.12.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung gab sie an, beim Kläger sei nach einem Hinterwandinfarkt im Jahr 2005 eine Herzkranzgefäßerweiterung durchgeführt und ein Stent implantiert worden. Außerdem leide er an einer Omalgie, einem beidseitigen Impingementsyndrom, einem rezidivierenden LWS-Syndrom, Diabetes mellitus Typ II und einer ängstlich gedrückten Belastungsreaktion mit Schlafstörungen. Trotz dieser Erkrankungen sei er aber gesundheitlich noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Er sei daher nicht erwerbsgemindert im Sinn des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Es liege auch keine Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 SGB VI vor. Denn ausgehend von seinem bisherigen Beruf seien ihm sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sozial zumutbar.

Hiergegen legte der Kläger am 02.01.2016 Widerspruch ein. Unter Vorlage von Arztbriefen trug er vor, sein Gesundheitszustand habe sich zuletzt drastisch verschlechtert. Sobald er körperlich tätig sei oder weiter als 80 Meter gehe, bekomme er starke Brustschmerzen und Schweißausbrüche. Er sei gesundheitlich keinesfalls mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen - weder drei noch sechs Stunden pro Tag.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Internisten und Rheumatologen Dr. L. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten vom 19.01.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2016 zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, das Leistungsvermögen des Klägers sei zwar qualitativ eingeschränkt, aber nicht quantitativ. Nach ihrer Einschätzung sei er auch durchaus noch in der Lage, viermal täglich eine Strecke von 500 Metern in jeweils 15 bis 20 Minuten zurückzulegen; seine Wegefähigkeit sei also nicht in relevantem Umfang eingeschränkt.

Hiergegen erhob der Kläger am 01.03.2016 Klage zum SG (S 5 R 722/16). Zur Begründung führte er aus, dass er mittlerweile zusätzlich an einer schweren Depression erkrankt sei. Vor diesem Hintergrund sei eine geregelte Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG erhob Beweis durch die Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 08.04.2016 teilte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. mit, dass der Kläger regelmäßig über depressive Beschwerden mit ubiquitären Schmerzen, Brennparästhesien, innerer Leere, sozialem Rückzug, Erschöpfung, Antriebslosigkeit, fehlender Belastbarkeit, Reizbarkeit mit Neigung zu verbaler Aggression, Konzentrationsunfähigkeit, Freudlosigkeit, Schlafstörungen und depressiver Herabgestimmtheit trotz hochdosierter Antidepressiva-Therapie leide. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes sei im gesamten Behandlungsverlauf seit Februar 2014 nicht festgestellt worden. Die maßgeblichen Erkrankungen des Klägers lägen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Der Kläger sei auf Dauer nicht mehr fähig, einer leichten Berufstätigkeit für drei Stunden täglich oder mehr nachzugehen. Dr. M., Arzt für Allgemeinmedizin, ging in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 11.04.2016 von einer Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustands des Klägers bei regelmäßigen Untersuchungen aus. Maßgeblich für die Leiden des Klägers sei das Fachgebiet der Inneren Medizin (insbesondere Kardiologie und Diabetologie) sowie Orthopädie und Neurologie/Psychiatrie. Der Kläger sei jedoch noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G. teilte in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.04.2016 mit, dass es zu keiner wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes gekommen sei. Das maßgebliche Leiden liege auf orthopädisch, neurochirurgischem und neurologischem Fachgebiet. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer vollschichtigen Tätigkeit nachzugehen. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. R. teilte schließlich in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25.05.2016 mit, dass der Befund des Klägers im letzten Jahr auf niedrigem Niveau konstant geblieben sei. Die Beschwerden, die die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers einschränken würden, lägen im Wesentlichen im Bereich Kardiologie, Psychiatrie und Diabetologie. Hiernach sei der Kläger nicht für sechs Stunden pro Tag arbeitsfähig, auch nicht in einem leichten Arbeitsumfeld.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.08.2016 wies das SG die Klage ab. Trotz der beim Kläger vorliegenden Erkrankungen sei dieser noch in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Nach Einschätzung der behandelnden Ärzte werde das Leistungsvermögen weniger durch die körperlichen als durch die psychischen Beschwerden limitiert. Der psychopathologische Befund rechtfertige allerdings nicht die Annahme, der Kläger könne nicht mehr sechs Stunden pro Tag arbeiten. Vielmehr bestehe nach der überzeugenden Auffassung des Sachverständigen M. aus dem Verfahren S 5 R 1883/15 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ein vollschichtiges Leistungsbild; zu vermeiden seien nur Schichtarbeit sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr und erhöhten Anforderungen an Flexibilität oder emotionale Belastbarkeit. Seit der Untersuchung durch den Arzt M. am 08.12.2015 habe sich der psychische Zustand des Klägers nicht wesentlich geändert, so dass die Einschätzung des Sachverständigen nach wie vor Gültigkeit habe. Der Kläger sei auch weiter in der Lage, eine Arbeitsstelle zu erreichen. Zwar habe der Kläger in seinem Widerspruch angegeben, er könne nur noch ca. 80 Meter gehen, danach träten "starke Brustschmerzen" auf. Dies allein könne das Gericht jedoch nicht überzeugen. Denn der kardiologische Befund seit dem Herzinfarkt im Jahr 2005 sei eher unauffällig. So habe auch der Kardiologe Dr. H. bei einer Kontrolluntersuchung des Klägers am 24.11.2015 festgestellt, dass die Herzinsuffizienz nach dem Hinterwandinfarkt insgesamt kompensiert sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Da der Kläger keine Berufsausbildung abgeschlossen und zuletzt weder eine qualifizierte Tätigkeit verrichtet habe noch Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er wie ein Facharbeiter entlohnt worden sei, sei er nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschema allenfalls als angelernter Arbeiter des unteren Bereichs anzusehen. Hiernach genieße er keinen Berufsschutz und sei auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Der Gerichtsbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers mittels Empfangsbekenntnis am 17.08.2016 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 14.09.2016 zum LSG erhobene Berufung des Klägers. Nachdem der Facharzt Dr. E. in seinem Befundbericht vom 08.04.2016 gegenüber dem SG zu dem Ergebnis komme, dass er, der Kläger, durchgehend schwer depressiv, kaum belastbar und äußerst konzentrationsschwach mit stark herabgesetztem Durchhaltevermögen sei, hätte der Gutachter M. um ergänzende Stellungnahme gebeten werden müssen. Ergänzend hat der Kläger unter Vorlage des Arztbriefes des Dr. E. vom 15.12.2016 vorgetragen, dass sich mittlerweile der Verdacht auf ein Schlaf-Apnoe-Syndrom bestätigt habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.08.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 01.12.2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung des SG sei auch nach Kenntnisnahme der Berufungsbegründung uneingeschränkt sachgerecht.

Der Senat hat von Amts wegen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der nervenärztlichen Begutachtung des Klägers beauftragt. In dem Gutachten vom 20.02.2017 stellt Dr. H. nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 15.02.2017 folgende Diagnosen:

Auf neurologischem Fachgebiet: Leichte Fuß- und Zehenheberparese beidseits. Im Übrigen Sensibilitätsstörung in beiden Beinen (rechtsbetont) sowie eine aufgehobenes Vibrationsempfinden im Bereich der Beine (Innenknöchel).

Auf psychiatrischem Fachgebiet: Leichte depressive Episode.

Hieraus resultierten qualitative Leistungseinschränkungen. Unter Berücksichtigung derselben sei der Kläger jedoch noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Es bestünden auch keine Beschränkungen des Arbeitsweges.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten des SG in den Verfahren S 2 R 3579/07, S 10 R 1935/14, S 5 R 1883/15 und S 5 R 722/16 sowie die Akten des Senats und die Senatsakte im Verfahren L 10 R 2484/15 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu Recht abgelehnt.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll- bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Davon ausgehend steht dem Kläger keine Erwerbsminderungsrente zu. Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats nicht erwerbsgemindert. Er ist nach wie vor in der Lage, zumindest leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem täglichen zeitlichen Umfang von 6 Stunden und mehr in einer Fünf-Tage-Woche nachzugehen.

Soweit der Kläger sein Rentenbegehren in der Berufungsbegründung maßgeblich auf die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet stützt, rechtfertigen diese zur Überzeugung des Senats keine quantitative Leistungseinschränkung. Der Senat folgt der nachvollziehbaren und schlüssigen Leistungseinschätzung des Gutachters Dr. H ... Hiernach leidet der Kläger an einer leichten Fuß- und Zehenheberparese beidseits sowie an einer Sensibilitätsstörung in beiden Beinen (rechts betont) und einem aufgehobenen Vibrationsempfinden im Bereich der Beine (Innenknöchel). Daneben zeigte sich eine depressive Erkrankung im Sinne einer leichten depressiven Episode. Hieraus ergeben sich qualitative Leistungseinschränkungen. Aufgrund der vorliegenden diabetischen Polyneuropathie sollten Arbeiten auf unebenem Boden, Arbeiten auf schwankendem Arbeitsgerät und Arbeiten, die eine besondere Stand- und Gangsicherheit erfordern, ebenso wie besonders lange Wegstrecken vermieden werden. Aufgrund der Depression ist eine Überforderung durch Akkordarbeit, Nachtarbeit oder durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck zu vermeiden. Dies gilt gleichermaßen für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung. Unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen ist die Einschätzung von Dr. H. nachvollziehbar und schlüssig, dass der Kläger noch in der Lage ist, ohne eine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. So war der Kläger im Rahmen der Begutachtung bewusstseinsklar und allseits orientiert. Seine Auffassung, Konzentration und das Durchhaltevermögen zeigten keine Einschränkungen. Auch mnestische Störungen ließen sich nicht nachweisen, weder im Hinblick auf die Merkfähigkeit oder das Kurzzeitgedächtnis noch auf das Langzeitgedächtnis. Auch der formale Gedankengang war geordnet und nicht verlangsamt. Inhaltliche Denkstörungen zeigten sich nicht. Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen konnten ebenso wenig wie Sinnestäuschungen oder Ichstörungen beobachtet werden. Die Stimmungslage war leicht gedrückt, themenabhängig kam es aber zu einer Auflockerung. Die aktive Schwingungsfähigkeit war leicht reduziert. Auch der Antrieb war leicht reduziert. Ausgehend hiervon ist die Leistungseinschätzung des Gutachters für den Senat nachvollziehbar und schlüssig.

Darüber hinaus begründen auch weder die Erkrankungen des Klägers auf internistischem/diabetologischem/orthopädischem Fachgebiet noch die Erkrankungen des Klägers in einer Gesamtschau eine quantitative Leistungseinschränkung. Insoweit stützt sich der Senat neben dem Gutachten von Dr. H. auf den Reha-Entlassungsbericht vom 10.01.2014. In diesem wurde bei nahezu identischen Diagnosen unter Berücksichtigung sämtlicher Erkrankungen des Klägers ebenfalls ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen. Im Übrigen kam auch der Gutachter M. in seinem Gutachten vom 08.12.2015 zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das mittlerweile bestätigte Schlaf-Apnoe-Syndrom ist behandlungsfähig. Es führt allenfalls zu den bereits aufgrund der depressiven Erkrankung sich ergebenden qualitativen Einschränkungen.

Eine quantitative Leistungsminderung ergibt sich zur Überzeugung des Senats im Übrigen auch nicht aus den sachverständigen Zeugenauskünften der behandelnden Ärzte. Diese lassen bereits eine Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Leistungseinschätzung vermissen. Auch haben die behandelnden Fachärzte im Verfahren L 10 R 2484/15 noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen und eine Verschlechterung gleichzeitig verneint. Insbesondere ist durch die gerichtlichen Sachverständigengutachten aber geklärt, dass die Erkrankungen des Klägers keine derart gravierende Auswirkung haben. Die Leistungseinschätzung der behandelnden Ärzte ist damit widerlegt. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st. Rspr. des Senats (statt vieler Urteil des Senats vom 22.02.2017, - L 5 R 791/15 -, n.v.; vgl. auch LSG, Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10, n.v.) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens i.d.R. keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.

Aus den medizinischen Unterlagen ergibt sich ein klares und eindeutiges Bild der (lediglich qualitativen) Leistungseinschränkungen. Bei einer Gesamtbetrachtung sind dauerhafte gravierende Leistungseinschränkungen damit nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Kläger eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben sind, bestehen ebenfalls nicht. Ein Großteil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG, Urteil vom 30.11.1983, - 5 ARKn 28/82 - ; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, - GS 2/95 -; siehe auch BSG, Urteil vom 05.10.2005, - B 5 RJ 6/05 R - , alle in juris). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger leidensgerecht unzumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich oder mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass der Kläger vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Der Kläger ist 1957 und damit vor dem Stichtag geboren, er ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Der Kläger hat keinen Beruf erlernt, er war auch versicherungspflichtig nur in ungelernten Tätigkeiten beschäftigt. Auf Grund dieser ungelernten Tätigkeiten kann der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG, vgl. BSG, Urteile vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/96 -, vom 18.02.1998 - B 5 RJ 34/97 R -, jeweils m.w.N; beide in juris).

Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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