L 9 R 3701/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 2974/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3701/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. September 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1962 geborene Kläger ist 1980 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Zuletzt war er bis 30.06.2003 abhängig beschäftigt, war danach arbeitslos und bezog Entgeltersatzleistungen der Bundesagentur bzw. über das Jobcenter. Er beantragte am 21.10.2014 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 60 festgestellt.

Die Beklagte gab nach Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichten ein Gutachten bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin M. in Auftrag. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 17.11.2014 eine Angstsymptomatik kombiniert mit depressiven Episoden (zurzeit leichte Episode) fest und vertrat die Auffassung, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr am Tag verrichten könne. Hierauf lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung mit Bescheid vom 27.11.2014 ab. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte erneut Befund- und Behandlungsberichte bei und beauftragte den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens. In diesem Gutachten vom 16.03.2015 stellte der beauftragte Sachverständige eine Angst- und depressive Störung, eine Zwangsstörung (vor allem Zwangshandlungen), dringende Hinweise für eine Alkoholabhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung in den 1990er Jahren, derzeit glaubhaft abstinent), leichte, nicht leistungsrelevante Polyneuropathiezeichen fest. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger für leichte bis mittelschwere Wechseltätigkeiten ohne Nachtschicht, ohne Tätigkeiten mit vermehrtem Anspruch an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen und ohne Tätigkeiten im Akkord sechs Stunden und mehr täglich leistungsfähig. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 27.05.2015 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und auf seine seit Jahren bestehenden starken Depressionen und die Zwangsstörung hingewiesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen bei der Internistin Dr. M., dem Neurologen und Psychiater Dr. D. und dem Internisten Dr. B. Ferner hat es Dr. P. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt.

Dr. M. hat unter dem 26.08.2015 berichtet, dass Einschränkungen bei der Arbeitsfähigkeit bei fehlender Einschränkung der Lungenfunktion nicht vorlägen. Von pneumologischer Seite bestünden kaum Einschränkungen. Dr. D. (11.09.2015) hat regelmäßige Konsultationen in vierteljährlichem Abstand angegeben und über ausgeprägte Angst- und Unruhezustände, Grübelzwänge, Schlafstörungen und eine fluktuierende depressive Verstimmung mit rezidivierenden suizidalen Gedanken berichtet, von denen sich der Kläger jeweils habe distanzieren können. Des Weiteren habe dieser von Kontrollzwängen berichtet, die sich im Alltag erheblich beeinträchtigend auswirkten. Er stimme mit der Leistungsbeurteilung des vorliegenden Gutachtens nicht überein. Der zeitliche Rahmen, in dem der Kläger noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchführen könne, liege unter drei Stunden. Der behandelnde Hausarzt Dr. B. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 02.10.2015 unter Berücksichtigung einer hausärztlichen Betreuung seit 21.07.1995 und einer umfangreichen Untersuchung am 28.01.2015 sowie den ihm zur Verfügung gestellten Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren deren Leistungseinschätzung zugestimmt.

Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 23.02.2016 auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet Anpassungsstörungen mit psychosozialer Belastungssituation, depressive Verstimmungen, Kontrollbedürfnis, Vermeidungsverhalten, Rentenbegehren und eine Polyneuropathie, vermutlich äthyltoxischer Genese bei zurückliegender Missbrauchsproblematik, glaubhaft trocken, festgestellt. Der Kläger sei in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuführen. Aus neurologischer Sicht seien wegen der Polyneuropathie Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten und Tätigkeiten unter widrigen Witterungseinflüssen, aus psychiatrischer Sicht Tätigkeiten verbunden mit Nachtschicht, erhöhtem Zeitdruck, Akkord- und Fließbandarbeiten zu vermeiden.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.09.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet zur Überzeugung der Kammer keine rentenrelevanten quantitativen Leistungseinschränkungen bestünden. Hierbei hat sich die Kammer auf die Feststellungen des gerichtlich bestellten Gutachters Dr. P. gestützt, dessen Ausführungen und Einschätzung sich die Kammer angeschlossen hat. Wegen der weiteren Begründung wird auf Blatt 5 bis 7 der Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen den den Bevollmächtigten des Klägers am 08.09.2016 zugestellten Gerichtsbescheid haben diese am 06.10.2016 Berufung zum Landessozialgericht Stuttgart eingelegt und unter Vorlage eines weiteren Attestes des Dr. D. vom 14.10.2016 daran festgehalten, dass er voll erwerbsgemindert sei, weil er auf nicht absehbare Zeit außerstande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ferner hat er den Befundbericht des Orthopäden Dr. H. vom 19.11.2015 (Diagnose: chronisches Lumbalsyndrom, anhaltende Rückenschmerzen ohne Ausstrahlung) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. September 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der vorgelegten sozialmedizinischen Stellungnahme hat Dr. J. die Auffassung vertreten, dass Dr. D. keinen neuen medizinischen Sachverhalt vorgebracht habe. Dass der Kläger nicht mehr erwerbsfähig sei, habe durch das Gutachten von Dr. P. nicht bestätigt werden können.

Mit Beschluss vom 03.03.2017 hat der Senat die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe (§ 144 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) liegen nicht vor.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung – § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) – dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren sowie der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat ein Absinken der beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, was zu einer zu befristenden Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes führen würde, nicht festzustellen vermag. Dies hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 03.03.2017, mit dem er den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, wie folgt begründet:

"Das SG hat sich zur Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. P. gestützt, der nach umfangreicher neurologischer und psychiatrischer Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen war, dass aufgrund der von ihm diagnostizierten Anpassungsstörungen bei psychosozialer Belastungssituation, depressiven Verstimmungen, Kontrollbedürfnis, Vermeidungsverhalten, Rentenbegehren und Polyneuropathie (vermutlich äthyltoxischer Genese bei zurückliegender Missbrauchsproblematik, glaubhaft trocken) eine zeitliche Leistungsminderung auf weniger als sechs Stunden am Tag unter Berücksichtigung der von ihm dargestellten qualitativen Einschränkungen nicht resultiert. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit dem von der Beklagten eingeholten Gutachten von Dr. B., der ebenfalls keine zeitliche Leistungsminderung in rentenberechtigendem Grad festzustellen vermochte. Schließlich haben auch die gehörten sachverständigen Zeugen Dr. M. aus internistisch-pneumologischer Sicht und der Hausarzt Dr. B. diese Auffassung vertreten. Soweit der behandelnde Nervenarzt Dr. D. die Leistungsfähigkeit des Klägers unter Berücksichtigung der Diagnose "Angst und depressive Störung gemischt" sowie von Zwangsgedanken und -handlungen auf unter drei Stunden abgesunken sieht, hat sich der vom SG beauftragte Sachverständige hiermit ausführlich auseinandergesetzt und für den Senat schlüssig und überzeugend begründet, warum dieser Leistungseinschätzung nicht gefolgt werden kann. Der Senat sieht diese Einschätzung durch die Gutachten und letztlich auch durch die Beurteilung des Hausarztes als widerlegt.

Die vorliegende Berufungsbegründung vermochte eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu begründen. Die vorgelegte fachärztliche Stellungnahme des Dr. D. bzw. der Befundberichte des Orthopäden Dr. H. beschreiben weder einen neuen Sachverhalt noch geben sie Veranlassung zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen. Die Auffassung des Dr. D. ist – wie bereits ausgeführt wurde – im Rahmen von zwei neurologisch-psychiatrischen Gutachten gewürdigt worden, ohne dass die von Dr. D. angegebene zeitliche Leistungsminderung verifiziert werden konnte. Soweit Dr. H. von einem chronischen Lumbalsyndrom spricht, ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine hieraus resultierende zeitliche Leistungsminderung, nachdem radikuläre Ausstrahlungen auch vom behandelnden Orthopäden verneint wurden und sich die Therapie auf Krankengymnastik und Ibuprofen bei Bedarf beschränkt. Insoweit hat das Gutachten von Dr. B. bereits darauf hingewiesen, dass radikuläre sensible Defizite nicht nachzuweisen waren und Anhalte für eine Nervenwurzelreizung oder Nervenwurzelkompression nicht bestehen."

Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen, zumal der Kläger zur Begründung der Berufung allein auf die Stellungnahmen des Dr. D. und auf das vorgelegte Attest des Dr. H. vom 19.11.2015 verweist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klage auch im Berufungsverfahren ohne Erfolg geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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