Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AL 896/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 176/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.07.2015 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich noch gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 14.05.2010 und die damit verbundene Erstattungsforderung i. H. v. insgesamt 2.552,70 Euro.
Der am 00.00.1965 geborene Kläger ist verheiratet und Vater zweier Kinder (geb. 1995 und 1999). Er war seit dem 01.07.2001 als kaufmännischer Mitarbeiter bei der Fa. U GmbH tätig. Nachdem diese das Gehalt für mehrere Monate nicht mehr gezahlt hatte und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden war, kündigte der Kläger am 31.07.2009 das Arbeitsverhältnis fristlos.
Er meldete sich sodann am 05.08.2009 mit Wirkung zum 01.08.2009 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Bei der Antragsannahme am 10.09.2009 ergänzte der Mitarbeiter der Beklagten G auf dem vom Kläger mitgeführten und von ihm teilweise ausgefüllten Antragsformular in grüner Schrift u. a. unter Punkt 5a die Steuerklasse III mit 1,5 Kinderfreibeträgen entsprechend der Eintragungen der vom Kläger vorgelegten Lohnsteuerkarte 2009. Der Inhalt des bei der Antragsannahme geführten Gesprächs ist zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger sodann mit Bescheid vom 10.09.2009 Arbeitslosengeld in Hohe eines täglichen Leistungsbetrages von 29,51 Euro für 360 Tage ab dem 01.08.2009. Zahlungen erfolgten zunächst bis einschließlich des 14.05.2010.
Zwischen dem 15.05.2010 und dem 02.07.2010 war der Kläger als Helfer in einer Kfz-Werkstatt beschäftigt. Am 07.07.2010 beantragte er erneut Arbeitslosengeld und legte die Lohnsteuerkarte 2010 vor, auf der die Steuerklasse V eingetragen war. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 03.09.2010 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 im Umfang von 76 Tagen mit einem täglichen Leistungsbetrag von 29,51 Euro.
Zwischen dem 02.09.2010 und dem 22.10.2010 bezog der Kläger Krankengeld. Am 22.10.2010 meldete er sich erneut arbeitslos.
Mit Schreiben vom 08.11.2010 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Teilaufhebung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 14.05.2010 und vom 07.07.2010 bis 01.09.2010 i. H. v. 10,05 Euro täglich, mithin i. H. v. insgesamt 1.909,50 Euro, an. Er habe den Eintrag auf der Lohnsteuerkarte ändern lassen, wodurch sich ab dem 01.01.2010 ein niedrigerer Leistungsanspruch ergebe. Die Überzahlung sei dadurch verursacht worden, dass er eine für den Leistungsanspruch erhebliche Veränderung nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, was eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) rechtfertige. Hierzu führte der Kläger im Rahmen seiner Stellungnahme aus, den Steuerklassenwechsel vor Antragstellung vorgenommen zu haben. Bei Antragstellung sei bekannt gewesen und berücksichtigt worden, dass auf der Lohnsteuerkarte noch keine geänderte Eintragung vorgelegen habe.
Nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Menden gegenüber der Beklagten vom 06.12.2010 erfolgte die Änderung der Lohnsteuerklasse des Klägers zum 01.09.2009.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 06.12.2010, dessen Zugang beim Kläger nicht nachweisbar ist, hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeiträume vom 01.09.2009 bis zum 31.12.2009, vom 01.01.2010 bis zum 14.05.2010 sowie vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 teilweise in Höhe von 10,05 Euro täglich auf und verlangte von ihm die Erstattung von 3.115,50 Euro. Der Kläger habe zum 01.09.2009 einen Steuerklassenwechsel vorgenommen und diesen zunächst nicht angegeben. Im Antrag vom 07.07.2010 habe er nicht angekreuzt, dass eine Änderung erfolgt sei. Aufgrund des erfolgten Steuerklassenwechsels habe er tatsächlich einen niedrigeren Anspruch auf Arbeitslosengeld besessen, als ihm bewilligt worden sei.
Nachdem der Kläger zunächst eine Aufforderung zur Zahlung von 1.909,50 Euro vom 25.11.2010 erhalten und hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, übersandte die Beklagte ihm eine Kopie ihres Bescheides vom 06.12.2010. Hiergegen legte er am 24.02.2011 Widerspruch ein. Er habe bei der Antragsabgabe im August 2009 auf den bevorstehenden Steuerklassenwechsel hingewiesen. Dies habe der Sachbearbeiter G beim Ausfüllen des Formulars nicht berücksichtigt. Bei der erneuten Antragstellung im Jahre 2010 habe es sich nur um einen Weiterbewilligungsantrag gehandelt. Er sei davon ausgegangen, dass jeweils die richtige Steuerklasse zugrunde gelegt worden sei. Im Übrigen erhebe er die Entreicherungseinrede.
In einer im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholten Stellungnahme gab ihr Mitarbeiter G an, sich an den Kläger oder ein Gespräch mit diesem am 10.09.2009 nicht erinnern zu können. Er könne aber ausschließen, dass der vom Kläger geschilderte Verlauf zutreffe, da er in diesem Falle nur eine vorläufige Bewilligung veranlasst und um Nachreichung der Unterlagen über die Steuerklassenänderung gebeten hätte. Nach dem 10.09.2009 habe er die Akte ersichtlich nicht mehr selber bearbeitet.
Nachdem die Beklagte vergeblich vorgeschlagen hatte, das Verfahren vergleichsweise durch Verzicht auf die Aufhebung für die Zeit vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 gegen Rücknahme des Widerspruchs im Übrigen zu beenden, half sie durch Widerspruchsbescheid vom 28.09.2011 dem Widerspruch ab, soweit er sich auf die Aufhebung im Zeitraum vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 bezog, und reduzierte den Erstattungsbetrag auf 2.552,70 Euro. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach Maßgabe des § 133 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung vom 19.12.2008 (a.F.) ergebe sich für den Kläger nach der zum 01.09.2009 vorgenommenen Änderung der Lohnsteuerklasse ein niedrigerer Anspruch auf Arbeitslosengeld, der auch ab dem 01.09.2009 zu berücksichtigen sei. Die Beklagte habe ihre Bewilligungen unter Zugrundelegung von Steuerklasse III vorgenommen, obwohl zutreffend von Steuerklasse V auszugehen gewesen sei. Die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 und Nr. 4 - gemeint sind offenbar Nr. 2 und Nr. 3 - SGB X lägen für die Zeiträume vom 01.09.2009 bis zum 31.12.2009 und vom 01.01.2010 bis zum 14.05.2010 vor, da der Kläger in seinem Antrag Angaben gemacht habe, die nicht den Tatsachen entsprochen hätten und zudem aufgrund der Hinweise im Merkblatt für Arbeitslose und in den Bewilligungsbescheiden leicht habe erkennen können, dass ihm Leistungen unter Zugrundelegung der bisherigen Lohnsteuerklasse nicht zugestanden hätten. Nur bezüglich des Zeitraums vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 habe der Kläger die zu hohe Bewilligung nicht zu vertreten, da er seinem Antrag vom 07.07.2010 die Lohnsteuerkarte 2010 mit der Eintragung der Steuerklasse V beigefügt habe.
Daraufhin hat der Kläger am 07.11.2011 Klage zum Sozialgericht Dortmund erhoben.
Unter Vertiefung und Ergänzung seines bisherigen Vorbringens hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass ihm jedenfalls im Hinblick auf die zu hoch erfolgte Bewilligung von Arbeitslosengeld weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei. Zudem sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihn gesondert von den Hinweisen im Merkblatt über die leistungsrechtlichen Gefahren des beabsichtigten Steuerklassenwechsels zu beraten, um den ansonsten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken zu begegnen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2011 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat im Wesentlichen Bezug auf den Inhalt des Bescheides und des Widerspruchsbescheides genommen.
Das Sozialgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung des Beklagtenmitarbeiters G als Zeugen. Wegen der Einzelheiten der Zeugenvernehmung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat sodann die Klage durch Urteil vom 09.07.2015, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat Bezug nimmt, abgewiesen.
Gegen das ihm am 04.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.09.2015 Berufung eingelegt und sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 09.07.2015 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das aus ihrer Sicht zutreffende Urteil.
Der Senat hat nach mündlicher Verhandlung und Vertagung der Streitsache am 27.10.2016 sowie nachfolgendem Vergleichswiderruf durch den Kläger durch Einholung einer Auskunft der Stadt Menden vom 29.11.2016 über den Zeitpunkt der Änderung der Lohnsteuerklasse zum 01.09.2009 Beweis erhoben.
Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 30.12.2016 dazu angehört, die Aufhebungsentscheidung nunmehr auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 4 - gemeint sind offenbar Nr. 2 und Nr. 3 - SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III zu stützen. Er hat sich hierzu trotz Erinnerung nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist insbesondere gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1, 64 Abs. 2 SGG). Die vollständig abgefasste Entscheidung ist dem Kläger am 04.08.2015 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist beim Landessozialgericht am 03.09.2015 eingegangen.
II. Die Berufung ist nicht begründet, denn die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist ihrerseits nicht begründet.
Das Sozialgericht hat den Sachverhalt rechtlich zutreffend gewürdigt und die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch den angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2011 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in seinen Rechten verletzt. Der Bescheid erweist sich soweit er den nur noch streitigen Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 14.05.2010 betrifft als rechtmäßig, denn der Kläger bezog in diesem zu Unrecht Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der Steuerklasse III, obwohl er sich bereits zum 01.09.2009 in Steuerklasse V einstufen ließ. Es lagen somit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligung nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III sowie für eine Erstattung gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor.
Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichtes in seinem Urteil vom 09.07.2015 an. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen. Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, der Klage zum Erfolg zu verhelfen.
1. Unter Berücksichtigung des Inhaltes der Verwaltungsakte, wonach die Änderung der Lohnsteuerklasse zum 01.09.2009 erfolgt ist, des Vortrages des Klägers, dass er im August 2009 gegenüber der Beklagten die Absicht des Steuerklassenwechsels und im Gespräch am 10.09.2009 die Umsetzung dieses Planes angeben habe, und der Auskunft der Stadt Menden, dass bereits am 31.08.2009 eine Änderung der Lohnsteuerklasse vorgenommen worden sei, geht auch der Senat davon aus, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 10.09.2009 schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig und Rechtsgrundlage für die Rücknahme folglich § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III gewesen ist.
2. Der Bescheid begegnet in Anbetracht der Rechtsprechung des Senates (vgl. Beschluss vom 22.07.2015 - L 9 AL 9/15 B, juris; Beschluss vom 11.07.2013, L 9 AL 84/13, juris) keinen formellen Bedenken. Die hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Anhörung nach § 24 SGB X bestehenden Zweifel hat die Beklagte jedenfalls durch Nachholung mit Schreiben vom 30.12.2016 beseitigt und einen etwaigen Anhörungsfehler gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt. Denn sie hat dem Kläger außerhalb des Gerichtsverfahrens die wesentlichen (objektiven und subjektiven) Tatsachen mitgeteilt, auf die sie ihre Entscheidung stützt, und ihm hinreichend Gelegenheit gegeben, zu den von ihr für entscheidungserheblich gehaltenen Tatsachen Stellung zu nehmen.
3. Ob die Bewilligung auf Angaben beruhte, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), lässt sich auch für den Senat nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen.
4. Allerdings teilt der Senat die Einschätzung des Sozialgerichtes in vollem Umfang, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligung infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Denn er hat die erforderliche Sorgfalt insoweit in besonders schwerem Maße verletzt. Für die Erfüllung der groben Fahrlässigkeit reicht es zwar nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat. Vielmehr müssen die Zweifel so ausgestaltet sein, dass die Notwendigkeit einer Nachfrage für jeden erkennbar wäre (vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: 10.10.2016, § 45 SGB X, Rn. 87 m. w. N.). Vom Begünstigten wird dabei nicht verlangt, dass er den Bescheid in allen Einzelheiten rechtlich überprüft, um alle möglichen Fehler zu finden. Allerdings obliegt es ihm, den ihm bekannt gegebenen Bescheid wenigstens von vorne bis hinten zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, denn im Sozialrechtsverhältnis sind alle Beteiligten gehalten, sich gegenseitig vor vermeidbaren, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schäden zu bewahren.
Jedenfalls bei sorgfältiger Lektüre des Bewilligungsbescheides vom 10.09.2009 (S. 4: "Lohnsteuerklasse Ab 01.08.2009 werden Sie entsprechend der Eintragung auf Ihrer Lohnsteuerkarte der Lohnsteuerklasse III zugeordnet.") hätte der Kläger - selbst bei Wahrunterstellung seiner Schilderungen über das Gespräch mit dem Zeugen G am 10.09.2009 - erkennen müssen, dass seine Angaben nicht berücksichtigt worden waren. Dementsprechend wäre er gehalten gewesen, bei der Beklagten nachzufragen. Dass er dies unterlassen hat, geht zu seinen Lasten.
5. Der Kläger hat im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren jeweils ausdrücklich die Einrede der Entreicherung erhoben. Dem liegt offenbar die irrige Annahme zugrunde, dass § 818 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Sozialrechtsverhältnis entsprechend anzuwenden wäre. § 45 Abs. 2 SGB X regelt aber bereits den Fall des Verbrauchs erbrachter Leistungen abschließend und zwar in Form eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses: Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf danach nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1). Das ist in der Regel der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Liegt einer der Fälle des Satzes 3 vor, ist die Berufung auf Vertrauensschutz hingegen ausnahmsweise ausgeschlossen. Der Entreicherungseinrede bzw. dem Argument des Vertrauensschutzes steht im Fall des Klägers der erfüllte Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X entgegen.
6. Die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid auch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme der Bewilligungsentscheidung rechtfertigten, zurückgenommen (§ 45 Abs. 4 Satz 1, 2 SGB X).
Die Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die zur Aufhebung nach § 45 SGB X berechtigen. Da § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X neben objektiven auch subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) enthält, muss die Behörde z. B. auch von der Bösgläubigkeit des Betroffenen Kenntnis haben. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R -, juris Rn. 24; Senat, Urteil vom 05.06.2008 - L 9 AL 157/08 -, juris Rn. 31). Von diesem Grundsatz lässt der vorliegende Fall keine Ausnahme zu. Insbesondere sind keine Umstände ersichtlich, die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen anderen Zeitpunkt des Beginns der Jahresfrist rechtfertigen könnten, etwa, wenn die Beklagte bewusst davon abgesehen hätte, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Selbst ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit reicht nicht aus (vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: Stand: 10.10.2016, § 45 SGB X, Rn. 108 m. w N.). Der Kläger behauptet die Fristverletzung auch lediglich, ohne hierzu dezidiert vorzutragen.
7. Der von dem Kläger bemühte sozialrechtliche Herstellungsanspruch (s. dazu Hassel in: Brand, SGB III, 7. Aufl. 2015, § 323 Anh Rn. 28 ff.) wäre selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben, da die Beklagte den Kläger durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln nicht so stellen könnte, als ob er sich während des Leistungsbezuges weiter in Steuerklasse III befunden hätte (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.1980 - 7 RAr 14/78 -, juris Rn. 30; Senat, Urteil vom 29.01.1998 - L 9 Ar 184/96 -, juris). Denn er hatte tatsächlich durch Erklärung gegenüber der Stadt Menden die Steuerklasse zum 01.09.2009 gewechselt.
8. Das vom Kläger zitierte Urteil des BSG vom 29.08.2002 zum Az. B 11 AL 87/01 R (juris, vgl. auch BSG, Urteil vom 01.04.2004 - B 7 AL 52/03 R -, juris; Urteil vom 16.03.2005 - B 11a/11 AL 41/03 R -, juris) hat eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X zum Gegenstand. Es verneint zudem die Annahme grober Fahrlässigkeit einer Mitteilungspflichtverletzung im Hinblick auf ein von der Beklagten im Januar 1998 erstellte Merkblatt. Mithin unterscheidet sich der Sachverhalt maßgeblich von dem durch den Senat zu beurteilenden.
9. Das ebenfalls angeführte Urteil des BSG vom 03.12.1980 zum Az. 4 RJ 113/79 (juris) betraf den seit dem 01.01.1992 gegenstandslosen § 1301 Reichsversicherungsordnung, der noch andere Voraussetzungen für die Rückforderung aufstellte (s. Rn. 13, 21 des Urteils) und von daher keine Relevanz für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 45 SGB X aufweist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich noch gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 14.05.2010 und die damit verbundene Erstattungsforderung i. H. v. insgesamt 2.552,70 Euro.
Der am 00.00.1965 geborene Kläger ist verheiratet und Vater zweier Kinder (geb. 1995 und 1999). Er war seit dem 01.07.2001 als kaufmännischer Mitarbeiter bei der Fa. U GmbH tätig. Nachdem diese das Gehalt für mehrere Monate nicht mehr gezahlt hatte und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden war, kündigte der Kläger am 31.07.2009 das Arbeitsverhältnis fristlos.
Er meldete sich sodann am 05.08.2009 mit Wirkung zum 01.08.2009 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Bei der Antragsannahme am 10.09.2009 ergänzte der Mitarbeiter der Beklagten G auf dem vom Kläger mitgeführten und von ihm teilweise ausgefüllten Antragsformular in grüner Schrift u. a. unter Punkt 5a die Steuerklasse III mit 1,5 Kinderfreibeträgen entsprechend der Eintragungen der vom Kläger vorgelegten Lohnsteuerkarte 2009. Der Inhalt des bei der Antragsannahme geführten Gesprächs ist zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger sodann mit Bescheid vom 10.09.2009 Arbeitslosengeld in Hohe eines täglichen Leistungsbetrages von 29,51 Euro für 360 Tage ab dem 01.08.2009. Zahlungen erfolgten zunächst bis einschließlich des 14.05.2010.
Zwischen dem 15.05.2010 und dem 02.07.2010 war der Kläger als Helfer in einer Kfz-Werkstatt beschäftigt. Am 07.07.2010 beantragte er erneut Arbeitslosengeld und legte die Lohnsteuerkarte 2010 vor, auf der die Steuerklasse V eingetragen war. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 03.09.2010 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 im Umfang von 76 Tagen mit einem täglichen Leistungsbetrag von 29,51 Euro.
Zwischen dem 02.09.2010 und dem 22.10.2010 bezog der Kläger Krankengeld. Am 22.10.2010 meldete er sich erneut arbeitslos.
Mit Schreiben vom 08.11.2010 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Teilaufhebung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 14.05.2010 und vom 07.07.2010 bis 01.09.2010 i. H. v. 10,05 Euro täglich, mithin i. H. v. insgesamt 1.909,50 Euro, an. Er habe den Eintrag auf der Lohnsteuerkarte ändern lassen, wodurch sich ab dem 01.01.2010 ein niedrigerer Leistungsanspruch ergebe. Die Überzahlung sei dadurch verursacht worden, dass er eine für den Leistungsanspruch erhebliche Veränderung nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, was eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) rechtfertige. Hierzu führte der Kläger im Rahmen seiner Stellungnahme aus, den Steuerklassenwechsel vor Antragstellung vorgenommen zu haben. Bei Antragstellung sei bekannt gewesen und berücksichtigt worden, dass auf der Lohnsteuerkarte noch keine geänderte Eintragung vorgelegen habe.
Nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Menden gegenüber der Beklagten vom 06.12.2010 erfolgte die Änderung der Lohnsteuerklasse des Klägers zum 01.09.2009.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 06.12.2010, dessen Zugang beim Kläger nicht nachweisbar ist, hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeiträume vom 01.09.2009 bis zum 31.12.2009, vom 01.01.2010 bis zum 14.05.2010 sowie vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 teilweise in Höhe von 10,05 Euro täglich auf und verlangte von ihm die Erstattung von 3.115,50 Euro. Der Kläger habe zum 01.09.2009 einen Steuerklassenwechsel vorgenommen und diesen zunächst nicht angegeben. Im Antrag vom 07.07.2010 habe er nicht angekreuzt, dass eine Änderung erfolgt sei. Aufgrund des erfolgten Steuerklassenwechsels habe er tatsächlich einen niedrigeren Anspruch auf Arbeitslosengeld besessen, als ihm bewilligt worden sei.
Nachdem der Kläger zunächst eine Aufforderung zur Zahlung von 1.909,50 Euro vom 25.11.2010 erhalten und hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, übersandte die Beklagte ihm eine Kopie ihres Bescheides vom 06.12.2010. Hiergegen legte er am 24.02.2011 Widerspruch ein. Er habe bei der Antragsabgabe im August 2009 auf den bevorstehenden Steuerklassenwechsel hingewiesen. Dies habe der Sachbearbeiter G beim Ausfüllen des Formulars nicht berücksichtigt. Bei der erneuten Antragstellung im Jahre 2010 habe es sich nur um einen Weiterbewilligungsantrag gehandelt. Er sei davon ausgegangen, dass jeweils die richtige Steuerklasse zugrunde gelegt worden sei. Im Übrigen erhebe er die Entreicherungseinrede.
In einer im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholten Stellungnahme gab ihr Mitarbeiter G an, sich an den Kläger oder ein Gespräch mit diesem am 10.09.2009 nicht erinnern zu können. Er könne aber ausschließen, dass der vom Kläger geschilderte Verlauf zutreffe, da er in diesem Falle nur eine vorläufige Bewilligung veranlasst und um Nachreichung der Unterlagen über die Steuerklassenänderung gebeten hätte. Nach dem 10.09.2009 habe er die Akte ersichtlich nicht mehr selber bearbeitet.
Nachdem die Beklagte vergeblich vorgeschlagen hatte, das Verfahren vergleichsweise durch Verzicht auf die Aufhebung für die Zeit vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 gegen Rücknahme des Widerspruchs im Übrigen zu beenden, half sie durch Widerspruchsbescheid vom 28.09.2011 dem Widerspruch ab, soweit er sich auf die Aufhebung im Zeitraum vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 bezog, und reduzierte den Erstattungsbetrag auf 2.552,70 Euro. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach Maßgabe des § 133 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung vom 19.12.2008 (a.F.) ergebe sich für den Kläger nach der zum 01.09.2009 vorgenommenen Änderung der Lohnsteuerklasse ein niedrigerer Anspruch auf Arbeitslosengeld, der auch ab dem 01.09.2009 zu berücksichtigen sei. Die Beklagte habe ihre Bewilligungen unter Zugrundelegung von Steuerklasse III vorgenommen, obwohl zutreffend von Steuerklasse V auszugehen gewesen sei. Die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 und Nr. 4 - gemeint sind offenbar Nr. 2 und Nr. 3 - SGB X lägen für die Zeiträume vom 01.09.2009 bis zum 31.12.2009 und vom 01.01.2010 bis zum 14.05.2010 vor, da der Kläger in seinem Antrag Angaben gemacht habe, die nicht den Tatsachen entsprochen hätten und zudem aufgrund der Hinweise im Merkblatt für Arbeitslose und in den Bewilligungsbescheiden leicht habe erkennen können, dass ihm Leistungen unter Zugrundelegung der bisherigen Lohnsteuerklasse nicht zugestanden hätten. Nur bezüglich des Zeitraums vom 07.07.2010 bis zum 01.09.2010 habe der Kläger die zu hohe Bewilligung nicht zu vertreten, da er seinem Antrag vom 07.07.2010 die Lohnsteuerkarte 2010 mit der Eintragung der Steuerklasse V beigefügt habe.
Daraufhin hat der Kläger am 07.11.2011 Klage zum Sozialgericht Dortmund erhoben.
Unter Vertiefung und Ergänzung seines bisherigen Vorbringens hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass ihm jedenfalls im Hinblick auf die zu hoch erfolgte Bewilligung von Arbeitslosengeld weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei. Zudem sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihn gesondert von den Hinweisen im Merkblatt über die leistungsrechtlichen Gefahren des beabsichtigten Steuerklassenwechsels zu beraten, um den ansonsten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken zu begegnen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2011 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat im Wesentlichen Bezug auf den Inhalt des Bescheides und des Widerspruchsbescheides genommen.
Das Sozialgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung des Beklagtenmitarbeiters G als Zeugen. Wegen der Einzelheiten der Zeugenvernehmung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat sodann die Klage durch Urteil vom 09.07.2015, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat Bezug nimmt, abgewiesen.
Gegen das ihm am 04.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.09.2015 Berufung eingelegt und sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 09.07.2015 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das aus ihrer Sicht zutreffende Urteil.
Der Senat hat nach mündlicher Verhandlung und Vertagung der Streitsache am 27.10.2016 sowie nachfolgendem Vergleichswiderruf durch den Kläger durch Einholung einer Auskunft der Stadt Menden vom 29.11.2016 über den Zeitpunkt der Änderung der Lohnsteuerklasse zum 01.09.2009 Beweis erhoben.
Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 30.12.2016 dazu angehört, die Aufhebungsentscheidung nunmehr auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 4 - gemeint sind offenbar Nr. 2 und Nr. 3 - SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III zu stützen. Er hat sich hierzu trotz Erinnerung nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist insbesondere gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1, 64 Abs. 2 SGG). Die vollständig abgefasste Entscheidung ist dem Kläger am 04.08.2015 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist beim Landessozialgericht am 03.09.2015 eingegangen.
II. Die Berufung ist nicht begründet, denn die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist ihrerseits nicht begründet.
Das Sozialgericht hat den Sachverhalt rechtlich zutreffend gewürdigt und die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch den angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2011 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in seinen Rechten verletzt. Der Bescheid erweist sich soweit er den nur noch streitigen Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 14.05.2010 betrifft als rechtmäßig, denn der Kläger bezog in diesem zu Unrecht Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der Steuerklasse III, obwohl er sich bereits zum 01.09.2009 in Steuerklasse V einstufen ließ. Es lagen somit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligung nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III sowie für eine Erstattung gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor.
Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichtes in seinem Urteil vom 09.07.2015 an. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen. Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, der Klage zum Erfolg zu verhelfen.
1. Unter Berücksichtigung des Inhaltes der Verwaltungsakte, wonach die Änderung der Lohnsteuerklasse zum 01.09.2009 erfolgt ist, des Vortrages des Klägers, dass er im August 2009 gegenüber der Beklagten die Absicht des Steuerklassenwechsels und im Gespräch am 10.09.2009 die Umsetzung dieses Planes angeben habe, und der Auskunft der Stadt Menden, dass bereits am 31.08.2009 eine Änderung der Lohnsteuerklasse vorgenommen worden sei, geht auch der Senat davon aus, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 10.09.2009 schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig und Rechtsgrundlage für die Rücknahme folglich § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III gewesen ist.
2. Der Bescheid begegnet in Anbetracht der Rechtsprechung des Senates (vgl. Beschluss vom 22.07.2015 - L 9 AL 9/15 B, juris; Beschluss vom 11.07.2013, L 9 AL 84/13, juris) keinen formellen Bedenken. Die hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Anhörung nach § 24 SGB X bestehenden Zweifel hat die Beklagte jedenfalls durch Nachholung mit Schreiben vom 30.12.2016 beseitigt und einen etwaigen Anhörungsfehler gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt. Denn sie hat dem Kläger außerhalb des Gerichtsverfahrens die wesentlichen (objektiven und subjektiven) Tatsachen mitgeteilt, auf die sie ihre Entscheidung stützt, und ihm hinreichend Gelegenheit gegeben, zu den von ihr für entscheidungserheblich gehaltenen Tatsachen Stellung zu nehmen.
3. Ob die Bewilligung auf Angaben beruhte, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), lässt sich auch für den Senat nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen.
4. Allerdings teilt der Senat die Einschätzung des Sozialgerichtes in vollem Umfang, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligung infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Denn er hat die erforderliche Sorgfalt insoweit in besonders schwerem Maße verletzt. Für die Erfüllung der groben Fahrlässigkeit reicht es zwar nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat. Vielmehr müssen die Zweifel so ausgestaltet sein, dass die Notwendigkeit einer Nachfrage für jeden erkennbar wäre (vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: 10.10.2016, § 45 SGB X, Rn. 87 m. w. N.). Vom Begünstigten wird dabei nicht verlangt, dass er den Bescheid in allen Einzelheiten rechtlich überprüft, um alle möglichen Fehler zu finden. Allerdings obliegt es ihm, den ihm bekannt gegebenen Bescheid wenigstens von vorne bis hinten zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, denn im Sozialrechtsverhältnis sind alle Beteiligten gehalten, sich gegenseitig vor vermeidbaren, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schäden zu bewahren.
Jedenfalls bei sorgfältiger Lektüre des Bewilligungsbescheides vom 10.09.2009 (S. 4: "Lohnsteuerklasse Ab 01.08.2009 werden Sie entsprechend der Eintragung auf Ihrer Lohnsteuerkarte der Lohnsteuerklasse III zugeordnet.") hätte der Kläger - selbst bei Wahrunterstellung seiner Schilderungen über das Gespräch mit dem Zeugen G am 10.09.2009 - erkennen müssen, dass seine Angaben nicht berücksichtigt worden waren. Dementsprechend wäre er gehalten gewesen, bei der Beklagten nachzufragen. Dass er dies unterlassen hat, geht zu seinen Lasten.
5. Der Kläger hat im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren jeweils ausdrücklich die Einrede der Entreicherung erhoben. Dem liegt offenbar die irrige Annahme zugrunde, dass § 818 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Sozialrechtsverhältnis entsprechend anzuwenden wäre. § 45 Abs. 2 SGB X regelt aber bereits den Fall des Verbrauchs erbrachter Leistungen abschließend und zwar in Form eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses: Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf danach nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1). Das ist in der Regel der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Liegt einer der Fälle des Satzes 3 vor, ist die Berufung auf Vertrauensschutz hingegen ausnahmsweise ausgeschlossen. Der Entreicherungseinrede bzw. dem Argument des Vertrauensschutzes steht im Fall des Klägers der erfüllte Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X entgegen.
6. Die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid auch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme der Bewilligungsentscheidung rechtfertigten, zurückgenommen (§ 45 Abs. 4 Satz 1, 2 SGB X).
Die Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die zur Aufhebung nach § 45 SGB X berechtigen. Da § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X neben objektiven auch subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) enthält, muss die Behörde z. B. auch von der Bösgläubigkeit des Betroffenen Kenntnis haben. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R -, juris Rn. 24; Senat, Urteil vom 05.06.2008 - L 9 AL 157/08 -, juris Rn. 31). Von diesem Grundsatz lässt der vorliegende Fall keine Ausnahme zu. Insbesondere sind keine Umstände ersichtlich, die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen anderen Zeitpunkt des Beginns der Jahresfrist rechtfertigen könnten, etwa, wenn die Beklagte bewusst davon abgesehen hätte, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Selbst ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit reicht nicht aus (vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: Stand: 10.10.2016, § 45 SGB X, Rn. 108 m. w N.). Der Kläger behauptet die Fristverletzung auch lediglich, ohne hierzu dezidiert vorzutragen.
7. Der von dem Kläger bemühte sozialrechtliche Herstellungsanspruch (s. dazu Hassel in: Brand, SGB III, 7. Aufl. 2015, § 323 Anh Rn. 28 ff.) wäre selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben, da die Beklagte den Kläger durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln nicht so stellen könnte, als ob er sich während des Leistungsbezuges weiter in Steuerklasse III befunden hätte (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.1980 - 7 RAr 14/78 -, juris Rn. 30; Senat, Urteil vom 29.01.1998 - L 9 Ar 184/96 -, juris). Denn er hatte tatsächlich durch Erklärung gegenüber der Stadt Menden die Steuerklasse zum 01.09.2009 gewechselt.
8. Das vom Kläger zitierte Urteil des BSG vom 29.08.2002 zum Az. B 11 AL 87/01 R (juris, vgl. auch BSG, Urteil vom 01.04.2004 - B 7 AL 52/03 R -, juris; Urteil vom 16.03.2005 - B 11a/11 AL 41/03 R -, juris) hat eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X zum Gegenstand. Es verneint zudem die Annahme grober Fahrlässigkeit einer Mitteilungspflichtverletzung im Hinblick auf ein von der Beklagten im Januar 1998 erstellte Merkblatt. Mithin unterscheidet sich der Sachverhalt maßgeblich von dem durch den Senat zu beurteilenden.
9. Das ebenfalls angeführte Urteil des BSG vom 03.12.1980 zum Az. 4 RJ 113/79 (juris) betraf den seit dem 01.01.1992 gegenstandslosen § 1301 Reichsversicherungsordnung, der noch andere Voraussetzungen für die Rückforderung aufstellte (s. Rn. 13, 21 des Urteils) und von daher keine Relevanz für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 45 SGB X aufweist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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