Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 201/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 269/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.05.2011 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 verurteilt, dem Kläger Halbwaisenrente bis einschließlich 07.12.2012 (Vollendung des 27. Lebensjahres) zu gewähren.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger nach Abschluss der ersten Ausbildung Halbwaisenrente für ein weiteres bzw. ergänzendes Studium bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt werden kann.
Der Vater des Klägers war am 10.04.2001 auf dem Weg zum Spätdienst im Klinikum B-Stadt bei einem Verkehrsunfall (Wegeunfall) tödlich verunglückt. Mit Bescheid vom 05.11.2003 des Bayerischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes, heute: C. wurde dem Kläger, geboren 1985, versichert, dass Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus weitergezahlt werde (unter Hinweis darauf, dass die Rente für die Dauer der Schulausbildung bezahlt werden würde). Die Zahlung wurde dann mit weiterem Bescheid vom 01.10.2004 bis zum 31.07.2005 verlängert. Da der Kläger nach Abschluss der Fachoberschule an der Fachhochschule in R. das Fach Informatik studierte, wurde mit Bescheid vom 12.10.2005 Rente für die Dauer des Studiums gewährt. Mit Schreiben vom 16.03.2011 teilte der Kläger mit, dass er ab dem Sommersemester 2011 ergänzend Wirtschaftsinformatik studieren werde, um seine Qualifikationen zu stei-gern und die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Einige Fächer aus dem Informatikstudium würden angerechnet, was zu einer Verkürzung führe.
Mit Bescheid vom 02.05.2011 entzog die Beklagte die Waisenrente mit Ablauf das Monats März 2011, da es sich bei dem Studium der Wirtschaftsinformatik um eine sogenannte Zweitausbildung handele, die einer Berufsausbildung entspreche. Grundsätzlich hätten Kinder - zumindest zivilrechtlich - nur Anspruch auf 1 Ausbildung, nicht jedoch auf eine Zweitausbildung. Eine solche sei durch einen Berufswechsel gekennzeichnet. Auch Eltern seien nicht unterhaltspflichtig, wenn sie dem Kind mit der Erstausbildung eine optimale begabungsbezogene Berufsausbildung haben zuteil werden lassen. Mit dem beendeten Informatikstudium sei der Kläger in der Lage, vollumfänglich erwerbstätig zu sein, um für seinen Unterhalt selbst aufzukommen. Bei dem Studium der Wirt-schaftsinformatik handele es sich um eine in sich geschlossene Ausbildung und nicht um eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg.
Der eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 08.07.2011 erhob der Kläger - vertreten durch Rechtsanwalt B. - am 20.07.2011 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG). Die Klägerseite ist der Ansicht, dass es sich hier um ein Aufbaustudium im Zusammenhang mit dem vorherigen Studiengang Informatik handele. Zudem werde die Hälfte des Informatikstudiums anerkannt und der neue Zweig könne entsprechend verkürzt absolviert werden.
Der Bevollmächtigte des Klägers stellt den Antrag aus der Klageschrift vom 20.07.2011:
1. Der Bescheid vom 02.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger über den 30.04.2011 hinaus Halbwaisenrente zu bewilligen. 3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen SG erhobene Klage ist zulässig und nach Auffassung der erkennenden Kammer auch begründet.
Gemäß § 67 Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII) erhält das Kind eines verstorbe-nen Versicherten bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres Waisen- bzw. Halbwaisenrente, wenn es
sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet, § 67 Abs. 3 Nr. 2 SGB VII. Das Gesetz regelt zwar in § 67 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, wann eine Schul- bzw. Berufsausbildung vorliegt, nicht jedoch, wie viele Ausbildungen ein Waise bzw. Halbwaise absolvieren darf. Der Gesetzgeber ging offenbar nicht davon aus, dass ein Waise bzw. Halbwaise mehrere Schul- bzw. Berufsausbildungen absol-vieren würde. Es ist dies auch sicher nicht der Normalfall, es sei denn, es würde eine Berufsausbildung bzw. ein Studium vorzeitig abgebrochen, weil man die entsprechenden Voraussetzungen (z.B. durch Prüfungen) nicht erbringen kann bzw. weil man im Lauf des Studiums erkannt hat, dass einem dieses Gebiet nicht liegt. Anders jedoch im Fall des Klägers, der sein erstes Studium mit einem Diplom beendet hat.
Der Kommentar Hauck, Sozialgesetzbuch VII, zu § 67 Rdnr. 33, weist darauf hin, dass Berufsausbildung auch die weitere Ausbildung zu einem anderen Beruf nach erfolgreicher Ausbildung sein kann (mit weiteren Nachweisen auf Recht-sprechung). Das Gesetz, so die Kommentierung, fordert keine erste Ausbildung; der Anspruch auf Waisenrente während einer Zweitausbildung hängt nicht davon ab, ob im konkreten Einzelfall nach zivilrechtlichem Unterhaltsrecht eine Unterhaltspflicht der Eltern gegeben wäre. Aus der allgemeinen Funktion der Waisenrente als Unterhaltsersatz ergebe sich kein entsprechendes Erfordernis wie in einer zivilrechtlichen Überprüfung.
Auch nach der Kommentierung im Kommentar von Bereiter-Hahn/Mehrtens zur ge-setzlichen Unfallversicherung ist ein Aufbau- oder Ergänzungsstudium als Berufsausbildung anzuerkennen, wenn es zu einer zusätzlichen beruflichen Qualifikation führt und mit einer Prüfung abgeschlossen wird, Rdnr. 13.3 zu § 67 SGB VII.
Mangels konkreter Regelung über die Zahl der Ausbildungen, die absolviert werden dürfen und damit der entsprechende Unfallversicherungsträger Waisen- bzw. Halbwaisenrente leisten muss, muss jedenfalls im vorliegenden Fall aufgrund des sich ergänzenden Studiums von Informatik und Wirtschaftsinformatik und der entsprechend besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt bzw. Gründung ei-ner Firma ein enger Zusammenhang der beiden Studien, wobei es durch Anrechnung von Semestern bzw. Kursen zu einer Verkürzung der Ausbildungszeit kommt, bejaht werden. Angesichts dieser besonderen Fallkonstellation und der engen Verknüpfung der beiden gewählten Ausbildungszweige, sieht es die erkennende Kammer als gerechtfertigt an, die Beklagte zur Leistung von Halbwaisenrente bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zu verurteilen.
Eine Entscheidung darüber, wie bei zwei völlig fremden Studiengängen zu verfahren wäre, kann und will die erkennende Kammer nicht treffen. Dies wäre ge-gebenenfalls dem jeweiligen Einzelfall und einer eventuellen gesicherten sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu überlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger nach Abschluss der ersten Ausbildung Halbwaisenrente für ein weiteres bzw. ergänzendes Studium bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt werden kann.
Der Vater des Klägers war am 10.04.2001 auf dem Weg zum Spätdienst im Klinikum B-Stadt bei einem Verkehrsunfall (Wegeunfall) tödlich verunglückt. Mit Bescheid vom 05.11.2003 des Bayerischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes, heute: C. wurde dem Kläger, geboren 1985, versichert, dass Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus weitergezahlt werde (unter Hinweis darauf, dass die Rente für die Dauer der Schulausbildung bezahlt werden würde). Die Zahlung wurde dann mit weiterem Bescheid vom 01.10.2004 bis zum 31.07.2005 verlängert. Da der Kläger nach Abschluss der Fachoberschule an der Fachhochschule in R. das Fach Informatik studierte, wurde mit Bescheid vom 12.10.2005 Rente für die Dauer des Studiums gewährt. Mit Schreiben vom 16.03.2011 teilte der Kläger mit, dass er ab dem Sommersemester 2011 ergänzend Wirtschaftsinformatik studieren werde, um seine Qualifikationen zu stei-gern und die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Einige Fächer aus dem Informatikstudium würden angerechnet, was zu einer Verkürzung führe.
Mit Bescheid vom 02.05.2011 entzog die Beklagte die Waisenrente mit Ablauf das Monats März 2011, da es sich bei dem Studium der Wirtschaftsinformatik um eine sogenannte Zweitausbildung handele, die einer Berufsausbildung entspreche. Grundsätzlich hätten Kinder - zumindest zivilrechtlich - nur Anspruch auf 1 Ausbildung, nicht jedoch auf eine Zweitausbildung. Eine solche sei durch einen Berufswechsel gekennzeichnet. Auch Eltern seien nicht unterhaltspflichtig, wenn sie dem Kind mit der Erstausbildung eine optimale begabungsbezogene Berufsausbildung haben zuteil werden lassen. Mit dem beendeten Informatikstudium sei der Kläger in der Lage, vollumfänglich erwerbstätig zu sein, um für seinen Unterhalt selbst aufzukommen. Bei dem Studium der Wirt-schaftsinformatik handele es sich um eine in sich geschlossene Ausbildung und nicht um eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg.
Der eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 08.07.2011 erhob der Kläger - vertreten durch Rechtsanwalt B. - am 20.07.2011 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG). Die Klägerseite ist der Ansicht, dass es sich hier um ein Aufbaustudium im Zusammenhang mit dem vorherigen Studiengang Informatik handele. Zudem werde die Hälfte des Informatikstudiums anerkannt und der neue Zweig könne entsprechend verkürzt absolviert werden.
Der Bevollmächtigte des Klägers stellt den Antrag aus der Klageschrift vom 20.07.2011:
1. Der Bescheid vom 02.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2011 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger über den 30.04.2011 hinaus Halbwaisenrente zu bewilligen. 3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen SG erhobene Klage ist zulässig und nach Auffassung der erkennenden Kammer auch begründet.
Gemäß § 67 Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII) erhält das Kind eines verstorbe-nen Versicherten bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres Waisen- bzw. Halbwaisenrente, wenn es
sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet, § 67 Abs. 3 Nr. 2 SGB VII. Das Gesetz regelt zwar in § 67 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, wann eine Schul- bzw. Berufsausbildung vorliegt, nicht jedoch, wie viele Ausbildungen ein Waise bzw. Halbwaise absolvieren darf. Der Gesetzgeber ging offenbar nicht davon aus, dass ein Waise bzw. Halbwaise mehrere Schul- bzw. Berufsausbildungen absol-vieren würde. Es ist dies auch sicher nicht der Normalfall, es sei denn, es würde eine Berufsausbildung bzw. ein Studium vorzeitig abgebrochen, weil man die entsprechenden Voraussetzungen (z.B. durch Prüfungen) nicht erbringen kann bzw. weil man im Lauf des Studiums erkannt hat, dass einem dieses Gebiet nicht liegt. Anders jedoch im Fall des Klägers, der sein erstes Studium mit einem Diplom beendet hat.
Der Kommentar Hauck, Sozialgesetzbuch VII, zu § 67 Rdnr. 33, weist darauf hin, dass Berufsausbildung auch die weitere Ausbildung zu einem anderen Beruf nach erfolgreicher Ausbildung sein kann (mit weiteren Nachweisen auf Recht-sprechung). Das Gesetz, so die Kommentierung, fordert keine erste Ausbildung; der Anspruch auf Waisenrente während einer Zweitausbildung hängt nicht davon ab, ob im konkreten Einzelfall nach zivilrechtlichem Unterhaltsrecht eine Unterhaltspflicht der Eltern gegeben wäre. Aus der allgemeinen Funktion der Waisenrente als Unterhaltsersatz ergebe sich kein entsprechendes Erfordernis wie in einer zivilrechtlichen Überprüfung.
Auch nach der Kommentierung im Kommentar von Bereiter-Hahn/Mehrtens zur ge-setzlichen Unfallversicherung ist ein Aufbau- oder Ergänzungsstudium als Berufsausbildung anzuerkennen, wenn es zu einer zusätzlichen beruflichen Qualifikation führt und mit einer Prüfung abgeschlossen wird, Rdnr. 13.3 zu § 67 SGB VII.
Mangels konkreter Regelung über die Zahl der Ausbildungen, die absolviert werden dürfen und damit der entsprechende Unfallversicherungsträger Waisen- bzw. Halbwaisenrente leisten muss, muss jedenfalls im vorliegenden Fall aufgrund des sich ergänzenden Studiums von Informatik und Wirtschaftsinformatik und der entsprechend besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt bzw. Gründung ei-ner Firma ein enger Zusammenhang der beiden Studien, wobei es durch Anrechnung von Semestern bzw. Kursen zu einer Verkürzung der Ausbildungszeit kommt, bejaht werden. Angesichts dieser besonderen Fallkonstellation und der engen Verknüpfung der beiden gewählten Ausbildungszweige, sieht es die erkennende Kammer als gerechtfertigt an, die Beklagte zur Leistung von Halbwaisenrente bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zu verurteilen.
Eine Entscheidung darüber, wie bei zwei völlig fremden Studiengängen zu verfahren wäre, kann und will die erkennende Kammer nicht treffen. Dies wäre ge-gebenenfalls dem jeweiligen Einzelfall und einer eventuellen gesicherten sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu überlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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