Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 EG 33/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei der Mitteilung eines Einbehalts bewilligter Leistungen aufgrund der aus einem Erstattungsanspruch eines anderen Trägers resultierenden Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X handelt es sich um einen Verwaltungsakt, so dass die statthafte Klage zur Durchsetzung des Auszahlungsanspruchs eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG) ist (Anschluss an BSG v. 6.8.2014 – B 11 AL 2/13 R).
2. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X und damit die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X kommen nicht für zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung des vorrangig verpflichteten Trägers erst künftig fällig werde Leistungen in Betracht, denn § 104 Abs. 1 SGB X setzt voraus, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger seiner Leistungspflicht verspätet nachgekommen ist (Anschluss an BSG v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93).
3. Ein Erstattungsanspruch des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende gegenüber der vorrangig verpflichteten Elterngeldstelle setzt nach § 40a S. 1 SGB II iVm § 104 Abs. 1 SGB X voraus, dass der Grundsicherungsträger zum Zeitpunkt der Bewilligung der vorrangigen Leistung für den Erstattungszeitraum bereits selbst Leistungen erbracht hat.
2. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X und damit die Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs. 1 SGB X kommen nicht für zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung des vorrangig verpflichteten Trägers erst künftig fällig werde Leistungen in Betracht, denn § 104 Abs. 1 SGB X setzt voraus, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger seiner Leistungspflicht verspätet nachgekommen ist (Anschluss an BSG v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93).
3. Ein Erstattungsanspruch des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende gegenüber der vorrangig verpflichteten Elterngeldstelle setzt nach § 40a S. 1 SGB II iVm § 104 Abs. 1 SGB X voraus, dass der Grundsicherungsträger zum Zeitpunkt der Bewilligung der vorrangigen Leistung für den Erstattungszeitraum bereits selbst Leistungen erbracht hat.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Gründe:
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang der Beklagte (Elterngeldstelle) bzw. der Beigeladene (Jobcenter) die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten hat.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber, ob die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn sich der Rechtsstreit anders als durch Urteil erledigt. Vorliegend hat sich das Verfahren aufgrund der Klagerücknahme der Klägerin vom 20.12.2016 erledigt.
Die Bestimmung der Verpflichtung zur Kostenerstattung dem Grunde nach und deren Umfang erfolgt nach sachgemäßem bzw. billigem Ermessen. Dabei steht grundsätzlich der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund. Danach ist es in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt bzw. – im Falle einer Erledigungserklärung – dessen Rechtsstreit auch vor Wegfall eines Rechtsschutzbedürfnisses unter Berücksichtigung des bis dahin vorliegenden Sach- und Streitstandes voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (BSG v. 13.12.2016 – B 4 AS 14/15 R, RdNr. 7; juris). Nach diesen Grundsätzen entspricht es der Billigkeit, wenn der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt, weil die Klage Aussicht auf Erfolg hatte.
Zwar hätte die von der Klägerin als echte Leistungsklage erhobene Klage sachgerecht als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben werden müssen, da es sich bei dem vom Beklagten mit Schreiben vom 17.4.2015 mitgeteilten endgültigen Einbehalt der Leistungen in Höhe von 1.845,00 EUR um eine Regelung und somit um einen anzufechtenden Verwaltungsakt handelte (vgl. BSG v. 6.8.2014 – B 11 AL 2/13 R, RdNr. 14 "Das LSG ist auch zu Recht von der Zulässigkeit der Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) ausgegangen. Die angefochtenen Bescheide vom 7.1.2010 bzw. 19.1.2010, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.6.2010, enthalten in Bezug auf die vorgenommenen Einbehaltungen von den kalendertäglichen Leistungsbeträgen, die Nichtauszahlung in bestimmter Höhe und die Ankündigung der Auszahlung in gleicher Höhe an den Beigeladenen eigenständige Verfügungssätze. Zur Durchsetzung seines Rechtsanspruchs auf Auszahlung von Alg ist der Kläger gehalten, gegen die ihn belastenden Regelungen mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vorzugehen."; so zuletzt auch etwa LSG Baden-Württemberg v. 21.6.2016 – L 11 EG 1547/15; RdNr. 20 i.V.m. RdNr. 3; vgl. auch LSG Baden-Württemberg v. 25.2.2016 – L 10 R 1154/15, RdNr. 17; juris). Nach § 106 Abs. 1 SGG wäre insoweit noch darauf hinzuwirken gewesen, dass ein sachgerechter Antrag im Sinne einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gestellt wird; da die Klage am 30.4.2015 binnen der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 S 1. SGG nach Erlass des Bescheids vom 17.4.2015 erhoben wurde, wäre diese indes auch zulässig gewesen (das erforderliche Vorverfahren wäre während des Klageverfahrens nachzuholen gewesen, die Klageerhebung wäre als Einlegung des Widerspruchs auszulegen gewesen; so bereits BSG v. 18.2.1964 – 11/1 RA 90/61, 4.LS und RdNr. 21f.; zuletzt etwa BSG v. 4.3.2014 – B 1 Kr 43/13 B, OS und RdNr. 6; juris).
Der Beklagte konnte der Klägerin im Hinblick auf die von ihr begehrte Auszahlung nicht mit Erfolg die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) im Hinblick auf den vom Beigeladenen geltend gemachten Erstattungsanspruch entgegen halten, denn ein solcher Erstattungsanspruch bestand nicht.
Im Hinblick auf den Einbehalt des für den 11. Lebensmonat (2.2.2015 – 1.3.2015) bewilligten Elterngelds folgt dies bereits daraus, dass dieser zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 28.1.2015 noch in der Zukunft lag. Es wäre mithin seitens des Beklagten eine laufende Leistungserbringung möglich gewesen, die ihrerseits einen Erstattungsanspruch des JC nach § 104 SGB X ausgeschlossen hätte. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, von der abzuweichen die Kammer keinen Anlass hat, setzt das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X voraus, dass der vorrangige Leistungsträger, von dem die Er-stattung verlangt wird (hier die beklagte Elterngeldstelle), seiner Leistungspflicht verspätet, also nicht rechtzeitig, nachgekommen ist (BSG v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93, RdNr 21; BSG v. 19.3.1992 – 7 RAr 26/91, RdNr 37; juris). Dies folgt daraus, dass nach § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X ein Leistungsträger nämlich nur dann nachrangig verpflichtet ist, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre; wie sich aus dieser Legaldefinition der Nachrangigkeit ergibt, geht die Vorschrift davon aus, dass der "verpflichtete" Leistungsträger nicht rechtzeitig geleistet hat (so ausdrücklich BSG v. 19.3.1992 – 7 RAr 26/91, RdNr. 37; BSG v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93, RdNr. 33; juris). Insofern scheiden Erstattungsansprüche des nachrangig verpflichteten Trägers (hier das beigeladene Jobcenter) gegen den vorrangig verpflichteten Träger (hier die beklagte Elterngeldstelle) für Zahlungen des vorrangig verpflichteten Trägers aus, die von diesem ordnungsgemäß, das heißt nicht als Nachzahlung, sondern als laufende Leistung bei Fälligkeit erbracht worden sind. Zum Zeitpunkt einer Bewilligungsentscheidung kommt mithin ein Erstattungsanspruch und damit ein Einbehalt nur für Nachzahlungsbeträge in Betracht, also für Leistungen, die zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung bereits zur Auszahlung fällig sind. Ein Erstattungsanspruch und damit die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X kommen indes nicht zum Tragen für erst künftig fällig werdende Leistungen, weil diese als laufende Leistung erbracht werden können. Dies deckt sich im Übrigen auch mit dem Sinn und der Zweck der Regelungen der §§ 102 ff SGB X, durch die Doppelleistungen vermieden werden sollen (vgl. dazu BSG v. 22.6.2010 – B 1 KR 21/09 R, RdNr 24ff.; juris). Denn Doppelleistungen drohen nur bei Nachzahlungen der vorrangigen Leistung, weil der nachrangig verpflichtete Träger seine Leistung zuvor nicht unter Berücksichtigung der Zahlung der vorrangigen Leistung erbringen konnte. Anders ist dies hingegen für erst künftig fällig werdende Leistungen. Denn kommt der Leistungsberechtigte seiner gegenüber dem nachrangig verpflichteten Träger bestehenden Mitwirkungspflicht nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zur Mitteilung der Bewilligung der vorrangigen Leistung unverzüglich nach, so kann der nachrangig verpflichtete Leistungsträger im Rahmen seiner Leistungserbringung die künftige Erbringung der vorrangigen Leistung berücksichtigen, so dass eine Doppelleistung nicht zu befürchten steht. Insoweit hat auch die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen, dass die §§ 102 ff SGB X Erstattungen zwischen den Leistungsträgern ausschließlich für zurückliegende Zeiträume vorsehen.
Im Hinblick auf den Einbehalt des für den 7. bis 10. Lebensmonats (2.10.2014 – 1.2.2015) bewilligten Elterngelds kann sich der Beklagte gleichfalls nicht auf die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X berufen, weil der Beigeladene insoweit bereits nicht in Vorleistung gegangen war, so dass dieser gegenüber dem Beklagten gemäß § 40a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB X keinen Erstattungsanspruch hatte.
Nach § 40a Abs. 1 S. 1 SGB II (durch Art.&8201;1 Nr.&8201;2 des Achten Gesetzes zur Änderung des zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen [8.SGB&8201;IIÄndG] vom 28.7.2014, BGBl.&8201;I, 1306, eingefügt worden und rückwirkend zum 1.1.2009 in Kraft getreten [vgl. Art.&8201;2 Abs.&8201;2 8.SGB&8201;IIÄndG]), steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des §&8201;104 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird. Danach muss der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach dem SGB II für den jeweiligen Zeitraum Leistungen bereits erbracht haben. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Regelung, sondern entspricht auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Denn insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/1311, S. 11): "Durch die Einfügung des § 40a wird klargestellt, dass bei einer Vorleistung durch die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und im Nachhinein festgestellter vorrangiger Leis-tungsverpflichtung eines anderen Sozialleistungsträgers unter den Voraussetzungen des § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch zu Gunsten der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsteht." (Hervorhebung durch den Verfasser). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, mit dem Doppelleistungen vermieden werden sollen (Schoch in Münder, SGB II, 6. Aufl. 2017, § 40a RdNr. 2), denn Doppelleistungen drohen nur bei Nachzahlungen der vorrangigen Leistung, wenn der nachrangig verpflichtete Träger seine Leistung bereits zuvor ohne Berücksichtigung der Zahlung der vorrangigen Leistung erbracht hat.
Im vorliegenden Fall hatte der Beigeladene mit Bescheid vom 11.6.2014 Leistungen nach dem SGB II versagt und sodann erst wieder mit Bescheid vom 31.3.2015 Leistungen zumindest ab Oktober 2014 bewilligt; dies erfolgte indes erst über zwei Monate nach der Leistungsbewilligung durch den Beklagten, der der Klägerin mit bereits Bescheid vom 28.1.2015 das Elterngeld für den Zeitraum vom 2.7.2014 bis 1.6.2016 bewilligt hatte. Folglich lag für den 7. bis 10. Lebensmonat (2.10.2014 bis 1.2.2015) gerade keine Vorleistung durch den Beigeladenen vor, so dass diesem auch kein Erstattungsanspruch nach § 40a Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB X gegenüber dem Beklagten zur Seite stand. Mangels Bestehens eines Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 SGB X trat auch die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X nicht zugunsten des Beklagten ein.
Die Tatsache, dass der Beigeladene gegenüber dem Beklagten einen rechtlich nicht beste-henden Erstattungsanspruch geltend gemacht hat, führt im Rahmen der Kostenentscheidung zu keiner anderen Beurteilung der Kostentragungspflicht. Denn das Eintreten der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X erfolgt unabhängig davon, ob der Erstattungsanspruch vom nachrangig verpflichteten Träger überhaupt geltend gemacht wird (vgl. statt aller BSG v. 7.8.1986 – 4a RJ 33/85, RdNr. 18; BSG v. 29.4.1997 – 8 RKn 29/95, RdNr. 19; juris). Folglich kann sich der Beklagte nicht auf die – unzutreffende – Erstattungsanmeldung des Beigeladenen zurückziehen, denn diese ist für das Entstehen des Erstattungsanspruchs an sich ohne Belang. Vielmehr ist der Beklagte selbst gehalten, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens in eigener Zuständigkeit das Bestehen eines Erstattungsanspruchs zu prüfen (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 21.6.2016 – L 11 EG 1547/15, LS; juris), um zu ermitteln, ob der Auszahlungsanspruch aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X erloschen ist (insoweit steht dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger für die Dauer der Aufklärung der Frage, ob ein Erstattungsanspruch besteht, ein zur vorläufigen Leistungsverweigerung berechtigendes Zurückbehaltungsrecht zur Seite, sofern und soweit er von einer – teilweisen – Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann; vgl. BSG v. 22.6.2010 – B 1 KR 21/09 R, RdNr. 27; juris). Vor diesem Hintergrund ist die Veranlassung des hiesigen Verfahrens dem Beklagten zuzurechnen.
Soweit der Beklagte zuletzt der Kostentragungspflicht mit dem Argument entgegentritt, dass bei einer Klagerücknahme die Kosten grundsätzlich dem Kläger aufzuerlegen seien, so geht dieser Einwand fehl. Diese zwingende Rechtsfolge greift nur im Falle eines gerichtskostenpflichtigen Verfahrens, weil sodann gemäß § 197a Abs. 1 Satz 2 SGG im Falle einer Klagerücknahme die Regelung des § 161 Abs. 2 VwGO keine Anwendung findet, sondern nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO derjenige, der eine Klage zurücknimmt, die Kosten zu tragen hat; nur insoweit besteht eine zwingende Kostentragungspflicht für denjenigen, der die Klage zurücknimmt. Im gerichtskostenfreien Verfahren wie dem vorliegenden richtet sich die Kostentragungspflicht nach § 193 Abs. 1 SGG und folgt billigem Ermessen, eine einseitige Erledigungserklärung wie auch eine Klagerücknahme ziehen in einem solchen Verfahren keine zwingende Rechtsfolge nach sich (vgl. BSG v. 20.12.1995 – 6 RKa 18/95, RdNr. 11, juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 125, RdNr. 10; Roller in NZS 2003, 357 [358], Hauck in SGb 2004, 407 [412] und Krasney in SGb 2005, 57 [59]).
Die Klagerücknahme rechtfertigt im vorliegenden Fall auch aus Billigkeitsgründen keine abweichende Beurteilung der Kostentragungspflicht, weil diese allein aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Relevanz des Klageerfolgs für die Klägerin erfolgte (aufgrund deren fortge-setzten Leistungsbezugs nach dem SGB II würde eine Auszahlung des einbehaltenen Elterngelds bedarfsmindernd bei der Einkommensanrechnung im Rahmen der Berechnung des Ar-beitslosengelds II berücksichtigt werden). In der Sache war die Klage aber bei Erledigung nach dem bis dahin vorliegenden Sach- und Streitstand voraussichtlich begründet.
Nach alledem entsprach es der Billigkeit, dass der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG.
Brehm
Gründe:
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang der Beklagte (Elterngeldstelle) bzw. der Beigeladene (Jobcenter) die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten hat.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber, ob die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn sich der Rechtsstreit anders als durch Urteil erledigt. Vorliegend hat sich das Verfahren aufgrund der Klagerücknahme der Klägerin vom 20.12.2016 erledigt.
Die Bestimmung der Verpflichtung zur Kostenerstattung dem Grunde nach und deren Umfang erfolgt nach sachgemäßem bzw. billigem Ermessen. Dabei steht grundsätzlich der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund. Danach ist es in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt bzw. – im Falle einer Erledigungserklärung – dessen Rechtsstreit auch vor Wegfall eines Rechtsschutzbedürfnisses unter Berücksichtigung des bis dahin vorliegenden Sach- und Streitstandes voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (BSG v. 13.12.2016 – B 4 AS 14/15 R, RdNr. 7; juris). Nach diesen Grundsätzen entspricht es der Billigkeit, wenn der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt, weil die Klage Aussicht auf Erfolg hatte.
Zwar hätte die von der Klägerin als echte Leistungsklage erhobene Klage sachgerecht als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben werden müssen, da es sich bei dem vom Beklagten mit Schreiben vom 17.4.2015 mitgeteilten endgültigen Einbehalt der Leistungen in Höhe von 1.845,00 EUR um eine Regelung und somit um einen anzufechtenden Verwaltungsakt handelte (vgl. BSG v. 6.8.2014 – B 11 AL 2/13 R, RdNr. 14 "Das LSG ist auch zu Recht von der Zulässigkeit der Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) ausgegangen. Die angefochtenen Bescheide vom 7.1.2010 bzw. 19.1.2010, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.6.2010, enthalten in Bezug auf die vorgenommenen Einbehaltungen von den kalendertäglichen Leistungsbeträgen, die Nichtauszahlung in bestimmter Höhe und die Ankündigung der Auszahlung in gleicher Höhe an den Beigeladenen eigenständige Verfügungssätze. Zur Durchsetzung seines Rechtsanspruchs auf Auszahlung von Alg ist der Kläger gehalten, gegen die ihn belastenden Regelungen mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vorzugehen."; so zuletzt auch etwa LSG Baden-Württemberg v. 21.6.2016 – L 11 EG 1547/15; RdNr. 20 i.V.m. RdNr. 3; vgl. auch LSG Baden-Württemberg v. 25.2.2016 – L 10 R 1154/15, RdNr. 17; juris). Nach § 106 Abs. 1 SGG wäre insoweit noch darauf hinzuwirken gewesen, dass ein sachgerechter Antrag im Sinne einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gestellt wird; da die Klage am 30.4.2015 binnen der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 S 1. SGG nach Erlass des Bescheids vom 17.4.2015 erhoben wurde, wäre diese indes auch zulässig gewesen (das erforderliche Vorverfahren wäre während des Klageverfahrens nachzuholen gewesen, die Klageerhebung wäre als Einlegung des Widerspruchs auszulegen gewesen; so bereits BSG v. 18.2.1964 – 11/1 RA 90/61, 4.LS und RdNr. 21f.; zuletzt etwa BSG v. 4.3.2014 – B 1 Kr 43/13 B, OS und RdNr. 6; juris).
Der Beklagte konnte der Klägerin im Hinblick auf die von ihr begehrte Auszahlung nicht mit Erfolg die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) im Hinblick auf den vom Beigeladenen geltend gemachten Erstattungsanspruch entgegen halten, denn ein solcher Erstattungsanspruch bestand nicht.
Im Hinblick auf den Einbehalt des für den 11. Lebensmonat (2.2.2015 – 1.3.2015) bewilligten Elterngelds folgt dies bereits daraus, dass dieser zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 28.1.2015 noch in der Zukunft lag. Es wäre mithin seitens des Beklagten eine laufende Leistungserbringung möglich gewesen, die ihrerseits einen Erstattungsanspruch des JC nach § 104 SGB X ausgeschlossen hätte. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, von der abzuweichen die Kammer keinen Anlass hat, setzt das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X voraus, dass der vorrangige Leistungsträger, von dem die Er-stattung verlangt wird (hier die beklagte Elterngeldstelle), seiner Leistungspflicht verspätet, also nicht rechtzeitig, nachgekommen ist (BSG v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93, RdNr 21; BSG v. 19.3.1992 – 7 RAr 26/91, RdNr 37; juris). Dies folgt daraus, dass nach § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X ein Leistungsträger nämlich nur dann nachrangig verpflichtet ist, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre; wie sich aus dieser Legaldefinition der Nachrangigkeit ergibt, geht die Vorschrift davon aus, dass der "verpflichtete" Leistungsträger nicht rechtzeitig geleistet hat (so ausdrücklich BSG v. 19.3.1992 – 7 RAr 26/91, RdNr. 37; BSG v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93, RdNr. 33; juris). Insofern scheiden Erstattungsansprüche des nachrangig verpflichteten Trägers (hier das beigeladene Jobcenter) gegen den vorrangig verpflichteten Träger (hier die beklagte Elterngeldstelle) für Zahlungen des vorrangig verpflichteten Trägers aus, die von diesem ordnungsgemäß, das heißt nicht als Nachzahlung, sondern als laufende Leistung bei Fälligkeit erbracht worden sind. Zum Zeitpunkt einer Bewilligungsentscheidung kommt mithin ein Erstattungsanspruch und damit ein Einbehalt nur für Nachzahlungsbeträge in Betracht, also für Leistungen, die zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung bereits zur Auszahlung fällig sind. Ein Erstattungsanspruch und damit die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X kommen indes nicht zum Tragen für erst künftig fällig werdende Leistungen, weil diese als laufende Leistung erbracht werden können. Dies deckt sich im Übrigen auch mit dem Sinn und der Zweck der Regelungen der §§ 102 ff SGB X, durch die Doppelleistungen vermieden werden sollen (vgl. dazu BSG v. 22.6.2010 – B 1 KR 21/09 R, RdNr 24ff.; juris). Denn Doppelleistungen drohen nur bei Nachzahlungen der vorrangigen Leistung, weil der nachrangig verpflichtete Träger seine Leistung zuvor nicht unter Berücksichtigung der Zahlung der vorrangigen Leistung erbringen konnte. Anders ist dies hingegen für erst künftig fällig werdende Leistungen. Denn kommt der Leistungsberechtigte seiner gegenüber dem nachrangig verpflichteten Träger bestehenden Mitwirkungspflicht nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zur Mitteilung der Bewilligung der vorrangigen Leistung unverzüglich nach, so kann der nachrangig verpflichtete Leistungsträger im Rahmen seiner Leistungserbringung die künftige Erbringung der vorrangigen Leistung berücksichtigen, so dass eine Doppelleistung nicht zu befürchten steht. Insoweit hat auch die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen, dass die §§ 102 ff SGB X Erstattungen zwischen den Leistungsträgern ausschließlich für zurückliegende Zeiträume vorsehen.
Im Hinblick auf den Einbehalt des für den 7. bis 10. Lebensmonats (2.10.2014 – 1.2.2015) bewilligten Elterngelds kann sich der Beklagte gleichfalls nicht auf die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X berufen, weil der Beigeladene insoweit bereits nicht in Vorleistung gegangen war, so dass dieser gegenüber dem Beklagten gemäß § 40a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB X keinen Erstattungsanspruch hatte.
Nach § 40a Abs. 1 S. 1 SGB II (durch Art.&8201;1 Nr.&8201;2 des Achten Gesetzes zur Änderung des zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen [8.SGB&8201;IIÄndG] vom 28.7.2014, BGBl.&8201;I, 1306, eingefügt worden und rückwirkend zum 1.1.2009 in Kraft getreten [vgl. Art.&8201;2 Abs.&8201;2 8.SGB&8201;IIÄndG]), steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des §&8201;104 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird. Danach muss der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach dem SGB II für den jeweiligen Zeitraum Leistungen bereits erbracht haben. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Regelung, sondern entspricht auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Denn insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/1311, S. 11): "Durch die Einfügung des § 40a wird klargestellt, dass bei einer Vorleistung durch die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende und im Nachhinein festgestellter vorrangiger Leis-tungsverpflichtung eines anderen Sozialleistungsträgers unter den Voraussetzungen des § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch zu Gunsten der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsteht." (Hervorhebung durch den Verfasser). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, mit dem Doppelleistungen vermieden werden sollen (Schoch in Münder, SGB II, 6. Aufl. 2017, § 40a RdNr. 2), denn Doppelleistungen drohen nur bei Nachzahlungen der vorrangigen Leistung, wenn der nachrangig verpflichtete Träger seine Leistung bereits zuvor ohne Berücksichtigung der Zahlung der vorrangigen Leistung erbracht hat.
Im vorliegenden Fall hatte der Beigeladene mit Bescheid vom 11.6.2014 Leistungen nach dem SGB II versagt und sodann erst wieder mit Bescheid vom 31.3.2015 Leistungen zumindest ab Oktober 2014 bewilligt; dies erfolgte indes erst über zwei Monate nach der Leistungsbewilligung durch den Beklagten, der der Klägerin mit bereits Bescheid vom 28.1.2015 das Elterngeld für den Zeitraum vom 2.7.2014 bis 1.6.2016 bewilligt hatte. Folglich lag für den 7. bis 10. Lebensmonat (2.10.2014 bis 1.2.2015) gerade keine Vorleistung durch den Beigeladenen vor, so dass diesem auch kein Erstattungsanspruch nach § 40a Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB X gegenüber dem Beklagten zur Seite stand. Mangels Bestehens eines Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 SGB X trat auch die Erfüllungswirkung des § 107 Abs. 1 SGB X nicht zugunsten des Beklagten ein.
Die Tatsache, dass der Beigeladene gegenüber dem Beklagten einen rechtlich nicht beste-henden Erstattungsanspruch geltend gemacht hat, führt im Rahmen der Kostenentscheidung zu keiner anderen Beurteilung der Kostentragungspflicht. Denn das Eintreten der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X erfolgt unabhängig davon, ob der Erstattungsanspruch vom nachrangig verpflichteten Träger überhaupt geltend gemacht wird (vgl. statt aller BSG v. 7.8.1986 – 4a RJ 33/85, RdNr. 18; BSG v. 29.4.1997 – 8 RKn 29/95, RdNr. 19; juris). Folglich kann sich der Beklagte nicht auf die – unzutreffende – Erstattungsanmeldung des Beigeladenen zurückziehen, denn diese ist für das Entstehen des Erstattungsanspruchs an sich ohne Belang. Vielmehr ist der Beklagte selbst gehalten, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens in eigener Zuständigkeit das Bestehen eines Erstattungsanspruchs zu prüfen (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 21.6.2016 – L 11 EG 1547/15, LS; juris), um zu ermitteln, ob der Auszahlungsanspruch aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X erloschen ist (insoweit steht dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger für die Dauer der Aufklärung der Frage, ob ein Erstattungsanspruch besteht, ein zur vorläufigen Leistungsverweigerung berechtigendes Zurückbehaltungsrecht zur Seite, sofern und soweit er von einer – teilweisen – Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann; vgl. BSG v. 22.6.2010 – B 1 KR 21/09 R, RdNr. 27; juris). Vor diesem Hintergrund ist die Veranlassung des hiesigen Verfahrens dem Beklagten zuzurechnen.
Soweit der Beklagte zuletzt der Kostentragungspflicht mit dem Argument entgegentritt, dass bei einer Klagerücknahme die Kosten grundsätzlich dem Kläger aufzuerlegen seien, so geht dieser Einwand fehl. Diese zwingende Rechtsfolge greift nur im Falle eines gerichtskostenpflichtigen Verfahrens, weil sodann gemäß § 197a Abs. 1 Satz 2 SGG im Falle einer Klagerücknahme die Regelung des § 161 Abs. 2 VwGO keine Anwendung findet, sondern nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO derjenige, der eine Klage zurücknimmt, die Kosten zu tragen hat; nur insoweit besteht eine zwingende Kostentragungspflicht für denjenigen, der die Klage zurücknimmt. Im gerichtskostenfreien Verfahren wie dem vorliegenden richtet sich die Kostentragungspflicht nach § 193 Abs. 1 SGG und folgt billigem Ermessen, eine einseitige Erledigungserklärung wie auch eine Klagerücknahme ziehen in einem solchen Verfahren keine zwingende Rechtsfolge nach sich (vgl. BSG v. 20.12.1995 – 6 RKa 18/95, RdNr. 11, juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 125, RdNr. 10; Roller in NZS 2003, 357 [358], Hauck in SGb 2004, 407 [412] und Krasney in SGb 2005, 57 [59]).
Die Klagerücknahme rechtfertigt im vorliegenden Fall auch aus Billigkeitsgründen keine abweichende Beurteilung der Kostentragungspflicht, weil diese allein aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Relevanz des Klageerfolgs für die Klägerin erfolgte (aufgrund deren fortge-setzten Leistungsbezugs nach dem SGB II würde eine Auszahlung des einbehaltenen Elterngelds bedarfsmindernd bei der Einkommensanrechnung im Rahmen der Berechnung des Ar-beitslosengelds II berücksichtigt werden). In der Sache war die Klage aber bei Erledigung nach dem bis dahin vorliegenden Sach- und Streitstand voraussichtlich begründet.
Nach alledem entsprach es der Billigkeit, dass der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG.
Brehm
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved