Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 904/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
(1) Für eine Einwirkung „von außen“ i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII ist kein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen erforderlich (Anschluss an BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Vielmehr kann die Einwirkung im Rahmen der versicherten Tätigkeit üblich und selbstverständlich sein oder sich als alltäglicher Vorgang, wie z.B. das Stolpern über die eigene Füße, Umknicken oder Aufschlagen auf den Boden, darstellen.
(2) Eine Einwirkung „von außen“ liegt auch in Fällen eines willentlich gesteuerten Handelns mit ungewollter Einwirkung infolge einer Fehlbelastung oder eines sonstigen überraschenden Moments vor.
(3) Die Annahme eines Arbeitsunfalls erfordert zwar regelmäßig den Nachweis einer gesundheitsschädigenden Einwirkung innerhalb einer Arbeitsschicht. Die Einwirkung muss an einem bestimmten, jedoch nicht an einem kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten sein (Anschluss an BSG vom 26.09.1961 - 2 RU 191/59 -).
(2) Eine Einwirkung „von außen“ liegt auch in Fällen eines willentlich gesteuerten Handelns mit ungewollter Einwirkung infolge einer Fehlbelastung oder eines sonstigen überraschenden Moments vor.
(3) Die Annahme eines Arbeitsunfalls erfordert zwar regelmäßig den Nachweis einer gesundheitsschädigenden Einwirkung innerhalb einer Arbeitsschicht. Die Einwirkung muss an einem bestimmten, jedoch nicht an einem kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten sein (Anschluss an BSG vom 26.09.1961 - 2 RU 191/59 -).
Der Bescheid vom 24. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, einen Vorgang vom 13. oder 14. August 2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall umstritten.
Der 1985 geborene Kläger ist seit Mai 2013 als Montagespezialist/Nacharbeiter bei der D. AG im Werk R. beschäftigt. Seine Aufgabe besteht u. a. darin, ungenau eingesetzte Vorder- oder Heckscheiben zu lösen und neu in das Fahrzeug einzusetzen. Dazu wird der Scheibenkleber mittels eines Schneidedrahtes durchtrennt. Zu Beginn des Vorgangs ist zwischen Scheibe und Karosserie mit einem spitzen Werkzeug ein Loch zu stoßen, um einen Draht durchzuziehen. Das äußere Ende des Drahtes wird mit einem T-Griff versehen und das innere Ende in einem speziellen Führungswerkzeug verankert. Für das Lösen der Scheiben sind zwei Personen erforderlich: Der Mitarbeiter im Fahrzeuginneren führt den Draht, der außen tätige Mitarbeiter zieht den Draht möglichst rechtwinklig zur Klebenaht, um einen Schneideffekt zu bewirken. Bei dem ganzen Vorgang ist etwa 10 bis 12 Mal neu anzusetzen und der Draht neu zu positionieren. Bei der Tätigkeit entstehen Zugkräfte von etwa 340 N bis über 500 N. Außerdem wird bei Tätigkeit eine teilweise unergonomische Haltung eingenommen. Sie führt überdies zu einer starken, teilweise einseitigen Belastung des Schultergelenks und der Schultermuskulatur (vgl. Stellungnahme des Leitenden Werksarztes Dr. F.). Den Angaben des Klägers zufolge schaffen die Mitarbeiter je Arbeitsschicht üblicherweise maximal den Aus- und Einbau von vier Scheiben.
Am 13. und 14.08.2015 war der Kläger für diese Tätigkeit an das Werk B. abgeordnet. Hier waren für eine Pressepräsentation etwa 25 Fahrzeuge instand zu setzen. Der Kläger und ein weiterer Mitarbeiter mussten deshalb an beiden Tagen je Arbeitsschicht etwa 8 Scheiben auswechseln. Am 15.08.2015 bemerkte der Kläger nach dem Aufstehen eine Schwellung des gesamten rechten Armes und einen größeren blauen Fleck unterhalb des rechten Schultergelenks. Er stellte seine Arbeit am 24.08.2015 ein und suchte am 27.08.2015 den Chirurgen Dr. Fr. auf. Aufgrund einer von diesem veranlassten Kernspintomographie des Brustkorbes diagnostizierte die Fachärztin für diagnostische Radiologie Dr. H-D. am 27.08.2015 eine Ansatzruptur des Musculus pectoralis minor (= kleiner Brustmuskel) am Coracoid rechts mit begleitender Flüssigkeit in der Bursa subacromialis und diffusem Begleithämatom (vgl. Arztbrief vom 07.10.2015). Dr. Fr. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine Verletzung von Muskeln und Sehnen an einer nicht näher bezeichneten Körperregion und eine Arm-Venen-Thrombose (vgl. Durchgangsarztbericht vom 27.08. und Zwischenberichte vom 29. und 31.08.2015). Durch Bescheid vom 24.09.2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mit der Begründung ab, der vom Kläger geschilderte Hergang sei eine willentlich gesteuerte kontrollierte Körperbewegung gewesen; er erfülle damit rechtlich nicht den Begriff eines äußeren Ereignisses im Sinne der gesetzlichen Definition eines Arbeitsunfalls.
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, schon ein einmaliges Durchtrennen des ausgehärteten Scheibenklebers beim Ausbau der Frontscheibe eines Pkw sei geeignet gewesen, eine Schädigung des Brustmuskels zu verursachen. Nach der Stellungnahme des Dr. F. sei die Arbeitsplatzsituation völlig untragbar gewesen. Soweit er die Verletzung erst am 15.08.2015 verspürt habe, stehe dies der Annahme eines Arbeitsunfalls nicht entgegen. Denn aufgrund der Lage des verletzten Muskels und der Überdeckung durch einen kräftigeren Muskel habe er die Schädigung nicht unmittelbar nach deren Eintritt wahrgenommen. Es sei von einem Fall eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung auszugehen, weshalb eine äußere Einwirkung und damit ein versichertes Unfallereignis vorgelegen habe. In seiner Stellungnahme führte der Leitende Werksarzt und Arzt für Arbeitsmedizin Dr. F. zusammenfassend u. a. aus, die am 13. und 14.08.2015 von dem Kläger und einem weiteren Mitarbeiter ausgebauten Scheiben seien aufgrund einer Sondersituation stärker verpresst gewesen, weshalb eher von noch höheren Zugkräften als 340 N bis 500 N auszugehen sei. Die ergonomische Arbeitsplatzbewertung habe selbst für eine Wiederholung je Schicht nach dem Ampelsystem "Rot" ergeben, weshalb die Belastung eindeutig zu hoch gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.02.2016).
Deswegen hat der Kläger am 16.03.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Neben der Wiederholung und Vertiefung seines Widerspruchsvorbringens trägt er ergänzend vor, die Festlegung eines bestimmten Kalendertages, an welchem die Schädigung eingetreten sei, sei für die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht nötig, wenn nach den Umständen eine plötzliche Schädigung an irgendeinem Tag wahrscheinlich sei. Die Schädigung müsse nur innerhalb einer Arbeitsschicht an einem bestimmten, wenn auch nicht kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten sein. Die Ruptur des kleinen Brustmuskels sei mit Sicherheit entweder am 13. oder am 14.08.2015 eingetreten. Dieser Riss sei auch ursächlich für die Venenthrombose gewesen. Außerdem habe die Beklagte die ungewöhnliche quantitative und qualitative Belastung, der er am 13. und 14.08.2015 ausgesetzt gewesen sei, nicht ausreichend gewürdigt.
Auf Antrag und im Kostenrisiko des Klägers hat gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) im Auftrag des Gerichts der Orthopäde und Unfallchirurg Prof. Dr. C. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dieser hat als Unfallfolgen einen folgenlos ausgeheilten Abriss des Musculus pectoralis minor mit Schwellneigung des rechten Armes, verstärkter Venenzeichnung am Oberarm und im Bereich des rechten Brustkorbs über dem Musculus pectoralis major, belastungsabhängige Beschwerden in der rechten Achsel und die Notwendigkeit, einen Oberarmkompressionsstrumpf zu tragen, diagnostiziert. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, ein Riss oder Abriss des Musculus pectoralis minor sei eine außerordentlich seltene Verletzung. Der Muskel werde beansprucht, wenn Gegenstände unter Kraftanstrengung über eine Beanspruchung der das Schulterblatt umgebenden Muskulatur gezogen, gedrückt oder gestemmt würden. Am 13. und 14.08.2015 sei der Kläger bei seiner Montagetätigkeit nicht nur einer höheren quantitativen, sondern auch einer höheren qualitativen Belastung ausgesetzt gewesen. Angesichts der dabei angefallenen Zugkräfte von 340 N bis 500 N und aufgrund von Erfahrungen bei Leistungssportlern sei von dem Eintritt des Muskelrisses bei einer dieser Zugbelastungen auszugehen. Dass der Kläger den eigentlichen Rissvorgang nicht verspürt habe, spreche nicht gegen eine solche Gesundheitsstörung, weil ein Muskelriss nach medizinischen Erfahrungen oftmals zunächst symptomlos verlaufe. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei der Muskelriss auch kausal für die Thrombosierung der Axillarisvene. Aus gutachterlicher Sicht lasse sich allerdings die Frage, an welchem konkreten Tag und in welcher Schicht der Muskelriss aufgetreten sei, nicht beantworten, weil der Rissvorgang als solcher symptomlos verlaufen und die Entwicklung des aus dem Riss resultierenden Hämatoms und der die Axillarisvene komprimierenden Schwellung einige Zeit in Anspruch nehmen könne, bevor sich die Venenkompression in Form einer Thrombose klinisch manifestiere. Vorschäden oder anlagebedingte Veränderungen, die diese Gesundheitsstörungen ebenfalls hätte verursachen können, lägen nicht vor.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 24. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ein Ereignis am 13. oder am 14. August 2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Prof. Dr. T. erachtet sie die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zum Wahlrecht eines Versicherten, den Anspruch auf Feststellung, dass ein Ereignis ein Arbeitsunfall ist, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen, vgl. BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Randnr. 12 m. w. N.) zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat bei seiner versicherten Tätigkeit als Montagespezialist/Nacharbeiter entweder am 13. oder am 14.08.2015 einen Arbeitsunfall erlitten.
1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod des Versicherten führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 SGB VII ist danach regelmäßig erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Einwirkungskausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern allein maßgebend für Art, Dauer und Höhe von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (ständige Rechtsprechung; vgl. stellvertretend BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R - und B 2 U 26/05 R - (jeweils Juris) sowie BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 mit weiteren Nachweisen). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden", nachgewiesen sein, d.h. mithin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für das Gericht feststehen (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 55, Rn. 24). Dagegen genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. u.a. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 43 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 m.w.N. und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9).
2. Daran gemessen hat der Kläger entweder am 13. oder am 14.08.2015 einen Arbeitsunfall erlitten.
a) Dass er am 13. und am 14.08.2015 im Werk B. seines Arbeitgebers eine versicherte Tätigkeit als Montagespezialist/Nacharbeiter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) verrichtet hat, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
b) Der Kläger war an diesen beiden Tagen auch einer Einwirkung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ausgesetzt, die von außen auf seinen Körper einwirkte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, ist für die äußere Einwirkung kein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen zu fordern (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Randnr. 9 f (Anheben eines festgefrorenen Grabsteins)). Mit dem Merkmal "von außen" soll lediglich ausgedrückt werden, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen aus innerer Ursache, d.h. ein allein aus dem Menschen selbst kommendes Geschehen (z.B. Herzinfarkt, Kreislaufkollaps) sowie Selbstschädigungen nicht als Unfall anzusehen sind. Das Gesetz fordert keine bestimmte Qualität der Einwirkung; weder muss ein normwidriges, d. h. dem ordnungsgemäßen Arbeitsablauf widersprechendes Ereignis (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr.15, Randnr. 7 und BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 31), noch ein besonderes betriebliches Risiko oder eine erhöhte Betriebsgefahr stattgefunden haben. Vielmehr kann die Einwirkung im Rahmen der versicherten Tätigkeit üblich und selbstverständlich sein (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 42, Randnr. 14) oder sich als alltäglicher Vorgang, wie z.B. das Stolpern über die eigene Füße, Umknicken oder Aufschlagen auf den Boden, darstellen, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (vgl. BSG vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R-, Randnr. 25und BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R - Randnr. 15 m. w. N. (jeweils juris)).
Die äußere Einwirkung lag vorliegend darin, dass der Kläger beim Durschneiden der Klebenähte der bereits am Fahrzeug montierten Front- oder Heckscheiben mittels eines Drahtes eine erhebliche Körperkraft entfalten musste, bei der nach der glaubhaften Stellungnahme des Leitenden Werksarztes Dr. F. Zugkräfte von etwa 340 N bis über 500 N entstanden. Hinzu kam eine teilweise unergonomische Arbeitshaltung je nach der Position, wo der Kläger gerade schneiden musste, und je nach Fahrzeughöhe. Außerdem bewirkte die konkret verrichtete versicherte Tätigkeit eine starke und teilweise einseitige Belastung des Schultergelenks und der Schultermuskulatur. Weiter ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass nach der auch insoweit glaubhaften Stellungnahme des Dr. F. die vom Kläger in beiden Arbeitsschichten bearbeiteten Scheiben aufgrund einer Sondersituation mit einer Nahtdichte von ca. 3 mm und einer Nahtbreite von etwa 16-21 mm stärker verpresst waren als üblich und zudem die werksinterne ergonomische Arbeitsplatzbewertung selbst für eine Wiederholung pro Arbeitsschicht eine eindeutig zu hohe Belastung ergeben hatte. Schließlich musste der Kläger an beiden Arbeitstagen aufgrund der für eine Pressepräsentation vorgesehenen Anzahl von Fahrzeugen anstatt der üblicherweise maximal vier zu ersetzenden Fahrzeugscheiben acht Scheiben je Arbeitsschicht auswechseln. Er war deshalb am 13. und am 14.08.2015 nicht nur einer höheren quantitativen, sondern auch einer höheren qualitativen, mithin einer außergewöhnlichen Arbeitsbelastung ausgesetzt. Dies räumt auch der Beratungsarzt der Beklagten, Prof. Dr. T., ein.
c) Nicht erheblich ist, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit am 13. und am 14.08.2015 bei den Schneidevorgängen eine von ihm willentlich gesteuerte Handlung ausgeführt hat. Zwar ist die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSGE 61, 113, 115 und BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 42, Randnr. 14). Zu unterscheiden hiervon sind jedoch Fälle eines gewollten Handelns aufgrund einer ungewollten Einwirkung infolge einer Fehlbelastung oder eines sonstigen überraschenden Moments (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Randnr. 12, LSG Sachsen-Anhalt vom 12.04.2013 - L 6 U 80/10 -, Randnr. 27 und LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2009 - L 1 U 3621/08 -, Randnr. 32 (jeweils juris)). Bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor. Dies gilt nicht nur für äußerlich sichtbare Einwirkungen z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen, sondern gleichermaßen auch für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind (z.B. bei radioaktiven Strahlen oder elektromagnetischen Wellen; vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Randnr. 7 und 13 sowie BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56).
Vorliegend steht nach den - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen des Dr. F. und des Sachverständigen Prof. Dr. C. zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) fest, dass die Zugbelastungen, denen der Kläger bei der Verrichtung seiner versicherten Tätigkeiten am 13. oder am 14.08.2015 ausgesetzt war, sich unmittelbar auf die Brustmuskulatur auswirkten und zu dem von den Dres. Dr. Fr. und Dr. H-D. diagnostizierten Riss des Musculus pectoralis minor führten. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger den eigentlichen Vorgang des Muskelrisses nicht verspürt hat. Denn mit Prof. Dr. C., dessen Darlegungen insoweit auch Prof. Dr. T. zugestimmt hat, bleibt nach medizinisch-wissenschaftlichen Erfahrungen ein solcher akuter Riss oftmals zunächst symptomlos, weil der Brustmuskel in der Tiefe liegt und von dem wesentlich kräftigeren großen Brustmuskel bedeckt wird. Außerdem besteht eine enge topographische Beziehung zwischen dem Riss des kleinen Brustmuskels und dem Ausgangspunkt der nachfolgend diagnostizieren Thrombosierung der Vena axillaris.
Mithin stellten die auf den Kläger einwirkenden Zugkräfte eine Einwirkung "von außen", und deswegen ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII dar.
d) Der Anerkennung als Arbeitsunfall steht schließlich auch nicht entgegen, dass sich nach den überzeugenden und wohlbegründeten Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. nicht mit Sicherheit feststellen lässt, ob der Riss des kleinen Brustmuskels mit nachfolgender Venenthrombose konkret am 13. oder am 14.08.2015 eingetreten ist. Fest steht zur Überzeugung der Kammer im Anschluss an Dr. F., dass aufgrund der erhöhten qualitativen und quantitativen Belastungen, denen der Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit an beiden Tagen ausgesetzt war, die Zugbelastung auf den Pectoralis-Muskel bereits bei einer Wiederholung der Arbeitsvorgänge je Arbeitsschicht zu hoch war. Für die Annahme eines Arbeitsunfalls ist regelmäßig zwar erforderlich, dass die zu einem Gesundheitserstschaden führende Einwirkung innerhalb einer Arbeitsschicht aufgetreten ist. Sie muss nach der Rechtsprechung des BSG an einem bestimmten, jedoch nicht an einem kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten sein (vgl. BSG vom 26.09.1961 - 2 RU 191759 -, Randnr. 15 m. w. N. (juris) und Ricke in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2016, § 8 SGB VII, Randnr. 23). So liegt der Fall hier: Mit Prof. Dr. C. ist der Riss des kleinen Brustmuskels rechts mit nachfolgender Thrombosierung der Vena axillaris bei einer der am 13. oder am 14.08.2015 einwirkenden Zugbelastung aufgetreten. Der Muskelriss selbst ist, nachdem der Kläger weder den Riss als solchen verspürt hat noch zeitlich unmittelbar danach Symptome in Form einer Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, eines Hämatoms oder einer die Vena axillaris komprimierenden Schwellung zu objektivieren waren, zunächst, d. h. bis am Morgen des 15.08.2015, klinisch stumm verlaufen. Insbesondere die Entwicklung des aus dem Riss resultierenden Hämatoms und der Muskelschwellung konnte einige Zeit in Anspruch nehmen, bevor die Venenkompression in Form einer Thrombose klinisch manifest wurde.
3. Auch wenn mit Prof. Dr. C. die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkret auf den 13. oder den 14.08.2015 datiert werden können, hat der Kläger jedoch an einem dieser beiden Tage einen Arbeitsunfall erlitten. Anhaltspunkte für eine unfallunabhängige Ursache, etwa infolge degenerativer Veränderungen, liegen ebenso wenig vor wie für einen sog. Summationseffekt, d.h. eine von mehreren, nacheinander in verschiedenen Arbeitsschichten insgesamt den Versicherten treffende Einwirkungen, die zu der Schädigung geführt haben, und die nur dann als wesentliche Bedingung zu werten ist, wenn sie sich aus der Gesamtheit der Einwirkungen derart hervorhebt, dass sie nicht nur die letzte mehrerer gleichwertiger Einwirkungen bildet (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 548 Nr. 71 m.w.N.).
4. Anders ist auch nicht aufgrund der Stellungnahme des Beratungsarztes Prof. Dr. T. zu entscheiden. Denn dieser verneint zu Unrecht die Merkmale "plötzlich" und "unvorhergesehen" im Zusammenhang mit der auch von ihm eingeräumten übermäßigen Kraftanstrengung des Klägers im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit sowohl am 13. als auch am 14.08.2015. Seine Ausführungen zum Zeitintervall zwischen einem Riss der langen Bizepssehne und dem erstmaligen Auftreten von Beschwerde sind nicht zielführend, weil der Kläger vorliegend keinen Sehnen-, sondern einen Muskelriss erlitten hat. Überdies ist die Zerreißlast einer gesunden Sehne ungefähr zwei- bis dreimal höher als die des zugehörigen Muskels (biologische Reserve der Sehne). Ist daher die Belastung für den Muskel zu schwer, so versagt dieser (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 413).
5. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem Klagebegehren stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall umstritten.
Der 1985 geborene Kläger ist seit Mai 2013 als Montagespezialist/Nacharbeiter bei der D. AG im Werk R. beschäftigt. Seine Aufgabe besteht u. a. darin, ungenau eingesetzte Vorder- oder Heckscheiben zu lösen und neu in das Fahrzeug einzusetzen. Dazu wird der Scheibenkleber mittels eines Schneidedrahtes durchtrennt. Zu Beginn des Vorgangs ist zwischen Scheibe und Karosserie mit einem spitzen Werkzeug ein Loch zu stoßen, um einen Draht durchzuziehen. Das äußere Ende des Drahtes wird mit einem T-Griff versehen und das innere Ende in einem speziellen Führungswerkzeug verankert. Für das Lösen der Scheiben sind zwei Personen erforderlich: Der Mitarbeiter im Fahrzeuginneren führt den Draht, der außen tätige Mitarbeiter zieht den Draht möglichst rechtwinklig zur Klebenaht, um einen Schneideffekt zu bewirken. Bei dem ganzen Vorgang ist etwa 10 bis 12 Mal neu anzusetzen und der Draht neu zu positionieren. Bei der Tätigkeit entstehen Zugkräfte von etwa 340 N bis über 500 N. Außerdem wird bei Tätigkeit eine teilweise unergonomische Haltung eingenommen. Sie führt überdies zu einer starken, teilweise einseitigen Belastung des Schultergelenks und der Schultermuskulatur (vgl. Stellungnahme des Leitenden Werksarztes Dr. F.). Den Angaben des Klägers zufolge schaffen die Mitarbeiter je Arbeitsschicht üblicherweise maximal den Aus- und Einbau von vier Scheiben.
Am 13. und 14.08.2015 war der Kläger für diese Tätigkeit an das Werk B. abgeordnet. Hier waren für eine Pressepräsentation etwa 25 Fahrzeuge instand zu setzen. Der Kläger und ein weiterer Mitarbeiter mussten deshalb an beiden Tagen je Arbeitsschicht etwa 8 Scheiben auswechseln. Am 15.08.2015 bemerkte der Kläger nach dem Aufstehen eine Schwellung des gesamten rechten Armes und einen größeren blauen Fleck unterhalb des rechten Schultergelenks. Er stellte seine Arbeit am 24.08.2015 ein und suchte am 27.08.2015 den Chirurgen Dr. Fr. auf. Aufgrund einer von diesem veranlassten Kernspintomographie des Brustkorbes diagnostizierte die Fachärztin für diagnostische Radiologie Dr. H-D. am 27.08.2015 eine Ansatzruptur des Musculus pectoralis minor (= kleiner Brustmuskel) am Coracoid rechts mit begleitender Flüssigkeit in der Bursa subacromialis und diffusem Begleithämatom (vgl. Arztbrief vom 07.10.2015). Dr. Fr. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen eine Verletzung von Muskeln und Sehnen an einer nicht näher bezeichneten Körperregion und eine Arm-Venen-Thrombose (vgl. Durchgangsarztbericht vom 27.08. und Zwischenberichte vom 29. und 31.08.2015). Durch Bescheid vom 24.09.2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mit der Begründung ab, der vom Kläger geschilderte Hergang sei eine willentlich gesteuerte kontrollierte Körperbewegung gewesen; er erfülle damit rechtlich nicht den Begriff eines äußeren Ereignisses im Sinne der gesetzlichen Definition eines Arbeitsunfalls.
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, schon ein einmaliges Durchtrennen des ausgehärteten Scheibenklebers beim Ausbau der Frontscheibe eines Pkw sei geeignet gewesen, eine Schädigung des Brustmuskels zu verursachen. Nach der Stellungnahme des Dr. F. sei die Arbeitsplatzsituation völlig untragbar gewesen. Soweit er die Verletzung erst am 15.08.2015 verspürt habe, stehe dies der Annahme eines Arbeitsunfalls nicht entgegen. Denn aufgrund der Lage des verletzten Muskels und der Überdeckung durch einen kräftigeren Muskel habe er die Schädigung nicht unmittelbar nach deren Eintritt wahrgenommen. Es sei von einem Fall eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung auszugehen, weshalb eine äußere Einwirkung und damit ein versichertes Unfallereignis vorgelegen habe. In seiner Stellungnahme führte der Leitende Werksarzt und Arzt für Arbeitsmedizin Dr. F. zusammenfassend u. a. aus, die am 13. und 14.08.2015 von dem Kläger und einem weiteren Mitarbeiter ausgebauten Scheiben seien aufgrund einer Sondersituation stärker verpresst gewesen, weshalb eher von noch höheren Zugkräften als 340 N bis 500 N auszugehen sei. Die ergonomische Arbeitsplatzbewertung habe selbst für eine Wiederholung je Schicht nach dem Ampelsystem "Rot" ergeben, weshalb die Belastung eindeutig zu hoch gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.02.2016).
Deswegen hat der Kläger am 16.03.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Neben der Wiederholung und Vertiefung seines Widerspruchsvorbringens trägt er ergänzend vor, die Festlegung eines bestimmten Kalendertages, an welchem die Schädigung eingetreten sei, sei für die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht nötig, wenn nach den Umständen eine plötzliche Schädigung an irgendeinem Tag wahrscheinlich sei. Die Schädigung müsse nur innerhalb einer Arbeitsschicht an einem bestimmten, wenn auch nicht kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten sein. Die Ruptur des kleinen Brustmuskels sei mit Sicherheit entweder am 13. oder am 14.08.2015 eingetreten. Dieser Riss sei auch ursächlich für die Venenthrombose gewesen. Außerdem habe die Beklagte die ungewöhnliche quantitative und qualitative Belastung, der er am 13. und 14.08.2015 ausgesetzt gewesen sei, nicht ausreichend gewürdigt.
Auf Antrag und im Kostenrisiko des Klägers hat gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) im Auftrag des Gerichts der Orthopäde und Unfallchirurg Prof. Dr. C. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dieser hat als Unfallfolgen einen folgenlos ausgeheilten Abriss des Musculus pectoralis minor mit Schwellneigung des rechten Armes, verstärkter Venenzeichnung am Oberarm und im Bereich des rechten Brustkorbs über dem Musculus pectoralis major, belastungsabhängige Beschwerden in der rechten Achsel und die Notwendigkeit, einen Oberarmkompressionsstrumpf zu tragen, diagnostiziert. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, ein Riss oder Abriss des Musculus pectoralis minor sei eine außerordentlich seltene Verletzung. Der Muskel werde beansprucht, wenn Gegenstände unter Kraftanstrengung über eine Beanspruchung der das Schulterblatt umgebenden Muskulatur gezogen, gedrückt oder gestemmt würden. Am 13. und 14.08.2015 sei der Kläger bei seiner Montagetätigkeit nicht nur einer höheren quantitativen, sondern auch einer höheren qualitativen Belastung ausgesetzt gewesen. Angesichts der dabei angefallenen Zugkräfte von 340 N bis 500 N und aufgrund von Erfahrungen bei Leistungssportlern sei von dem Eintritt des Muskelrisses bei einer dieser Zugbelastungen auszugehen. Dass der Kläger den eigentlichen Rissvorgang nicht verspürt habe, spreche nicht gegen eine solche Gesundheitsstörung, weil ein Muskelriss nach medizinischen Erfahrungen oftmals zunächst symptomlos verlaufe. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei der Muskelriss auch kausal für die Thrombosierung der Axillarisvene. Aus gutachterlicher Sicht lasse sich allerdings die Frage, an welchem konkreten Tag und in welcher Schicht der Muskelriss aufgetreten sei, nicht beantworten, weil der Rissvorgang als solcher symptomlos verlaufen und die Entwicklung des aus dem Riss resultierenden Hämatoms und der die Axillarisvene komprimierenden Schwellung einige Zeit in Anspruch nehmen könne, bevor sich die Venenkompression in Form einer Thrombose klinisch manifestiere. Vorschäden oder anlagebedingte Veränderungen, die diese Gesundheitsstörungen ebenfalls hätte verursachen können, lägen nicht vor.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 24. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ein Ereignis am 13. oder am 14. August 2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Prof. Dr. T. erachtet sie die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zum Wahlrecht eines Versicherten, den Anspruch auf Feststellung, dass ein Ereignis ein Arbeitsunfall ist, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen, vgl. BSG SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Randnr. 12 m. w. N.) zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat bei seiner versicherten Tätigkeit als Montagespezialist/Nacharbeiter entweder am 13. oder am 14.08.2015 einen Arbeitsunfall erlitten.
1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod des Versicherten führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 SGB VII ist danach regelmäßig erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Einwirkungskausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern allein maßgebend für Art, Dauer und Höhe von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (ständige Rechtsprechung; vgl. stellvertretend BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R - und B 2 U 26/05 R - (jeweils Juris) sowie BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 mit weiteren Nachweisen). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden", nachgewiesen sein, d.h. mithin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für das Gericht feststehen (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 55, Rn. 24). Dagegen genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. u.a. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 43 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 m.w.N. und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9).
2. Daran gemessen hat der Kläger entweder am 13. oder am 14.08.2015 einen Arbeitsunfall erlitten.
a) Dass er am 13. und am 14.08.2015 im Werk B. seines Arbeitgebers eine versicherte Tätigkeit als Montagespezialist/Nacharbeiter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) verrichtet hat, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
b) Der Kläger war an diesen beiden Tagen auch einer Einwirkung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ausgesetzt, die von außen auf seinen Körper einwirkte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, ist für die äußere Einwirkung kein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen zu fordern (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Randnr. 9 f (Anheben eines festgefrorenen Grabsteins)). Mit dem Merkmal "von außen" soll lediglich ausgedrückt werden, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen aus innerer Ursache, d.h. ein allein aus dem Menschen selbst kommendes Geschehen (z.B. Herzinfarkt, Kreislaufkollaps) sowie Selbstschädigungen nicht als Unfall anzusehen sind. Das Gesetz fordert keine bestimmte Qualität der Einwirkung; weder muss ein normwidriges, d. h. dem ordnungsgemäßen Arbeitsablauf widersprechendes Ereignis (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr.15, Randnr. 7 und BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 31), noch ein besonderes betriebliches Risiko oder eine erhöhte Betriebsgefahr stattgefunden haben. Vielmehr kann die Einwirkung im Rahmen der versicherten Tätigkeit üblich und selbstverständlich sein (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 42, Randnr. 14) oder sich als alltäglicher Vorgang, wie z.B. das Stolpern über die eigene Füße, Umknicken oder Aufschlagen auf den Boden, darstellen, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (vgl. BSG vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R-, Randnr. 25und BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R - Randnr. 15 m. w. N. (jeweils juris)).
Die äußere Einwirkung lag vorliegend darin, dass der Kläger beim Durschneiden der Klebenähte der bereits am Fahrzeug montierten Front- oder Heckscheiben mittels eines Drahtes eine erhebliche Körperkraft entfalten musste, bei der nach der glaubhaften Stellungnahme des Leitenden Werksarztes Dr. F. Zugkräfte von etwa 340 N bis über 500 N entstanden. Hinzu kam eine teilweise unergonomische Arbeitshaltung je nach der Position, wo der Kläger gerade schneiden musste, und je nach Fahrzeughöhe. Außerdem bewirkte die konkret verrichtete versicherte Tätigkeit eine starke und teilweise einseitige Belastung des Schultergelenks und der Schultermuskulatur. Weiter ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass nach der auch insoweit glaubhaften Stellungnahme des Dr. F. die vom Kläger in beiden Arbeitsschichten bearbeiteten Scheiben aufgrund einer Sondersituation mit einer Nahtdichte von ca. 3 mm und einer Nahtbreite von etwa 16-21 mm stärker verpresst waren als üblich und zudem die werksinterne ergonomische Arbeitsplatzbewertung selbst für eine Wiederholung pro Arbeitsschicht eine eindeutig zu hohe Belastung ergeben hatte. Schließlich musste der Kläger an beiden Arbeitstagen aufgrund der für eine Pressepräsentation vorgesehenen Anzahl von Fahrzeugen anstatt der üblicherweise maximal vier zu ersetzenden Fahrzeugscheiben acht Scheiben je Arbeitsschicht auswechseln. Er war deshalb am 13. und am 14.08.2015 nicht nur einer höheren quantitativen, sondern auch einer höheren qualitativen, mithin einer außergewöhnlichen Arbeitsbelastung ausgesetzt. Dies räumt auch der Beratungsarzt der Beklagten, Prof. Dr. T., ein.
c) Nicht erheblich ist, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit am 13. und am 14.08.2015 bei den Schneidevorgängen eine von ihm willentlich gesteuerte Handlung ausgeführt hat. Zwar ist die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSGE 61, 113, 115 und BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 42, Randnr. 14). Zu unterscheiden hiervon sind jedoch Fälle eines gewollten Handelns aufgrund einer ungewollten Einwirkung infolge einer Fehlbelastung oder eines sonstigen überraschenden Moments (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Randnr. 12, LSG Sachsen-Anhalt vom 12.04.2013 - L 6 U 80/10 -, Randnr. 27 und LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2009 - L 1 U 3621/08 -, Randnr. 32 (jeweils juris)). Bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor. Dies gilt nicht nur für äußerlich sichtbare Einwirkungen z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen, sondern gleichermaßen auch für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind (z.B. bei radioaktiven Strahlen oder elektromagnetischen Wellen; vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Randnr. 7 und 13 sowie BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56).
Vorliegend steht nach den - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen des Dr. F. und des Sachverständigen Prof. Dr. C. zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) fest, dass die Zugbelastungen, denen der Kläger bei der Verrichtung seiner versicherten Tätigkeiten am 13. oder am 14.08.2015 ausgesetzt war, sich unmittelbar auf die Brustmuskulatur auswirkten und zu dem von den Dres. Dr. Fr. und Dr. H-D. diagnostizierten Riss des Musculus pectoralis minor führten. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger den eigentlichen Vorgang des Muskelrisses nicht verspürt hat. Denn mit Prof. Dr. C., dessen Darlegungen insoweit auch Prof. Dr. T. zugestimmt hat, bleibt nach medizinisch-wissenschaftlichen Erfahrungen ein solcher akuter Riss oftmals zunächst symptomlos, weil der Brustmuskel in der Tiefe liegt und von dem wesentlich kräftigeren großen Brustmuskel bedeckt wird. Außerdem besteht eine enge topographische Beziehung zwischen dem Riss des kleinen Brustmuskels und dem Ausgangspunkt der nachfolgend diagnostizieren Thrombosierung der Vena axillaris.
Mithin stellten die auf den Kläger einwirkenden Zugkräfte eine Einwirkung "von außen", und deswegen ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII dar.
d) Der Anerkennung als Arbeitsunfall steht schließlich auch nicht entgegen, dass sich nach den überzeugenden und wohlbegründeten Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. nicht mit Sicherheit feststellen lässt, ob der Riss des kleinen Brustmuskels mit nachfolgender Venenthrombose konkret am 13. oder am 14.08.2015 eingetreten ist. Fest steht zur Überzeugung der Kammer im Anschluss an Dr. F., dass aufgrund der erhöhten qualitativen und quantitativen Belastungen, denen der Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit an beiden Tagen ausgesetzt war, die Zugbelastung auf den Pectoralis-Muskel bereits bei einer Wiederholung der Arbeitsvorgänge je Arbeitsschicht zu hoch war. Für die Annahme eines Arbeitsunfalls ist regelmäßig zwar erforderlich, dass die zu einem Gesundheitserstschaden führende Einwirkung innerhalb einer Arbeitsschicht aufgetreten ist. Sie muss nach der Rechtsprechung des BSG an einem bestimmten, jedoch nicht an einem kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten sein (vgl. BSG vom 26.09.1961 - 2 RU 191759 -, Randnr. 15 m. w. N. (juris) und Ricke in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2016, § 8 SGB VII, Randnr. 23). So liegt der Fall hier: Mit Prof. Dr. C. ist der Riss des kleinen Brustmuskels rechts mit nachfolgender Thrombosierung der Vena axillaris bei einer der am 13. oder am 14.08.2015 einwirkenden Zugbelastung aufgetreten. Der Muskelriss selbst ist, nachdem der Kläger weder den Riss als solchen verspürt hat noch zeitlich unmittelbar danach Symptome in Form einer Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, eines Hämatoms oder einer die Vena axillaris komprimierenden Schwellung zu objektivieren waren, zunächst, d. h. bis am Morgen des 15.08.2015, klinisch stumm verlaufen. Insbesondere die Entwicklung des aus dem Riss resultierenden Hämatoms und der Muskelschwellung konnte einige Zeit in Anspruch nehmen, bevor die Venenkompression in Form einer Thrombose klinisch manifest wurde.
3. Auch wenn mit Prof. Dr. C. die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkret auf den 13. oder den 14.08.2015 datiert werden können, hat der Kläger jedoch an einem dieser beiden Tage einen Arbeitsunfall erlitten. Anhaltspunkte für eine unfallunabhängige Ursache, etwa infolge degenerativer Veränderungen, liegen ebenso wenig vor wie für einen sog. Summationseffekt, d.h. eine von mehreren, nacheinander in verschiedenen Arbeitsschichten insgesamt den Versicherten treffende Einwirkungen, die zu der Schädigung geführt haben, und die nur dann als wesentliche Bedingung zu werten ist, wenn sie sich aus der Gesamtheit der Einwirkungen derart hervorhebt, dass sie nicht nur die letzte mehrerer gleichwertiger Einwirkungen bildet (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 548 Nr. 71 m.w.N.).
4. Anders ist auch nicht aufgrund der Stellungnahme des Beratungsarztes Prof. Dr. T. zu entscheiden. Denn dieser verneint zu Unrecht die Merkmale "plötzlich" und "unvorhergesehen" im Zusammenhang mit der auch von ihm eingeräumten übermäßigen Kraftanstrengung des Klägers im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit sowohl am 13. als auch am 14.08.2015. Seine Ausführungen zum Zeitintervall zwischen einem Riss der langen Bizepssehne und dem erstmaligen Auftreten von Beschwerde sind nicht zielführend, weil der Kläger vorliegend keinen Sehnen-, sondern einen Muskelriss erlitten hat. Überdies ist die Zerreißlast einer gesunden Sehne ungefähr zwei- bis dreimal höher als die des zugehörigen Muskels (biologische Reserve der Sehne). Ist daher die Belastung für den Muskel zu schwer, so versagt dieser (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 413).
5. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem Klagebegehren stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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