L 2 AR 1/17 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 9 U 3/17 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AR 1/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 13. April 2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz aus Anlass der im Mai 2017 stattfindenden Sozialwahl mit dem Ziel der Erweiterung der wahlberechtigten Gruppe. Wegen des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen (vgl. § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Ebenso wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Antragsgegnerin, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.

Die am 20. April 2017 eingegangene Beschwerde der Antragsteller mit dem Antrag

1. festzustellen, dass sämtliche Rentenbezieher in der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau ohne Beschränkung auf die Rentenbezieher in der Unfallversicherung in der Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte (§ 47 Abs. 3 SGB IV) gemäß § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV für die kommende Sozialwahl 2017 wahlberechtigt sind, sofern sie dieser Gruppe unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben, hilfsweise, die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, den Wahlverstoß zu beheben und zu verpflichten, alle Rentenbezieher in der Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau ohne Beschränkung auf die Rentenbezieher in der Unfallversicherung in der Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte (§ 47 Abs. 3 SGB IV) gemäß § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV für die kommende Sozialwahl 2017 als wahlberechtigt nach § 50 SGB IV anzuerkennen, sofern sie dieser Gruppe unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben,

2. die Beschwerdegegnerin anzuweisen, den Fragebogen und den Antrag auf Ausstellung eines Wahlausweises (Wahlunterlagen) in der Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte an sämtliche Rentenbezieher ohne Beschränkung auf die Rentenbezieher in der Unfallversicherung zu versenden,

3. falls erforderlich die Fristen zur Durchführung der Sozialwahl 2017 in der SVLFG zu verschieben

ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Eilantrag zu Recht abgelehnt, wobei sich die Zuständigkeit des Sozialgerichts aus § 57b SGG ergibt.

Die Zulässigkeit des Eilantrages der Antragsteller, insbesondere zum Feststellungsantrag zu 1., kann dahingestellt bleiben. Zwar setzt eine Begründetheitsprüfung grundsätzlich eine vorherige Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels voraus. Ausnahmsweise darf das Gericht die Zulässigkeit jedoch offen lassen, wenn den Verfahrensbeteiligten hierdurch keine Nachteile entstehen können (BSG, Urteil vom 29. Januar 2008, B 7/7a AL 6/06 R; vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Aufl., vor § 143 Rn. 2a). So liegt der Fall hier.

Der Eilantrag ist in allen Punkten jedenfalls unbegründet.

Nach § 57 Abs. 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) kann das Gericht während des Wahlverfahrens auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn ein Wahlverstoß vorliegt, der dazu führen würde, dass im Wahlanfechtungsverfahren die Wahl für ungültig erklärt wird. Da bei Erlass einer einstweiligen Anordnung während des Wahlverfahrens endgültige Verhältnisse geschaffen werden können, weil die Wahl nicht mehr aufgrund einer Entscheidung durch den Wahlausschuss durchgeführt wird, sondern aufgrund einer einstweiligen Anordnung, sind besonders strenge Voraussetzungen zu erfüllen, die an die Stelle der sonst für die einstweilige Anordnung geltenden Voraussetzungen treten. Danach muss unzweifelhaft und offensichtlich ein Wahlverstoß vorliegen. Notwendig ist ferner, dass der Wahlverstoß aufgrund seiner Schwere zur Ungültigkeit der Wahl führen würde und die Wahl unzweifelhaft rechtswidrig wäre (vgl. zu allem: Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. – 10/1162 Seite 7; Hauck/Noftz, SGB IV Kommentar, § 57 Rn. 12; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 87b Rn. 51).

Es mangelt bereits an dem Vorliegen eines offensichtlichen Wahlverstoßes, denn nach der summarischen Prüfung des Senats steht das von dem Antragsteller beanstandete Vorgehen der Antragsgegnerin mit den maßgeblichen gesetzlichen Regelungen im Einklang bzw. ist zumindest nicht offensichtlich rechtswidrig.

Dreh- und Angelpunkt des Rechtsstreits ist die Frage, ob nach § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV zur Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte lediglich Bezieher einer gesetzlichen Unfallrente gehören oder ob auch Bezieher von anderen Renten der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) erfasst sind.

Für die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung sprechen zunächst folgende Argumente: Vorgängerin der Antragsgegnerin war die Landwirtschaftliche Sozialversicherung (LSV). Die LSV wurde gebildet aus den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, den früheren landwirtschaftlichen Alterskassen sowie den landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekassen. Zum 1. Januar 2013 ist die LSV mit 36 einzelnen Trägern einschließlich Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in der neu errichteten SVLFG aufgegangen. Grundlage ist das Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-NOG) vom 12. April 2012 (BGBl I, Seite 579). Insbesondere regelt Art. 1 § 2 LSV-NOG, dass sich die SVLFG auf alle Zweige der Sozialversicherung erstreckt (landwirtschaftliche Unfallversicherung, Alterssicherung der Landwirte, landwirtschaftliche Krankenversicherung und landwirtschaftliche Pflegeversicherung). Frühere Sozialwahlen in der LSV sind nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin im Versicherungszweig der Unfallversicherung durchgeführt worden. Die von dem Gesetzgeber geregelten Änderungen aus Anlass der Errichtung der SVLFG zum 1. Januar 2013 drängen nicht zu der Annahme, dass der Kreis der wahlberechtigten Rentenbezieher, um die es hier geht, erweitert werden sollte. Vielmehr ergibt ein Vergleich der bis zum 31. Dezember 2012 und ab dem 1. Januar 2013 geltenden Fassung des § 47 Abs. 3 SGB IV, dass der Wortlaut " den Trägern der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, mit Ausnahme der Gartenbau-Berufsgenossenschaft" durch " der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau" ersetzt worden ist. Der Senat tritt der Auffassung der Antragsgegnerin bei, dass hiermit lediglich der Wortlaut angepasst und gerade keine inhaltliche Änderung geregelt worden ist. Eine andere Sicht der Dinge gebietet auch nicht der Blick auf die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 17/7916, Seite 20 und 48), woraus eine inhaltliche Änderung des § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV gerade nicht abgeleitet werden kann. Davon ausgehend ist ohne weiteres ersichtlich, dass die maßgebliche gesetzliche Regelung des § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV im Kontext zur gesetzlichen Unfallversicherung steht. Insoweit befasst sich Nr. 1 der Vorschrift mit versicherten Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und ihre versicherten Ehegatten mit Ausnahme derjenigen Personen, die in den letzten 12 Monaten 26 Wochen als Arbeitnehmer in der Land- oder Forstwirtschaft unfallversichert waren. § 47 Abs. 3 Nr. 1 SGB IV entspricht damit den Besonderheiten der landwirtschaftlichen Unfallversicherung (vgl. Hauck/Noftz, a.a.O. § 47 Rn. 13). Regelt demgegenüber § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV, dass zur Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte auch Rentenbezieher gehören, die der Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben, liegt nahe, dass wegen des systematischen Zusammenhangs Bezieher einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gemeint sind. Daran ändert auch der Wortlaut des § 47 Abs. 5 SGB IV nichts, wonach Rentenbezieher im Sinne der Vorschriften über die Selbstverwaltung ist, wer eine Rente aus eigener Versicherung von dem jeweiligen Versicherungsträger bezieht. Hierdurch soll lediglich klargestellt werden, dass Bezieher einer Rente aus einer eigenen Versicherung gemeint sind und nicht Bezieher abgeleiteter Renten wie Hinterbliebenenrenten (vgl. Schlegel/Voelzke jurisPK, SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 47 Rn. 42). Das Vorgehen der Antragsgegnerin wird im Übrigen bestätigt durch die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das mit Schreiben vom 19. April 2016 mitgeteilt hat, es halte die Durchführung der Wahlen im Zweig der landwirtschaftlichen Unfallversicherung für vertretbar und trage dies mit.

Soweit der Antragsteller demgegenüber einwendet, die neu errichtete SVLFG erstrecke sich auf alle Zweige der Sozialversicherung, sodass auch allen Rentenbeziehern das aktive und passive Wahlrecht zugesprochen werden müsse, mag dies zwar angesichts des Wahlrechtsgrundsatzes der Freiheit der Wahl wünschenswert oder sogar geboten sein, indes ergibt sich aus der abweichenden Handhabung der Antragsgegnerin kein offensichtlicher Wahlverstoß im Sinne des § 57 Abs. 5 SGB IV. Denn die Beschränkung der zur Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte gehörenden Rentenbezieher auf diejenigen Rentner, die eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beziehen, steht mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik im Einklang. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber mit der zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Gesetzesänderung bewusst die bisherige Rechtslage fortschreiben wollte oder lediglich übersehen hat, dass wegen der Errichtung der SVLFG, die für alle Zweige der LSV zuständig ist, eine Erweiterung des Kreises der Rentenbezieher geboten war. Insoweit hat der Antragsteller selbst auf die Zuständigkeit des Gesetzgebers hingewiesen. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte, wünschenswerte oder gebotene gesetzliche Regelungen durch Richterrecht zu ersetzen. Dies gilt erst recht für das Eilverfahren, dem lediglich eine summarische Prüfung zu Grunde liegt. Dementsprechend kommt auch keine teleologische Reduktion der Vorschrift des § 47 Abs. 3 Nr. 2 SGB IV im Sinne der Auffassung des Antragstellers in Betracht.

Vielmehr hat es dabei zu verbleiben, dass das Vorgehen der Antragsgegnerin der aktuellen Rechtslage entspricht bzw. zumindest vertretbar ist. Demgegenüber ist der Vortrag des Antragstellers angesichts des Wahlrechtsgrundsatzes der Freiheit der Wahl zwar nachvollziehbar, begründet jedoch keinen unzweifelhaften und offensichtlichen Wahlverstoß, auf den es jedoch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 57 Abs. 5 SGB IV ankommt. Dies gilt im Übrigen auch im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers, es seien etwa 550000 Rentenbezieher (Schriftsätze vom 4. April 2017 und 20. April 2017) bzw. mindestens 240000 Rentenbezieher (Schriftsatz vom 9. Mai 2017) von der Wahl ausgeschlossen. Ob dies zutrifft, ist im summarischen Eilverfahren nicht zu klären und mithin nicht entscheidungserheblich. Darüber hinaus vermag der Senat dem Antragsteller in seinem Vortrag nicht zu folgen, das Sozialgericht hätte angesichts der unterschiedlichen Rechtsauffassungen entscheiden müssen, welcher Auffassung der Vorzug zu geben sei. Insoweit ist nochmals auf die strenge Voraussetzung eines unzweifelhaften und offensichtlichen Wahlverstoßes hinzuweisen. Wird davon ausgegangen, dass zwei unterschiedliche (jeweils vertretbare) Rechtsauffassungen bestehen und gestaltet der Träger die Wahl auf der Grundlage einer der beiden Rechtsauffassungen, kann von vornherein kein offensichtlicher Wahlverstoß gegeben sein, der ein Eingreifen in eine laufende Wahl rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Regelstreitwertes folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 4 analog Gerichtskostengesetz (GKG), da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte bietet.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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