L 3 AL 39/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AL 377/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 39/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für die Anwendbarkeit von § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist es ausreichend, wenn die Voraussetzungen eines der vier in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Vertrauensausschlusstatbestände gegeben sind.
2. Zur Frage, ob die Behörde im eingreifenden Verwaltungsakt selbst zu dokumentieren hat, dass sie erkannt hat, dass ihr ein Ermessen bezüglich des Absehens von einer Anhörung zusteht und welche Ermessensgesichtspunkte sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat, oder ob es ausreicht, wenn die Behörde ihre Gründe spätestens im gerichtlichen Verfahren offenlegt.
3. Zum Erfordernis einer abschließenden Äußerung der Beklagten zum Ergebnis einer im Geerichtsverfahren nachgeholten Anhörung des Klägers.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichtes Chemnitz vom 22. November 2012 sowie der Änderungsbescheid und der Erstattungsbescheid der Beklagten jeweils vom 21. Februar 2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2011, aufgehoben

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit der zugelassenen Berufung gegen die Rückforderung von Arbeitslosengeld für den Monat Dezember 2010 in Höhe von 712,50 EUR.

Der 1968 geborene, damals in Z ... wohnhafte Kläger war vom 1. Juli 2008 bis zum 31. März 2010 als Kfz-Sachverständiger beschäftigt. Mit Bescheiden vom 6. April 2010 und 9. April 2010 bewilligte die Beklagte ihm vorläufig Arbeitslosengeld ab dem 1. April 2010 für die Dauer von 300 Tagen in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 29,92 EUR. Im Bescheid vom 9. April 2010 ist ein Grund für die vorläufige Bewilligung nicht angegeben.

Mit Bescheid vom 2. Juni 2010 wurden dem Kläger die Leistungen endgültig bewilligt.

Im Oktober 2010 reichte der Kläger bei der Beklagten eine Erklärung zu selbständiger Tätigkeit ein. Danach war er am 15. und 16. August 2010 im Umfang von insgesamt sechs Stunden als Unfallsachverständiger für das Landgericht Z ... tätig, wofür er 542,64 EUR in Rechnung stellte. Der Kläger erklärte, dass er zurzeit Verluste habe, weil die Ausgaben für Weiterbildung die Einnahme aus selbständiger Tätigkeit überstiegen. In Bezug auf die Aufwendungen für die Weiterbildung legte er eine Rechnung für die Teilnahme an einem Grundlehrgang Unfallrekonstruktion, der an drei Terminen von April bis Juni 2010 jeweils an vier Tagen in der Eifel stattfand, in Höhe von 3.213,00 EUR sowie mehrere Rechnungen von Beherbergungsbetrieben vor.

Daraufhin erließ die Beklagte den Änderungsbescheid vom 2. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2011, in dem sie im August 2010 Einkommen in Höhe von 154,20 EUR anrechnete. Als Rechtsgrundlage wurde im Widerspruchsbescheid unter anderem § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) angegeben. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Z ... mit Urteil vom 30. Juni 2011 (Az. S 52 AL 336/11) ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das Landessozialgericht Z ... mit Beschluss vom 24. August 2011 (Az. L 18 AL 235/11 NZB) zurück, die anschließende Anhörungsrüge verwarf es mit Beschluss vom 27. September 2011 (Az. L 18 AL 266/11 NZB RG) als unzulässig.

Im Februar 2011 reichte der Kläger eine weitere Erklärung zu selbständiger Tätigkeit ein. Danach war er vom 10. bis zum 12. Dezember 2010 im Umfang von vier Stunden und vom 13. bis zum 17. Dezember 2010 im Umfang von zwölf Stunden als Unfallgutachter tätig. Die Rechnungsbeträge beliefen sich auf 551,57 EUR beziehungsweise 940,10 EUR. Die Beträge seien jedoch noch nicht bezahlt.

Unter dem 21. Februar 2011 erließ die Beklagte zwei Bescheide. Mit dem Änderungsbescheid, der die verbleibende Anspruchsdauer von 60 Tagen betraf, setzte sie den Leistungsbetrag für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2010 wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen auf 6,17 EUR fest. Zur Begründung wurde angegeben, der Bewilligungsbescheid werde "gemäß § 48 SGB X geändert, weil wesentliche Änderungen in den Verhältnissen eingetreten sind." Für die Zeit vom 1. bis zum 30. Januar 2011 verblieb es bei dem täglichen Leistungsbetrag von 29,92 EUR. Mit dem Erstattungsbescheid forderte die Beklagte den Kläger unter Verweis auf die teilweise Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung auf, den überzahlten Betrag in Höhe von 712,50 EUR zu erstatten.

Der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger legte gegen beide Bescheide mit Schriftsatz vom 1. März 2011 Widerspruch ein. Er rügte, dass keine Anhörung erfolgt sei. In der Sache sei zweifelhaft, ob bereits jetzt eine Bescheidänderung oder Erstattungsforderung möglich sei, weil der Nebenverdienst noch nicht zugeflossen sei. Ferner seien die Fortbildungskosten vom Honorar abzusetzen, was zur Folge habe, dass kein anzurechnendes Einkommen verbleibe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011 zurück. Maßgebend für die Anrechnung von Betriebseinnahmen sei der Zeitpunkt, an dem das Nebeneinkommen erarbeitet worden sei. Dies sei im Dezember 2010 gewesen. Kosten für Bildungsmaßnahmen seien abzugsfähige Werbungskosten, wenn sie durch die kurzzeitige Tätigkeit veranlasst seien. Die geltend gemachten Fortbildungskosten dienten zwar der Fortbildung im ausgeübten Beruf. Eine Anerkennung als Werbungskosten sei jedoch nicht möglich, weil die Fortbildungskosten auch innerhalb der Zeit entstanden sein müssten, in der das Einkommen erzielt werde, hier Dezember 2010. Die Kosten seien jedoch in den Monaten April bis Juni 2010 entstanden. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauen berufen, weil er nach der Bewilligung von Arbeitslosengeld Einkommen erzielt habe, das zur Minderung seines Anspruches geführt habe. Hierbei handle es sich um einen verschuldensunabhängigen Aufhebungstatbestand. Außerdem hätte der Kläger wissen müssen, dass Nebeneinkommen auf die Entgeltersatzleistung anzurechnen seien.

Der Kläger hat am 14. März 2011, entsprechend der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung, beim Sozialgericht Z ... (Az. S 54 AL 783/11) Klage erhoben. Dieses hat, wegen eines vor Klageerhebung erfolgten Umzugs des Klägers nach A-Stadt (Vogtland), mit Beschluss vom 25. Mai 2011 sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Chemnitz verwiesen.

Der Kläger hat im Klageverfahren seine Argumentation vertieft. Ergänzend hat er mitgeteilt, dass zum Rechnungsbetrag in Höhe von 551,57 EUR ein Zahlungseingang erfolgt sei. Er hat zudem vorgetragen, dass ein Behaltensgrund für die Leistungen vorliege, weil im Änderungsbescheid vom 21. Februar 2011 keine ausdrückliche Aufhebung des Bescheides vom 9. April 2010 erfolgt sei. Ein solcher Verfügungssatz müsse aber verlangt werden.

Das Sozialgericht Chemnitz hat die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 22. November 2012 abgewiesen. Es hat unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011, das Urteil des Sozialgerichtes Z ... vom 30. Juni 2011 und den Beschluss des Landessozialgericht Z ... vom 24. August 2011 ausgeführt, dass der Kläger im Dezember 2010 Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erzielt habe, das zur Minderung des Arbeitslosengeldes auf einen Leistungsbetrag von 6,17 EUR täglich und 185,10 EUR monatlich geführt habet. Damit sei eine Überzahlung in Höhe von 712,50 EUR eingetreten, die der Kläger an die Beklagte zu erstatten habe. Es hat weiter ausgeführt, dass und weshalb Ausgaben für Weiterbildungsmaßnahmen vor Aufnahme der Erwerbstätigkeit keine Werbungskosten im Sinne des Arbeitslosengeldrechtes seien.

Auf die vom Kläger am 27. Dezember 2012 eingelegte, gegen das ihm am 28. November 2012 zugestellte Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 21. März 2014 (Az. L 3 AL 147/12 NZB) die Berufung zugelassen.

Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass ein Anhörungsmangel vorliege, und die Anregung, den Rechtsstreit auch aus anderen Gründen vergleichsweise beizulegen, hat der Beklagte mit Schreiben vom 1. August 2014 mitgeteilt, dass die Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 28. Juli 2014 nachgeholt worden sei. Das an den Kläger adressierte Schreiben hat die Beklagte an den Klägerbevollmächtigten mit der Bitte übersandt, es an den Kläger weiterzuleiten.

Auf die Anfrage vom 4. Dezember 2015, ob sich die Klägerseite auf das Anhörungsschreiben geäußert habe, und ob es eine schriftliche Bewertung der Anhörung gebe, und auf Nachfrage mit Schreiben vom 27. September 2016 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2016 geantwortet, dass keine Reaktion des Klägers oder seines Bevollmächtigten zu verzeichnen sei. Seitens der Beklagten seien auch keine weiteren Bescheide erlassen worden, die den vorliegenden Streitgegenstand betreffen würden.

Im richterlichen Schreiben vom 27. Januar 2017, in dem auf Bitte des Klägerbevollmächtigten zur verfassungsrechtlichen Frage einer behaupteten Ungleichbehandlung von selbständig Tätigen und abhängig Beschäftigten eingegangen worden ist, ist zu Eingang in Bezug auf die Möglichkeit, einen Anhörungsmangel im sozialgerichtlichen Verfahren zu heilen, und zu den zu beachtenden Anforderungen auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 26. Juli 2016 (Az. B 4 AS 47/15 R) hingewiesen worden.

Der Kläger, der im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt hat, beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichtes Chemnitz vom 22. November 2012 sowie den Änderungsbescheid und den Erstattungsbescheid der Beklagten jeweils vom 21. Februar 2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2011, aufzuheben.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über die zugelassene Berufung.

II. Die Berufung ist begründet, weil das Sozialgericht zu Unrecht die Klage abgewiesen hat. Der Änderungsbescheid und der Erstattungsbescheid der Beklagten jeweils vom 21. Februar 2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2011, sind wegen eines nicht geheilten Anhörungsmangels rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Aufhebungsanspruch der Klägerin folgt aus § 42 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 12). Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Dies gilt nach § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht, wenn die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt ist.

Im Falle des Klägers ist zunächst die erforderliche Anhörung unterblieben (1.). Sie ist auch nicht wirksam nachgeholt worden (2.).

1. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Von der Anhörung kann unter anderem abgesehen werden, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X), oder wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X).

a) Eine Anhörung des Klägers vor Erlass der angefochtenen Bescheide war gemäß § 24 Abs. 1 SGB X erforderlich. Denn die Beklagte erließ zwei Verwaltungsakte, die in die Rechte des Klägers eingriffen. Bei dem Änderungsbescheid vom 21. Februar 2011 handelt es sich der Sache nach um einen Aufhebungsbescheid im Sinne von § 48 SGB X, bei dem der Form nach auf eine Aufhebungsregelung verzichtet wurde und sich der Umfang der Bewilligungsaufhebung mittelbar aus einem Vergleich der neu festgesetzten Leistungshöhe mit der zuvor im Bescheid vom 2. Juni 2010 bewilligten Leistungshöhe ermitteln lässt. Mit dem Aufhebungsbescheid wird dem Kläger mithin eine ihm zuvor für Dezember 2010 durch Bewilligungsbescheide zuerkannte Rechtsposition teilweise entzogen. Mit dem Erstattungsbescheid vom 21. Februar 2011, der seine Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X findet, wird ebenfalls in die Rechte des Klägers eingegriffen, weil unter "Rechte" im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X nicht allein formalisierte, sondern auch sonstige Rechtspositionen, die nach dem Gesetz nur unter bestimmten Voraussetzungen angetastet oder entzogen werden dürfen, fallen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 1984 – 11 RA 24/84 – SozR 1300 § 45 Nr. 12 = SGb 1985, 246 ff. = juris Rdnr. 13 [zu § 50 Abs. 2 SGB X]).

b) Die Beklagte konnte jedenfalls in Bezug auf den Erstattungsbescheid nicht auf eine Anhörung verzichten. Denn § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X bezieht sich auf eine bestehende Bewilligung einer Sozialleistung, die nunmehr den geänderten Verhältnissen angepasst werden soll. Ein Erstattungsbescheid wird von dieser Ausnahmeregelung nicht erfasst, weil in diesem Bescheid keine Leistungsanpassung, sondern eine Leistungsrückforderung geregelt ist (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 RBSGE 108, 289 ff. = SozR 4-4200 § 38 Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 19 f.).

c) In Bezug auf die im Änderungsbescheid enthaltene Entscheidung über die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld konnte im Ergebnis auf eine Anhörung verzichtet werden.

Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X), oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Wenn die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorliegen, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (vgl. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

Soweit die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung auf den Vertrauensausschlusstatbestand in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (Einkommenserzielung) stützt, war eine Anhörung auf Grund von § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X entbehrlich, weil die Beklagte von den tatsächlichen Angaben des Klägers nicht zu seinen Ungunsten abwich. Die Kontroverse zwischen den Beteiligten beruht nicht darauf, dass sie von unterschiedlichen Tatsachen ausgehen, sondern dass sie die vom Kläger mitgeteilten Tatsachen rechtlich unterschiedlich würdigen. Entsprechendes gilt in Bezug auf den Ausnahmetatbestand in § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X. Denn die Beklagte passte die einkommensabhängige Leistung Arbeitslosengeld den geänderten Verhältnissen an. § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X gilt auch für rückwirkende Anpassungen, die nicht an weitere Voraussetzungen als den Zufluss von Einkommen geknüpft sind (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 EG 12/12 R – SozR 4-7837 § 2 Nr. 19 = juris, jeweils Rdnr. 30; Sächs. LSG, Beschluss vom 24. Juli 2014 – L 3 AS 138/12 NZB – juris Rdnr. 21, m. w. N.).

Anders ist die Situation hinsichtlich des ebenfalls von der Beklagten bemühten Vertrauensausschlusstatbestandes in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Im Gegensatz zu dem aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X enthält der Vertrauensausschlusstatbestand in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ein subjektives Tatbestandselement, nämlich das Wissen oder dem Nichtwissen wegen der in besonders schwerem Maße verletzten Sorgfaltspflicht. Da sich die Anhörungspflicht auf alle "für die Entscheidung erheblichen Tatsachen" (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB X) bezieht, war dem Kläger auch zu den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. So hat auch das Bundessozialgericht im Urteil vom 26. Juli 2016 betont, dass eine Behörde, wenn sie sich – wie vorliegend – erstmals im Widerspruchsbescheid auf eine innere Tatsache bezieht, die noch nicht im Ausgangsbescheid enthalten war, dem Betroffenen erneut Gelegenheit zu einer vorherigen Stellungnahme einzuräumen muss (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 13, m. w. N.). Dies ist hier nicht geschehen.

Jedoch ist dieser Mangel wegen der Sonderregelung in § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III unbeachtlich. Denn nach dieser Regelung war die Beklagte – ausgehend von ihrer Rechtsauffassung zur Minderung des Arbeitslosengeldanspruches wegen erzielten Einkommens – verpflichtet, die Bewilligung von Arbeitslosengeld für Dezember 2010 teilweise aufzuheben ("ist [ ] aufzuheben"), weil die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorlag. Im Fall des Klägers lagen zwei Vertrauensausschlusstatbestände vor, nämlich die aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB X. Die Vertrauensausschlusstatbestände in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X stehen alternativ nebeneinander. Für die Anwendbarkeit von § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist es deshalb ausreichend, wenn die Voraussetzungen eines der vier in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Vertrauensausschlusstatbestände gegeben sind. Dies sind im Falle des Klägers die aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Da zu diesem, wie oben ausgeführt wurde, keine Anhörung durchgeführt werden musste, ist der Anhörungsmangel in Bezug auf einen weiteren in Betracht kommenden Vertrauensausschlusstatbestand unbeachtlich.

d) Die von der Beklagten nicht durchgeführte Anhörung zum Vertrauensausschlusstatbestand aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist gleichwohl rechtswidrig, weil weder die Ermessenserwägung für diese Entscheidung bekannt sind noch sich überhaupt feststellen lässt, ob die Beklagte das ihr von Gesetzgeber in § 24 Abs. 2 SGB X eingeräumte Ermessen ("kann") erkannt und ausgeübt hat.

Die in diesem Zusammenhang maßgebende Frage, ob die Behörde im eingreifenden Verwaltungsakt selbst zu dokumentieren hat, dass sie erkannt hat, dass ihr ein Ermessen zusteht und welche Ermessensgesichtspunkte sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat (in diesem Sinn: Hess. VGH, Beschluss vom 20. Mai 1988 – 4 TH 3616/87NVwZ-RR 1989, 113 ff. = juris Rdnr. 25; Hess. VGH, Beschluss vom 23. September 2011 – 6 B 1701/11NVwZ-RR 2012, 163 ff. = juris Rdnr. 23; Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 28 Rdnr. 50; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 28 Rdnr. 45 und 50), wird nicht einheitlich beantwortet. So hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 29. April 1983 zu § 28 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), der hinsichtlich des der Behörde eingeräumten Ermessens mit § 24 Abs. 2 SGB X übereinstimmt, die Auffassung vertreten, dass es keine Pflicht zur Begründung von Verfahrensentscheidungen wie das Absehen von einer Anhörung gebe, und dass die Behörde ihre Gründe spätestens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren offenlegen müsse (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1983 – 1 C 5/83DVBl 1983, 997 ff. = NVwZ 1983, 742 ff. = juris Rdnr. 25; ebenso Franz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2013], § 24 Rdnr. 59; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. November 1981 –A 13 S 655/81 – juris Leitsatz 1; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. November 1995 – L 5 Ar 2259/94 – Breithaupt 1996, 586 [588 f.]; Mutschler, in: Kasseler Kommentar – Sozialversicherungsrecht – [Stand: 92. Erg.-Lfg., Dezember 2016] SGB X, § 24 Rdnr. 32).

Dieser Meinungsstreit kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil selbst nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichtes eine Ermessensausübung nicht festzustellen ist. Im Änderungsbescheid vom 21. Februar 2011 finden sich zum Absehen von einer Anhörung keine Ausführungen. Entsprechendes gilt für den Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011, obwohl der Klägerbevollmächtigte im Widerspruchsschreiben die fehlende Anhörung ausdrücklich gerügt hatte. Im Klageverfahren wurde die Frage der Erforderlichkeit oder Entbehrlichkeit einer Anhörung nicht thematisiert. Im Berufungsverfahren schließlich hat die Beklagte auf den Hinweis, dass ein Anhörungsmangel vorliege, lediglich erklärt, dass die Anhörung nachgeholt werde. Es lässt sich deshalb nicht feststellen, ob die Beklagte überhaupt die Möglichkeit, von einer Anhörung absehen zu können, erkannt hat.

Für einen Ermessensnichtgebrach oder einen Ermessensausfall jedenfalls im Verwaltungsverfahren sprechen im Übrigen die von der Beklagten gegenüber dem Kläger erlassenen Bescheide mit Aufhebungsentscheidungen. Im streitbefangenen Widerspruchsbescheides vom 8. März 2011 wurden zwar zu den Voraussetzungen für eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X eingehendere Ausführungen gemacht und zwei Gründe, weshalb sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, benannt. Demgegenüber wurden sowohl im vorangegangenen, streitbefangenen Änderungsbescheid vom 21. Februar 2011 als auch in dem den Arbeitslosengeldanspruch für August 2010 betreffenden Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2011 als Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung lediglich allgemein § 48 SGB X zitiert. Hinsichtlich der im Oktober 2010 eingereichten Erklärung zu selbständiger Tätigkeit führte die Beklagte ausweislich der Verfügungen vom 8. und 9. November 2010 kurzzeitig eine Prüfung durch, ob der Kläger seine Nebeneinkünfte für August 2010 verspätet angezeigt und dadurch eine Ordnungswidrigkeit begangen haben könnte, durch. Eine verspätete Mitteilung wesentlicher für den Kläger nachteiliger Änderungen der Verhältnisse hätte nach Maßgabe von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X den Vertrauensschutz gegen eine Aufhebungsentscheidung entfallen lassen können. In keinem dieser Bescheide setzte sich aber der jeweilige Mitarbeiter der Beklagten unter anderem mit in Betracht kommenden Vertrauensausschlusstatbeständen auseinander. Wenn aber dem zuständigen Mitarbeiter – jedenfalls nach der Bescheidbegründung – bereits nicht bewusst ist, welchen Vertrauensausschlusstatbestand er für die Aufhebungsentscheidung heranziehen will, kann ihm notwendigerweise auch nicht bewusst sein, welche Tatsachen für welche objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen entscheidungserheblich sein können. Dann fehlt ihm als weitere Folge aber auch die Grundlage für eine Entscheidung, auf Grund welchen Ausnahmetatbestandes aus § 24 Abs. 2 SGB X und unter Berücksichtigung welcher Aspekte von eine Anhörung im konkreten Fall abgesehen werden soll.

d) Danach liegen Anhörungsmangel vor, weil in Bezug auf den Erstattungsbescheid vom 21. Februar 2011 die erforderliche Anhörung nicht erfolgt ist und in Bezug auf den Änderungsbescheid vom 21. Februar 2011 nicht festzustellen ist, ob die Beklagte das ihr durch § 24 Abs. 2 SGB X eingeräumte Ermessen erkannt hat und welches gegebenenfalls die maßgebenden Ermessenserwägungen für die Entscheidung, eine Anhörung vor Bescheiderlass nicht durchzuführen, gewesen sind.

2. Die unterbliebene Anhörung wurde auch nicht wirksam nachgeholt.

Gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, was bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist.

a) Eine Heilung der beschriebenen Anhörungsmängel im Widerspruchsverfahren ist nicht erfolgt.

Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 26. Juli 2016 offen gelassen, ob eine erneute oder nachzuholende Anhörung im Widerspruchsverfahren im Einzelfall entbehrlich sein kann, wenn der Betroffene die von der Behörde (bewusst oder unbewusst) unterlassene Verfahrenshandlung der Anhörung selbst vornimmt, die im Ergebnis das bewirkt, was herbeizuführen der Behörde oblag (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris 15, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 29. September 1991 – 4 RK 4/91BSGE 69, 247 [253 f.] = SozR 3-1300 § 24 Nr. 4 S. 10 f. = juris Rdnr 32, 35). Denn eine Heilung des Anhörungsmangels allein durch die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens setze zumindest voraus, dass der Ausgangsbescheid alle wesentlichen (Haupt-)Tatsachen, das heißt alle Tatsachen, die die Behörde ausgehend von ihrer materiell-rechtlichen Rechtsansicht berücksichtigen muss und kann, nennt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016, a. a. O.). Hier fehlt es vorliegend.

b) Da die Frage einer ordnungsgemäßen Anhörung des Klägers im Klageverfahren nicht thematisiert worden ist, kann der Anhörungsmangel nur geheilt worden sein, wenn die Anhörung des Klägers durch die Beklagte im Berufungsverfahren wirksam nachgeholt worden ist. Dies ist nicht der Fall.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R – juris Rdnr. 15, m. w. N.; BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 37/09 R – SozR 4-1300 § 41 Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 15 m. w. N.; BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 RBSGE 108, 289 ff. = SozR 4-4200 § 38 Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 26 m. w. N.; BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 19, m. w. N.) setzt die Nachholung der fehlenden Anhörung während des Gerichtsverfahrens voraus, dass die Behörde dem Betroffenen in einem mehr oder minder förmlichen Verwaltungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und im Anschluss zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dieses formalisierte Verfahren erfordert regelmäßig (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016, a. a. O.) 1. ein gesondertes Anhörungsschreiben, 2. eine angemessene Äußerungsfrist, 3. die Kenntnisnahme des Vorbringens durch die Behörde und 4. deren abschließende Äußerung zum Ergebnis der Überprüfung.

Die ersten drei Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte fertigte das Anhörungsschreiben vom 28. Juli 2014. Dass dieses Schreiben trotz des Umstandes, dass mit ihm eine bislang unterblieben Anhörung nachgeholt werden soll, wie ein Anhörungsschreiben, das vor dem Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes versandt wird, abgefasst ist ("Ich beabsichtige, die Leistungsbewilligung [ ] aufzuheben, [ ]", "Bevor ich in Ihrem Leistungsfall eine abschließende Entscheidung treffe, [ ]"), ist unschädlich. Denn in dem Schreiben sind alle entscheidungserheblichen Tatsachen angegeben, die den Kläger in den Stand versetzten, eine qualifizierte Stellungnahme abzugeben. Die Äußerungsfrist bis zum 21. August 2014, das heißt von etwa drei Wochen, war im Hinblick darauf, der Kläger bereits mit der Angelegenheit befasst war, angemessen (zur Angemessenheit einer Äußerungsfrist: BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 20, m. w. N.). Die Beklagte wandte sich auch an den bereits im Widerspruchsverfahren beauftragten Prozessbevollmächtigten des Klägers (vgl. zu dieser Anforderung: BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 21 f., m. w. N.). Schließlich nahm die Beklagte auch die Reaktion des Klägers auf das Anhörungsschreiben, nämlich das Ausbleiben einer Stellungnahme, zur Kenntnis.

Es fehlt aber die vom Bundessozialgericht geforderte abschließende Äußerung der Beklagten zum Ergebnis der Überprüfung. Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 6. April 2006 verlangt, dass zumindest formlos darüber zu befinden ist, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung verbleibt (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006, a. a. O.). Im Urteil vom 26. Juli 2016 hat es erwogen, ob der Heilung des Anhörungsmangels entgegenstehen könnte, dass der dortige Beklagte auch für den Fall der Nichtäußerung im nachgeholten Anhörungsverfahren eine Entscheidung durch Bescheid angekündigt, eine Mitteilung an die Klägerin jedoch unterlassen hatte. Es hat die Frage aber offen gelassen, weil für eine abschließende Stellungnahme im Sinne eines vom Bundessozialgericht geforderten formalisierten Verfahrens jedenfalls nicht eine Äußerung der Behörde gegenüber dem Gericht oder eine Klageerwiderung oder der Austausch von Schriftsätzen unter Wiedergabe der Standpunkte genüge (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rdnr. 20, m. w. N.).

Der Sachverhalt im vorliegenden Fall entspricht dem, der dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 26. Juli 2016 zugrunde lag. Auch hier kündigte die Beklagte im Anhörungsschreiben vom 28. Juli 2014 an, "eine abschließende Entscheidung" treffen, nach Aktenlage entscheiden, wenn sich der Kläger innerhalb der gesetzten Frist nicht äußern sollte, und "in dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid [ ] den zu erstattenden Betrag und die weitere Vorgehensweise mitteilen" zu wollen. Gleichwohl erließ die Beklagte weder den angekündigte Bescheid noch eine andere Entscheidung, auch keine formlose. Sie gab nur die im Tatbestand bezeichneten Stellungnahmen, jeweils auf gerichtliche Anfrage hin, ab. Damit ist der Anhörungsmangel nicht entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichtes im Berufungsverfahren geheilt worden.

3. Der Senat war auch weder verpflichtet noch befugt, die Beklagte ausdrücklich auf die vom Bundessozialgericht formulierten Anforderung an eine wirksame Nachholung einer Anhörung im Gerichtsverfahren hinzuweisen. Zwar hat nach § 106 Abs. 1 SGG der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Jedoch kann zum einen davon ausgegangen werden, dass eine Behörde ihre Rechte selber kennt und imstande ist, einen Prozess sachgerecht zu führen. § 106 Abs. 1 SGG verpflichtet deshalb ein Gericht nicht, die Behörde zum Erlass eines Bescheides, zur Abgabe einer Erklärung oder zur Vornahme einer Handlung anzuhalten (vgl. Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG [2. Aufl., 2014], § 106 Rdnr. 2). Zum anderen erfassen die in § 106 Abs. 1 SGG angesprochenen Formfehler die im Zuge des gerichtlichen Verfahrens einzuhaltenden prozessualen Formerfordernisse, nicht aber Formfehler des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens, die gerade Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Klageverfahren sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Dezember 2011 – L 13 AL 4778/11 NZB – juris Rdnr. 6). Wenn ein Gericht nicht nur auf Form- oder Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren hinweisen, sondern auch deren Beseitigung hinwirken würde, würde es seine Neutralitätspflicht gegenüber den Beteiligten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 SB 12/97 R – juris Rdnr. 19) verletzen und sich der Besorgnis der Befangenheit aussetzen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Dezember 2011, a. a. O.).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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