L 13 RA 136/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RA 254/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 136/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. März 2003 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1947 im ehemaligen Jugoslawien (Serbien) geborene Klägerin ungarischer Abstammung ist 1969 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Sie hat keinen Beruf erlernt. Ab 27.11. 1969 bis Januar 1992 war sie - mit Unterbrechungen - als Hilfsarbeiterin, Verkäuferin, Hausmeisterin, Maschinenführerin, Laborhilfskraft und Schwesternhelferin versicherungspflichtig beschäftigt. Beitragszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit sind bis 30.06.1993 verzeichnet. Zeiten wegen Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug sind vom 01.10.1994 bis 07.12.1994 und vom 14.04.1997 bis 25.09.1999 vermerkt. Die Klägerin bezieht Witwenrente nach ihrem 1991 verstorbenen Ehemann. Die Schwerbehinderteneigenschaft (GdB von 50) ist seit Mai 1998 anerkannt.

Mit Bescheid vom 07.05.1996 und Widerspruchsbescheid vom 14.01. 1997 lehnte die Beklagte den Antrag vom 19.01.1996 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach internistischer und nervenärztlicher Begutachtung ab. Im Klageverfahren (S 16 An 179/97) vor dem Sozialgericht München (SG) stellte die Sachverständige Dr. P. im nervenärztlichen Gutachten vom 04.11.1997 eine depressive Reaktion und ein Schmerzsyndrom fest. Der Orthopäde Dr. F. fand im Wesentlichen eine Fehlhaltung der HWS, eine angedeutete Thorakalskoliose, geringfügige Veränderungen an der LWS sowie eine Gonarthrose rechts. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde übereinstimmend ein vollschichtiges Leistungsvermögen mit qualitativen Einschränkungen für zumutbar erachtet. In der mündlichen Verhandlung vom 28.05. 1998 stellte die Klägerin einen Antrag auf eine medizinische Reha-Maßnahme auf psychosomatischem Gebiet und nahm die Klage zurück. Im Anschluss an die Anfechtung der Klagerücknahme im Juli 1998 erklärte sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 10.06.1999 (S 16 RA 1005/98) bereit, aufgrund des Antrags vom 28.05.1998 über einen Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erneut zu entscheiden. Grundlage dafür war der Entlassungsbericht vom 04.01.1999 (stationär: 10.11.1998 bis 08.12.1998), wonach eine erneute Überprüfung der Leistungsfähigkeit angezeigt sei.

Mit Bescheid vom 26.07.1999 lehnte die Beklagte den Antrag vom 28.05.1998 ab. Trotz der vorliegenden Gesundheitsstörungen (Konversionsneurose, Zustand nach Cholezystektomie, Lumbalgien, Cephalgien, Zustand nach Meniskusoperation rechts) könne die Klägerin noch in ihrem bisherigen Beruf vollschichtig tätig sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.01. 2000 zurückgewiesen.

Ihre zum Sozialgericht München (SG) erhobene Klage hat die Klägerin im Wesentlichen auf den Entlassungsbericht aus Bad Kissingen vom Januar 1999 gestützt. Danach könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schwesternhelferin im bisherigen Umfang für etwa zwei Jahre nicht mehr verrichtet werden. Gegen die Versäumung der Klagefrist hat das SG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Auf Beschwerde ist der Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und der bisherige Bevollmächtigte Rechtsanwalt B. beigeordnet worden (vgl. Bayer.LSG, L 13 B 275/01 RA PKH, Beschluss vom 31.01.2002).

Durch Urteil vom 27.03.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Feststellungsbescheid vom 09.11.2000 sei nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bestehe nicht, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Werde der Antragszeitpunkt vom 28.05.1998 als Leistungsfall unterstellt, lägen im 5-Jahres-Zeitraum (28.5.1993 - 27.5.1998) höchstens sechs anstelle der erforderlichen 36 Monate Pflichtbeiträge vor. Eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit ab Arbeitslosmeldung vom 28.05.1998 komme nicht in Betracht, weil weder eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unterbrochen worden sei noch ab Juli 1993 öffentlich-rechtliche Leistungen bezogen worden seien. Ebenso wenig lägen Aufschubtatbestände wegen Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit vor. Für den Zeitraum vom 10.07.1993 bis 10.11.1998 seien keine Zeiten wegen Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen. Zudem sei die Zeit vom 01.01. 1984 bis zum - unterstellten - Eintritt der EU am 28.05.1998 nicht lückenlos mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.

Schließlich komme auch keine Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht. Ein Beratungsmangel werde nicht geltend gemacht und lasse sich auch nicht feststellen. Zudem wäre eine Beratungspflichtverletzung für die unterlassene Beitragsentrichtung nicht kausal. Denn wegen ihrer dauerhaft schwierigen finanziellen Situation seit Mitte 1993 wäre die Klägerin nicht in der Lage gewesen, regelmäßig freiwillige Beiträge zu entrichten. Nach ihren Angaben lebe die Klägerin ausschließlich von ihrer Witwenrente (monatlich etwa 410,00 Euro). Sozialhilfe wolle sie nicht beantragen, von ihren beiden Söhnen werde sie finanziell nicht unterstützt. Ein Rentenanspruch im Juli 1995 als dem versicherungsrechtlich letztmaligen Zeitpunkt sei nicht nachgewiesen. Nach der Beweisaufnahme vor dem SG (S 16 An 179/97) mit Begutachtungen auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass zum damaligen Zeitpunkt bei der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorgelegen habe. Das Urteil des SG ist dem Klägerbevollmächtigten am 15.04.2003 zugestellt worden.

Mit der am 25.06.2003 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Versäumung der Berufungsfrist habe der frühere Klägerbevollmächtigte (Rechtsanwalt B.) verschuldet. Sie habe ihn kurz nach der Sitzung am 27.03.2003 gebeten, Berufung einzulegen. Eine Abschrift des Urteils und der Niederschrift sei ihrem Sohn erst mit Schreiben des Anwalts vom 21.05.2003 übersandt worden. Der Bevollmächtigte habe die Einlegung der Berufung telefonisch zugesichert, jedoch das Rechtsmittel tatsächlich nicht eingelegt, wovon sie erst nach Erhalt des Schreibens vom 21.05.2003 Kenntnis erlangt habe. Sie beantrage daher Wiedereinsetzung hinsichtlich der Berufungseinlegungsfrist, da sie die Versäumnis nicht zu vertreten habe.

Auf Anfrage des Senats hat der Bevollmächtigte der Klägerin vor dem SG erklärt, dass er die Berufungsfrist nicht versäumt habe. Er habe vielmehr der Klägerin mehrfach zu erklären versucht, dass nach seiner Überzeugung die Berufung ohne Aussicht auf Erfolg sei. Möglicherweise habe die Klägerin seine Hinweise aufgrund der Sprachschwierigkeiten nicht richtig verstanden. Eine Vereinbarung ,dass er im Auftrag der Klägerin Berufung einlegen solle, habe nicht bestanden. Er habe auch keine Fristverlängerung beantragt, die es bei einer Berufung sowieso nicht gebe. Er habe einmal während der Berufungsfrist mit der Klägerin und dann nach Ablauf der Frist mit der Klägerin und deren Sohn gesprochen. Schließlich habe die Klägerin das Urteil des SG nicht sofort erhalten, da sein Schreiben wieder zurückgekommen sei. Er habe dann das Urteil und die Niederschrift des SG erneut am 21.05. 2003 an den Sohn der Klägerin gesandt.

Die Klägerin beantragt,
1. ihr wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren
2. das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.03.2003 so wie den Bescheid vom 26.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die gesetzlichen Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß dem Antrag vom 28.05.1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge, die erledigten Akten des Sozialgerichts München (S 16 RA 179/97; S 16 RA 1005/98) und des Bayer. Landessozialgerichts (L 13 B 275/01 RA PKH) sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist verspätet und damit unzulässig. Gründe für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor.

Nach § 151 Abs.1 SGG ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist nach § 151 Abs.2 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht, das das Urteil erlassen hat, eingelegt wird. Die Berufungsfrist von einem Monat hat die Klägerin versäumt.

Nach § 64 Abs.1 SGG beginnt der Lauf der Berufungsfrist mit dem Tag nach der Zustellung des Urteils. Eine Ausfertigung des vollständigen Urteils des Sozialgerichts vom 27.03.2003 wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin mit Empfangsbekenntnis am 15.04.2003 zugestellt. Die Berufungsfrist begann somit am 16.04.2003 und endete am 15.05.2003 (§ 64 Abs.1 und Abs.2 SGG). Die Klägerin hat die Berufung zur Niederschrift beim SG erst am 25.06.2003 eingelegt und damit nach Ablauf der Frist.

Die Berufungsfrist von einem Monat kann auch nicht verlängert oder verkürzt werden. So ist diese Frist eine gesetzliche Fris-tenregelung, die aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit zu den Rechtsmaterien gehört, die eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes nicht zulassen. Die Einhaltung der Berufungsfrist ist von Amts wegen zu prüfen, sie ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Berufung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 151, Rdnr.1). Diese Rechtslage gilt auch ab Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6.SGGÄndG) vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144) zum 02.01.2002 weiter, das insoweit keine Änderung herbeigeführt hat.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs.1 SGG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten oder wenn zwar Verschulden vorlag, ihm aber das nicht zugerechnet werden kann. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht hierbei dem Verschulden des Beteiligten gleich; dies verstößt nicht gegen Art.19 Abs.4 GG (vgl. BVerfGE 60, 253).

Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe können die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht rechtfertigen. Sofern die Klägerin den Bevollmächtigten kurz nach der Sitzung gebeten haben sollte, Berufung einzulegen, und der Bevollmächtigte diesem Auftrag nicht nachgekommen ist, ist das Mandatsverhältnis (Innenverhältnis) zwischen der Klägerin und dem Bevollmächtigten betroffen, auf das das Gericht keinen Einfluss hat. Dies gilt auch für die Übersendung der Urteilsabschrift durch den Bevollmächtigten.

Sofern der bisherige Bevollmächtigte der Klägerin vorträgt, er habe die Klägerin mehrfach von der Aussichtslosigkeit der Berufung zu überzeugen versucht, liegt auch darin kein Wiedereinsetzungsgrund. Er hätte vielmehr das Mandat niederlegen und die Klägerin auf den Ablauf der Berufungsfrist hinweisen müssen. Alle diese Fragen betreffen jedoch das Rechtsverhältnis (Innenverhältnis) zwischen der Klägerin und dem bevollmächtigten Rechtsanwalt, nicht das Verhältnis zum Gericht. Die Klägerin muss sich daher das Verschulden des Bevollmächtigten als eigenes Verschulden zurechnen lassen.

Ob andere Maßstäbe bei Verschulden eines vom Gericht beigeordneten Rechtsanwalts gelten (vgl. zum Streitstand Meyer-Ladewig, a.a.O., § 67, Rdnr.3e), kann dahinstehen. Denn die Klägerin hat sich ihren Bevollmächtigten, Rechtsanwalt B. , selbst ausgesucht und ihm am 12.12.2000 Vollmacht erteilt. Ein wirksames Vertretungsverhältnis hat damit bestanden. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung des Rechtsanwalts B. ist erst mit Beschluss des LSG vom 31.01.2002 erfolgt.

Im Zeitraum der Zustellung des Urteils bis zur Einlegung der Berufung hat das Gericht keine - vorauseilenden - Fürsorgepflichten. Dies gilt erst dann, wenn die Klägerin sich direkt an das Gericht wendet, wie sie es mit Einlegung der Berufung zur Niederschrift beim SG getan hat. Eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen ist daher nicht erforderlich.

Damit war die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert, die Berufungsfrist von einem Monat einzuhalten. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast, wonach jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen, geht dies zu ihren Lasten (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 67, Rdnr.13). Die Wertung der Berufung als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsfrist ist kein formales Argument. Vielmehr ist das Vertrauen der Beklagten auf die Rechtssicherheit und die Rechtsverbindlichkeit ihrer Entscheidung schutz-würdig. Ebenso gilt der überparteiliche Gesichtspunkt der Wahrung des Rechtsfriedens.

Nach alledem war die Berufung nach § 158 Abs.1 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen. Das Urteil des SG ist rechtskräftig, die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind bindend geworden. Eine Überprüfung der Entscheidung in der Sache konnte der Senat daher nicht vornehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved