Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 2004/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4603/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. November 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Ansprüche des Klägers auf einen Mehrbedarf nach §§ 42 Nr. 2, 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) im Rahmen eines Verfahrens zur Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013.
Der 1942 geborene Kläger ist Inhaber eines am 12. Juli 1994 durch das Versorgungsamt H. ausgestellten, mittlerweile unbefristet gültigen Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 60 sowie dem Merkzeichen "G". Er beantragte bei dem Beklagten am 27. Juli 2007 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII und gab in dem Formular-Antrag u.a. an, dass er über einen Schwerbehindertenausweis verfüge und bei ihm ein GdB in Höhe von 60 festgestellt sei. In dem Formular wurde die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht abgefragt.
Der Beklagte gewährte dem Kläger ab 17. August 2007 bis August 2015 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und berücksichtigte dabei jeweils den Regelbedarf sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung; einen Mehrbedarf nach §§ 42 Nr. 2, 30 Abs. 1 SGB XII berücksichtigte er nicht (Bescheide vom 2. August 2007, 29. August 2007, 6. September 2007, 4. Dezember 2007, 22. Januar 2008, 5. März 2008, 2. Juni 2008, 19. Juni 2008, 11. August 2008, 26. Januar 2009, 17. Juni 2009, 18. August 2009, 1. Oktober 2009, 28. Januar 2010, 13. August 2010, 13. Dezember 2010, 3. März 2011, 29. April 2011, 15. August 2011, 7. Dezember 2011, 17. Februar 2012, 3. Juli 2012, 16. Juli 2012, 25. September 2012, 18. Januar 2013, 4. April 2013, 22. April 2013, 10. Juni 2013, 13. November 2013, 3. Dezember 2013, 6. Dezember 2013, 7. Januar 2014, 12. Juni 2014, 24. August 2014, 2. Oktober 2014, 17. Dezember 2014, 22. Januar 2015 und 17. Juni 2015; gegen all diese Bescheide legte der Kläger keinen Widerspruch ein). In den Fortzahlungsanträgen vom 21. Juli 2008 und 16. August 2009 bejahte der Kläger die Fragen nach einem Schwerbehindertenausweis sowie dem Merkzeichen "G". In den Folgejahren fragte der Beklagte weder das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft noch die Feststellung des Merkzeichens "G" ab.
Am 21. September 2015 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, rückwirkend, aktuell und für die Zukunft anlässlich seiner Schwerbehinderung und des Merkzeichens "G" einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Mit Bescheid vom 12. November 2015 nahm der Beklagte seine Bescheide über Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für die Zeit ab 1. Januar 2014 teilweise zurück, bewilligte dem Kläger nun für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2016 einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und setzte die Nachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. November 2015 auf 1.543,77 EUR fest. Dagegen legte der Kläger am 7. Dezember 2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2016 als unbegründet zurückwies. Nach der Regelung des § 116a SGB XII bestehe keine Möglichkeit, für den Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 eine Nachzahlung des Mehrbedarfs gem. § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Dagegen hat der Kläger am 16. Juni 2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Seit dem 6. Mai 1981 sei er im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem GdB von 60 und dem Merkzeichen "G", den er immer vorzeigbar bei sich führe. Auch in der Anfangszeit der Beantragung der Grundsicherungsleistungen bei dem Beklagten habe er bei seinen verschiedenen Vorsprachen jeweils seinen Schwerbehindertenausweis vorgezeigt; bei einer Vorsprache sei auch eine Kopie des Ausweises angefertigt worden. Er empfinde es als Diskriminierung, dass der Beklagte seine Angaben zu der Schwerbehinderung und zum Vorliegen des Merkzeichens "G" ignoriert habe. Er habe nicht gewusst, dass er im Hinblick auf die Feststellung des Merkzeichens "G" einen zusätzlichen "Teilbetrag an Grundsicherung" (Mehrbedarf) beanspruchen könne. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Regelung des § 116a SGB XII verwiesen.
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 15. November 2016 abgewiesen. Nach der die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X modifizierenden Regelung des § 116a SGB XII sei eine Nachgewährung von Leistungen für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 nicht möglich.
Gegen den ihm am 16. November 2016 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 12. Dezember 2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er - unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens - sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. November 2016 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 12. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2016 zu verurteilen, ihm unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Form eines Mehrbedarfs nach §§ 43 Nr. 2, 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da der Kläger in der ihm am 23. Mai 2017 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Er hat zwar am 29. Juni 2017 telefonisch der Geschäftsstellenmitarbeiterin des Senats mitgeteilt, dass er die Treppe hinunter gestützt sei und deshalb zur mündlichen Verhandlung nicht kommen könne, jedoch keine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung beantragt. Dass er eine Verlegung begehrt und an einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat an einem anderen Termintag unbedingt selbst teilnehmen möchte, kann seiner Erklärung nicht entnommen werden, zumal dies mit einer nicht unbeträchtlichen zeitlichen Verzögerung verbunden wäre.
2. Die gem. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG).
3. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2016 (§ 95 SGG), mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren. Dagegen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4, 56 SGG, auf die auch bei Anwendung des § 44 SGB X ein Grundurteil nach § 130 Abs. 1 SGG ergehen kann (z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. Juni 2013 - B 7 AY 6/12 R - BSGE 114, 20 - juris Rdnr. 9).
3. Die Berufung ist unbegründet. Der Bescheid vom 12. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2016 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013.
Gem. § 44 Abs. 1 SGB X, der grundsätzlich auch im Sozialhilferecht Anwendung findet (BSG, Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 - juris Rdnr. 11), ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Einer Entscheidung darüber, ob dem Kläger in der Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 Leistungen zu Unrecht vorenthalten wurden und die insoweit ergangenen Bescheide rechtswidrig waren (§ 44 Abs. 1 SGB X), bedarf es nicht. § 44 Abs. 1 SGB X zielt im Ergebnis auf die Ersetzung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, mit dem eine (höhere) Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, durch einen die (höhere) Leistung bewilligenden Verwaltungsakt ab. Einem Antragsteller, der über § 44 Abs. 4 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme i.S. von § 44 Abs. 1 SGB X zugebilligt werden. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen (BSG, Urteil vom 29. September 2009, a.a.O. Rdnr. 22; Urteil vom 26. Juni 2013, a.a.O. Rdnr. 10; Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 8 SO 24/14 R - juris Rdnr. 13). So liegt der Fall hier. Selbst im Falle der Rechtswidrigkeit bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII können höhere Leistungen rückwirkend für die hier streitige Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 nicht erbracht werden.
Dies folgt aus §§ 44 Abs. 4 SGB X, 116a SGB XII. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X werden für den Fall, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Die Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird für das Sozialhilferecht durch die mit Wirkung zum 1. April 2011 eingeführte Regelung des § 116a SGB XII (Gesetz vom 24. März 2011, BGBl. I, S. 453; entspricht der Regelung des § 116a Nr. 2 SGB XII in der durch das Gesetz vom 26. Juli 2016 (BGBl. I, S. 1824) mit Wirkung ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung) modifiziert. Danach gilt für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt. Nach der Übergangsregelung des § 136 SGB XII, die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 durch das Gesetz vom 24. März 2011 (BGBl. I, S. 453) eingeführt worden ist und die bis zum 31. Dezember 2012 gültig gewesen ist (vgl. dazu BSG, Urteil 17. Dezember 2015, a.a.O. Rdnrn. 13 f.), ist § 116a SGB XII nicht anwendbar auf Anträge nach § 44 SGB X, die vor dem 1. April 2011 gestellt worden sind.
Nach diesen Maßstäben scheidet eine Erbringung von weiteren Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 aus. Der Kläger hat den zugrundeliegenden Überprüfungsantrag am 21. September 2015 bei dem Beklagten gestellt, sodass der Rücknahmezeitraum - wie auch vom Beklagten berücksichtigt - am 1. Januar 2014 beginnt. §§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB XII, 116a SGB XII bewirken eine von Amts wegen zu beachtende, verfassungsgemäße materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158 - juris Rdnrn. 16 ff.; Urteil vom 8. Februar 2012 - B 5 R 38/11 R - juris Rdnr. 17; Urteil vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 37/15 R - juris Rdnr. 17). Hintergrund für die Beschränkung des § 44 Abs. 4 SGB X ist, dass laufende Sozialleistungen wegen ihres Unterhaltscharakters nicht für einen längeren Zeitraum nachgezahlt werden sollen (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 19/13 R - BSGE 115, 121 - juris Rdnr. 21). Ob der Beklagte den - wegen der Nichtgewährung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII - rechtswidrigen Erlass des zur Überprüfung gestellten Bewilligungsbescheide verschuldet hat, ist für die Anwendbarkeit des § 44 Abs. 4 SGB X nicht von Bedeutung (BSG, Urteil vom 4. Februar 1987 - 5a RKn 8/86 - BSGE 61, 154 - juris Rdnr. 14). Schließlich kann der Kläger eine rückwirkende Leistungsgewährung für den hier streitigen Zeitraum nicht auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. dazu nur Senatsurteil vom 4. August 2016 - L 7 SO 1394/16 - juris Rdnr. 36 m.w.N.) stützen, da § 44 SGB X als gesetzliche Sonderregelung dem Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs vorgeht und ein auf dieses Rechtsinstitut gestützter Anspruch auf eine rückwirkende Leistungserbringung der Frist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X, hier modifiziert durch § 116a SGB XII, unterfällt (z.B. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986, a.a.O. Rdnr. 23 ff.; Urteil vom 14. Februar 2001 - B 9 V 9/00 R - BSGE 87, 280 - juris Rdnrn. 27 ff.; Urteil vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R - BSGE 98, 162 - juris Rdnr. 15 ff.; Urteil vom 24. April 2014 - B 13 R 23/13 R - juris Rdnrn. 14 ff.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Ansprüche des Klägers auf einen Mehrbedarf nach §§ 42 Nr. 2, 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) im Rahmen eines Verfahrens zur Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013.
Der 1942 geborene Kläger ist Inhaber eines am 12. Juli 1994 durch das Versorgungsamt H. ausgestellten, mittlerweile unbefristet gültigen Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 60 sowie dem Merkzeichen "G". Er beantragte bei dem Beklagten am 27. Juli 2007 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII und gab in dem Formular-Antrag u.a. an, dass er über einen Schwerbehindertenausweis verfüge und bei ihm ein GdB in Höhe von 60 festgestellt sei. In dem Formular wurde die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht abgefragt.
Der Beklagte gewährte dem Kläger ab 17. August 2007 bis August 2015 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und berücksichtigte dabei jeweils den Regelbedarf sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung; einen Mehrbedarf nach §§ 42 Nr. 2, 30 Abs. 1 SGB XII berücksichtigte er nicht (Bescheide vom 2. August 2007, 29. August 2007, 6. September 2007, 4. Dezember 2007, 22. Januar 2008, 5. März 2008, 2. Juni 2008, 19. Juni 2008, 11. August 2008, 26. Januar 2009, 17. Juni 2009, 18. August 2009, 1. Oktober 2009, 28. Januar 2010, 13. August 2010, 13. Dezember 2010, 3. März 2011, 29. April 2011, 15. August 2011, 7. Dezember 2011, 17. Februar 2012, 3. Juli 2012, 16. Juli 2012, 25. September 2012, 18. Januar 2013, 4. April 2013, 22. April 2013, 10. Juni 2013, 13. November 2013, 3. Dezember 2013, 6. Dezember 2013, 7. Januar 2014, 12. Juni 2014, 24. August 2014, 2. Oktober 2014, 17. Dezember 2014, 22. Januar 2015 und 17. Juni 2015; gegen all diese Bescheide legte der Kläger keinen Widerspruch ein). In den Fortzahlungsanträgen vom 21. Juli 2008 und 16. August 2009 bejahte der Kläger die Fragen nach einem Schwerbehindertenausweis sowie dem Merkzeichen "G". In den Folgejahren fragte der Beklagte weder das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft noch die Feststellung des Merkzeichens "G" ab.
Am 21. September 2015 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, rückwirkend, aktuell und für die Zukunft anlässlich seiner Schwerbehinderung und des Merkzeichens "G" einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Mit Bescheid vom 12. November 2015 nahm der Beklagte seine Bescheide über Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für die Zeit ab 1. Januar 2014 teilweise zurück, bewilligte dem Kläger nun für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. Juni 2016 einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und setzte die Nachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 30. November 2015 auf 1.543,77 EUR fest. Dagegen legte der Kläger am 7. Dezember 2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2016 als unbegründet zurückwies. Nach der Regelung des § 116a SGB XII bestehe keine Möglichkeit, für den Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 eine Nachzahlung des Mehrbedarfs gem. § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Dagegen hat der Kläger am 16. Juni 2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Seit dem 6. Mai 1981 sei er im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem GdB von 60 und dem Merkzeichen "G", den er immer vorzeigbar bei sich führe. Auch in der Anfangszeit der Beantragung der Grundsicherungsleistungen bei dem Beklagten habe er bei seinen verschiedenen Vorsprachen jeweils seinen Schwerbehindertenausweis vorgezeigt; bei einer Vorsprache sei auch eine Kopie des Ausweises angefertigt worden. Er empfinde es als Diskriminierung, dass der Beklagte seine Angaben zu der Schwerbehinderung und zum Vorliegen des Merkzeichens "G" ignoriert habe. Er habe nicht gewusst, dass er im Hinblick auf die Feststellung des Merkzeichens "G" einen zusätzlichen "Teilbetrag an Grundsicherung" (Mehrbedarf) beanspruchen könne. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Regelung des § 116a SGB XII verwiesen.
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 15. November 2016 abgewiesen. Nach der die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X modifizierenden Regelung des § 116a SGB XII sei eine Nachgewährung von Leistungen für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 nicht möglich.
Gegen den ihm am 16. November 2016 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 12. Dezember 2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er - unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens - sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. November 2016 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 12. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2016 zu verurteilen, ihm unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Form eines Mehrbedarfs nach §§ 43 Nr. 2, 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da der Kläger in der ihm am 23. Mai 2017 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Er hat zwar am 29. Juni 2017 telefonisch der Geschäftsstellenmitarbeiterin des Senats mitgeteilt, dass er die Treppe hinunter gestützt sei und deshalb zur mündlichen Verhandlung nicht kommen könne, jedoch keine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung beantragt. Dass er eine Verlegung begehrt und an einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat an einem anderen Termintag unbedingt selbst teilnehmen möchte, kann seiner Erklärung nicht entnommen werden, zumal dies mit einer nicht unbeträchtlichen zeitlichen Verzögerung verbunden wäre.
2. Die gem. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG).
3. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2016 (§ 95 SGG), mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren. Dagegen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4, 56 SGG, auf die auch bei Anwendung des § 44 SGB X ein Grundurteil nach § 130 Abs. 1 SGG ergehen kann (z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. Juni 2013 - B 7 AY 6/12 R - BSGE 114, 20 - juris Rdnr. 9).
3. Die Berufung ist unbegründet. Der Bescheid vom 12. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2016 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013.
Gem. § 44 Abs. 1 SGB X, der grundsätzlich auch im Sozialhilferecht Anwendung findet (BSG, Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 - juris Rdnr. 11), ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Einer Entscheidung darüber, ob dem Kläger in der Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 Leistungen zu Unrecht vorenthalten wurden und die insoweit ergangenen Bescheide rechtswidrig waren (§ 44 Abs. 1 SGB X), bedarf es nicht. § 44 Abs. 1 SGB X zielt im Ergebnis auf die Ersetzung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, mit dem eine (höhere) Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, durch einen die (höhere) Leistung bewilligenden Verwaltungsakt ab. Einem Antragsteller, der über § 44 Abs. 4 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme i.S. von § 44 Abs. 1 SGB X zugebilligt werden. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen (BSG, Urteil vom 29. September 2009, a.a.O. Rdnr. 22; Urteil vom 26. Juni 2013, a.a.O. Rdnr. 10; Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 8 SO 24/14 R - juris Rdnr. 13). So liegt der Fall hier. Selbst im Falle der Rechtswidrigkeit bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII können höhere Leistungen rückwirkend für die hier streitige Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 nicht erbracht werden.
Dies folgt aus §§ 44 Abs. 4 SGB X, 116a SGB XII. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X werden für den Fall, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Die Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird für das Sozialhilferecht durch die mit Wirkung zum 1. April 2011 eingeführte Regelung des § 116a SGB XII (Gesetz vom 24. März 2011, BGBl. I, S. 453; entspricht der Regelung des § 116a Nr. 2 SGB XII in der durch das Gesetz vom 26. Juli 2016 (BGBl. I, S. 1824) mit Wirkung ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung) modifiziert. Danach gilt für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt. Nach der Übergangsregelung des § 136 SGB XII, die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 durch das Gesetz vom 24. März 2011 (BGBl. I, S. 453) eingeführt worden ist und die bis zum 31. Dezember 2012 gültig gewesen ist (vgl. dazu BSG, Urteil 17. Dezember 2015, a.a.O. Rdnrn. 13 f.), ist § 116a SGB XII nicht anwendbar auf Anträge nach § 44 SGB X, die vor dem 1. April 2011 gestellt worden sind.
Nach diesen Maßstäben scheidet eine Erbringung von weiteren Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII für die Zeit vom 17. August 2007 bis zum 31. Dezember 2013 aus. Der Kläger hat den zugrundeliegenden Überprüfungsantrag am 21. September 2015 bei dem Beklagten gestellt, sodass der Rücknahmezeitraum - wie auch vom Beklagten berücksichtigt - am 1. Januar 2014 beginnt. §§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB XII, 116a SGB XII bewirken eine von Amts wegen zu beachtende, verfassungsgemäße materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158 - juris Rdnrn. 16 ff.; Urteil vom 8. Februar 2012 - B 5 R 38/11 R - juris Rdnr. 17; Urteil vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 37/15 R - juris Rdnr. 17). Hintergrund für die Beschränkung des § 44 Abs. 4 SGB X ist, dass laufende Sozialleistungen wegen ihres Unterhaltscharakters nicht für einen längeren Zeitraum nachgezahlt werden sollen (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 19/13 R - BSGE 115, 121 - juris Rdnr. 21). Ob der Beklagte den - wegen der Nichtgewährung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII - rechtswidrigen Erlass des zur Überprüfung gestellten Bewilligungsbescheide verschuldet hat, ist für die Anwendbarkeit des § 44 Abs. 4 SGB X nicht von Bedeutung (BSG, Urteil vom 4. Februar 1987 - 5a RKn 8/86 - BSGE 61, 154 - juris Rdnr. 14). Schließlich kann der Kläger eine rückwirkende Leistungsgewährung für den hier streitigen Zeitraum nicht auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. dazu nur Senatsurteil vom 4. August 2016 - L 7 SO 1394/16 - juris Rdnr. 36 m.w.N.) stützen, da § 44 SGB X als gesetzliche Sonderregelung dem Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs vorgeht und ein auf dieses Rechtsinstitut gestützter Anspruch auf eine rückwirkende Leistungserbringung der Frist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X, hier modifiziert durch § 116a SGB XII, unterfällt (z.B. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986, a.a.O. Rdnr. 23 ff.; Urteil vom 14. Februar 2001 - B 9 V 9/00 R - BSGE 87, 280 - juris Rdnrn. 27 ff.; Urteil vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R - BSGE 98, 162 - juris Rdnr. 15 ff.; Urteil vom 24. April 2014 - B 13 R 23/13 R - juris Rdnrn. 14 ff.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
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