L 4 U 678/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 18 KN 128/09 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 678/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.02.2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nummer 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zu § 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt und ob er infolgedessen einen Anspruch auf Gewährung einer Rente hat.

Der im Jahr 1964 geborene Kläger war nach einer Ausbildung als Kfz-Elektriker von 1982 bis 1988 in Polen und nach Übersiedlung in die Bundesrepublik von 1990 bis März 2006 im Bergbau als Hauer beschäftigt, hier überwiegend auf dem Bergwerk Q in C. Nach Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung ab dem 13.03.2006 begann er im November 2009 eine Tätigkeit im Wachdienst.

Im Mai 2006 zeigte der Ltd. Oberarzt Dr. Q vom Klinikum C C nach Durchführung einer lumbalen Bandscheibenvorfalloperation im Segment L5/S1 vom 19.04.2006 bei der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer BK 2108 an. Die Beklagte zog hierauf medizinische Unterlagen bei, darunter einen Entlassungsbericht der Fachklinik im KC x, wo der Kläger im August/September 2004 wegen eines chronisch rezidivierenden pseudoradikulären Lumbalsyndroms beidseits behandelt worden war, Befunde des St.-B-Hospitals I und des Klinikums C C, des Sozialmedizinischen Dienstes der Knappschaft sowie der Fachärztin für Orthopädie Dr. von I. Außerdem holte die Beklagte Auskünfte zu den Vorerkrankungen des Klägers bei der Knappschaft sowie Auskünfte bei der Arbeitgeberin das Klägers über dessen berufliche Tätigkeit ein. Der Kläger übersandte zudem die ihm vorliegenden Röntgenaufnahmen.

Intern teilte der technische Sachbearbeiter I am 10.8.2006 mit, Anhaltspunkte für eine ausreichende Belastung lägen vor. Die Beklagte ließ den Kläger hierauf vom Facharzt für Arbeits- und Umweltmedizin Dr. X untersuchen, der mitteilte, das Schwergewicht der Wirbelsäulenveränderungen liege nicht im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS), sondern belastungsfern im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Nachhaltige Verschleißerscheinungen bestünden isoliert im untersten Bereich der LWS im Segment L5/S1. Anlagebedingt bestehe ein Morbus Scheuermann. Nach Ausprägung, Lokalisation und Verteilungsmuster der degenerativen Wirbelsäulenveränderung seien die LWS-Schäden auf körpereigene Verschleißerkrankungen zurückzuführen, eine BK 2108 liege nicht vor (19.09.2006).

Nach Beteiligung der Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 sowie die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 20.10.2006 ab. Hiergegen legte der Kläger am 08.11.2006 Widerspruch ein. Die ständigen Rückenschmerzen könnten ihre Ursache nur in der schweren Tätigkeit als Bergarbeiter unter Tage haben; diese Arbeit sei wegen der Beschwerden heute gar nicht mehr möglich. Von einer schicksalhaften Erkrankung könne nicht die Rede sein.

Die Beklagte holte zunächst einen weiteren Befundbericht der Orthopädin Dr. von I sowie einen Reha-Entlassungsbericht der Klinik L über einen dortigen stationären Aufenthalt des Klägers im August 2006 ein. Der technische Sachbearbeiter I erstellte unter Berücksichtigung weiterer Auskünfte der Arbeitgeberin, der DRV Knappschaft-Bahn-See, sowie nach einem persönlichen Gespräch mit Kläger eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition, in der er für den Zeitraum von September 1979 bis April 2005 eine Gesamtbelastungsdosis von 27,2 MNh errechnete (12.07.2007).

Sodann ließ die Beklagte den Kläger durch den Chirurgen/Unfallchirurgen Dr. Q untersuchen, der in seinem Gutachten vom 05.10.2007 mitteilte, es bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108. Es liege eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der LWS mit Schmerzsymptomatik, Druck- und Klopfschmerz über der LWS sowie Hyposensibilität im Bereich L4/5 und L5/S1 im linken Bein vor; dies korreliere eindeutig mit dem operierten Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1. Zusätzlich zeigten radiologische Befunde eine Osteochondrose im Segment L5/S1 mit Spondylarthrose L4/5 und L5/S1, welche über das Maß der degenerativen Veränderungen der übrigen BWS und LWS hinausgehe. Als weitere bedeutsame Veränderung zeige sich eine HWS-Osteochondrose in den Segmenten C3/4, C4/5 und C5/6 mit Spondyl- und Uncarthrose in diesen Bereichen. Diese machten klinisch aber nur geringe Beschwerden und seien gegenüber den Veränderungen der LWS zu vernachlässigen. Letztere gingen über das normale Maß der altersbedingten Verschleißerscheinungen eindeutig hinaus. Die berufliche Einwirkungen unter Berücksichtigung konkurrierender Ursachen seien als wesentliche Ursache dieser Erkrankung anzusehen und hätten zum Unterlassen der Tätigkeit geführt. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers werde um 10 v. H. gemindert; diese Einschätzung gelte vom Tag der Untersuchung (27.08.2007) an.

Zu diesem Gutachten holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. X ein, der in seinen Ausführungen vom 11.03.2008 der Einschätzung von Dr. nicht folgen konnte. Die als nicht nur leichtgradig zu bezeichnenden Schäden an der HWS würden diejenigen im Bereich der LWS überragen. Es fehle insoweit eine plausible Erklärung dafür, warum die Veränderungen der LWS berufsbedingt seien, die der HWS hingegen nicht. Eine Bescheiderteilung sei auf Grundlage dieses Gutachtens nicht sinnvoll. Hierzu äußerte sich Dr. Q in einer ergänzenden Stellungnahme vom 22.08.2008, in der er darauf hinwies, dass die Veränderungen der HWS im Vergleich zur LWS als gering anzusehen seien. Die Einschätzung, das Schwergewicht der Wirbelsäulenveränderung liege im Bereich der HWS, sei daher nicht nachvollziehbar. Im Bereich der LWS liege auch eindeutig der Schwerpunkt der Beschwerdesymptomatik. Für die von Dr. X festgestellte anlagebedingte Erkrankung Morbus Scheuermann gebe es keine Hinweise, er halte daher an seiner Einschätzung fest. Der hierzu erneut von der Beklagten beratungsärztlich hinzugezogene Dr. X äußerte hierzu am 08.02.2009, er verbleibe vollumfänglich bei dem Ergebnis seiner bisherigen Einschätzung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2009 zurück. Insgesamt spreche mehr gegen als für ein belastungsbedingtes Krankheitsbild. Die degenerativen Veränderungen beträfen auch die HWS, bei beruflicher Verursachung sei aber eine besondere Betroffenheit der LWS zu erwarten. Die Veränderung der LWS seien auch nicht belastungskonform, denn es sei ein altersentsprechender Befund mit Ausnahme des Segmentes L5/S1 dokumentiert. Damit handele es sich um einen Schaden in einem Bereich, der auch ohne besondere Belastung der LWS am häufigsten betroffen sei. Weitere Indizien für die berufliche Tätigkeit als Ursache lägen nicht vor. Schließlich seien auch beruflich bedingte Schäden an der mittleren und oberen LWS zu erwarten gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 28.04.2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben und zur Begründung vorgetragen, Dr. Q habe das Vorliegen einer Berufskrankheit eindeutig festgestellt. Die Ausführungen von Dr. X, auf die die Beklagte die angefochtenen Bescheide stütze, seien nicht überzeugend; dieser gebe keine nähere Begründung seiner Auffassung.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aus Anlass einer Berufskrankheit 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können), ab 29.07.2009 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat insbesondere auf die Gründe der angefochtenen Bescheide sowie auf die eingeholten Stellungnahmen von Dr. X Bezug genommen.

Das SG hat ein orthopädisches Gutachten von Dr. T (St.-Marien-Hospital C) eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 11.08.2009 unter Einbeziehung der Ergebnisse eines radiologischen Zusatzgutachtens von Dr. L (31.07.2009) ausgeführt, dass eine für das Alter untypische Bandscheibendegeneration ausschließlich im Segment L5/S1 vorliege. Wenngleich der Kläger selbst angebe, dass seine Beschwerden 1992 bzw. 1994 ihren Anfang genommen hätten, sei ein sicherer Nachweis, dass die Beschwerden von der Bandscheibe stammten, erst 2006 geführt. Zu diesem Zeitpunkt sei er mit 42 Jahren in einem Alter gewesen, in dem Bandscheibenvorfälle auch in der Allgemeinbevölkerung keine Ausnahme seien. Im Bereich der übrigen LWS und im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) fänden sich keine altersuntypischen Höhenminderungen der Bandscheiben. Die Aufnahmen zeigten in den Segmenten L2/L3 und L3/L4 initiale Spondylosen. Im Bereich der HWS zeige sich an mehreren Segmenten eine Spondylose. Auch lägen hier - im Sinne der Konsensempfehlungen - leichte bis mäßige Chondrosen vor. Die Schäden im Bereich der HWS seien damit vergleichbar ausgeprägt wie im Bereich der LWS. Bei ausreichender Exposition, fehlenden konkurrierenden Ursachen sowie einem seit 2006 bestehenden Zwang zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit liege insgesamt eine Konstellation B1 der Konsensempfehlungen und damit eine BK 2108 vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) werde seit der Untersuchung am 29.07.2009 auf 20 v. H. geschätzt, zuvor habe sie bei 10 v. H. gelegen.

Der von der Beklagten hierzu befragte Dr. X teilte in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2009 mit, es liege nativradiologisch eine ganz klare Bevorzugung der degenerativen Veränderungen unter Bandscheibenbeteiligung im Bereich der HWS vor. Die LWS lasse lediglich im Segment L5/S1 einen altersüberschreitenden Degenerationsprozess erkennen. Es sei auch eher unwahrscheinlich, dass im Bereich der LWS eine Begleitspondylose vorliege, da sowohl kernspintomographisch als auch nativradiologisch die übrigen Segmente der LWS keine Hinweise auf eine wesentliche Mitbeteiligung am Degenerationsprozess und auch keine Initialveränderungen infolge einer mechanischen beruflichen Belastung aufwiesen. Bei deutlich größerem Ausmaß des Degenerationsprozesses der HWS und ausgebliebener altersüberschreitender Degeneration und Mitbeteiligung der drei unteren LWS-Segmente könne eine Anerkennung als Berufskrankheit nicht ernsthaft diskutiert werden.

In seiner hierzu vom SG eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2010 hat Dr. T an seiner vorigen Auffassung festgehalten. Das Bestehen von degenerativen Veränderungen an der HWS lasse bereits nicht zwingend darauf schließen, dass ebenfalls bestehende Veränderungen an der LWS nicht beruflich bedingt seien. Hieran ließen auch neuere Forschungsergebnisse zweifeln, wonach das Risiko einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS unter entsprechender Exposition auch dann erhöht sei, wenn gleichzeitig mittel- oder schwergradige Bandscheibenschäden der HWS oder LWS vorlägen. Bei beruflicher Belastung durch das Heben schwerer Lasten sei ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Bandscheibenschadens an der HWS aus biomechanischer Sicht plausibel, da die Arme am Schultergürtel ansetzten. Zudem bestehe nach den Kriterien der Konsensempfehlungen keine schwere Chondrose der HWS, so dass eine starke Bevorzugung der degenerativen Schäden im Bereich der HWS nicht vorliege. Erkrankungen der HWS seien bis auf 1997 und 1998 auch nie behandelt worden, so dass eine Erkrankung der HWS nicht vorliege. Im Bereich der LWS sei nach den Kriterien der Konsensempfehlungen von einer Begleitspondylose auszugehen. Insgesamt bestünden Zweifel hinsichtlich der Urteilsfähigkeit von Dr. X hinsichtlich der Röntgenaufnahmen, denn der von ihm beschriebene Morbus Scheuermann sei nie festgestellt oder nachgewiesen worden; auch habe dieser sich nicht an den Konsensempfehlungen orientiert. Er bleibe daher dabei, dass eine BK 2108 vorliege.

Das SG hat die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 24.02.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger aus Anlass einer BK 2108 ab dem 29.07.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Im Rahmen einer einzelfallbezogenen Betrachtungsweise sei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und der Erkrankung des Klägers festzustellen. Die Ausführungen von Dr. X seien nicht überzeugend. Soweit dieser die Diagnose eines Morbus Scheuermann gestellt habe, scheine es sich ausschließlich um eine Verdachtsdiagnose zu handeln. Auch die Behauptung, die Veränderungen der HWS überschritten die der LWS, sei nicht belegt. Sein Vorwurf, der gerichtlich bestellte Sachverständige halte sich nicht an die Konsensempfehlungen, gehe ohne diesbezügliche konkrete Tatsachenbenennung ins Leere. Hingegen habe Dr. T die Prüfungskriterien aufgeführt, an denen das Vorliegen einer Berufskrankheit zu messen sei. So habe er festgestellt, dass bei Erstmanifestation der LWS-Erkrankung im Jahr 2006 der zeitliche Verlauf nicht gegen eine berufliche Verursachung spreche. Zudem habe er unter Bezugnahme auf die Konsensempfehlungen anhand seiner Messergebnisse festgestellt, dass im Segment L5/S1 eine für das Alter untypische Bandscheibendegeneration bestehe, wohingegen keine der Bandscheiben der HWS um mehr als die Hälfte gegenüber der gesunden Bandscheibe C2/C3 in der Höhe gemindert sei. Dies spreche für eine berufliche Verursachung. Dr. X teile hingegen keine Messwerte mit, so dass der Vorwurf, Dr. T habe die Konsensempfehlungen außer Acht gelassen, nicht von der Kammer geprüft werden könne. Bezüglich des Verteilungsmusters der degenerativen Veränderungen, das Dr. X ohne valide Begründung für untypisch gehalten habe, habe Dr. T an der HWS im Gegensatz zur LWS keine ausgeprägten Chondrosen feststellen können. Der zutreffenden Einschätzung von Dr. T sei auch hinsichtlich der Einschätzung der MdE zu folgen.

Gegen das ihr am 22.03.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.04.2010 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das SG sei bei seiner Rechtsfindung den Feststellungen des von Amts wegen beauftragten Sachverständigen gefolgt, ohne dem Vorbringen von Dr. X entscheidungserhebliche Bedeutung beizumessen. Sie sieht sich durch die im Berufungsverfahren von Dr. T und Dr. W eingeholten Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht vorlägen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.02.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Auffassung von Dr. T könne er angesichts des Gutachtens von Dr. T nicht nachvollziehen, denn dieser habe unter Bezugnahme auf die Konsensempfehlungen eindeutig festgestellt, dass der Verschleiß der HWS nicht alters-, sondern berufsbedingt sei. Dr. T habe möglicherweise falsche Grundlagen für seine Feststellungen gewählt. An seiner Auffassung ändere auch das weitere Gutachten von Dr. W nichts, der immerhin festgestellt habe, es handele sich um einen Grenzfall. Bei Abwägung aller zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen sei ihm - dem Kläger - Recht zu geben.

Das Gericht hat medizinische Unterlagen von Dr. von I (10.08.2010), des St. N-Hospitals (18.08.2010) und dem Klinikum C C (17.08.2010) sowie anschließend von Amts wegen ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. T eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 21.01.2011 festgestellt, dass bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliege, die jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Exposition verursacht worden sei. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung aller Umstände spreche die langjährige Expositionszeit vor dem Ausbruch der Erkrankung für einen Kausalzusammenhang. Gegen einen Kausalzusammenhang spreche aber, dass die Erkrankung an der LWS auf das Segment L5/S1 beschränkt sei und sich in den übrigen Segmenten der oberen LWS keine oder nur allenfalls geringfügige Veränderungen finden ließen. Es handele sich daher um eine auf den Lendenkreuzbeinübergang beschränkte Degeneration, womit das Verteilungsmuster eines nicht exponierten Menschen vorliege. Ebenfalls gegen einen Kausalzusammenhang spreche, dass sich bei einem Vergleich der Wirbelsäulen-Regionen im Bereich der HWS eine völlig identische altersvorauseilende Umformung mit spondylotischer und osteochondrotischer Sekundärreaktion zeige. Somit handele es sich um ein diffuses Verschleißbild ohne Akzentuierung der LWS. Insgesamt spreche mehr gegen als für einen Kausalzusammenhang, es liege eine Konstellation B3 der Konsensempfehlungen vor. Eine Konstellation B2 sei bei unauffälligem Bandscheibensignal der Bandscheibe L3/L4 definitiv nicht gegeben.

Das Gericht hat zu diesem Gutachten eine ergänzende Stellungnahme von Dr. T eingeholt, der am 11.05.2011 mitgeteilt hat, im Bereich der HWS sei die Höhenminderung im Segment C6/C7 nach den Konsensempfehlungen nicht als ausgeprägt zu bezeichnen, Dr. T habe insoweit wohl irrtümlich die für die LWS anzuwendenden Kriterien angewandt. Die spondylotischen Anpassungsvorgänge seien in der HWS nicht sehr deutlich erkennbar und daher womöglich übersehen worden. Dem Gutachten von Dr. T könne er daher nicht folgen.

Hierzu hat Dr. T eine ergänzende Stellungnahme abgegeben (28.06.2011). Es bestehe medizinisch kein Zweifel daran, dass eine signifikante Höhenminderung, die auf zwei Röntgenuntersuchungen der HWS festgestellt werde, bei einem zum Untersuchungszeitpunkt unter 50jährigen Mann altersuntypisch sei. Die röntgenologische Nachbegutachtung einer Vielzahl von Röntgenaufnahmen und Schnittbilduntersuchungen zeige keine altersabweichenden Spondylosen der LWS im Sinne der Konsensempfehlungen. Bei einer Einzelfallbeurteilung spreche mehr gegen als für den ursächlichen Zusammenhang. Seiner Auffassung nach liege die Konstellation B3 vor.

Dr. T hat in einer erneuten Stellungnahme vom 28.09.2011 darauf verwiesen, dass bei keiner Bandscheibe an der HWS eine Höhenminderungen von mehr als der Hälfte einer gesunden Bandscheibe vorliege, damit auch keine ausgeprägte Chondrose an der HWS. Wann eine degenerative Veränderung der HWS altersuntypisch sei, sei schwer zu definieren; festzustellen sei aber, dass der Kläger auch beruflichen Belastungen der HWS ausgesetzt gewesen sei, die eine gewisse Mitreaktion erwarten ließen. Andererseits seien degenerative Veränderungen auch bei nicht belasteten Personen ab dem 40. Lebensjahr häufig, so dass der Befund beim Kläger insgesamt alterstypisch sei. Die Veränderungen im Bereich der unteren LWS seien hingegen altersuntypisch, hier würden seitliche Spondylophyten an den Wirbelkörperkanten von LWK 2 bis 4 beschrieben.

Das Gericht hat sodann ein weiteres Gutachten von Dr. W eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.04.2012 ausgeführt, in den altersuntypischen Veränderungen im Segment L5/S1 liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor, deren zeitlicher Verlauf auch als belastungskonform anzusehen sei. Dies wie auch die Zunahme der Beschwerden von kopf- nach fußwärts spreche für einen beruflichen Zusammenhang. Dagegen spreche allerdings, dass sich auch an der unteren HWS altersuntypische Veränderungen fänden. Nach seinen Messungen lägen die Veränderungen im Bereich der HWS im Grenzbereich dessen, was nach den Konsensempfehlungen als ausgeprägte Chondrose zu bezeichnen sei. Vom morphologischen Aspekt seien die Veränderungen im Segment C6/C7 denen im Segment L5/S1 vom Schweregrad her vergleichbar. Darüber hinaus beschränkten sich die die Altersnorm übersteigenden Befunde auf das Segment L5/S1, was ein auch in unbelasteten Bevölkerungsschichten häufig anzutreffendes Schadensbild darstelle. Besondere berufliche Belastungen, die zusätzlich für die Bedeutung der beruflichen Ursachen sprächen, seien nicht erkennbar. Insbesondere liege eine Begleitspondylose in den anderen Segmenten der LWS nicht vor, es zeige sich nur eine eben beginnende Entrundung der seitlichen Wirbelkörperkanten in den Segmenten L2/L3 und L3/L4 im Sinne einer erstgradigen Spondylose, ebenfalls keine "black-disc"-Veränderungen. Insgesamt lasse sich daher kein Überwiegen der Argumente feststellen, die für eine Wesentlichkeit der beruflichen Belastung sprächen; eine BK 2108 liege nicht vor.

In einer vom Gericht angeforderten Stellungnahme vom 24.08.2012 hat der technische Sachbearbeiter des Geschäftsbereichs Prävention der Beklagten I mitgeteilt, der Kläger erreiche nach den dortigen Berechnungen nach 9,9 Jahren beruflicher Tätigkeit eine Gesamtbelastungsdosis von 11,1 MNh nach den MDD-Richtwerten, nach den neuen Orientierungswerten in Höhe von 14,3 MNh. Für das zweite Zusatzkriterium sei aber weiter von einer Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh auszugehen, da das Urteil des BSG vom 30.10.2007 nicht für die Konsensempfehlung maßgeblich sei. Hinsichtlich des dritten Zusatzkriteriums habe der Kläger im dritten Beschäftigungsabschnitt zwar eine Druckkraft von größer/gleich 6 kN erreicht, allerdings nur Belastungsspitzen von maximal 0,64 kNh. Beide Zusatzkriterien der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen seien somit nicht erfüllt.

Zu diesen Ausführungen hat Dr. W am 03.12.2012 auf Bitte des Gerichts ergänzend Stellung genommen und mitgeteilt, die Zusatzkriterien der intensiven Belastung und des besonderen Gefährdungspotentials sollten Grenzfälle klären, in denen das morphologische Schadensbild noch nicht für einen beruflichen Zusammenhang spreche, möglicherweise aber doch eine wesentliche Teilursache vorliege. Nur bei Zugrundelegung der neuen Orientierungswerte wäre entsprechend der Berechnung der Beklagten der "neue" Orientierungswert von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren überschritten gewesen. Das Kriterium der besonderen Belastungsspitzen werde hingegen nicht erreicht. Da es sich bei der Konstellation B2/B4 aber um einen Grenzfall handele, müsse die eindeutige Erfüllung des Zusatzkriteriums erwartet werden, um genügend Trennschärfe gegenüber wesentlichen außerberuflichen Ursachen zu behalten. Diese Trennschärfe sei hier aber nicht gegeben.

Auf Antrag der Beteiligten in einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.01.2014 ist das Verfahren bis zum Abschluss des beim BSG anhängigen Revisionsverfahrens B 2 U 6/13 R zum Ruhen gebracht worden.

Nach Wiederaufnahme auf Antrag der Beteiligten im Oktober 2015 ist eine erneute ergänzende Stellungnahme des Dr. W vom 29.03.2016 eingeholt worden. Dieser hat ausgeführt, dass sich die herrschende medizinische Lehrmeinung weder zur Bedeutung der Begleitspondylose noch zur Beurteilung des Zusammenhangs bei gleichzeitigen Schäden an der HWS seit Erstattung seines Gutachtens geändert habe. Die Bedeutung der Begleitspondylose werde ebenso wie diejenige gleichzeitiger Veränderungen an der HWS konträr diskutiert. Eine wissenschaftliche Meinung iS einer herrschenden Meinung dazu, ob eine Belastung von 12,5 MNh innerhalb von weniger als 10 Jahren als besonders gefährdend und damit als intensive Belastung im Sinne des zweiten Spiegelstrichs der Konstellation B2 angesehen werden könne, sei im Hinblick auf die auch hierüber kontrovers geführten Diskussionen nicht zu erkennen. Kontrovers diskutiert werde auch weiterhin, ob ein sich auf das Segment L5/S1 beschränkendes Schadensbild wesentlich-teilursächlich beruflich entstanden sein könne.

Mit Schreiben vom 19.04.2016 hat der Kläger um eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten. Die Beklagte hat dem mit Schreiben vom 24.05.2016 zugestimmt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat diese zu Unrecht zur Anerkennung einer BK 2108 verurteilt. Entgegen dessen Auffassung ist die Klage nicht begründet und daher abzuweisen. Der angefochtene Bescheid vom 20.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2009 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung einer BK 2108 und Gewährung von Rente besteht nicht.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. BKen sind gem. § 9 Abs. 1 SGB VII nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet. Die Anerkennung einer BK 2108 setzt demnach voraus, dass der Versicherte auf Grund von Verrichtungen bei einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat und hierdurch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden ist und noch besteht.

In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie und kommen ebenso in Berufsgruppen vor, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, wie in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Verrichtungen (sachlicher Zusammenhang), diesen Verrichtungen und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) und den Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) erforderlich. Allein aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - juris Rn. 18; vgl. auch Merkblatt zu der BK 2108, BArbBl. 2006, S. 30 ff.). Schließlich muss der Versicherte gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben und die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Folge des Zwangs auch tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris Rn. 23; Urt. v. 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - juris Rn. 16 f.). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung der BK, sondern lediglich für einen etwaigen, auf dieser BK beruhenden Leistungsanspruch (vgl. hierzu BSG Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - juris Rn. 12).

In beweisrechtlicher Hinsicht müssen die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Hingegen genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - juris Rn. 12; Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R - juris Rn. 15; Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - juris Rn. 20). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.09.2012 - B 3 KR 10/12 R - juris Rn. 47 mwN; Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - juris Rn. 20 mwN; Beschl. v. 08.08.2001 - B 9 V 23/01 R - juris Rn. 4 mwN).

Vorliegend war der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit als Hauer Versicherter iSv § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Bei den im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit angefallenen Hebe- und Tragevorgängen handelt es sich um schädigende Einwirkungen, in einem Ausmaß, das die Bedingungen der BK 2108 erfüllt (dazu unter 1.). Bei dem Kläger liegen auch bandscheibenbedingte Erkrankungen iSd BK vor (dazu unter 2.). Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Exposition und den Erkrankungen ist jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich (dazu unter 3.).

1.) Die im Text der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten" sowie "langjährige" Tätigkeiten "in extremer Rumpfbeugehaltung" stellen nur ungenau umschriebene Einwirkungen dar und sind auslegungsbedürftig (vgl. BSG Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - juris Rn. 17 auch zur diesbezüglichen Verfassungsmäßigkeit). Als geeignete Grundlage zur Konkretisierung der sog. "arbeitstechnischen Voraussetzungen" der BK ist das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) heranzuziehen, das zur Überzeugung des Senats jedenfalls derzeit (noch) den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand über die Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) durch äußere Einwirkungen wiedergibt (vgl. auch BSG, Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - juris Rn. 17 -, BSG Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris Rn. 25, 28 und B 2 U 14/08 R - juris Rn. 25; Urt. v. 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - juris Rn. 22; Urt. v. 19.08.2003, B 2 U 1/02 R juris Rn. 15; Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - juris Rn. 19). Nach dem MDD ist Richtwert für die Gesamtbelastungsdosis im Sinne der BK 2108 im Sinne eines Orientierungswertes bei Männern ein Wert von 25 x 106 Nh. Den für ihn geltenden Richtwert erreicht der Kläger. Der Senat folgt hier den im Verfahren erstellten Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten. Nach den durchgeführten Ermittlungen war der Kläger bei seiner versicherten Beschäftigung iSv § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII von September 1979 bis April 2005 Hebe- und Tragebelastungen in Höhe einer Gesamtbelastungsdosis von 27,2 MNh ausgesetzt.

Die berufliche Tätigkeit des Klägers entspricht daher auch einer "langjährig" belastenden Berufstätigkeit im Sinne der Definition des Merkblatts zur BK 2108. So sah das Merkblatt in seiner ursprünglichen Fassung vom 18.12.1992 (BArbBl. 3/93, S. 50, unter IV) als Anhaltspunkt für eine langjährige Tätigkeit ca. 10 Berufsjahre als untere Grenze der Belastung an. Dies ist auch in der jetzigen Fassung der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.09.2006 (BArbBl. 10/2006, S. 30, unter IV) trotz erheblicher Überarbeitung unter anderem mit Bezugnahme auf die Berechnung nach kumulativen Dosismodellen unverändert beibehalten worden. Wenngleich die Merkblätter nicht in erster Linie als juristische Arbeitshilfe, sondern als Hilfsmittel für die ärztliche Untersuchung gedacht waren und entsprechend weder rechtlich verbindlich sind noch den neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergeben (vgl. BSG Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - juris Rn. 20), beziehen sie doch Eckpunkte mit ein, die als Motive für den seinerzeitigen Verordnungsgeber wegweisend waren (vgl. BR-Drs. 773/92; BSG Urt. v. 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - juris Rn. 20). Sie beruhen darüber hinaus auf konkreten epidemiologischen Studien bei Bauarbeitern und Pflegepersonal, nach denen in der Regel nach mehr als zehnjähriger Expositionsdauer ein Anstieg in der Häufigkeit von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen zu verzeichnen war (vgl. Merkblatt a.a.O.). Diese Voraussetzungen hat der Kläger mit einer belastenden Gesamtarbeitszeit von über 22 Jahren erfüllt. Auch an der Regelmäßigkeit der belastenden Einwirkungen (vgl. hierzu BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 6/13 R - juris Rn. 27) hat der Senat keine Zweifel.

2.) Bei dem Kläger ist eine bandscheibenbedingte Erkrankung iSd BK 2108 nachgewiesen.

Im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der BK 2108 bedarf es weiterer Kriterien für die Beurteilung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS und deren beruflicher Verursachung. Die dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Beurteilungskriterien hierzu sind in den sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung niedergelegt (vgl. Bolm-Audorff ua, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff.). Die Konsensempfehlungen stellen den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen dar (vgl. dazu z. B. erkennender Senat Urt. v. 24.10.2014 - L 4 U 398/14 - juris Rn. 39; LSG Bayern Urt. v. 22.05.2014 - L 18 U 384/10 - juris Rn. 32 mwN; LSG Hessen Urt. v. 07.04.2014 - L 9 U 121/11 - juris Rn. 34; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 20.03.2014 - L 3 U 105/10 - juris Rn. 59; LSG Mecklenburg-Vorpommern Urt. v. 19.03.2014 - L 5 U 45/09 - juris Rn. 49; Urt. v. 29.01.2014 - L 5 U 3/08 - juris Rn. 99; LSG Sachsen Urt. v. 29.01.2014 - L 6 U 111/11 - juris Rn. 52; LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 18.12.2013 - L 6 U 20/07 - juris Rn. 46; LSG Baden-Württemberg Urt. v. 17.10.2013 - L 10 U 1478/09 - juris Rn. 38; LSG NRW Urt. v. 13.09.2011 - L 15 U 132/09 - juris Rn. 22; vgl. zur Anwendung der Konsensempfehlungen auch BSG Urt. v. 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris Rn. 15; Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - juris Rn. 12, 14). Wenngleich es sich bei diesen nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt und sie damit nicht unmittelbar verbindlich sind, dienen die Konsensempfehlungen dennoch dazu, die Beurteilung im Einzelfall zu erleichtern (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R juris Rn. 23). Ein neuerer, von den Konsensempfehlungen abweichender Stand der wissenschaftlichen Diskussion, d. h. eine neuere wissenschaftlich geprägte Mehrheitsmeinung (vgl. BSG Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - juris Rn. 16), zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS ist weder von den hier im Verfahren gehörten Sachverständigen benannt worden noch dem Senat aus anderen Verfahren bekannt. Der Senat geht daher davon aus, dass die Konsensempfehlungen nach wie vor zur Beurteilung von Bandscheibenschäden und deren beruflicher Verursachung anzuwenden sind.

Eine bandscheibenbedingte Erkrankung i.S.d. BK 2108 setzt nach den Konsensempfehlungen den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder einem Bandscheibenvorfall einerseits und einer korrelierenden klinischen Symptomatik andererseits voraus (vgl. Konsensempfehlungen 1.3/ 1.4 - S. 215 f. sowie zur Berechnung der Bandscheibenhöhen Anhang 3 - S. 224 ff.). Vorliegend ist beim Kläger nach den aktenkundigen ärztlichen Befunden und deren Bewertung in plausibler zeitlicher Korrelation zur Exposition eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenprolapses und Rezidivprolapses L5/S1 mit nachfolgender Bandscheibenausräumung gesichert. Auch ein hiermit übereinstimmendes klinisches Beschwerdebild mit rezidivierenden Lumbalgien und Lumboischialgien sowie Sensibilitätsstörungen im linken Bein hat vorgelegen.

3.) Die bandscheibenbedingte Erkrankung ist - unter Berücksichtigung der vorgenannten Konsensempfehlungen und des Beweisergebnisses im Verfahren - jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich durch die schädigenden Einwirkungen der ausgeübten Berufstätigkeit verursacht worden. Welche konkrete Konstellation der Konsensempfehlungen einschlägig ist, wird hierbei unter Beachtung der Anknüpfungstatsachen in eigener Beurteilungskompetenz des Gerichtes durch dieses bestimmt (vgl. erkennender Senat Urt. v. 24.10.2014 - L 4 U 398/14 - juris Rn. 43). Anwendbar ist im Fall des Klägers zur Überzeugung des Senats die Konstellation B6 der Konsensempfehlungen. Aber auch dann, wenn man deren besondere Voraussetzungen einer gleichwertigen HWS-Schädigung nicht für gegeben erachten würde, würde es - bei dann anwendbarer Konstellation B3 bzw. B4 - an einem Ursachenzusammenhang mangeln.

Die mit dem Buchstaben B beginnenden Konstellationen kommen dann zur Anwendung, wenn bei ausreichender Exposition die gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung in den Segmenten L5/S1 und/oder L4/L5 lokalisiert und in Form einer Chondrose Grad II oder höher bzw. eines Bandscheibenvorfalls ausgeprägt ist. Wie bereits ausgeführt haben die im Verfahren gehörten Ärzte bei dem Kläger übereinstimmend einen Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 bejaht.

Keine Anwendung finden im konkreten Fall die Konstellation B9 und B 10, da hier vorausgesetzte konkurrierende Ursachen bei dem Kläger von keinem Sachverständigen festgestellt worden sind. Soweit allein Dr. X im Verwaltungsverfahren einen Morbus Scheuermann angeführt hat, ist diese Diagnose nicht gesichert worden.

Auch die Konstellationen B1 und B8 scheiden aus, da diese eine i.S.d. Konsensempfehlungen relevante Begleitspondylose voraussetzen, die zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gesichert ist. Eine Begleitspondylose ist allein von Dr. T angenommen, schon von ihm selbst jedoch als "nicht sehr deutlich zu erkennen" bzw. als "initial" bezeichnet worden. Hingegen haben sämtliche übrigen Sachverständigen eine Begleitspondylose verneint. So hat Dr. T keine Degeneration an den anderen Abschnitten der oberen LWS erkennen können; es lägen allenfalls geringfügige Veränderungen vor. Die von Dr. T beschriebenen Veränderungen seien den Aufnahmen nicht zu entnehmen. Auch Dr. W hat nach Auswertung der Bildaufnahmen eine Begleitspondylose verneint. Es handele sich um eine eben beginnende Entrundung der seitlichen Wirbelkörperkanten in L2/L3 und L3/L4 im Sinne einer erstgradigen Spondylose, vgl. Übersicht 4 auf S. 214 der Konsensempfehlungen für die Spondylose. Auch Dr. Q hat eine Begleitspondylose der oberen LWS-Segmente nicht befundet.

Maßgebliche Konstellation aus dem verbleibenden Spektrum der Konstellationen B2 bis B7 ist die Konstellation B6, wenn ein Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule (HWS) vorliegt, der gleich stark ausgeprägt ist, wie an der LWS.

Eine derartige (mindestens) gleich starke Ausprägung sieht der Senat nach dem Ergebnis der Ermittlungen als bewiesen an. So haben sämtliche Sachverständigen übereinstimmend bedeutsame Veränderungen im Bereich auch der HWS beschrieben. Im Vergleich der Veränderungen von HWS und LWS haben der Sachverständige Dr. X die HWS als stärker betroffen angesehen, Dr. T und Dr. W als gleich. Auch Dr. T hat zunächst von einer gleichen Betroffenheit gesprochen. Soweit er in seiner späteren ergänzenden Stellungnahme von einem - schon veränderten aber - alterstypischen Befund ausgegangen ist, vermochte der Senat der Änderung der Auffassung schon deshalb nicht zu folgen, weil dieser Änderung nachvollziehbare Argumente fehlten. Der Sachverständige hat hier (lediglich) die Einordnung der chondrotischen Veränderungen im Segment C6/C7 unter die Übersicht 2 (S. 214) der Konsensempfehlungen problematisiert, die sich wegen ihrer Grenzwertigkeit wohl - so auch Dr. W - als schwierig darstellt. Diese Einordnung - des HWS-Schadens - allein genügt jedoch nicht zur Beurteilung des Vergleichs zwischen HWS und LWS wie er in den Konstellationen B4, B 5 und B 6 als Kriterium genannt ist. Der von Dr. T zuletzt gegebenen Erläuterung, dass bei der beruflichen Exposition des Klägers eine Mitreaktion der HWS zu erwarten sei, kommt im Hinblick auf den Vergleich der Stärke der Veränderungen zwischen HWS und LWS keine Relevanz zu. Einen entsprechenden medizinischen Erfahrungssatz über eine Mitreaktion der HWS haben im Übrigen auch Dr. T und Dr. W verneint. Dass der Kläger einschlägigen beruflichen Belastungen im Sinne der BK 2109 ausgesetzt war, ist nicht ersichtlich.

Die - im Grunde anwendbare - Konstellation B6 setzt nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut und der Systematik der Konsensempfehlungen weiter voraus, dass die Voraussetzungen der Konstellation B2 vorliegen. Diese wiederum erfordert das Vorliegen eines von drei aufgelisteten "Zusatzkriterien":

&61485; Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten &61485; Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren &61485; Besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4,5 kN, Männer ab 6 kN).

Im Fall des Klägers liegt keines dieser Zusatzkriterien vor. Weder sind von den Sachverständigen "black discs" an mindestens zwei angrenzenden Segmenten beschrieben worden (erstes Zusatzkriterium) noch ergeben sich unter Berücksichtigung der Berechnungen der Präventionsabteilung der Beklagten, die der Senat zugrunde legt und denen der Kläger nicht widersprochen hat, bei Belastungsspitzen von 0,64 kNh hohe Belastungsspitzen im Sinne des dritten Zusatzkriteriums der Konstellation B2.

Zur Überzeugung des Senats fehlt es auch an einer besonders intensiven Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums. Nach der vom Senat zugrundegelegten Berechnung des Präventionsdienstes hat die Gesamtbelastungsdosis des Klägers in 9,9 Jahren einen Wert von 14,3 MNh erreicht, also deutlich weniger als der Richtwert des MDD für Männer von 25 MNh.

Das zweite Zusatzkriterium der Konstellation B2 kann auch nicht dahingehend "ausgelegt" werden, dass eine besonders intensive Belastung auch schon bei Überschreiten des "halbierten" Richtwerts des MDD angenommen werden könne (ebenso LSG Bayern Urt. v. 22.05.2014 - L 18 U 384/10 - juris Rn. 40; Urt. vom 31.01.2013 - L 17 U 244/06 - juris Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 19.01.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - juris Rn. 56; aA st. Rspr des LSG Sachsen Urt. v. 29.01.2014 - L 6 U 111/11 - juris Rn. 81 mwN).

Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R juris Rn. 25; hierauf beruhend Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R juris Rn. 31; Urt. v. 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R juris Rn. 30) den Richtwert halbiert hat, bezog sich dies nicht auf die Beurteilung der Konstellation B2, sondern (lediglich) auf die Frage, welche Gesamtbelastungsdosis als Kriterium herangezogen werden könne, um eine BK 2108 allein auf der Grundlage der arbeitstechnischen Voraussetzungen und unter Verzicht auf eine einzelfallbezogene medizinische Überprüfung ausschließen zu können.

Die vorgenommene Halbierung lässt sich auch nicht auf die in der Konstellation B2 aufgeführten Voraussetzungen übertragen bzw. erstrecken.

Der Grund für die Halbierung der im MDD vorgeschlagenen Richtwerte der Gesamtbelastungsdosis bestand darin, die unmittelbare Ablehnung der BK 2108 mangels ausreichender Exposition einem "Sicherheitsabschlag" zu unterwerfen. Bei dem Zusatzkriterium für die Konstellation B2 handelt es sich jedoch nicht wie bei der Voraussetzung ausreichender Exposition um ein Ausschlusskriterium, sondern um eines von mehreren Elementen zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs. Da ihm keine Ausschlussfunktion zukommt, ist das Ansetzen von Sicherheitsabschlägen hier nicht sachgerecht (ebenso LSG Bayern Urt. v. 22.05.2014 - L 18 U 384/10 - juris Rn. 40).

Zu beachten ist auch, dass die Konsensempfehlungen in ihren Einzelformulierungen zwar nicht unter (strikter) Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre auszulegen sind (vgl. hierzu BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - juris Rn. 23). Da sie aber als Hilfestellung bei der Beurteilung der Kausalitätsfragen dienen (BSG a.a.O.), muss die bei etwaigen Unklarheiten notwendige Interpretation der Konsensempfehlungen ihrerseits den allgemeinen Beweisregeln der gesetzlichen Unfallversicherung folgen. Hierzu zählt, dass die Frage, ob ein versichertes Ereignis (hier Hebe- und Tragevorgänge iSd BK 2108) als ursächlich für einen Bandscheibenschaden angesehen werden kann, - im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung - aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen (gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten) zu beantworten ist (vgl. hierzu BSG Urt. v. 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R - juris Rn. 25; Urt. v. 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - juris Rn. 36; Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - juris Rn. 55).

Ein herrschender medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrungsstand darüber, dass eine Belastung bei Männern bereits bei einer Gesamtdosis unter 25 MNh, insbesondere schon bei dem (vom BSG) halbierten Wert von 12,5 MNh, ursächlich zu einem monosegmentalen Schaden im Sinne der Konstellation B2 führt, besteht zu der auf die Beweisermittlung gegründeten Überzeugung des Senats derzeit nicht. Der in den Konsensempfehlungen niedergelegte Konsens zur Konstellation B2 konnte sich naturgemäß nur auf die damals im MDD vorausgesetzte Dosis von 25 MNh beziehen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 19.01.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - juris Rn. 56). Seither hat sich nach den beweisrechtlichen Ermittlungen im Verfahren keine abweichende herrschende Meinung zum Ansatz einer niedrigeren Belastungsdosis bei der Konstellation B2 gebildet. Zwar sind - wie Dr. W dies in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.03.2016 dargelegt hat - einzelne Autoren der Konsensempfehlungen zwischenzeitlich in Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) der Überzeugung, dass eine Belastungsdosis von 12,5 MNh als Bezugswert einer besonders intensiven Belastung "wissenschaftlich vertretbar" sei (Seidler, Bolm-Audorff, Arbeitsmedizinische Überlegungen zur Bedeutung der Deutschen Wirbelsäulenstudie und ihrer Folgestudien für die Begutachtungspraxis bandscheibenbedingter Erkrankungen, in: Grosser et al., Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" (BK 2108), Frankfurt 2014). Hingegen sehen andere Autoren in den Ergebnissen der DWS und der Nachfolgestudien keine Rechtfertigung für die Annahme neuer medizinischer Kriterien für die Zusammenhangsbeurteilung (Grosser, Meyer-Clement, Schröter, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie, Med Sach 111 3/2015). Die DWS und ihre Nachauswertung stünden nicht in Einklang mit der bisherigen epidemiologischen Gesamtevidenz und seien biologisch wenig plausibel. Auch das BSG hat einen neuen durch die DWS II gewonnenen Erkenntnisstand verneint und die Kritik hieran als erkennbare Einzelmeinungen angesehen (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - juris Rn. 21). Ebenso hat der Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales beschlossen, nicht in Beratungen einzutreten, sondern sieht - wie auch der vom Gericht gehörte Sachverständige Dr. W - noch weiteren Forschungsbedarf (vgl. Rundschreiben des DGUV vom 17.12.2014 - 0494/2014 ).

Einer strengen Anwendung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 im Sinne der ursprünglich zugrunde gelegten Annahmen der dortigen Autoren stehen auch bisherige Entscheidungen des BSG in dieser Frage nicht entgegen. So hat das BSG im Urteil vom 23.04.2015 (B 2 U 10/14 R - juris Rn. 25 f.) lediglich ausgeführt, dass vom LSG Sachsen, ein halbierten Wert "in revisionsrechtlicher nicht zu beanstandender Weise" zugrundegelegt worden sei. Auf dieses Urteil wird wiederum im Urteil vom selben Tag unter dem Aktenzeichen B 2 U 6/13 R - juris Rn. 24 mit dem Zusatz verwiesen, dass der Senat im Ergebnis die dahingehende Interpretation der Konsensempfehlungen durch das LSG nicht als offensichtlich falsch angesehen habe. Eine eigenständige Entscheidung des BSG zugunsten einer Halbierung auch bei der Konstellation B2 ist diesen Urteilen nicht zu entnehmen.

Zu berücksichtigen ist nach Auffassung des Senats bei der Anwendung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 letztlich, dass diese Konstellation nach dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand einen Grenzfall gegenüber den in der Bevölkerung zahlreich auch ohne Wirbelsäulenbelastung auftretenden entsprechenden Schäden darstellt. Die Bejahung des Kausalzusammenhangs ist daher Dr. W folgend nur dann möglich, wenn die allgemeinen Kriterien der Zusammenhangsbeurteilung klar vorliegen. Nur in diesem Fall kann eine ausreichende Trennschärfe gegenüber den nicht wesentlich beruflich verursachten Schäden erzielt werden (vgl. auch LSG Bayern Urt. vom 31.01.2013 - L 17 U 244/06 - juris Rn. 29). Die Zugrundelegung anderer Kriterien als denjenigen, die bei der Beurteilung durch die Konsensgruppe 2005 vorgelegen haben, erfordert durchgreifende wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Neubewertung stützen. An diesen fehlt es wie oben dargelegt.

Der Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des Klägers und seiner bandscheibenbedingten Erkrankung ist darüber hinaus selbst dann nicht anzunehmen, wenn die Voraussetzungen der Konstellation B2 und somit sämtliche Voraussetzungen der wie ausgeführt anwendbaren Konstellation B6 vorliegen würden. Für diese Konstellation haben die Autoren der Konsensempfehlungen keinen Konsens erzielen können. Auch hierzu hat sich die herrschende medizinisch-wissenschaftliche Auffassung bisher nicht geändert, wie sich aus der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme des Dr. W vom 29.03.2016 ergibt.

Liegt eine Konstellation vor, für die unter den Autoren der Konsensempfehlungen kein Konsens erzielt werden konnte, bedarf es einer individuellen Beurteilung und Würdigung des Einzelfalls (BSG Urt. v. 23.04.2015 - B 2 U 6/13 R - juris Rn. 26).

In der hier entsprechend vorzunehmenden Gesamtschau ist eine berufliche Verursachung im konkreten Fall des Klägers nicht ausreichend wahrscheinlich.

Maßgeblich ist dabei zum einen, dass sich die bei dem Kläger vorliegenden degenerativen Veränderungen auf das Segment L5/S1 und somit auf genau das Segment beschränken, das auch bei nicht exponierten Personen das am häufigsten betroffene ist. Unterscheidet sich aber das morphologische Schadensbild - wie hier - kaum von dem Schadensbild, das im Alter des Versicherten häufig auch ohne berufliche Belastungen anzutreffen ist, bestehen - ohne weitere besondere Umstände - medizinisch-wissenschaftliche Bedenken, einen Ursachenzusammenhang anzunehmen. Bei einer beruflichen Belastung wäre auch eine Beteiligung anderer Abschnitte zu erwarten, eben - nach derzeitiger medizinischer Auffassung - etwa eine relevante Begleitspondylose oder auch "black discs". Zum anderen finden sich - wie dargelegt - auch in der HWS degenerative Veränderungen. Dies spricht jedenfalls für eine Neigung der Wirbelsäule zur Degeneration auch ohne berufliche Belastung. Zwar ist der Schluss von einer anlagebedingten HWS-Erkrankung auf eine dann ebenfalls anlagebedingte LWS-Erkrankung und damit der Ausschluss einer beruflichen Verursachung nicht zwingend; es handelt sich aber um ein deutliches negatives Indiz im Rahmen der Gesamtabwägung. Die Annahme, dass bei schwerem Heben und Tragen im Sinne der BK 2108 auch HWS-Schädigungen entstehen, ist medizinisch-wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Relevante Faktoren, die umgekehrt zugunsten des Klägers eine berufliche Verursachung (über die Exposition hinaus) aussagekräftig belegen könnten, finden sich hingegen nicht.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine wesentliche Verursachung des bei dem Kläger bestehenden Bandscheibenschadens an der LWS durch die berufliche Exposition auch dann nicht als hinreichend wahrscheinlich anzusehen ist, wenn man die Betroffenheit von HWS und LWS mit Dr. T nicht als gleichwertig ansehen würde. Sofern man die Schädigung an der HWS als schwächer ausgeprägt als an der LWS ansieht, wäre die Konstellation B4 der Konsensempfehlungen anwendbar, die jedoch ihrerseits (wie die Konstellation B6) das Vorliegen der Voraussetzungen der Konstellation B2 voraussetzt. An diesen mangelt es wie bereits dargelegt. Bezöge man die Schädigungen der HWS gar nicht in die Abwägung ein, wäre die Konstellation B3 anwendbar, für die - bei der dargelegten fehlenden Erfüllung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 - ein Konsens fehlte. Die dann durchzuführende Einzelfallbetrachtung kann - wie ebenfalls dargelegt - einen Kausalzusammenhang im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung gleichfalls nicht begründen.

Kommt die Anerkennung der BK 2108 nicht in Betracht, liegen auch die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Rentenzahlung gem. § 56 SGB VII nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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