Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
15
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 AS 4239/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Der Versagungsbescheid vom 22.1.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Der Beklagte trägt 50 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II).
Der Kläger stellte am 27.12.2013 formlos einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 27.12.2013 unter Hinweis auf § 60 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) auf, im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten den Formularantrag auf Arbeitslosengeld II sowie die dazugehörenden Unterlagen bis zum 13.1.2014 vorzulegen. Weiter hieß es in dem Schreiben vom 27.12.2013: "Sollten Sie bis zum oben genannten Termin nicht antworten bzw. die angeforderten Unterlagen nicht einreichen können, bitte ich bis zum genannten Termin um eine Mitteilung Ihrer Gründe. Andernfalls werde ich die Geldleistung wegen fehlender Mitwirkung nach § 60 SGB I in Verbindung mit § 66 SGB I versagen."
Mit Bescheid vom 22.1.2014 versagte der Beklagte dem Kläger ab dem 1.12.2013 die Leistungen nach dem SGB II, weil die fehlenden Unterlagen trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt worden seien. Somit habe er die Voraussetzungen für die Leistungen nicht nachgewiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 66 SGB I. Der Kläger legte gegen den Versagungsbescheid mit Schreiben vom 24.2.2014 Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde nicht begründet. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30.10.2014, abgesandt laut Absendevermerk am 31.10.2014, zurück. Der Versagungsbescheid sei rechtmäßig. Die Einreichung des Antrags auf Arbeitslosengeld II und der dazugehörigen Nachweise sei zur Ermittlung des Sachverhalts und des Umfangs der Hilfebedürftigkeit erforderlich gewesen. Der Kläger sei der Aufforderung nicht nachgekommen und habe die Unterlagen nicht eingereicht. Die erforderliche Ermessensentscheidung liege vor. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Interessen des Klägers seien angemessen berücksichtigt worden. Die Vorlage der angeforderten Unterlagen sei zwingend notwendig, um überhaupt einen Leistungsanspruch dem Grunde nach prüfen zu können.
Der Kläger hat am 3.12.2014 Klage erhoben. Die Klage wurde nicht begründet.
Der Kläger beantragt wörtlich, den Bescheid aufzuheben und die beantragten Leistungen zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren.
Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 12.12.2014, 23.1.2015, 24.2.2015, 11.3.2015, 14.4.2015 an die Einreichung einer Klagebegründung erinnert. Mit Schreiben vom 30.4.2015 hat das Gericht für das Betreiben des Verfahrens eine Frist von drei Monaten gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gesetzt. Der Kläger hat daraufhin mit Schreiben vom 6.8.2015 mitgeteilt, dass er die Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen dem Beklagten direkt zugeleitet habe. Weitere Ausführungen hat der Kläger nicht gemacht. Am 20.11.2015 hat das Gericht einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Der Kläger ist trotz ordnungsgemäßer Ladung vom 31.10.2015 nicht erschienen und hat auch keine Gründe zur Entschuldigung genannt. Mit Schreiben vom 25.11.2015 hat das Gericht mitgeteilt, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt ist und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, hierzu und zur Sache vorzutragen. Der Kläger hat sich nicht weiter geäußert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit hatten, hierzu und zur Sache Stellung zu nehmen.
Die Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid vom 22.1.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2014 ist zulässig und begründet. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig, soweit der Kläger sich mit der insoweit allein statthaften Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG gegen die Versagung der begehrten Leistungen richtet. Soweit der Kläger darüber hinaus mit seinem Leistungsantrag die Verurteilung des Beklagten zur Leistungsgewährung begehrt, ist die Klage indessen unzulässig.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist gegen einen Versagungsbescheid grundsätzlich nur die Anfechtungsklage eröffnet (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 12, zitiert nach juris). Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG, mit der neben der Aufhebung des belastenden Bescheids auch die Verpflichtung zur Leistungsgewährung begehrt werden kann, ist bei einem Versagungsbescheid nur in Ausnahmefällen zulässig. Grund hierfür ist, dass der Beklagte mit der Versagung von Arbeitslosengeld II mangels Mitwirkung eine Entscheidung getroffen hat, die sich ihrem Wesen nach von der Ablehnung des Leistungsanspruchs wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung unterscheidet. Anders als die Ablehnung einer Leistung wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung ist die Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nämlich ausdrücklich bis zur Nachholung der Mitwirkung begrenzt und, weil der Leistungsträger versagte Leistungen nach Mitwirkung nachträglich erbringen kann (vgl. § 67 SGB I), auch für die Zeit bis zur Nachholung vorläufiger Natur. Dies hat zur Folge, dass die Anfechtung einer Versagung grundsätzlich nicht mit einer Leistungsklage verbunden werden kann. Die Versagung ist vielmehr allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegen hier nicht vor.
Eine kombinierte zusätzliche Klage auf Leistungsgewährung ist zum einen zulässig, wenn die anderweitige Klärung der Leistungsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig ist oder vom Kläger behauptet wird (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 14, zitiert nach juris). Diese Situation liegt hier nicht vor. Es ist zwischen den Beteiligten nicht unstreitig gewesen, dass die Leistungsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vorliegen. Ebenso wenig hat der Kläger behauptet, die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit sei anderweitig geklärt. In einer derartigen Situation, in der bereits Vorfragen zwischen den Beteiligten streitig und die Anspruchsvoraussetzungen insgesamt nicht geklärt sind, kann nicht aus Gründen der Prozessökonomie auf die Durchführung eines vorgehenden Verwaltungsverfahrens zur Klärung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen verzichtet werden (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 14, zitiert nach juris).
Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage kann auch zulässig sein, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versagung wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I das bisherige Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde und im Ergebnis die Leistung in der Sache voraussichtlich mit der gleichen Begründung abgelehnt werden würde (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 16, zitiert nach juris). Auch diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
2. Die Klage hat als Anfechtungsklage auch in der Sache Erfolg. Der Versagungsbescheid vom 22.1.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2015 war zu dem bei der Anfechtungsklage entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids rechtswidrig und verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten, vgl. § 54 Abs. 1 SGG. Zwar lagen die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der Bescheide vor (siehe unter a.), auf der Rechtsfolgenseite hat der Beklagte sein Ermessen aber nicht rechtmäßig ausgeübt (siehe unter b.).
a. Rechtsgrundlage für die angegriffenen Bescheide sind die §§ 60 Abs. 1 Nr. 3, 66 Abs. 1 und 3 SGB I. Im SGB I sind die Mitwirkungspflichten von Leistungsberechtigten geregelt. Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind (vgl. § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I). Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist (vgl. § 66 Abs. 3 SGB I).
Der Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 27.12.2013 unter angemessener Fristsetzung und mit einer Rechtsfolgenbelehrung aufgefordert, das Antragsformular auf Arbeitslosengeld II sowie die dazugehörenden Unterlagen einzureichen. Dies ist unter Bezugnahme auf die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte nicht geschehen. Hieran ändert auch nichts der erstmalige Vortrag des Klägers im Klageverfahren mit Schreiben vom 6.8.2015, dass er die Unterlangen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen dem Beklagten direkt zugeleitet hätte. Der Vortrag ist unsubstantiiert und nicht glaubwürdig, da der Kläger dies im Widerspruchs- und Klageverfahren bisher nicht vorgetragen hatte und auch nicht weiter ausführt, wann die Übergabe der Unterlagen erfolgt sein solle. Trotz mehrfacher Möglichkeit zur ergänzenden Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger seinen Vortrag auch nicht weiter präzisiert.
Das fehlende Einreichen der Antragsunterlagen und dazugehörenden Unterlagen stellte eine fehlende Mitwirkung dar, die zu einer Versagung der Leistungen führen kann. Die Aufforderung des Beklagten an den Kläger, den Antrag auf Arbeitslosengeld II sowie die dazugehörenden Unterlagen vorzulegen, betraf auch eine rechtmäßige Mitwirkungspflicht. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Nr.1 SGB I); Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I); Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I). Soweit für die in § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden (§ 60 Abs. 2 SGB I). Diese Mitwirkungspflichten bezieht sich nur auf die Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (vgl. Reinhardt in LPK-SGB I, § 60, Rn. 10). Die Angaben in dem Antragsformular auf Arbeitslosengeld II waren hier entscheidungserheblich für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Klägers.
Dem steht auch § 65 SGB I nicht entgegen, der die Grenzen der Mitwirkungspflicht regelt. Nach § 65 Abs. 1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Dies war hier nicht der Fall.
b. Der Beklagte hat aber sein Ermessen nicht rechtmäßig ausgeübt. Bei einer Entscheidung gem. §§ 66 Abs. 1 und 3 SGB I handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Nach § 66 Abs. 1 kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Der Leistungsträger muss also nicht entziehen oder versagen, die Entscheidung steht vielmehr in seinem Ermessen. Dementsprechend hat die Beklagte bei einer Entscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I den Anspruch des Klägers auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und den gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 39 Abs. 1 SGB I) zu beachten.
Der Beklagte hatte bei Erlass des Versagungsbescheids vom 22.1.2014 offensichtlich verkannt, dass er einen Ermessensspielraum hatte, da in seinem Bescheid Ermessen und Ermessenserwägungen mit keinem Wort erwähnt werden. Somit lag ein sogenannter Ermessensausfall vor. Die Widerspruchsstelle ist zwar befugt, bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens selbst Ermessenserwägungen anzustellen und damit Ermessensfehler ggf. zu heilen (vgl. Schütze, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2014, § 41, Rn. 11). Vorliegend hat die Widerspruchsstelle dies aber versäumt. In dem Widerspruchsbescheid vom 30.10.2014 wird ausgeführt, dass die erforderliche Ermessensentscheidung vorläge und Ermessensfehler nicht ersichtlich seien; die Interessen des Widerspruchsführers seien angemessen berücksichtigt worden. Wie oben bereits ausgeführt, war dies aber im Ausgangsbescheid gerade nicht der Fall, es lag vielmehr ein Ermessensausfall vor. Dieser wurde nicht geheilt, da die Widerspruchsstelle keine eigenen Ermessenserwägungen angestellt, sondern lediglich auf nicht vorhandene Ermessenserwägungen im Ausgangsbescheid verwiesen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II).
Der Kläger stellte am 27.12.2013 formlos einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 27.12.2013 unter Hinweis auf § 60 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) auf, im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten den Formularantrag auf Arbeitslosengeld II sowie die dazugehörenden Unterlagen bis zum 13.1.2014 vorzulegen. Weiter hieß es in dem Schreiben vom 27.12.2013: "Sollten Sie bis zum oben genannten Termin nicht antworten bzw. die angeforderten Unterlagen nicht einreichen können, bitte ich bis zum genannten Termin um eine Mitteilung Ihrer Gründe. Andernfalls werde ich die Geldleistung wegen fehlender Mitwirkung nach § 60 SGB I in Verbindung mit § 66 SGB I versagen."
Mit Bescheid vom 22.1.2014 versagte der Beklagte dem Kläger ab dem 1.12.2013 die Leistungen nach dem SGB II, weil die fehlenden Unterlagen trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt worden seien. Somit habe er die Voraussetzungen für die Leistungen nicht nachgewiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 66 SGB I. Der Kläger legte gegen den Versagungsbescheid mit Schreiben vom 24.2.2014 Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde nicht begründet. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30.10.2014, abgesandt laut Absendevermerk am 31.10.2014, zurück. Der Versagungsbescheid sei rechtmäßig. Die Einreichung des Antrags auf Arbeitslosengeld II und der dazugehörigen Nachweise sei zur Ermittlung des Sachverhalts und des Umfangs der Hilfebedürftigkeit erforderlich gewesen. Der Kläger sei der Aufforderung nicht nachgekommen und habe die Unterlagen nicht eingereicht. Die erforderliche Ermessensentscheidung liege vor. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Interessen des Klägers seien angemessen berücksichtigt worden. Die Vorlage der angeforderten Unterlagen sei zwingend notwendig, um überhaupt einen Leistungsanspruch dem Grunde nach prüfen zu können.
Der Kläger hat am 3.12.2014 Klage erhoben. Die Klage wurde nicht begründet.
Der Kläger beantragt wörtlich, den Bescheid aufzuheben und die beantragten Leistungen zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren.
Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 12.12.2014, 23.1.2015, 24.2.2015, 11.3.2015, 14.4.2015 an die Einreichung einer Klagebegründung erinnert. Mit Schreiben vom 30.4.2015 hat das Gericht für das Betreiben des Verfahrens eine Frist von drei Monaten gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gesetzt. Der Kläger hat daraufhin mit Schreiben vom 6.8.2015 mitgeteilt, dass er die Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen dem Beklagten direkt zugeleitet habe. Weitere Ausführungen hat der Kläger nicht gemacht. Am 20.11.2015 hat das Gericht einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Der Kläger ist trotz ordnungsgemäßer Ladung vom 31.10.2015 nicht erschienen und hat auch keine Gründe zur Entschuldigung genannt. Mit Schreiben vom 25.11.2015 hat das Gericht mitgeteilt, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt ist und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, hierzu und zur Sache vorzutragen. Der Kläger hat sich nicht weiter geäußert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit hatten, hierzu und zur Sache Stellung zu nehmen.
Die Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid vom 22.1.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2014 ist zulässig und begründet. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig, soweit der Kläger sich mit der insoweit allein statthaften Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG gegen die Versagung der begehrten Leistungen richtet. Soweit der Kläger darüber hinaus mit seinem Leistungsantrag die Verurteilung des Beklagten zur Leistungsgewährung begehrt, ist die Klage indessen unzulässig.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist gegen einen Versagungsbescheid grundsätzlich nur die Anfechtungsklage eröffnet (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 12, zitiert nach juris). Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG, mit der neben der Aufhebung des belastenden Bescheids auch die Verpflichtung zur Leistungsgewährung begehrt werden kann, ist bei einem Versagungsbescheid nur in Ausnahmefällen zulässig. Grund hierfür ist, dass der Beklagte mit der Versagung von Arbeitslosengeld II mangels Mitwirkung eine Entscheidung getroffen hat, die sich ihrem Wesen nach von der Ablehnung des Leistungsanspruchs wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung unterscheidet. Anders als die Ablehnung einer Leistung wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung ist die Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nämlich ausdrücklich bis zur Nachholung der Mitwirkung begrenzt und, weil der Leistungsträger versagte Leistungen nach Mitwirkung nachträglich erbringen kann (vgl. § 67 SGB I), auch für die Zeit bis zur Nachholung vorläufiger Natur. Dies hat zur Folge, dass die Anfechtung einer Versagung grundsätzlich nicht mit einer Leistungsklage verbunden werden kann. Die Versagung ist vielmehr allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegen hier nicht vor.
Eine kombinierte zusätzliche Klage auf Leistungsgewährung ist zum einen zulässig, wenn die anderweitige Klärung der Leistungsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig ist oder vom Kläger behauptet wird (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 14, zitiert nach juris). Diese Situation liegt hier nicht vor. Es ist zwischen den Beteiligten nicht unstreitig gewesen, dass die Leistungsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vorliegen. Ebenso wenig hat der Kläger behauptet, die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit sei anderweitig geklärt. In einer derartigen Situation, in der bereits Vorfragen zwischen den Beteiligten streitig und die Anspruchsvoraussetzungen insgesamt nicht geklärt sind, kann nicht aus Gründen der Prozessökonomie auf die Durchführung eines vorgehenden Verwaltungsverfahrens zur Klärung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen verzichtet werden (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 14, zitiert nach juris).
Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage kann auch zulässig sein, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versagung wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I das bisherige Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde und im Ergebnis die Leistung in der Sache voraussichtlich mit der gleichen Begründung abgelehnt werden würde (vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 16, zitiert nach juris). Auch diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
2. Die Klage hat als Anfechtungsklage auch in der Sache Erfolg. Der Versagungsbescheid vom 22.1.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2015 war zu dem bei der Anfechtungsklage entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids rechtswidrig und verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten, vgl. § 54 Abs. 1 SGG. Zwar lagen die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der Bescheide vor (siehe unter a.), auf der Rechtsfolgenseite hat der Beklagte sein Ermessen aber nicht rechtmäßig ausgeübt (siehe unter b.).
a. Rechtsgrundlage für die angegriffenen Bescheide sind die §§ 60 Abs. 1 Nr. 3, 66 Abs. 1 und 3 SGB I. Im SGB I sind die Mitwirkungspflichten von Leistungsberechtigten geregelt. Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind (vgl. § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I). Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist (vgl. § 66 Abs. 3 SGB I).
Der Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 27.12.2013 unter angemessener Fristsetzung und mit einer Rechtsfolgenbelehrung aufgefordert, das Antragsformular auf Arbeitslosengeld II sowie die dazugehörenden Unterlagen einzureichen. Dies ist unter Bezugnahme auf die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte nicht geschehen. Hieran ändert auch nichts der erstmalige Vortrag des Klägers im Klageverfahren mit Schreiben vom 6.8.2015, dass er die Unterlangen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen dem Beklagten direkt zugeleitet hätte. Der Vortrag ist unsubstantiiert und nicht glaubwürdig, da der Kläger dies im Widerspruchs- und Klageverfahren bisher nicht vorgetragen hatte und auch nicht weiter ausführt, wann die Übergabe der Unterlagen erfolgt sein solle. Trotz mehrfacher Möglichkeit zur ergänzenden Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger seinen Vortrag auch nicht weiter präzisiert.
Das fehlende Einreichen der Antragsunterlagen und dazugehörenden Unterlagen stellte eine fehlende Mitwirkung dar, die zu einer Versagung der Leistungen führen kann. Die Aufforderung des Beklagten an den Kläger, den Antrag auf Arbeitslosengeld II sowie die dazugehörenden Unterlagen vorzulegen, betraf auch eine rechtmäßige Mitwirkungspflicht. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Nr.1 SGB I); Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I); Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I). Soweit für die in § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden (§ 60 Abs. 2 SGB I). Diese Mitwirkungspflichten bezieht sich nur auf die Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (vgl. Reinhardt in LPK-SGB I, § 60, Rn. 10). Die Angaben in dem Antragsformular auf Arbeitslosengeld II waren hier entscheidungserheblich für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Klägers.
Dem steht auch § 65 SGB I nicht entgegen, der die Grenzen der Mitwirkungspflicht regelt. Nach § 65 Abs. 1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Dies war hier nicht der Fall.
b. Der Beklagte hat aber sein Ermessen nicht rechtmäßig ausgeübt. Bei einer Entscheidung gem. §§ 66 Abs. 1 und 3 SGB I handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Nach § 66 Abs. 1 kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Der Leistungsträger muss also nicht entziehen oder versagen, die Entscheidung steht vielmehr in seinem Ermessen. Dementsprechend hat die Beklagte bei einer Entscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I den Anspruch des Klägers auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und den gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 39 Abs. 1 SGB I) zu beachten.
Der Beklagte hatte bei Erlass des Versagungsbescheids vom 22.1.2014 offensichtlich verkannt, dass er einen Ermessensspielraum hatte, da in seinem Bescheid Ermessen und Ermessenserwägungen mit keinem Wort erwähnt werden. Somit lag ein sogenannter Ermessensausfall vor. Die Widerspruchsstelle ist zwar befugt, bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens selbst Ermessenserwägungen anzustellen und damit Ermessensfehler ggf. zu heilen (vgl. Schütze, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2014, § 41, Rn. 11). Vorliegend hat die Widerspruchsstelle dies aber versäumt. In dem Widerspruchsbescheid vom 30.10.2014 wird ausgeführt, dass die erforderliche Ermessensentscheidung vorläge und Ermessensfehler nicht ersichtlich seien; die Interessen des Widerspruchsführers seien angemessen berücksichtigt worden. Wie oben bereits ausgeführt, war dies aber im Ausgangsbescheid gerade nicht der Fall, es lag vielmehr ein Ermessensausfall vor. Dieser wurde nicht geheilt, da die Widerspruchsstelle keine eigenen Ermessenserwägungen angestellt, sondern lediglich auf nicht vorhandene Ermessenserwägungen im Ausgangsbescheid verwiesen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
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