L 15 VJ 6/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 VJ 1/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VJ 6/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Es kann vorliegend offen bleiben, ob es unschädlich ist, wenn die Primärschädigung - also das 2. Glied der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG - nicht deutlich zu Tage tritt, sondern im Verborgenen erfolgt, weil der Zusammenhang zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen "Etappe" beurteilt werden muss (vgl. Senatsurteil vom 31.07.2012 – L 15 VJ 9/09).
2. Zu den Voraussetzungen der Verwertung von Verwaltungsgutachten im Gerichtsverfahren.
3. Es ist nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Die Klägerin wurde am 19.11.2001 mit einem Gestationsalter von 30 Wochen und einem Tag (durch Kaiserschnitt) geboren. Mit Bescheid vom 24.03.2003 wurde für sie ein GdB von 100 festgesetzt unter Berücksichtigung einer Hirnschädigung mit Anfallsleiden, Tetraspastik und Blindheit. Die Klägerin befand sich ab 19.11.2001 im Klinikum A-Stadt, Kinderklinik. Im Entlassungsbericht vom 19.03.2002 wurde u.a. über ein Schädelsonogramm vom 09.01.2001 berichtet. Darin heißt es: "Beidseits im frontoparietalen paraventrikulären Marklager jetzt Nachweis mehrerer kleiner maximal 8 x 5 mm großer porenzephaler Zysten. Beide SV nicht vergrößert. Basalganglien und Balken unauffällig." Es folgt die Beurteilung, dass sich die Zysten bds. im Sinne einer sich organisierenden periventrikulären Leukomalazie (PVL) nachweisen hätten lassen. Am 24.01.2002 habe sich, so der Bericht, ein im Wesentlichen unveränderter Befund einer PVL in zystischer Umwandlung, vor allem periventrikulär bds. ergeben. Die äußeren Liquorräume seien geringgradig erweitert gewesen. In dem Bericht werden auch evozierte Potentiale vom 24.01.2002 beschrieben - bei den visuell evozierten Potentialen seien keine Reizantworten erhaltbar gewesen. Im Entlassungsbefund wird neben weiteren unauffälligen Befunden u.a. ausdrücklich festgestellt: "Neurologisch unauffällig".

Die Klägerin erhielt am 27.03.2002 durch die Kinderärztin Dr. S. die streitgegenständliche Sechsfachimpfung gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Hepatitis, Poliomyelitis und Haemophilus influenzae Typ b; zum Einsatz kam der Impfstoff Hexavac.

Am 25.05.2009 stellte die Klägerin über ihre Vertreter beim Beklagten Antrag auf Versorgung unter Berufung auf bestehende Epilepsie, Blindheit, massive Spastik der Arme und Beine sowie massive körperliche Beeinträchtigungen. Der Beklagte zog die zahlreichen medizinischen Befundunterlagen bei und wertete diese aus. Vom 14.04.2002 bis 03.05.2002 befand sich die Klägerin (erneut) in der Kinderklinik des Klinikums A-Stadt; im Entlassungsbericht vom 21.05.2002 wird der Bericht der Mutter der Klägerin geschildert, dass Letztere bereits während des postpartalen stationären Aufenthalts nur zögerlich an der Brust getrunken habe, weswegen kurz nach der Entlassung die Umstellung auf Muttermilchersatz erfolgt sei. Auch danach hätten sich die Ernährungsprobleme fortgesetzt. Eine Steigerung der Trinkmenge sei, so der Bericht über den Aufenthalt im April/Mai 2002, nicht möglich gewesen; des Weiteren zeige die Klägerin außerhalb der Fütterungszeiten eine vermehrte Unruhe und unstillbares Schreien. In einem weiteren Bericht des Klinikums A-Stadt vom 17.06.2002 wurde angegeben, dass bei der Klägerin objektiv bisher nie Anfälle gesehen worden seien. Im Arztbrief der F-Klinik vom 06.12.2002 wurde geschildert, dass die Klägerin im Mai 2002 wegen Nahrungsverweigerung im Zentralklinikum A-Stadt stationär vorgestellt worden sei; es seien bis dahin keine epileptischen Anfälle aufgetreten. Weiter wird u.a. ein aktuelles Anfallsgeschehen geschildert. Vom 17.06 bis 17.07.2003 wurde die Klägerin im Behandlungszentrum V. therapiert; der Bericht vom 12.08.2003 schildert die Angaben der Mutter der Klägerin, dass sich diese 14 Tage nach der Impfung erstmals für die Eltern auffällig gezeigt habe, initial habe sich lediglich eine Blickdeviation nach rechts gezeigt, schließlich mehrfach BNS-artige Anfälle. Die Anfallsanamnese werde, so der Bericht, sodann beginnend mit Juli 2002 geschildert und auf ein erstes Anfallsereignis im Juli 2002 Bezug genommen. Im Bericht des Facharztes für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Prof. Dr. Dr. V., Kinderzentrum M-Stadt, vom 31.05.2007 sprach sich dieser gegen einen Zusammenhang der Mehrfachimpfung mit der Tetraspastik und der Epilepsie aus. Prof. Dr. Dr. V. ging davon aus, dass eine Blutung doch über längere Zeit stattgefunden habe und damit intrauterin eine Hypoxie ausgelöst habe.

Nach zwei versorgungsärztlichen Stellungnahmen (25.08.2009 und 23.09.2009) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28.10.2009 den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab. Weder die Tetraspastik noch die Epilepsie, so die Begründung, seien durch die Mehrfachimpfung hervorgerufen worden; mit der nötigen Wahrscheinlichkeit seien auch weder die Blindheit noch die massiven körperlichen Beeinträchtigungen auf die Impfung zurückzuführen. Es spreche alles dafür, dass die Klägerin schon vor der Geburt gefährdet gewesen sei und dass es dann perinatal erneut zu einer Schädigung gekommen sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10.11.2009 Widerspruch unter Vorlage einer medizinischen Stellungnahme des Allgemeinarztes (Naturheilverfahren) Dr. R. vom 20.01.2010 samt zahlreichen Anlagen. Im Wesentlichen verwies der Arzt darin auf eine 18 Tage nach der Impfung erstmals diagnostizierte Befundveränderung bei der Klägerin im Sinne einer dramatischen Verschlechterung. Es seien von der Mutter Trinkschwierigkeiten und Schreiphasen beschrieben worden. Weiter verwies Dr. R. auf eine am 02.02.2002 unter Vollnarkose stattgehabte Operation einer Leistenhernie und eines Hämangioms. Die Impfung am 27.03.2002 sei zu kurz nach dieser Vollnarkose erfolgt, zudem sei die Klägerin als Frühgeborene zu früh geimpft worden. Vorher habe ein normaler Frühgeborenenstatus bestanden. Die vaginale Blutung der Mutter sei keine Ursache für die gesundheitlichen Störungen der Klägerin. Eine Kausalität zwischen der Uterus- und Vaginalblutung und den schlimmen gesundheitlichen Veränderungen könne nicht bewiesen werden. Weiter wurde hervorgehoben, dass die Klägerin die Impfung mit Hexavac nicht überlebt hätte, wenn sie nicht "ursprünglich so robust gewesen wäre".

Im Widerspruchsverfahren beauftragte der Beklagte Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage. In dem Gutachten vom 22.05.2010 hob dieser insbesondere hervor, dass bereits vor der streitgegenständlichen Impfung Gesundheitsstörungen bestanden hätten, und verwies dabei auf den Nachweis von Leukomalazie. Die Behinderungen der Klägerin seien ausschließlich Folge einer schweren perinatalen zerebralen Störung; für die funktionelle Blindheit könne zusätzlich eine angeborene Fehlbildung diskutiert werden. Der Manifestationszeitpunkt des Anfallsleidens bzw. seiner EEG-Merkmale sei nicht bekannt; sollte er in den Bereich zu aktzeptierender postvakzinaler Inkubationszeit nach der Hexavac-Impfung fallen, handle es sich um einen rein gelegenheitsursächlichen Zusammenhang. Es habe durchaus Impfschäden nach Hexavac gegeben. Im hier vorliegenden Fall der Klägerin sei ein solcher jedoch zuverlässig auszuschließen. Es gebe keine Veranlassung und keinen Hinweis dafür, über den vorliegenden eindeutigen kausalen Zusammenhang hinaus über eine ruhende Anlage bzw. Disposition ohne manifeste Gesundheitsstörungen zu sprechen. In seinem Gutachten setzte sich Prof. Dr. K. u.a. auch näher mit den Darlegungen des Arztes Dr. R. auseinander.

Im Einzelnen verwies der Sachverständige in seinem Gutachten u.a. auf das epidemiologische Bulletin vom 22.06.2007 (Ziff. 8) der Ständigen Impfkimmission beim Robert-Koch-Institut in Berlin (STIKO), wo für den Impfstoff Hexavac, bei dem es "zu Verwicklungen" gekommen sei, die nach Imfpungen üblichen vorübergehenden und hinzunehmenden Lokal- und Allgemeinreaktionen, ferner im Sinne von Komplikationen einen sog. Fieberkrampfes, allergische Reaktionen und hypoton-hyporesponsive Episoden, akzeptiert worden seien. Darüber hinausgehende Komplikationen habe die STIKO "in einem auffällig wortreichen Text" abgelehnt, dessen Endergebnis aber, so der Sachverständige, aus den Perspektiven der Logik ebenso wie neuropädiatrisch akzeptiert werden müsse. Prof. Dr. K. hat jedoch darauf hingewiesen, dass für die Anerkennung eines Impfschadens nicht die Schadensträchtigkeit des Impfstoffes genüge. So müsse vor der Impfung zumindest hinsichtlich des geltend gemachten Impfschadens ein gesundes Kind vorgelegen haben. Das sei bei der Klägerin jedoch nicht der Fall gewesen - von einem prävakzinal gesunden Kind könne keine Rede sein. Innerhalb der zu akzeptierenden postvakzinalen Inkubationszeit müsse es zu einem typischen postvakzinalen Akutschaden (Impfschaden im engeren Sinne) kommen. Im vorliegenden Fall gebe es hierzu keine entsprechende anamnestische Notiz; ein Hirnödem sei mit Blick auf die Umfangmessung sowie das vorliegende Sonogramm ausgeschlossen und bei einer Erstimpfung auch sehr unwahrscheinlich. Auch gebe es keine akut enzephalopathische Symptomatik. Andere, insbesondere übergewichtige Ursachen müssten für die Anerkennung eines Impfschadens, ausgeschlossen sein. Hier sei das Gegenteil der Fall.

Im Gefolge der Notsectio am 19.11.2001 habe ein deutlich beeinträchtigter Zustand des Kindes bestanden. Dementsprechend sei dann durch die Hypoxie und Dyszirkulation eine intraventrikuläre Blutung mit erwartbarem anschließenden Nachweis von Leukomalazie gekommen. Prof. Dr. K. hat darauf hingewiesen, dass Frühgeborene mit einer derartigen Vorgeschichte und mit derartigen bildgebend dokumentierten Hirnschäden bei der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht selten äußerlich noch keine neurologischen Auffälligkeiten zeigen würden; die hierzu nötigen Fristen und anatomischen sowie funktionalen Hirnreifungsschritte müssten erst noch absolviert werden. Gleichwohl sei es nicht korrekt, wenn der Entlassungsbericht der Kinderklinik A-Stadt "quasi blauäugig" von Unauffälligkeit berichte. Die Hirnschädigung sei bildgebend ebenso wie die Beeinträchtigung der Hörbahn und die massive Schädigung der Sehbahn dokumentiert. Dass die Mutter das Kind für gesund gehalten habe, sei, so Prof. Dr. K., schon aus ihrer Rolle als Mutter nicht zu verwundern. Dass Dr. S. nichts bemerkt habe, zeige mangelnde neonatologische und neuropädiatrische Qualifikation.

U.a. hat der Gutachter auch hervorgehoben, dass der Wechsel der Verlaufskurve des Kopfumfangs von der 80. Perzentile bei der Geburt bis unter die dritte Perzentile zur Mikrozephalie aus neuropädiatrischer Perspektive "absolut unmöglich" auf die Impfung vom 27.03.2002 zurückgehen könne. Völlig Gleiches gelte auch für die Differenzen der hirnsonographischen Befunde vom April gegenüber Januar 2002.

Aus einer Schädigung der zerebralen motorischen Zentren und Bahnen resultiere bekanntlich zunächst eine motorische Schlaffheit. Erst nach mindestens sechs Wochen, so Prof. Dr. K., oft aber auch erst nach Monaten, stelle sich zunehmend die dann definitive Spastik ein. Die im April 2002 festgestellte Tetraspastik könne also nicht auf ein Schadensereignis im Anschluss an die Impfung vom 27.03.2002 bezogen werden. Die Schädigung der Hörbahn und das maximale Versagen der Sehbahn seien schon im Januar 2002 (mit den evozierten Potentialen) dokumentiert worden; auch hier sei also der Bezug auf ein Schadensereignis Ende März 2002 klar zu widerlegen. Es sei nicht bekannt, wann die Hypsarrhythmie und BNS-Anfälle (mit anschließender Ausweitung auch zu anderen Anfallsbildern) begonnen hätten. Bekannt sei jedoch, dass angesichts des massiven Schadensbildes im Gefolge perinataler Hirnschädigung mit ganz erheblicher Wahrscheinlichkeit nach Ablauf der hierbei üblichen Frist von Monaten auch mit der Manifestation eines symptomatischen Anfallsleidens zu rechnen gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2010 wies der Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. K. als unbegründet zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 16.09.2010 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Erst am 09.12.2011 hat sie nach einer Betreibensaufforderung des SG die Klage begründet. Dabei hat sie auf die Widerspruchsbegründung und auf das "Gutachten" von Dr. R. verwiesen.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht einen Befundbericht der Kinderärztin Dr. S. vom 17.01.2012 eingeholt. Darin ist über die Erstvorstellung am 22.01.2002 berichtet worden, wonach sich im Wesentlichen ein unauffälliger interner Untersuchungsbefund ergeben habe; auch neurologisch hätten sich keine Besonderheiten feststellen lassen. Bei der Vorsorgeuntersuchung 4 (U 4) am 27.03.2002 seien erstmalig ein deutlich erhöhter Muskeltonus aller vier Extremitäten und eine vermehrte Streckstellung der Beine aufgefallen. Wegen Verdachts auf eine beginnende zerebrale Bewegungsstörung sei Krankengymnastik verordnet worden. Da der Untersuchungsbefund sonst regelrecht gewesen sei, insbesondere auch das Gewicht und das Größenwachstum, habe die von der STIKO empfohlene Sechsfachimpfung durchgeführt werden können. Nach der Impfung seien keine Besonderheiten und kein Fieber aufgetreten. Von ihr, Dr. S., sei die Klägerin erst wieder zur U 5 am 09.07.2002 gesehen worden. Bei weiterhin gutem Gedeihen und unauffälligem internistischen Befund habe nur ein rezidivierender Schnupfen gestört; zerebrale Krampfanfälle seien von der Mutter nicht wahrgenommen worden. Die neurologische Untersuchung habe unverändert Auffälligkeiten im Sinne einer zerebralen Bewegungsstörung ergeben.

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. H., Arzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Neurologie, Schwerpunkt Neuropädiatrie, das dieser am 17.01.2014 erstellt hat. Hierfür ist ein neuroradiologisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. E. angefertigt worden. Die Sachverständige hat am 19.12.2013 aufgrund der am 09.12.2013 erstellten MRT das Gutachten angefertigt. Sie hat festgestellt, dass bei der Klägerin das Bild einer deutlichen Schädigung der periventrikulären weißen Substanz vorliege, wie sie nur im noch unreifen Gehirn, also vor der 37. Gestationswoche auftrete. Dieses Schädigungsmuster werde auch als PVL bezeichnet. Neben den deutlichen eckkantigen Erweiterungen lägen bei der Klägerin auch deutliche subependymale Gliosezonen vor. Gliosezonen entstünden erst ab einem Gestationsalter von ca. 26 Wochen, so dass der Schädigungszeitraum, der die morphologischen Veränderungen bei der Klägerin hervorgerufen habe, zwischen der 26. und der 36. Gestationswoche liegen müsse. Dies sei sehr gut vereinbar mit der Anamnese der Klägerin als ehemaliges Frühgeborenes aus der frühen 31. Schwangerschaftswoche. Residuen von typischen mit einer Impfung assoziierten Schädigungen sehe sie, Prof. Dr. E., hingegen nicht. Das in der MRT vorliegende Schädigungsmuster könne nicht durch die beschriebene Impfung ausgelöst worden sein, da die Schädigung vom Muster her vor der 36. Gestationswoche stattgefunden haben müsse, wo hingegen die Impfung deutlich später erfolgt sei.

In seinem Gutachten hat Prof. Dr. H. zunächst die Angaben der Mutter geschildert. In den ersten Wochen nach der Geburt habe sich im Vergleich zu den beiden älteren Geschwistern eine ähnliche und unauffällige Entwicklung, insbesondere hinsichtlich des Trink- und Schlafverhaltens, ergeben. Am nächsten Tag nach der Sechsfachimpfung habe die Klägerin nach Angaben der Mutter deutliche Unruhe gezeigt, die sich im Verlauf der folgenden Woche dramatisch gesteigert habe, so dass erneut eine stationäre Aufnahme mit "Fixation" und Sedierung im Klinikum A-Stadt erfolgt sei. Seitdem bestehe dann nach dem, was den Eltern gesagt worden sei, ein schwerer Hirnschaden; ursächlich sei die PVL, die sich nun deutlich zystisch demarkiert gehabt habe. Die Klägerin sei ein ehemaliges Frühgeborenes und leide wegen der Tatsache der Frühgeburtlichkeit an typischen und gravierenden Komplikationen. Zudem bestünden Komorbiditäten. Prof. Dr. H. hat festgestellt, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörungen aufgetreten seien, die grundsätzlich hinsichtlich der Impfung am 27.03.2002 als Impfschaden in Frage kommen könnten. Grund hierfür sei, dass alle Gesundheitsstörungen der Klägerin biologisch eindeutig und in ihrem Verlauf typisch auf die Frühgeburtlichkeit und ihre Komplikationen bezogen seien, mit nachgewiesenem Schädigungsmuster und damit eindeutig belegtem Schädigungszeitpunkt. Diese Störungen könnten biologisch nur als Komplikation der Frühgeburtlichkeit (als PVL) auftreten bis etwa zum Zeitpunkt der 36. Schwangerschaftswoche. Ein solches Schädigungsmuster könne auch grundsätzlich nicht mehr später im Gehirn - auch nicht spekulativ - auftreten. Daher gebe es auch keine Gesundheitsstörungen, die bezogen auf die genannte Impfung als gesichert angenommen werden könnten. Es gebe demzufolge auch keine Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verursachung der Gesundheitsstörungen durch die vorangegangene Impfung. Es gebe auch keine Wahrscheinlichkeit, nach der ein Impfschaden weitere Gesundheitsschäden (Dauerleiden) verursacht haben könnte.

Ein GdS könne also nicht angenommen werden. Da die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs eindeutig und medizinisch belegbar mit nein beantwortet werde, lägen auch die Voraussetzungen für diese Gesundheitsstörungen als Impfschaden im Sinne der sog. Kannversorgung nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, nicht vor.

Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hatten, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 28.10.2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass aus seiner Sicht ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheits-(Erst-)Schaden im Gefolge der Impfung vom 27.03.2002 nicht nachgewiesen sei. Damit schieden eine Impfschadensanerkennung und auch eine Kannversorgung aus. Mit der PVL und der BNS lägen Gesundheitsstörungen ohne Impfzusammenhang vor. Auch seien keine sonstigen Gesundheitsstörungen gegeben. Anhaltspunkte für eine Impfreaktion seien nicht vorhanden, u.a. auch kein Fieberkrampf. Aus Sicht des SG komme bei sehr engem zeitlichen Zusammenhang von Impfreaktionen (wie beispielsweise auch schrillem Schreien und Ausbildung erster Anfallszeichen binnen Stunden bis wenige Tage nach der Impfung) bei fehlenden anderen differentialdiagnostischen und ätiologischen Hinweisen eine Impfschadensanerkennung in Betracht. Solche Anhaltspunkte vermöge das SG jedoch im vorliegenden Fall nicht zu erkennen; dabei hat das SG insbesondere auch auf die Ausführungen von Prof. Dr. K. hingewiesen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28.11.2014 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) erhoben und diese mit dem Verweis auf die Widerspruchsbegründung sowie das "Gutachten" von Dr. R. (s.o.) begründet. Zudem ist vorgetragen worden, dass die Kläger vor der Impfung gesund gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 17.02.2015 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass es sich bei den Äußerungen von Dr. R. um eine ärztliche Stellungnahme handle, die durch das klinisch-wissenschaftliche Kausalitätsgutachten von Prof. Dr. K. und durch das Gerichtsgutachten von Prof. Dr. H. eindeutig widerlegt sei.

Die Anfrage des Senats, was an dem vom SG eingeholten Gutachten aus klägerischer Sicht unzutreffend sei, und die Aufforderung, die Berufung näher zu begründen, blieben von Klägerseite unbeantwortet. Trotz Erinnerung an eine ausführlichere Berufungsbegründung etc. ist diese nicht erfolgt; die Bevollmächtigte hat am 22.04.2016 lediglich bekannt gegeben, die Berufung nicht zurückzunehmen, und hat am 31.05.2016 schließlich erklärt, mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden zu sein. Eine entsprechende Erklärung hat der Beklagte am 21.04.2016 abgegeben.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des SG München vom 28.10.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Gesundheitsstörungen Epilepsie, massive Spastik der Arme und Beine, Blindheit sowie massive körperliche Beeinträchtigungen als Schädigungsfolgen der am 27.03.2002 erfolgten Impfung gegen Tetanus, Diphterie, Hepatitis B, Polio, Pertussis und Haemophilus influenzae Typ b anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die erstinstanzliche Akte des SG sowie die Impfschadensakte des Beklagten zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der streitgegenständlichen Berufungsakte im Übrigen zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG. Hieran war er auch nicht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention gehindert (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 153, Rdnr. 13a), weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn für die Klägerin bestand im Berufungsverfahren die Möglichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung; sie hat hierauf jedoch verzichtet.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid vom 28.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Gesundheitsstörungen Epilepsie, massive Spastik der Arme und Beine, Blindheit sowie massive körperliche Beeinträchtigungen als Schädigungsfolgen im Sinne des IfSG.

Das Begehren der Klägerin scheitert daran, dass zwischen der angeschuldigten Impfung am 27.03.2002 und den bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen kein Kausalzusammenhang im versorgungsrechtlichen Sinn wahrscheinlich ist. Ferner liegen auch die Voraussetzungen für die sog. Kannversorgung nicht vor.

1.) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG (in den seit dem 27.03.2002 bis zum Tag der Entscheidung des BayLSG geltenden Fassungen, weil nach dem Grundsatz des intertemporalen Rechts - vgl. dazu BSG, Urteil vom 04.09.2013 - B 10 EG 11/12 R, m.w.N., BayLSG, Urteil des erkennenden Senats vom 26.04.2012 - L 15 VS 2/06 - dass eine Rechtsänderung auch bereits begonnene, aber noch nicht vollendete Sachverhalte erfasst, soweit keine besondere Übergangsregelung vorhanden ist, der Fall zeitabschnittsbezogen anhand sämtlicher Gesetzesfassungen zu prüfen ist, die sich seit dem ersten Entstehen des Anspruchs auf Versorgung in Kraft befunden haben, so dass vorliegend sämtliche Gesetzesfassungen seit dem 27.03.2002 zu berücksichtigen sind) erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die 1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, 2. auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, 3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 4. auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

Nach § 61 Satz 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden, wobei die Zustimmung allgemein erteilt werden kann (vgl. § 61 Sätze 2 und 3 IfSG).

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Neben einer "Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe", die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen müssen (1. Glied), muss damit auch eine "gesundheitliche Schädigung" (2. Glied) als Primärschädigung (d.h. Impfkomplikation) ebenso wie der "Impfschaden" (3. Glied, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also der Folgeschaden) im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R). Ob es unschädlich ist, wenn die Primärschädigung, also das 2. Glied, nicht deutlich zu Tage tritt, sondern im Verborgenen erfolgt, weil der Zusammenhang zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen "Etappe" beurteilt werden muss, wie der erkennende 15. Senat früher bereits entscheiden hat (Urteil vom 31.07.2012 - L 15 VJ 9/09, vgl. auch Urteil vom 15.12.2015 - L 15 VJ 4/12), kann vorliegend offen bleiben (s.u.).

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R; BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b, m.w.N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Eine Tatsache ist damit bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R; vgl. Keller, a.a.O.).

Die Beurteilung des Zusammenhangs (Kausalität) folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 23.11.1977, Az.: 9 RV 12/77, vom 08.05.1981, Az.: 9 RV 24/80, vom 20.07.2005, Az.: B 9a V 1/05 R, und vom 18.05.2006, Az.: B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort "hinreichend" nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, a.a.O., § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. BSG, a.a.O.).

2.) Vorliegend kann nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Rede davon sein, dass nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände der Möglichkeit, dass die streitgegenständliche Sechsfachimpfung die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen verursacht hat, gegenüber jeder anderen Möglichkeit von Schädigungsursachen ein deutliches Übergewicht zukommen würde bzw. dass der Impfung für den Eintritt der Schäden allein mindestens so viel Gewicht beizubemessen wäre wie den übrigen Umständen zusammen. Vielmehr hat keiner der vom SG und vom Beklagten beauftragten Sachverständigen die Kausalität bestätigt, sondern sogar "ohne Wenn und Aber" abgelehnt. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen, die auch in Übereinstimmung mit der gesamten Befundlage stehen, zu eigen.

Dabei ist er im Übrigen nicht daran gehindert, auch das vom Beklagten bei Prof. Dr. K. in Auftrag gegebene Gutachten zu verwerten. Wie der Senat bereits früher hervorgehoben hat (Beschluss vom 29.05.2015 - L 15 VG 19/15 B PKH) weist das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 26.05.2000 - B 2 U 90/00 B) darauf hin, dass nicht als gerichtliche Sachverständigengutachten erstellte ärztliche Gutachten zwar grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft und somit eine andere Aussagekraft besitzen als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar, ein Verwaltungsgutachten im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 118 SGG i.V.m. §§ 415 ff. ZPO zu verwerten und ihm im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 SGG zu folgen. Dabei hat das BSG klargestellt, dass es sich bei einem von einem Sozialleistungsträger gemäß §§ 20, 21 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch eingeholten Gutachten nicht um ein bloßes "Privatgutachten" handelt, sondern um ein im Rahmen der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben erstelltes Sachverständigengutachten, das auch die Entscheidungsgrundlage für das Gericht sein kann (vgl. BSG, Beschluss vom 12.10.1993 - 13 RJ 71/92). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der vom Sozialleistungsträger beauftragte Sachverständige weder dem ärztlichen Dienst des Sozial-leistungsträgers angehört noch die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt (vgl. BSG, Beschluss vom 10.08.1993 - 9/9a BV 185/92). Weitere Ermittlungen von Amts wegen können allenfalls dann angezeigt sein, wenn der andere Verfahrensbeteiligte gegen das durch den Sozialleistungsträger eingeholte Gutachten nicht unerhebliche Einwendungen vorbringt (vgl. BSG, Urteil vom 15.10.1986 - 5b RJ 80/85). Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben steht einer Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. K. nichts entgegen. Prof. Dr. K. gehört nicht dem versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten an. Vielmehr ist er oftmals auch als - beim BayLSG anerkannter - Gerichtsgutachter tätig. Auch überzeugt das Gutachten durch seine wissenschaftliche Methodik. Allgemein vermittelt es den Eindruck großer Sachkunde, Sorgfalt, Umsicht, Ergebnisoffenheit, abwägender Beurteilung und Objektivität.

Wie die Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. K. detailliert und anschaulich herausgearbeitet haben, fehlt es eindeutig an der Kausalität zwischen der Impfung am 27.03.2006 mit dem Impfstoff Hexavac und den zahlreichen schweren Gesundheitsstörungen der Klägerin.

Diese leidet als ehemaliges Frühgeborenes der 30 + 1 Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 1500 g entsprechend den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. im Einzelnen an aus der Tatsache der Frühgeburtlichkeit folgenden typischen und gravierenden Komplikationen: an einer bilateralen spastisch-dystonen Zerebralparese (Bewegungsstörung; Schwere der Mobilitätsstörung GMFCS Level IV; Schwere der Hand/Funktionsmotorikstörung: MACS Level IV; Schwere der Kommunikationsstörung zur Umwelt: CFCS Level V; Gelenkkontrakturen im Bereich der Hüftbeugermuskulatur, der Kniebeugermuskulatur, der Wadenmuskulatur und der Aduktorenmuskulatur mit Windschlagedeformität nach links, Hüftluxation rechts, Hüftsubluxation links, Schluckstörung/Dysphagie mit Beaufsichtigungspflicht während der Nahrungsaufnahme) sowie an Komorbiditäten (im Sinne typischer zusätzlicher anderer Störungen bzw. Störungen anderer Organsysteme, die auch auf die Frühgeburtlichkeit zu beziehen sind), nämlich an einer symptomatischen aktiven Epilepsie (typischerweise beginnend als EEG-Veränderung während der ersten Lebensmonate, dann sog. symptomatisches West-Syndrom als besonders schwere Form der Epilepsie), an einer schwersten globalen Entwicklungsstörung (aller funktionalen biologischen Systeme wie Sehen, Hören, Schlucken, Körpermotorik, Feinmotorik, Sprache, Kognition, Verstehen, Verhalten, Reagieren und Befinden) und an einer Mikrozephalie als Ausdruck der schweren gesamten Hirnentwicklungsstörung, die dann auftritt, wenn das Gehirn selbst in seiner Größe zurückbleibt und keine Wachstumsimpulse gibt.

Wie der Sachverständige Prof. Dr. H. zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit der ebenfalls in jeder Hinsicht plausiblen und anschaulichen gutachterlichen Feststellung von Prof. Dr. E. dargelegt hat, sind alle diese Schäden auf die mit der MRT bestätigten morphologischen Veränderungen zurückführen. Diese Störungen können jedoch nur - biologisch eindeutig und in ihrem Verlauf typisch als Komplikation der Frühgeburtlichkeit der Klägerin - bis etwa zum Zeitpunkt der 36. Schwangerschaftswoche aufgetreten sein; das nachgewiesene Schädigungsmuster kann sich nicht mehr später, d.h. erst zur Zeit der Impfung im Gehirn manifestiert haben.

Dieses - auch neuroradiologisch abgesicherte - Ergebnis des Sachverständigen Prof. Dr. H. wird durch die Darlegungen von Prof. Dr. K. gestützt - im Übrigen auch soweit, als der vom Beklagten beauftragte Sachverständige andere Diagnosen gestellt hat. Denn maßgeblich ist, dass auch Prof. Dr. K. eine kausale Schädigung, die erst Ende März 2002 eingetreten wäre, eindeutig ausschließt. Dabei argumentiert auch dieser Sachverständige u.a. mit morphologischen Befunden. Wie er plausibel darauf hingewiesen hat, fehlt für April 2002 sonographisch jeglicher Anhalt für eine frische, maximal erst 18 Tage alte zusätzliche Schädigung. U.a. hat Prof. Dr. K. auch nachvollziehbar hervorgehoben, dass es neuropädiatrisch völlig ausgeschlossen ist, die im April 2002 in der Kinderklinik A-Stadt feststellte Tetraspastik auf ein Schadensereignis im Anschluss an die Impfung vom 27.03.2002 zu beziehen; die Tetraspastik muss angesichts der im April 2002 bereits erheblichen Ausprägung auch schon vorher eingesetzt haben.

Eine exakte Bestimmung des Schädigungszeitpunkts ist vorliegend nicht möglich, jedoch auch nicht erforderlich. Es kann also offen bleiben, ob es sich tatsächlich in vollem Umfang um eine perinatale Schädigung handelt, oder ob (daneben auch) pränatale Anteile maßgeblich waren bzw. ob die Schäden (auch bzw. gerade) während der Notsectio entstanden sind (vgl. die Darlegungen von Prof. Dr. Dr. V., der davon gesprochen hat, "dass die Klägerin schon vor der Geburt gefährdet gewesen" ist "und dann um die Geburt herum auch"). Denn relevant ist vorliegend einzig, dass die Schäden nicht erst im März 2002 entstanden sein können, was - wie erläutert - durch die beiden Gutachten feststeht. Zu weiteren Ermittlungen bestand daher kein Anlass. Insbesondere ist es nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95). Im Übrigen hat denn auch die Klägerseite keinerlei begründete Einwendungen gegen die Feststellungen im Gutachten von Prof. Dr. H. vorgebracht.

Ein anderes Ergebnis des Rechtsstreits ergäbe sich im Übrigen auch nicht, falls man von einer Manifestation des BNS-Anfallsleidens der Klägerin im zeitlichen Zusammenhang zur Hexavac-Impfung (postvakzinaler Inkubationszeit) ausgehen würde, wofür der Senat jedoch nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, u.a. mit Blick auf die vorliegenden Befundunterlagen, ebenso wie das SG keine Veranlassung sieht. Denn, wie Prof. Dr. K. plausibel darauf hingewiesen hat, ein solcher Zusammenhang zwischen der Impfung mit der - nicht belegten - Manifestation könnte lediglich als gelegenheitsursächlich eingeordnet werden. So ist zwar ein "Fieberkrampf" als im Gefolge der Impfung ausnahmsweise auftretender möglicher Auslöser eines prädeterminierten Anfallsleidens denkbar. Unter Heranziehung gültiger wissenschaftlicher Erkenntnisse hat Prof. Dr. K. jedoch klargestellt, das innerhalb der gesamten vier postvakzinalen Wochen die Manifestationshäufigkeit nicht von der Normalerwartung abweicht, was bedeutet, dass die vorliegende Impfung nicht fähig gewesen ist, Anfallsleiden zu verursachen. Sie könnte lediglich fähig gewesen sein, den Beginn des zur Manifestation anstehenden Anfallsleidens um wenige Tage vorzuverlegen. Eine Schädigung kann zwar unter Umständen wesentliche Bedingung für eine Gesundheitsstörung sein, auch wenn diese allein aufgrund einer Schadensdisposition mit Wahrscheinlichkeit ohnehin irgendwann aufgetreten wäre. Die Störung muss sich aber wegen der Schädigung signifikant früher gezeigt haben (vgl. z.B. Vießmann, SGb 2013, 68, 69).

Somit sieht der Senat entsprechend den anschaulichen Darlegungen von Prof. Dr. H. und von Prof. Dr. K. die grundsätzliche Möglichkeit der Verursachung von Impfschäden durch den Impfstoff Hexavac als nicht ausgeschlossen an; im vorliegenden Fall der Klägerin bestehen jedoch keine Hinweise hierauf.

Ein anderes Ergebnis folgt im Übrigen auch nicht aus den Darlegungen des Allgemeinarztes und Arztes für Naturheilverfahren Dr. R ... Dies ergibt sich im Einzelnen aus den anschaulichen und in jeder Hinsicht überzeugenden Darlegungen von Prof. Dr. K ... Aus Sicht des Senats sind die Ausführungen von Dr. R. fachlich nicht verwertbar, sie sind offensichtlich von Fehlannahmen bestimmt. Dies zeigt sich bereits bei dessen Definition des Impfschadens ("wenn deutliche Unterschiede in medizinischen Untersuchungen und Befunden vor und nach der Impfung dokumentiert sind"), die, da offenbar schon das Kausalitätskriterium fehlt, von einem laienhaften Verständnis geprägt ist. Bei der Untersuchung von Impfschäden bedarf es, was Prof. Dr. K. zutreffend hervorgehoben hat, zahlreicher (sehr differenzierter) Merkmale und Kriterien, was aus den Darlegungen der beiden im Verfahren tätigen Sachverständigen ersichtlich wurde. Auch ist entsprechend den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. K. darauf hinzuweisen, dass vorliegend zwar die potentiell schädigende Impfung gesichert ist, die hierfür typische postvakzinale pathologische Komplikation aber nicht (s.o.). Selbst wenn sie belegt wäre, würde kein Zusammenhang mit dem vorhandenen Dauerleiden bestehen, das sich ohne jeden vernünftigen Zweifel und in vollem Umfang auf die o.g. Schädigung deutlich vor der Impfung zurückführen lässt (s.o.). Auch das Argument von Dr. R., die Klägerin als Frühgeborenes sei zu früh geimpft worden und deshalb sei es zu einem Impfschaden gekommen, überzeugt nicht. Denn sehr junge Neugeborene sind ebenso wie unreife Frühgeborene aufgrund einer noch unzureichenden immunologischen Leistung seltener in der Lage, auf Impfungen mit anaphylaktischer Reaktion oder immunologischer Fehlleistung zu reagieren. Für den vorliegenden Fall ist jedoch die Frage des Impftermins völlig irrelevant, da kein Impfschaden vorliegt. Der Behauptung von Dr. R., das Kind sei vor der Impfung gesund gewesen, nach der Impfung sei es zu Trinkschwierigkeiten und Schreiphasen gekommen und Letztere seien Folge eines postvakzinalen Gehirnödems und überdies sei ein pathologisches EEG gefunden worden, so dass auf die erforderliche Kausalität zu schließen sei, muss mit Prof. Dr. K. entgegengehalten werden, dass die Klägerin - wie oben ausführlich dargestellt - auf gar keinen Fall gesund gewesen ist. Dem Senat drängt sich hier wie dem genannten Sachverständigen der Eindruck auf, dass es dem für die Klägerseite Stellung nehmenden Arzt insoweit an neonatologischer und neuropädiatrischer Qualifikation fehlt. Weiter ist es reine Spekulation, aus postvakzinalem Schreien auf ein postvakzinales Hirnödem zu schließen. Dies gilt, wie Prof. Dr. K. nachvollziehbar dargestellt hat, insbesondere nach der ersten Impfung und jenseits der ersten Tage und vor allem im Falle des Fehlens eines Hirnödems, was vorliegend durch den Sonographiebefund belegt ist. Zur Behauptung von Dr. R., die kausale Verbindung zwischen mütterlicher Blutung und dem Leiden des Kindes könne nicht bewiesen werden und die Leiden seien erst nach der Impfung dokumentiert, schließt sich der Senat der Wertung des Sachverständigen an, dass der Leser "massiv fehlinformiert" wird, da ihm Dr. R. den Zustand des Kindes nach der Geburt vorenthält.

3.) Auch auf der Basis von § 61 Satz 2 IfSG (Kannversorgung) vermag die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchzudringen. Eine Versorgung kann danach auch gewährt werden, wenn die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung nur deswegen scheitert, weil in der medizinischen Wissenschaft über die Leidensursache allgemein Unkenntnis herrscht. Dabei ist eine abstrakte theoretische Unsicherheit Voraussetzung, nicht eine bloße konkrete im Einzelfall (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 31.07.2012 - L 5 VJ 9/09, m.w.N.). § 61 Satz 2 IfSG ist dahin zu interpretieren, dass mit Ausnahme des Wahrscheinlichkeitsnachweises alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und zugleich keine Aspekte erkennbar sein dürfen, welche die Wahrscheinlichkeit der Verursachung unabhängig von der Ätiologie und der Pathogenese der betreffenden Krankheit ausschließen. Damit sind die Voraussetzungen für die Kannversorgung im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem plausiblen und anschaulichen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. H ... Im vorliegenden Fall hat man es, wie überzeugend ausgeführt worden ist, gerade nicht mit einer Unsicherheit auf der abstrakten, theoretischen Ebene zu tun. Von Prof. Dr. H. und auch von dem vom Beklagten beauftragten Sachverständigen sind die Ursachen für die schweren Behinderungen der Klägerin plausibel dargestellt worden. Unklarheit in diesem Sinne besteht ferner auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, dass infolge der Impfung ein Fieberkrampf als möglicher Auslöser eines prädeterminierten Anfallsleidens in der Folge der Impfung abgelaufen sein könnte, was sich ebenfalls aus den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. K. ergibt (vgl. bereits oben).

4.) Auch hat die Klägerseite im Übrigen keinerlei begründete Einwendungen gegen die gutachterlichen Feststellungen vorgebracht. Das Verfahren, insbesondere das Berufungsverfahren, ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass außer der pauschalen Behauptung, die Klägerin sei vor der Impfung gesund gewesen, und dem Verweis auf das in keiner Weise überzeugende "Gutachten" des Arztes für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde Dr. R. eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den zahlreichen Problemkreisen der medizinischen Beurteilungen so gut wie nicht stattgefunden hat und insbesondere keinerlei Einwendungen gegen die Feststellungen des Gutachtens von Prof. Dr. H. vorgetragen worden sind. Der Senat hat im Übrigen auch unter diesem Aspekt keine Veranlassung gesehen, zu einzelnen Fragen ergänzende Ermittlungen durchzuführen; Abklärungsbedarf kann der Senat denn auch nicht erkennen (s.o.).

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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