L 18 AL 138/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 54 AL 767/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 138/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juli 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des der Klägerin für die Zeit vom 14. Dezember 2013 bis 10. März 2014 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg).

Die 1970 geborene Klägerin absolvierte ein Studium der Landschaftsplanung, das sie am 16. Mai 2000 erfolgreich abschloss (Dipl-Ingenieurin). Sie war als Landschaftsarchitektin von Juni 2000 bis Februar 2002 und vom 1. Mai 2002 bis 31. März 2006 – unterbrochen durch eine Elternzeit von Dezember 2002 bis Februar 2006 – beschäftigt. Ab August 2006 war sie selbständig tätig und betrieb einen Kinder-SecondHand-Laden, bis sie aufgrund eines Brandes diese Tätigkeit im Dezember 2013 aufgeben musste. Seit dem 26. Mai 2014 betreibt die Klägerin wieder ein Einzelhandelsgeschäft.

Die Klägerin hatte sich mWz 14. Dezember 2013 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt, das ihr die Beklagte mit Bescheiden vom 21. Januar 2014 für die Zeit ab 14. Dezember 2013 für 360 Tage iH eines täglichen Leistungsbetrages von 25,55 EUR bzw – ab 1. Januar 2014 infolge Lohnsteuerklassenwechsels von I in II – iHv 26,22 EUR bewilligte. Die Beklagte hob die Bewilligung mWv 11. März 2014 wegen "Ende der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall" auf (Bescheid vom 13. März 2014). Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 1 begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2014). Die Klägerin sei aufgrund ihrer seit 2006 ausgeübten Tätigkeit der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen, da die Vermittlungsbemühungen sich auf den Bereich einer angelernten Verkäuferin zu erstrecken hätten.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat auf die auf Gewährung von höherem Alg für die Zeit vom 14. Dezember 2013 bis 10. März 2014 gerichtete Klage mit Urteil vom 5. Juli 2016 die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den Streitzeitraum Alg nach einem Bemessungsentgelt der Qualifikationsgruppe 3 zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin habe einen Anspruch auf höheres Alg für die Zeit vom 14. Dezember 2013 bis 10. März 2014. Da die Klägerin im erweiterten Bemessungsrahmen vom 14. Dezember 2011 bis 13. Dezember 2013 keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt im Umfang von 150 Tagen gehabt habe, sei nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Gemäß § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III sei der Arbeitslose für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspreche, die für die Beschäftigung erforderlich sei, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken habe. § 152 Abs. 2 Satz 2 SGB III lege zu diesem Zweck vier näher bezeichnete Qualifikationsgruppen fest, denen jeweils in Abhängigkeit von der für eine Beschäftigung erforderlichen Ausbildung ein Arbeitsentgelt in Höhe eines bestimmten Bruchteils der Bezugsgröße zugeordnet sei. Die Klägerin sei hiernach der Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen, die nach § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III für Beschäftigungen gelte, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erforderten. Bei der Frage, auf welche Beschäftigung die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken habe, handele es sich um eine Prognoseentscheidung. Angesichts des beruflichen Werdeganges der Klägerin und der schwierigen Integrationsmöglichkeiten im Bereich Landschaftsarchitektur hätten sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten in erster Linie auf eine Beschäftigung als Verkäuferin zu erstrecken, angesichts der Berufserfahrung der Klägerin allerdings auf eine solche als gelernte Verkäuferin.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Sie sei entsprechend ihres Hochschulabschlusses in die Qualifikationsgruppe 1 einzustufen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juli 2016 zu ändern und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 21. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2014 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 14. Dezember 2013 bis 10. März 2014 höheres Arbeitslosengeld unter Bemessung nach der Qualifikationsgruppe 1 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige (vgl auch die zutreffende Berechnung der Beklagten im Schriftsatz vom 22. November 2016) Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Klägerin hat – über den vom SG rechtskräftig verlautbarten Umfang hinaus – gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von höherem Alg für die Zeit vom 14. Dezember 2013 bis 10. März 2014. Eine Bemessung nach einer höheren Qualifikationsgruppe als der Qualifikationsgruppe 3 kommt nicht in Betracht.

Der Klägerin stand für den Streitzeitraum dem Grunde nach – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – ein Anspruch auf Alg zu. Die Klägerin hat sich mWv 14. Dezember 2013 arbeitslos gemeldet, so dass insoweit die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren (§§ 137 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 141 Abs. 1 SGB III). Die Klägerin war ab 14. Dezember 2013 auch arbeitslos im Sinne der §§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 bis 140 SGB III. Sie hatte zudem die Anwartschaftszeit im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB III iVm den §§ 142, 143 SGB III erfüllt. Denn sie hatte in der am 13. Dezember 2013 beginnenden zweijährigen Rahmenfrist (vgl § 143 Abs. 1 SGB III) mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, und zwar durch die freiwillige Weiterversicherung gemäß § 28a SGB III.

Nach § 149 Nr. 2 SGB III in der hier anwendbaren, seit 01. August 2001 geltenden Fassung beträgt das Alg für Arbeitslose mit Kind – wie die Klägerin – 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), dass sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn ua der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 150 Abs. 3 Nr. 1 SGB III). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Letzteres ist hier der Fall.

Denn weder im Bemessungsrahmen nach § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III noch im erweiterten Bemessungsrahmen des § 150 Abs. 3 Nr. 1 SGB III kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch der – in dieser Zeit selbständig tätigen – Klägerin auf Arbeitsentgelt festgestellt werden. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber bei allen Versicherten, die keinen ausreichend zeitnahen Bemessungszeitraum von wenigstens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorzuweisen haben, die Indizwirkung des zuletzt erzielten Lohns für den auf Grund des Versicherungsfalls eintretenden Lohnausfall als nicht mehr gewährleistet ansieht und deshalb stattdessen den voraussichtlich aktuell erzielbaren Lohn zur Bemessungsgrundlage erhebt, bestehen nicht. Die fiktive Bemessung nach § 152 Abs. 1 SGB III und die nähere Ausgestaltung der fiktiven Bemessung in § 152 Abs. 2 SGB III verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen Gemeinschaftsrecht (vgl zum gleichlautenden bis 31. März 2012 geltenden Recht in § 132 SGB III: Bundessozialgericht – BSG -, Urteile vom 29. Mai 2008 – B 11a/ 7a AL 64/06 R, B 11a AL 23/07 R – juris; BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 – B 11 AL 7/08 R = SozR 4-4300 § 130 Nr 5; BSG, Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 23/08 R = SozR 4-4300 § 132 Nr 3; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 42/08 R – juris; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2009 – B 7 AL 39/08 R – juris; vgl auch BVerfG, Beschluss vom 10. März 2010 – 1 BvL 11/07 – juris).

Nach § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist die oder der Arbeitslose für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. § 152 Abs. 2 Satz 2 SGB III legt zu diesem Zweck vier näher bezeichnete Qualifikationsgruppen fest, denen jeweils in Abhängigkeit von der für eine Beschäftigung erforderlichen Ausbildung ein Arbeitsentgelt in Höhe eines bestimmten Bruchteils der Bezugsgröße zugeordnet ist. Die Bezugsgröße ist das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag (§ 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV –). Die Bezugsgröße (West) im hier maßgeblichen Jahr 2013 betrug 32.340,- EUR jährlich (§ 2 Abs. 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2013 vom 26. November 2012 – BGBl I 2361).

Die Klägerin ist in dem vorliegend streitbefangenen Zeitraum der Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen, wie das SG zutreffend entschieden hat. Auf dessen Begründung in dem angefochtenen Urteil nimmt der Senat in Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Denn die Beklagte hatte insoweit ihre Vermittlungsbemühungen für die Klägerin in erster Linie auf Beschäftigungen zu erstrecken, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (vgl § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III). Da der Gesetzgeber die Suche nach der insoweit maßgeblichen Beschäftigung ausdrücklich auf Tätigkeiten eingeschränkt hat, auf die sich die Vermittlungsbemühungen "in erster Linie" zu erstrecken haben, können nur diejenigen Tätigkeiten für die fiktive Bemessung relevant sein, mit denen die oder der Arbeitslose bestmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden kann (vgl BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 42/08 R –). Damit kommt eine Einstufung in eine höhere Qualifikationsgruppe nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass eine längere Abwesenheit vom Beruf nicht automatisch zum Verlust der entsprechenden Qualifikation führt, ist es nicht ersichtlich, dass eine Vermittlung in die Tätigkeit einer Landschaftsarchitektin bzw –planerin realistisch gewesen wäre, worauf die Klägerin in ihren Einlassungen im Verhandlungstermin beim SG auch selbst zutreffend hingewiesen hat. Hiergegen sprechen sowohl die seinerzeitige – von der Beklagten fachkundig eingeschätzte – allgemeine Arbeitsmarktlage als auch die Tatsache, dass die Klägerin letztlich – bedingt durch die schwierige Arbeitsmarktsituation für Landschaftsarchitekten bzw –planer – seit Dezember 2003 nicht mehr in diesem Beruf gearbeitet hat, sondern fachfremd selbständig ein Einzelhandelsgeschäft betrieben hatte und seit Mai 2014 auch wieder betreibt. Es fehlte und fehlt ihr daher seit vielen Jahren auch die für eine erfolgversprechende Vermittlung erforderliche Berufspraxis als Ingenieurin im Landschaftsbau.

Nach alledem ist bei einer zutreffenden Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 3 von einem Bemessungsentgelt iHv einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße auszugehen (vgl § 152 Abs. 2 Satz 2 Nr 3 SGB III), mithin von 71,86 EUR. Zur Ermittlung des Leistungsentgelts iSd § 153 SGB III sind eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 vH des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse (hier Lohnsteuerklasse I bzw ab 1. Januar 2014 Lohnsteuerklasse II), die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden war, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war, und der Solidaritätszuschlag vom Bemessungsentgelt abzuziehen sind. Das insoweit vom SG ausgeworfene Grundurteil ist nicht zu beanstanden (vgl zur Zulässigkeit eines Grundurteils auch im Höhenstreit: BSG, Urteil vom 18. Mai 2010 – B 7 AL 49/08 R = SozR 4-4300 § 122 Nr 8 Rn 9 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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