Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 6 VS 36/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VS 22/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird – unter Aufhebung des Bescheides vom 14.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2011 – verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Ereignisses vom 25.05.2010 einen Ausgleich nach § 85 SVG auf der Grundlage eines GdS von 40 zu gewähren. 2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der am 00.00.1990 geborene Kläger verlangt von der Beklagten einen Ausgleich nach § 85 SVG (Soldatenversorgungsgesetz) für die gesundheitlichen Folgen einer WDB (Wehr¬dienst-be¬schädigung), welche er sich am 25.05.2010 als Soldat zuzog.
Er führte an diesem Tag zusammen mit anderen Soldaten die Grundreinigung eines Dienst-gebäudes durch. Als gegen 18:00 Uhr diese weitgehend abgeschlossen war, bespritzen sich die Kameraden gegenseitig. Plötzlich attackierte einer dieser Kamerad ihn mit einem Taschenmesser; er konnte eine Verletzung gerade noch abwehren und zog sich dadurch erst nur eine leichte Schürfwunde zu, musste sich aber psychiatrisch behandeln lassen. Der Angreifer ist deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden (vgl. Urteil des Amtsgerichts Schweinfurt – Az. 5 Ls 11 Js 5176/10 – vom 31.05.2011).
Im Juli/August 2010 stellte der Kläger beim LVR (Landschaftsverband) Rheinland einen Antrag auf Beschädigten-Versorgung. Dieser wurde zuständigkeitshalber an das Versor-gungs¬amt in Würzburg abgegeben, und später an das Versorgungsamt in München. Dort wurde dann als Schädigungs¬folge nach dem OEG (Opferentschädigungsgesetz) eine "Rück-läufige posttraumatische Belastungsstörung und depressive Anpassungsstörung" mit einem GdS (Grad der Schädi¬gungsfolgen) von 30 – für die Zeit vom 25.05.2010 bis 30.04.2011 – anerkannt; ab 01.05.2011 wurde der GdS mit nur noch 10 eingeschätzt (siehe Bescheid vom 05.02.2013). Insoweit ist noch ein Widerspruchsverfahren anhängig.
Im November 2010 machte der Kläger auch gegenüber der Beklagten entsprechende An-sprüche geltend (Schriftsatz vom 05.11.2010). Nach Auswertung der beigezogenen medi-zinischen Unterlagen gelangte man zu der Auffassung, die "Psychische Beeinträchtigung" sei nicht Folge einer WDB, ein Anspruch auf Ausgleich bestehe daher nicht (Bescheid vom 14.06.2011). Ein innerer Zusammenhang des tätlichen Angriffs mit einer Dienst¬verrichtung wurde verneint, es habe sich lediglich um eine private – persönliche – Aus¬ein¬an¬der¬setzung gehandelt. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchs-bescheid vom 15.07.2011).
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 02.08.2011 erhobene Klage. Der Kläger ist der Meinung, ihm stehe wegen der Folgen einer WDB ein Anspruch auf Ausgleich zu, da Grundlage des Geschehens die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse gewesen seien. Wegen der Einzelheiten seines Vortrags wird auf den Inhalt der von ihm – mit anwaltlicher Hilfe – im Laufe des Ver¬fahrens eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die von ihm erlittenen gesundheitlichen (psychischen) Beeinträchtigungen in Folge der Vorkommnisse vom 25.05.2010 eine Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG darstellen und zudem Anspruch auf Aus-gleich nach § 85 SVG gegen die Beklagte besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie bleibt bei der getroffenen Entscheidung und hält die rechtliche Bewertung des streitigen Sachverhalts nach wie vor für zutreffend. Das Ereignis vom 25.05.2010 könne nicht unter den Tatbestand der "Wehrdienstverrichtung" bzw. der "wehrdienst¬eigen¬tümlichen Ver¬hältnisse" subsumiert werden. Auch hier wird ergänzend auf den restlichen Inhalt der im Laufe des Verfahrens eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Das Gericht hat die WDB-Akte – einschließlich der Beschwerdeakte – beigezogen, ebenso die OEK-Akte. Es hat sodann weiter Beweis erhoben durch Einholung eines sozial¬medizi-nischen Gutachtens von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie S (Beweis¬anordnung vom 20.07.2012).
Der gerichtliche Sachverständige kommt nach Auswertung der Akten und Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass das beim Kläger vorliegende Krankheitsbild zwar nicht allein auf das schädigende Ereignis vom 25.05.2010 zurückzuführen sei, es sei insoweit aber von einer richtungsgebenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens aus¬zu¬gehen. Den GdS für die diesbezüglich diagnostizierte posttraumatische Belastungs¬störung (F43.1) und die dissoziative Bewegungsstörung (F44.4) sowie die mittelgradige depressive Episode (F32.1) schätzt er auf 50 ein, wobei die schädigungsbedingte Ver¬schlimmerung mit 40 bewertet wird. Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf sein Gutachten vom 28.08.2012 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 03.12.2013 und 19.08.2014 Bezug genommen. Diese Unterlagen liegen auch den Beteiligten vollständig vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den rest-lichen Inhalt aller vorliegenden Akten verwiesen, auch dieser ist Gegenstand der münd¬lichen Verhandlung sowie der anschließenden Beratung der Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf einen Ausgleich nach § 85 Satz 1 SVG auf der Grundlage eines GdS von 40.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Gesundheitsschaden des Klägers – zumindest wesentlich anteilig – durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden. Die Kammer folgt insoweit – aus eigener Überzeugung – ausdrücklich der höchst-richterlichen Rechtsprechung. Zwar kann nicht alles, was unter Soldaten "üblich” ist, als dem Wehrdienst eigentümlich bewertet werden; dieses Tatbestandsmerkmal setzt begriff¬lich voraus, dass die mit den besonderen Gegebenheiten des Dienstes eng verknüpften Lebens-bedingungen sich deutlich von denen des Zivillebens abheben (vgl. Lilienfeld in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 81 SVG Rn. 30/31 m.w.N.).
Das BSG (Bundessozialgericht) hat zu Recht betont, dass es zu den Eigentümlichkeiten des Wehrdienstes zählt, dass Soldaten durch den Dienst an den jeweiligen Standort bzw. Einsatzort gebunden sind und dadurch in ihrer Freizeitgestaltung und Bewegungsfreiheit eingeengt werden; der Lebensrhythmus werde hierdurch grundlegend geändert (vgl. BSG, Urteil vom 29.01.1970 - 8 RV 91/68 - juris Rn. 15). Soldaten sind nicht nur während der reinen Dienstzeit, sondern auch während der Freizeit gezwungen, mit einer größeren Anzahl von fremden, individuell verschiedenen Menschen zusammen zu leben, welche sich noch fast ausschließlich im Entwicklungsalter befinden, also noch erheblich unaus¬geglichener sind als Erwachsene, was des Öfteren dazu führt, dass Konflikte auch unter größerer Beteiligung der Umwelt und der Mitmenschen ausgetragen werden; zudem führt der oft anstrengende Dienst zu Aggressionsstauungen, welche gerade auch – wegen der Not¬wendigkeit eines Ventils – die Gefahr von Auseinandersetzungen mit sich bringen. Dem können sich die Soldaten nicht entziehen. Daher handelt es sich deshalb hier auch um wehr¬dienst¬eigen¬tümliche Verhältnisse (BSG - a.a.O. - Rn. 16).
Soldaten sind durch die oben beschriebenen Gegebenheiten einer Situation ausgesetzt, welche sich von den normalen Umständen des Zivillebens mit den dortigen gewöhnlichen Verhaltensweisen deutlich abhebt. Die psychologische Zwangssituation und der Mangel an Auswahlmöglichkeiten schließen es auch aus, diesbezügliches Ver¬halten außerhalb der reinen Dienstzeiten als allein eigen¬verantwortliche Gestaltung privater Freizeit zu werten, welches vom Soldatenversorgungsschutz nicht erfasst wird (BSG, Urteil vom 08.08.1984 – 9a RV 37/83 - juris Rn. 16). Die Auswirkungen der "Kasernierung” und das dadurch begründete "Konfliktpotential” sind nicht den Soldaten sondern der Bundeswehr zuzurechnen (BSG, Urteil vom 11.04.1985 – 4b/9a RV 28/84 - juris Rn. 16). Gelegenliche Auseinandersetzungen sind bei dieser Art der Unterbringung an der Tagesordnung, etwas anderses anzunehmen, wäre offenkundig lebensfremd (BSG - a.a.O. - juris Rn. 17). Der Tatbestand der wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse setzt nur eine solche den Wehr¬dienst kennzeichnende Eigentümlichkeit voraus, nicht aber eine darüber hinaus gehende besondere Gefährdung (BSG, Urteil vom 13.07.1988 – 9/9a RV 4/86 - juris Rn. 17). Auch kann im vorliegenden Fall - anders als im Falle der Augenverletzung bei einer Schneeball¬schlacht unter Soldaten (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.1977 – 10 RV 97/76 - juris Rn. 17) –nicht angenommen werden, ein solcher Angriff würde im Zivilleben vorkommen. Revier-reinigungsarbeiten sind nämlich ausschließlich im Soldatenleben anzutreffen.
Infolge des – auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführenden – Ereignisses vom 25.05.2010 hat sich der Kläger eine gesundheitliche Schädigung zugezogen. Diesbe¬züglich schließt sich die Kammer vollinhaltlich den widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen S an. Das Gericht kann den Ausführungen ohne durchgreifende Zweifel entnehmen, dass dieser Sachverständige über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die ausgesprochen schwierige kausale Zuordnung des beim Kläger diagnostizierten Krankheitsbildes vorzunehmen. Die Kammer folgt daher seiner Einschätzung vorbehaltlos.
Danach ist das vorliegende Krankheitsbild zwar nicht allein auf das schädigende Ereignis vom 25.05.2010 zurückzuführen, es ist insoweit allerdings von einer richtungsgebenden Verschlimmerung eines bereits vorbestehenden Leidens aus¬zu¬gehen. Die – durchaus beachtenswerten – Einwände der Beklagten (versorgungsärztliche Stellung¬nahme vom 20.12.2012) erachtet die Kammer durch die Ausführungen des gerichtlichen Sachver-ständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.12.2013 als ausgeräumt.
Ebenso schließt sich die Kammer dem Vorschlag des gerichtlichen Sachverständigen S hinsichtlich der Einschätzung des GdS für die durch das Ereignis verursachten Aus¬wirkungen der Verschlimmerung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Post-traumatische Belastungs¬störung, dissoziative Bewegungs¬störung und mittelgradige depressive Episode). Der schädigungsbedingte Anteil ist mit 40 zu bewerten. Dies ergibt sich daraus, dass hier insoweit von einer stärker behindernden Störung auszugehen ist, für welche unter Punkt B 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) ein GdS von 30 bis 40 vorgesehen ist. Auch hier sieht die Kammer die Einwände der Beklagten (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 29.12.2013) durch die ergänzende Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen vom 19.08.2014 als ausgeräumt an. Zusätzlich stützt sich die Kammer dabei außerdem auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vom Kläger.
Dem Kläger steht damit infolge der WDB gemäß § 85 Abs. 1 SVG i.V.m. § 30 Abs. 1 und § 31 BVG (Bundesversorgungsgesetz) ein entsprechender Ausgleich zu.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 183 und § 193 SGG (Sozialgerichtsgesetz).
Tatbestand:
Der am 00.00.1990 geborene Kläger verlangt von der Beklagten einen Ausgleich nach § 85 SVG (Soldatenversorgungsgesetz) für die gesundheitlichen Folgen einer WDB (Wehr¬dienst-be¬schädigung), welche er sich am 25.05.2010 als Soldat zuzog.
Er führte an diesem Tag zusammen mit anderen Soldaten die Grundreinigung eines Dienst-gebäudes durch. Als gegen 18:00 Uhr diese weitgehend abgeschlossen war, bespritzen sich die Kameraden gegenseitig. Plötzlich attackierte einer dieser Kamerad ihn mit einem Taschenmesser; er konnte eine Verletzung gerade noch abwehren und zog sich dadurch erst nur eine leichte Schürfwunde zu, musste sich aber psychiatrisch behandeln lassen. Der Angreifer ist deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden (vgl. Urteil des Amtsgerichts Schweinfurt – Az. 5 Ls 11 Js 5176/10 – vom 31.05.2011).
Im Juli/August 2010 stellte der Kläger beim LVR (Landschaftsverband) Rheinland einen Antrag auf Beschädigten-Versorgung. Dieser wurde zuständigkeitshalber an das Versor-gungs¬amt in Würzburg abgegeben, und später an das Versorgungsamt in München. Dort wurde dann als Schädigungs¬folge nach dem OEG (Opferentschädigungsgesetz) eine "Rück-läufige posttraumatische Belastungsstörung und depressive Anpassungsstörung" mit einem GdS (Grad der Schädi¬gungsfolgen) von 30 – für die Zeit vom 25.05.2010 bis 30.04.2011 – anerkannt; ab 01.05.2011 wurde der GdS mit nur noch 10 eingeschätzt (siehe Bescheid vom 05.02.2013). Insoweit ist noch ein Widerspruchsverfahren anhängig.
Im November 2010 machte der Kläger auch gegenüber der Beklagten entsprechende An-sprüche geltend (Schriftsatz vom 05.11.2010). Nach Auswertung der beigezogenen medi-zinischen Unterlagen gelangte man zu der Auffassung, die "Psychische Beeinträchtigung" sei nicht Folge einer WDB, ein Anspruch auf Ausgleich bestehe daher nicht (Bescheid vom 14.06.2011). Ein innerer Zusammenhang des tätlichen Angriffs mit einer Dienst¬verrichtung wurde verneint, es habe sich lediglich um eine private – persönliche – Aus¬ein¬an¬der¬setzung gehandelt. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchs-bescheid vom 15.07.2011).
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 02.08.2011 erhobene Klage. Der Kläger ist der Meinung, ihm stehe wegen der Folgen einer WDB ein Anspruch auf Ausgleich zu, da Grundlage des Geschehens die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse gewesen seien. Wegen der Einzelheiten seines Vortrags wird auf den Inhalt der von ihm – mit anwaltlicher Hilfe – im Laufe des Ver¬fahrens eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die von ihm erlittenen gesundheitlichen (psychischen) Beeinträchtigungen in Folge der Vorkommnisse vom 25.05.2010 eine Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG darstellen und zudem Anspruch auf Aus-gleich nach § 85 SVG gegen die Beklagte besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie bleibt bei der getroffenen Entscheidung und hält die rechtliche Bewertung des streitigen Sachverhalts nach wie vor für zutreffend. Das Ereignis vom 25.05.2010 könne nicht unter den Tatbestand der "Wehrdienstverrichtung" bzw. der "wehrdienst¬eigen¬tümlichen Ver¬hältnisse" subsumiert werden. Auch hier wird ergänzend auf den restlichen Inhalt der im Laufe des Verfahrens eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Das Gericht hat die WDB-Akte – einschließlich der Beschwerdeakte – beigezogen, ebenso die OEK-Akte. Es hat sodann weiter Beweis erhoben durch Einholung eines sozial¬medizi-nischen Gutachtens von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie S (Beweis¬anordnung vom 20.07.2012).
Der gerichtliche Sachverständige kommt nach Auswertung der Akten und Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass das beim Kläger vorliegende Krankheitsbild zwar nicht allein auf das schädigende Ereignis vom 25.05.2010 zurückzuführen sei, es sei insoweit aber von einer richtungsgebenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens aus¬zu¬gehen. Den GdS für die diesbezüglich diagnostizierte posttraumatische Belastungs¬störung (F43.1) und die dissoziative Bewegungsstörung (F44.4) sowie die mittelgradige depressive Episode (F32.1) schätzt er auf 50 ein, wobei die schädigungsbedingte Ver¬schlimmerung mit 40 bewertet wird. Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf sein Gutachten vom 28.08.2012 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 03.12.2013 und 19.08.2014 Bezug genommen. Diese Unterlagen liegen auch den Beteiligten vollständig vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den rest-lichen Inhalt aller vorliegenden Akten verwiesen, auch dieser ist Gegenstand der münd¬lichen Verhandlung sowie der anschließenden Beratung der Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf einen Ausgleich nach § 85 Satz 1 SVG auf der Grundlage eines GdS von 40.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Gesundheitsschaden des Klägers – zumindest wesentlich anteilig – durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden. Die Kammer folgt insoweit – aus eigener Überzeugung – ausdrücklich der höchst-richterlichen Rechtsprechung. Zwar kann nicht alles, was unter Soldaten "üblich” ist, als dem Wehrdienst eigentümlich bewertet werden; dieses Tatbestandsmerkmal setzt begriff¬lich voraus, dass die mit den besonderen Gegebenheiten des Dienstes eng verknüpften Lebens-bedingungen sich deutlich von denen des Zivillebens abheben (vgl. Lilienfeld in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 81 SVG Rn. 30/31 m.w.N.).
Das BSG (Bundessozialgericht) hat zu Recht betont, dass es zu den Eigentümlichkeiten des Wehrdienstes zählt, dass Soldaten durch den Dienst an den jeweiligen Standort bzw. Einsatzort gebunden sind und dadurch in ihrer Freizeitgestaltung und Bewegungsfreiheit eingeengt werden; der Lebensrhythmus werde hierdurch grundlegend geändert (vgl. BSG, Urteil vom 29.01.1970 - 8 RV 91/68 - juris Rn. 15). Soldaten sind nicht nur während der reinen Dienstzeit, sondern auch während der Freizeit gezwungen, mit einer größeren Anzahl von fremden, individuell verschiedenen Menschen zusammen zu leben, welche sich noch fast ausschließlich im Entwicklungsalter befinden, also noch erheblich unaus¬geglichener sind als Erwachsene, was des Öfteren dazu führt, dass Konflikte auch unter größerer Beteiligung der Umwelt und der Mitmenschen ausgetragen werden; zudem führt der oft anstrengende Dienst zu Aggressionsstauungen, welche gerade auch – wegen der Not¬wendigkeit eines Ventils – die Gefahr von Auseinandersetzungen mit sich bringen. Dem können sich die Soldaten nicht entziehen. Daher handelt es sich deshalb hier auch um wehr¬dienst¬eigen¬tümliche Verhältnisse (BSG - a.a.O. - Rn. 16).
Soldaten sind durch die oben beschriebenen Gegebenheiten einer Situation ausgesetzt, welche sich von den normalen Umständen des Zivillebens mit den dortigen gewöhnlichen Verhaltensweisen deutlich abhebt. Die psychologische Zwangssituation und der Mangel an Auswahlmöglichkeiten schließen es auch aus, diesbezügliches Ver¬halten außerhalb der reinen Dienstzeiten als allein eigen¬verantwortliche Gestaltung privater Freizeit zu werten, welches vom Soldatenversorgungsschutz nicht erfasst wird (BSG, Urteil vom 08.08.1984 – 9a RV 37/83 - juris Rn. 16). Die Auswirkungen der "Kasernierung” und das dadurch begründete "Konfliktpotential” sind nicht den Soldaten sondern der Bundeswehr zuzurechnen (BSG, Urteil vom 11.04.1985 – 4b/9a RV 28/84 - juris Rn. 16). Gelegenliche Auseinandersetzungen sind bei dieser Art der Unterbringung an der Tagesordnung, etwas anderses anzunehmen, wäre offenkundig lebensfremd (BSG - a.a.O. - juris Rn. 17). Der Tatbestand der wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse setzt nur eine solche den Wehr¬dienst kennzeichnende Eigentümlichkeit voraus, nicht aber eine darüber hinaus gehende besondere Gefährdung (BSG, Urteil vom 13.07.1988 – 9/9a RV 4/86 - juris Rn. 17). Auch kann im vorliegenden Fall - anders als im Falle der Augenverletzung bei einer Schneeball¬schlacht unter Soldaten (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.1977 – 10 RV 97/76 - juris Rn. 17) –nicht angenommen werden, ein solcher Angriff würde im Zivilleben vorkommen. Revier-reinigungsarbeiten sind nämlich ausschließlich im Soldatenleben anzutreffen.
Infolge des – auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführenden – Ereignisses vom 25.05.2010 hat sich der Kläger eine gesundheitliche Schädigung zugezogen. Diesbe¬züglich schließt sich die Kammer vollinhaltlich den widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen S an. Das Gericht kann den Ausführungen ohne durchgreifende Zweifel entnehmen, dass dieser Sachverständige über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die ausgesprochen schwierige kausale Zuordnung des beim Kläger diagnostizierten Krankheitsbildes vorzunehmen. Die Kammer folgt daher seiner Einschätzung vorbehaltlos.
Danach ist das vorliegende Krankheitsbild zwar nicht allein auf das schädigende Ereignis vom 25.05.2010 zurückzuführen, es ist insoweit allerdings von einer richtungsgebenden Verschlimmerung eines bereits vorbestehenden Leidens aus¬zu¬gehen. Die – durchaus beachtenswerten – Einwände der Beklagten (versorgungsärztliche Stellung¬nahme vom 20.12.2012) erachtet die Kammer durch die Ausführungen des gerichtlichen Sachver-ständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.12.2013 als ausgeräumt.
Ebenso schließt sich die Kammer dem Vorschlag des gerichtlichen Sachverständigen S hinsichtlich der Einschätzung des GdS für die durch das Ereignis verursachten Aus¬wirkungen der Verschlimmerung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Post-traumatische Belastungs¬störung, dissoziative Bewegungs¬störung und mittelgradige depressive Episode). Der schädigungsbedingte Anteil ist mit 40 zu bewerten. Dies ergibt sich daraus, dass hier insoweit von einer stärker behindernden Störung auszugehen ist, für welche unter Punkt B 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) ein GdS von 30 bis 40 vorgesehen ist. Auch hier sieht die Kammer die Einwände der Beklagten (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 29.12.2013) durch die ergänzende Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen vom 19.08.2014 als ausgeräumt an. Zusätzlich stützt sich die Kammer dabei außerdem auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vom Kläger.
Dem Kläger steht damit infolge der WDB gemäß § 85 Abs. 1 SVG i.V.m. § 30 Abs. 1 und § 31 BVG (Bundesversorgungsgesetz) ein entsprechender Ausgleich zu.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 183 und § 193 SGG (Sozialgerichtsgesetz).
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