L 8 SB 4707/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 1002/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4707/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.11.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Vorteilsausgleichs "RF" (Merkzeichen "RF", Rundfunkgebührenermäßigung) hat.

Bei dem 1943 geborenen Kläger stellte das Landratsamt H. (LRA) mit (Abhilfe-)Bescheid vom 24.02.2005 (Blatt 93/94 der Beklagtenakte) einen GdB von 100 (statt 90) sowie das Merkzeichen "aG" ab dem 24.02.2004 neu fest (die Merkzeichen "G" und "B" waren schon zuvor festgestellt worden; zugrundeliegende Funktionsbeeinträchtigungen: Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (GdB 60); Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (GdB 40); Krampfadern, chronisch-venöse Insuffizienz (GdB 20); degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, Nervenwurzelreizerscheinungen (GdB 20); Hirndurchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Schwindel (GdB 30); zur versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.02.2005 vgl. Blatt 88/89 der Beklagtenakte).

Der Kläger beantragte am 24.09.2014 (Blatt 100/101 der Beklagtenakte) beim LRA die Feststellung des Merkzeichens "RF". Zu seinem Antrag gab er an, an Hirndurchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Schwindel, Migräne, Gleichgewichtsstörung, "linker Ohrnerv" zu leiden und weder Fernseher noch Internet zu haben.

Das LRA zog Befundunterlagen vom Arzt für Allgemeinmedizin Dr. F. bei (dazu vgl. Blatt 103/111 der Beklagtenakte).

Der Kläger gab mit Schreiben vom 13.11.2014 (Blatt 114 der Beklagtenakte) an, er könne nicht am Bildschirm arbeiten, nicht Fernsehen (Schwindel, Kopfschmerzen), Radiohören sei die einzige Informationsquelle.

Die Versorgungsärztin Dr. H. befürwortete in ihrer Stellungnahme vom 24.11.2014 (Blatt 116/117 der Beklagtenakte) das Merkzeichen "RF" nicht. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei in nennenswertem Umfang zumutbar.

Mit Bescheid vom 25.11.2014 (Blatt 118/119 der Beklagtenakte) lehnte das LRA die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Merkzeichens "RF" ab.

Der Kläger erhob hiergegen am 09.12.2014 Widerspruch (Blatt 120 der Beklagtenakte). Wegen seiner schweren Gehbehinderung, den chronischen Schmerzen und Coxarthrose 4. Grades könne er keine öffentlichen Veranstaltungen besuchen, da er weder stehen, sitzen noch gehen könne. Außerdem müsse er auf Anforderung des Arztes täglich Blutdruckwerte dokumentieren, Schwindel und Kopfschmerzen würden monatlich kontrolliert.

Nachdem der Versorgungsarzt Dr. B. mit Stellungnahme vom 04.02.2015 (Blatt 122 der Beklagtenakte) die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" weiterhin nicht befürwortete, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium S. – Landesversorgungsamt – den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.02.2015, Blatt 124/126 der Beklagtenakte).

Der Kläger hat am 26.03.2015 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn Klage erhoben, zu deren Begründung er u.a. vorgetragen hat, dass er wegen seiner schweren Gehbehinderung an chronischen Schmerzen leide und keinerlei öffentliche Veranstaltungen besuchen könne. Er könne weder lange Stehen, Sitzen noch Gehen. Selbst wenn er noch theoretisch an der einen oder anderen öffentlichen Veranstaltung teilnehmen könne, sei dies aufgrund der Multimorbidität objektiv nicht zumutbar. Selbst wenn man unterstelle, dass er mit einer Begleitperson zu einer öffentlichen Veranstaltung transportiert werden könne, so müsse auch gefordert werden, dass nicht nur eine reine Teilnahme möglich sei, sondern er auch diese Veranstaltung tatsächlich verfolgen und genießen könne. Die Teilnahme an einer Veranstaltung sei aber wegen der unzumutbaren Schmerzen eine Qual.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 20/39, 40/41 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Facharzt für Orthopädie Dr. S., Ö., hat dem SG mit Schreiben vom 11.05.2015 mitgeteilt, dass der Kläger an schwersten abnutzungsbedingten Veränderungen der großen Gelenke, der Hüften und Kniegelenke, der Schultern und der Wirbelsäule leide und in einem Abstand von 4 bis 6 Wochen vorstellig werde. Mobilität und Leistungsfähigkeit sei seit Jahren schwer eingeschränkt. Nur mit orthopädischem Schuhwerk und zwei Unterarmgehstützen sei er für kurze Strecken mobilisierbar, längere stehende Belastungen oder Sitzen sei nicht möglich, da die Bewegungseinschränkung seitens der Hüftgelenke bei schwerer Arthrose eine normale Sitzposition nicht mehr erlaube. An öffentlichen Veranstaltungen könne er weder im Sitzen noch im Stehen teilnehmen, da er eine normale Sitzposition durch die erhebliche Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke über einen längeren Zeitraum nicht einnehmen könne. Er leide auch auf neurologischem Gebiet an Kopfschmerzen und Schwindelsymptomen aufgrund der Hirndurchblutungsstörungen, diesbezüglich sei er auch eingeschränkt. Von orthopädischer Seite sei der Kläger auf die ständige Zuhilfenahme von Hilfsmitteln, wie Gehstützen, Rollator, orthopädisches Schuhwerk und auf Begleitpersonen angewiesen.

Die Fachärztin für Innere Medizin V. hat dem SG mitgeteilt (Schreiben vom 08.06.2015), die Multimorbidität bedinge eine schwergradige chronische Erkrankung. Beim Kläger lägen in Anbetracht der vorliegenden Erkrankung sowie des bereits nachgewiesenen GdB von 100 schwere Bewegungsstörungen vor, sodass das Merkzeichen "RF" gerechtfertigt sei. Der Kläger suche sie unter Mobilisierung der ihm zur Verfügung stehenden Kraft und Energie unter Schmerzen und mit deutlich erkennbarer schwerer Bewegungsstörung auf.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Orthopäden Dr. K ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 21.12.2015 (Blatt 49/53 der SG-Akte; ambulante Untersuchung am 17.12.2015) ausgeführt, der Kläger sei nicht bettlägerig, fahre selbständig Auto und sei durchaus in der Lage am Stück zwei Stunden zu sitzen. Er sei daher nicht außer Stande, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, insbesondere mit Hilfe einer Begleitperson.

Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 15.01.2016 (Blatt 55 der SG-Akte) eingewandt, dass er höchstens eine Stunde sitzen könne und zwar nur in einem speziellen Arthrosestuhl. Autofahren könne er, weil im PKW ein spezieller Sitz eingebaut sei, der umfangreiche Verstellmöglichkeiten habe. Die Möglichkeit der bloßen Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung reiche nicht aus um das Merkzeichen "RF" zu versagen. Dr. K. werde sich noch äußern.

Der Gutachter Dr. K. hat – vom SG unaufgefordert - sich mit Schreiben vom 14.01.2016 (Blatt 56 der SG-Akte) dahingehend geäußert, dass er unter Drohung mit der Presse/Medien vom Kläger aufgefordert worden sei, sein Gutachten zu ändern. Auf diesen Erpressungsversuch gehe er nicht ein.

Mit Schreiben vom 23.05.2016 (Blatt 64/65 der SG-Akte) hat der Kläger u.a. ausgeführt, dass er aufgrund seiner Beschwerden eine Spezialanfertigung des PKW-Fahrersitzes und zum Sitzen Sitzpolster benötige, wobei ihm in besonderen Fällen ein Sitzen auch damit nicht möglich sei, so z.B. auf Kirchenbänken (Schreiben vom 25.05.2016, Blatt 66 der SG-Akte, vgl. auch Attest der Fachärztin für Innere Medizin Vossler vom 20.01.2016, Blatt 67 der SG-Akte).

Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in einem nichtöffentlichen Termin beim SG am 13.10.2016 (zur Niederschrift vgl. Blatt 70 der SG-Akte) hat der Kläger erklärt, den Rechtsstreit fortsetzen zu wollen (Blatt 72 der SG-Akte).

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 29.11.2016 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "RF". Er verfüge zwar über einen GdB von 100, das Gericht habe jedoch keinen Zweifel daran, dass der Kläger noch immer an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, wenn auch nicht gerade an Wagneropern oder Fußballspielen. Diese Überzeugung stütze das Gericht nicht nur auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten von Dr. K., sondern auch auf den persönlichen Eindruck des Klägers, der durchaus durch seine orthopädischen Gebrechen gehandikapt sei, jedoch ohne große Probleme und Beschwerden den vierzigminütigen Erörterungstermin absolviert habe und nach eigenen Angaben trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen Hausverwaltungstätigkeiten hinsichtlich mehrerer Mietswohnungen erledige.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 05.12.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.12.2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Es bestehe ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B" und "aG". Unter Hinweis auf die Einschätzungen der sachverständigen Zeugen Dr. S. und Vossler halte er nach wie vor an seinem Begehren fest. Insbesondere Dr. S. verweise in seiner Zeugenauskunft darauf, dass ihm längere stehende Belastungen oder Sitzen nicht möglich sei, da die Bewegungseinschränkung seitens der Hüftgelenke bei schwerer Arthrose eine normale Sitzposition gar nicht mehr erlaube. Er habe schwerstgradige Veränderungen, speziell im Bereich der Hüftgelenke, der Kniegelenke und der Wirbelsäule, auch der Schulter und am Handgelenk. Er könne an öffentlichen Veranstaltungen weder im Sitzen noch im Stehen teilnehmen, da er eine normale Sitzposition durch die erhebliche Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke über einen längeren Zeitraum nicht einnehmen könne. Mit diesen Umständen befasse sich Dr. K. im Rahmen seines Gutachtens nicht. Angesichts der von Dr. K. erhobenen Befunde (stark schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit mit Flexion/Extension 50/20/0° der Hüftgelenke beidseits, Ab-/Adduktion beidseits 10/0/10° mit aufgehobener Innen- und Außenrotation in Neutralstellung und Schober schem Maß für die LWS mit 10/10 cm) sei ihm ein Sitzen auf "normalen" Stühlen nicht mehr möglich. Daher sitze er zu Hause entweder auf dem Arthrosestuhl in seinem Arbeitszimmer oder auf einem weiteren speziell angefertigten Stuhl im Esszimmer oder er liege. Über eine mobile Sitzgelegenheit, die auf seine Bedürfnisse angepasst sei, verfüge er nicht. Selbst auf den für ihn angepassten Sitzgelegenheiten könne er maximal etwa eine Stunde sitzen. Dann würden die Schmerzen so stark, dass er ein paar Schritte gehen und sich dann hinlegen müsse. Bei seinen angepassten Sitzmöbeln sei die Lehne besonders. Diese gebe nach hinten nach. Es gebe geteilte Fußablagen für den rechten und den linken Fuß, die ebenfalls nach oben und unten verstellt werden könnten. Auch im Auto habe er einen Spezialsitz. Mit diesen Einschränkungen sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich, da er dort nicht sitzen könne. Insoweit gehe er davon aus, dass der Besuch öffentlicher Veranstaltungen für ihn lediglich theoretisch möglich, der Besuch ihm aber nicht zumutbar sei. Hieran ändere auch ein Rollstuhl nichts. Außerdem sei es ihm nicht zumutbar, auf alle nur denkbaren rehabilitationstechnischen Möglichkeiten, über die er nicht einmal verfüge, verwiesen zu werden. Die meisten der Veranstaltungen setzten auch voraus, dass das Publikum sitze. Hieran änderten auch Begleitpersonen oder technische Hilfsmittel nichts. Auch eine Teilnahme an Veranstaltungen, bei denen das Publikum üblicherweise stehe, sei nicht möglich, weil er nur sehr kurz stehen könne. Alles in allem erfülle er daher die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF".

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.11.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 25.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2015 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "RF" seit 24.09.2014 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Gegenüber der angefochtenen Entscheidung ergäben sich aus der Berufungsschrift keine neuen Sachargumente, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten. Mit dem SG komme es darauf an, dass der Besuch von jeglicher Art öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sein müsse.

Die Sach- und Rechtslage sollte mit den Beteiligten in einem nichtöffentlichen Termin am 02.06.2017 erörtert werden. Nach Zustellung der Ladungen hat der Kläger unter Vorlage eines Attestes von Frau Vossler vom 22.05.2017 ausgeführt, die Fahrt nach Stuttgart sei ihm unzumutbar, er sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (Blatt 22/23 der SG-Akte). Der Beklagte hat sich mit Fax vom 31.05.2017 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 24d der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats sowie die beigezogenen Akte des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des LRA vom Bescheid vom 25.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2015 ist nicht rechtswidrig, er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "RF".

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 SGB IX i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) landesrechtlich und daher in Baden-Württemberg für die Zeit seit dem 01.01.2013 im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) gilt, enthalten. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht nicht geändert. Gleichermaßen ist in § 4 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 RBStV, zuvor § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 RGebStV, vorausgesetzt, dass es sich um - blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von (wenigstens) 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung (Nr. 1 bzw. Nr. 7. a), - hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (Nr. 2 bzw. Nr. 7. b), oder - behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigsten 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (Nr. 3 bzw. Nr. 8), handelt.

Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF", weil er weder blind noch gehörlos oder hörgeschädigt in dem dargestellten Maß ist. Zwar ist dem Kläger ein GdB von wenigstens 80 – vorliegend von 100 – zuerkannt, doch ist er nach Überzeugung des Senats nicht wegen seines Leidens von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ständig und allgemein ausgeschlossen.

Beim Kläger bestehen im Wesentlichen Funktionsbehinderungen an den großen Gelenken, mithin den Füßen, den Knien, den Hüften, den Schultern, der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen sowie Hirndurchblutungsstörungen, Bluthochdruck und Schwindel und Kopfschmerzen sowie eine chronisch venöse Insuffizienz der Beine mit Krampfadern. Mithin bestehen schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigungen, die im Wesentlichen die Bewegungsfähigkeit des Klägers aber auch das Sitzen und Stehen betreffen. Insoweit konnte der Senat mit dem Gutachter Dr. K. durchaus feststellen, dass der Kläger zur Mobilität im Straßenverkehr der Merkzeichen "G" und "aG" und dabei der Hilfe durch eine Begleitperson bedarf, obwohl er selbst noch Auto fährt. Jedoch konnte der Senat nicht feststellen, dass es dem Kläger unmöglich ist, das Haus/seine Wohnung zu verlassen. Denn der Kläger verlässt seine Wohnung tatsächlich zu den unterschiedlichsten Anlässen, wie z.B. Arztbesuche, sonstige Verrichtungen außer Haus. Der Senat konnte mithin auch nicht feststellen, dass der Kläger an sein Haus/seine Wohnung "gefesselt" wäre. Insoweit – was auch vom Kläger nicht bestritten wird – konnte der Senat feststellen, dass der Kläger mit Unterarmgehstützen, Rollator bzw. Rollstuhl und auch mit Unterstützung einer Begleitperson mobil ist. Er kann somit öffentliche Veranstaltungen erreichen.

Der Senat konnte auch feststellen, dass der Kläger an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Insoweit kommt es darauf an, ob der behinderte Mensch gerade wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann, er muss also gerade wegen seines Leidens allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, d.h. von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher und unterhaltender Art ausgeschlossen sein, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen können (Senatsurteil 24.10.2016 – L 8 SB 3744/15 – juris RdNr. 39). Das ist aber vorliegend zu verneinen.

Der Kläger ist bei Veranstaltungen im Wesentlichen durch seine Sitz- und Stehbeeinträchtigungen sowie die Schmerzen beeinträchtigt. Insoweit hat er vorgetragen, er könne auf speziell zugerichteten Sitzen, wie seinem Arthrosesitz bzw. seinem Fahrersitz im Auto eine Stunde sitzen – der Gutachter geht eher von einer Sitzdauer von zwei Stunden aus. Im Übrigen hat der Kläger auch vorgetragen, er könne auch mit Sitzkissen sitzen, nur nicht überall, so z.B. nicht auf Kirchenbänken.

Damit ist der Kläger in der Lage zumindest solche Veranstaltungen zu besuchen, die nach einer Stunde beendet sind oder eine Unterbrechung (Pause) erfahren und bei denen ihm die Benutzung von Sitzkissen oder die Nutzung eines speziell zugerichteten Sitzes möglich ist. Insoweit ist es Sache des Klägers – ggf. mit Hilfe der Eingliederungshilfe – einen entsprechenden Sitz zu organisieren oder Sitzkissen zu solchen Veranstaltungen mitzubringen.

Dass der Kläger zum Besuch solcher Veranstaltungen in der Lage ist und er solche Veranstaltungen stehend und sitzend zu bewältigen kann, dafür spricht auch, dass er nach den von ihm unwidersprochenen Feststellungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid die Hausverwaltung für verschiedene Mietobjekte übernommen hat und in diesem Rahmen Mietwohnungen z.B. zu Besprechungen und Mieterwechseln aufzusuchen sowie an den regelmäßig stattfindenden Eigentümerversammlungen teilzunehmen und diese zu leiten hat (vgl. dazu §§ 23, 24 WEG). Stehen solchen Besprechungen und Veranstaltungen der Schwindel und die Schmerzen sowie Sitz- bzw. Stehbeeinträchtigungen nicht entgegen, kann der Senat nicht erkennen, weshalb dem Kläger der Besuch einer öffentlichen Veranstaltung, die zumindest dem zeitlichen Rahmen solcher Versammlungen entsprechen, nicht möglich sein soll, zumal er selbst eine Sitzdauer von einer Stunde, der Gutachter eine solche von zwei Stunden für möglich hält. Öffentliche Veranstaltungen, die nicht auf Kirchenbänken stattfinden und (bis zur Pause bzw. dem Ende) maximal eine Stunde bzw. zwei Stunden dauern, existieren in nennenswertem Umfang.

Selbst wenn solche Veranstaltungen im Wohnort des Klägers, in W., einer Gemeinde im M. Wald zwischen S. und S.H. bzw. bei H. mit etwa 6800 Einwohnern, mehr als die Hälfte davon in eingemeindeten kleineren Dörfern (dazu vgl. den Internetauftritt der Gemeinde http://www.gemeinde-w ...de), nicht angeboten würden, stünde dies vorliegend nicht entgegen. Denn bei der Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" handelt es sich um eine abstrakte Bewertung, die – wie auch die Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "aG" - von den konkreten Orts-, Wege- und Veranstaltungsverhältnissen unabhängig sind.

Auch soweit der Kläger angibt, er könne solche Veranstaltungen nicht "genießen", kommt es hierauf nicht an. Meint der Kläger mit seinem Vorbringen, ihm gefielen die Veranstaltungen in qualitativer, darstellerischer, künstlersicher, kultureller, intellektueller oder politischer Hinsicht nicht, so kommt es auf diese subjektiven Empfindungen und Vorlieben nicht an. Denn maßgeblich ist insoweit alleine, ob der behinderte Mensch im Hinblick auf seine Leiden bei abstrakter Betrachtung nicht mehr in der Lage ist, an öffentlichen Veranstaltungen gleich welcher Art überhaupt ständig und allgemein teilzunehmen. Auf ein inhaltliches Gefallen, eine Zustimmung oder gar ein Genießen z.B. i.S. eines Kulturgenusses kommt es aber nicht an. Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen aber meint, er könne wegen seiner Leiden dem Inhalt der Veranstaltung nicht folgen, sei mithin nur körperlich anwesend, so sieht der Senat auch in diesem Vorbringen keinen Grund, der für das Merkzeichen "RF" spricht. Gerade die Hausverwaltertätigkeit des Klägers zeigt, dass er sich selbst auch in der Lage sieht Hausverwaltungen, zu denen Verhandlungen mit Mietern, Handwerkern, Eigentümern und Eigentümerversammlungen, die durchaus auch schwierig und zeitintensiv sein können, gehören, durchzuführen und zu leiten. Damit zeigt der Kläger, dass er trotz seiner Leiden in der Lage ist, auch komplizierteren und zeitintensiveren Verhandlungen folgen zu können; weshalb er dann Veranstaltungsinhalten, die ggf. eine so hohe Konzentration wie Verhandlungen im Rahmen der Hausverwaltungen nicht erfordern, erschließt sich dem Senat nicht. Daraus schließt der Senat, dass die Schmerzen und sonstigen Leiden auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet den Kläger nicht allgemein und ständig daran hindern auch inhaltlich an Veranstaltungen, Vorträgen, Konzerten usw., seien diese geschlossener oder – worauf es vorliegend ankommt - öffentlicher Art, partizipieren zu können.

Mit der Rechtsprechung des BSG genügt für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sogar die bloße körperliche Anwesenheit bei öffentlichen Veranstaltungen. Teilnahme sei ohne Rücksicht darauf zu verstehen, ob der Teilnehmer geistig (noch) in der Lage ist, dem Dargebotenen zu folgen (vgl. BSG 28.06.2000 – B 9 SB 2/00 R –, SozR 3-3870 § 4 Nr 26 = juris RdNr. 13; BSG 11.09.1991 – 9a/9 RVs 15/89SozR 3-3870 § 4 Nr. 2 = juris; BSG 16.03.1994 – 9 RVs 3/93 – juris). Auch die als Anlage zu § 2 der VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), zuletzt durch Art. 18 Abs. 4 des Gesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert, ergangenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze enthalten eben so wenig wie deren Vorgängerin die sog. AHP nähere Bestimmungen, die die Teilnahmefähigkeit erläutern. Mithin hat das BSG zutreffend im Hinblick auf die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" auf die Fähigkeit zur körperlichen Anwesenheit abgestellt. Auch der Senat hat bereits entschieden, dass die fehlende geistige Fähigkeit, den Inhalt öffentlicher Veranstaltungen zu erfassen, keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich "RF" begründet, wenn der Behinderte noch in der Lage ist, die äußeren Umstände einer Veranstaltung als solche wahrzunehmen und zu erkennen, (Senatsbeschluss 09.08.2011 – L 8 SB 5408/08 – juris RdNr. 24 unter Hinweis auf BSG 11.09.1991 - 9 a/9 RVs 15/89 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 2 = juris). Vorliegend konnte der Senat aber feststellen, dass beim Kläger zumindest ein Mindestmaßes geistiger Aufnahme möglich und damit eine Unfähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht festzustellen ist.

Eine andere Auslegung des Begriffs der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen lässt sich auch nicht aus dem SGB IX ableiten, denn die Regelungen des RBStV gehören nicht zum SGB und sind daher nicht dessen Regelungen unterworfen, wie das BSG zur früheren Verordnung über die Voraussetzung für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in der Fassung vom 18.03.1993 - RGVO - (Amtsblatt des Saarlandes 1993, 266) entschieden hat (BSG 28.06.2000 – B 9 SB 2/00 RSozR 3-3870 § 4 Nr. 26 = juris RdNr. 11).

Gründe, die in den Leiden des Klägers liegen und die ihm selbst eine solche körperliche Anwesenheit verunmöglichen, oder wegen seiner Gebrechen ihn zum Anlass für Ausgrenzung durch Dritte machen bzw. Dritte zum Verlassen der Veranstaltung veranlassen, hat weder der Kläger vorgetragen noch konnte der Senat solche feststellen.

Demgemäß ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass es der Kläger nicht ständig und allgemein gehindert ist an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. So ist es z.B. auch bei Veranstaltungen, die gewöhnlich keine große Teilnehmerzahl aufweisen, z.B. Vorträge oder Kleinkunstveranstaltungen, die erwartungsgemäß nur einen kleinen Interessentenkreis ansprechen (dazu Senatsurteil 24.10.2016 – L 8 SB 3744/15 – juris RdNr. 48), üblicherweise grds. möglich auch den besonderen Sitz- und Stehbedürfnissen des Klägers durch mitgebrachte Kissen oder einen Rollstuhl Rechnung zu tragen, sodass auch ihm die Teilnahme möglich ist.

Insgesamt konnte der Senat feststellen, dass der Kläger zwar in Folge seiner Gesundheitsstörungen körperlich erheblich eingeschränkt ist. Dass der Kläger allgemein und ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist, konnte der Senat dagegen nicht feststellen. Den Einschätzungen der Ärztin V. und des Dr. S. schließt sich der Senat nicht an. Denn der Senat geht schon von den eigenen Angaben des Klägers aus und muss feststellen, dass diese (Sitzmöglichkeit bis eine Stunde, Hausverwaltungstätigkeiten) von den beiden Ärzten – soweit ihnen überhaupt bekannt - nicht berücksichtigt wurden. Vielmehr ist der Senat mit der Ärztin V. der Überzeugung, dass der Kläger mit der Energie und Kraft, die er zum Besuch der Ärzte aufwendet, auch öffentliche Veranstaltungen besuchen kann.

Soweit der Kläger in Folge seiner Behinderungen zwar schwach und im Aktionsradius eingeschränkt ist, bedeutet dies jedoch nicht, dass er öffentliche Veranstaltungen allgemein und ständig nicht mehr besuchen kann. Denn die mit dieser Schwäche und den Behinderungen einhergehende erhebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit/Gehfähigkeit im Straßenverkehr sowie die Erforderlichkeit von Hilfen bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln wird bereits durch die ihm zuerkannten Merkzeichen "G" und "B" sowie "aG" erfasst und ausgeglichen (Senatsurteil 24.10.2016 – L 8 SB 3744/15 – juris). Das Merkzeichen "RF" erfasst dagegen Fälle, in denen ein Verbleiben am Ziel, nämlich die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, allgemein und ständig nicht möglich ist (Senatsurteil 24.10.2016 – L 8 SB 3744/15 – juris). Dass der Kläger aber allgemein Ziele erreichen kann, hat der Senat bereits zuvor dargelegt. Dies zeigt, dass der Kläger gerade nicht an seine Wohnung "gefesselt" ist, sondern im allgemeinen Verkehr mobil ist. Kann der Kläger aber diese allgemeinen Ziele erreichen, kann er auch öffentliche Veranstaltungsorte erreichen. Dass der Kläger aber nach Erreichen des Veranstaltungsortes an öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt nicht teilnehmen kann, weil er z.B. dort nicht verbleiben kann oder wegen seiner Leiden daran schon gar nicht teilnehmen kann, konnte der Senat nicht feststellen. Damit liegen die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" nicht vor.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom Beklagten und vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmenden rechtlichen Bewertungen. Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt.

Konnte der Senat eine allgemeine und ständige Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht feststellen, liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" nicht vor, weshalb die Berufung zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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