L 5 R 112/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 R 307/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 112/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 66/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von ihm entrichteter Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie erstmals im Berufungsverfahren die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI).

Dem Versicherungskonto des 1960 geborenen Klägers lassen sich folgende rentenrechtlichen Daten entnehmen:

01.08.75-31.12.75 1.190,00 DM Pflichtbeitragszeit
01.01.76-04.06.76 1.319,00 DM Pflichtbeitragszeit
01.06.77-31.12.77 10.443,00 DM Pflichtbeitragszeit
01.01.78-11.05.78 6.670,00 DM Pflichtbeitragszeit
09.06.78-12.06.78 Arbeitslosigkeit
26.06.78-30.06.78 Arbeitslosigkeit
01.07.78-05.09.78 3.325,00 DM Pflichtbeitragszeit
10.11.78-31.12.78 2.567,00 DM Pflichtbeitragszeit
01.01.79-06.02.79 1.866,00 DM Pflichtbeitragszeit
11.04.79-12.05.79 1.661,00 DM Pflichtbeitragszeit
14.05.79-14.05.79 69,00 DM Pflichtbeitragszeit
20.08.79-31.08.79 740,00 DM Pflichtbeitragszeit
30.06.81-07.09.81 4.850,00 DM Pflichtbeitragszeit
01.08.88-18.08.88 1.980,00 DM Pflichtbeitragszeit
05.02.07-31.05.07 779,00 EUR Pflichtbeitragszeit Arbeitslosengeld II ohne Arbeitslosigkeit
01.04.11-16.05.11 Bezug von Arbeitslosengeld II

Am 18. April 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten formlos die Erstattung seiner im Zeitraum von 1975 bis 2011 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 2013 ab, weil der Kläger das Recht zur freiwilligen Versicherung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung habe und deshalb nicht erstattungsberechtigt sei.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 2013 Widerspruch, den er damit begründete, dass sich die nunmehr ausgewiesenen Rentenversicherungsbeiträge auf lediglich 26.600 DM beliefen, während ihm im Jahr 2007 noch Beiträge in Höhe von 43.360,48 DM bescheinigt worden seien. Er sei erwerbsunfähig und wolle demnächst nach Großbritannien ziehen, wo es ein anderes Rentenversicherungssystem gebe. Er begehre die Korrektur und Auszahlung der entrichteten Beiträge.

Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil dem Kläger das Recht zustehe, sich freiwillig zu versichern, und daher eine Beitragserstattung ausscheide. Die Beanstandung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Es bleibe dem Kläger allerdings unbenommen, einen Antrag auf Kontenklärung zu stellen.

Mit seiner am 21. August 2013 vor dem Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) erhobenen Klage verfolgte der Kläger den Anspruch auf Beitragserstattung weiter, dem die Beklagte unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Bescheid vom 6. Mai 2013 und Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2013 entgegentrat.

Nach Anhörung der Beteiligten wies das Sozialgericht die Klage des Klägers durch Gerichtsbescheid vom 23. März 2016 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung seiner Rentenversicherungsbeiträge habe, weil ihm das Recht zustehe, sich freiwillig zu versichern (§ 7 Abs. 1 SGB VI). Insoweit werde Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2013 und zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Im Übrigen komme auch eine Beitragserstattung nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB VI nicht in Betracht. Der Erstattungstatbestand des § 210 Abs. 1a SGB VI sei ebenfalls nicht erfüllt, da der Kläger weder versicherungsfrei noch von der Versicherungspflicht befreit sei.

Gegen den ihm am 29. März 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22. April 2016 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Erstattungsbegehren weiterverfolgt und darüber hinaus von der Beklagten nunmehr auch die Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 6 SGB VI) begehrt.

Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass er weiterhin einen Umzug nach Großbritannien plane, der sich jedoch wegen seiner Inhaftierung verzögere. In Großbritannien hätte er während der ersten vier Jahre seines Aufenthalts keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Er sei seit dem 20. September 2012 erwerbsunfähig und außerdem laut Bescheid des Versorgungsamtes vom 11. April 2014 als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt. Er sei völlig alleinstehend im Sinne des Personenkreises des § 210 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI, weil seine Familie 1. und 2. Grades in Deutschland verstorben sei und er auch zu seiner geschiedenen Ehefrau keinen Kontakt mehr habe.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 2016 sowie den Bescheid vom 6. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die in den Jahren 1975 bis 2011 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten sowie die Beklagte zu verpflichten, ihn gemäß § 6 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte nimmt Bezug auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat durch Beschluss vom 20. September 2016 die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen. Außerdem haben die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakte der Beklagten, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 20. September 2016 gemäß § 153 Abs. 5 SGG über den Rechtsstreit in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern sowie mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 SGG) entscheiden.

Während die Berufung des Klägers zulässig (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG), aber unbegründet ist, bleibt die von ihm erst im Berufungsverfahren erhobene und auf Befreiung von der Versicherungspflicht gerichtete Klage schon mangels zulässiger Klageänderung (§ 99 SGG) erfolglos.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 23. März 2016 ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen hat. Der dies ablehnende Bescheid vom 6. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2013 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG.

Zu Recht hat das Sozialgericht die auf die Beitragserstattung gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Dem Kläger steht unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Anspruch auf Beitragserstattung zu, weil die Voraussetzungen des § 210 SGB VI als allein in Betracht kommender Anspruchsgrundlage offenkundig nicht erfüllt sind. Keiner der in § 210 Abs. 1 und Abs. 1a SGB VI geregelten Erstattungstatbestände ist im Falle des Klägers gegeben. Er kann sein Erstattungsbegehren nicht auf § 210 Abs. 1 SGB VI stützen, weil ihm das Recht zusteht, sich gemäß § 7 Abs. 1 SGB VI freiwillig zu versichern (Nr. 1), er die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hat (Nr. 2) und er schließlich weder Witwer noch überlebender Lebenspartner oder Waise ist (Nr. 3). Überdies scheidet auch eine Erstattung nach § 210 Abs. 1a SGB VI aus, da der Kläger weder versicherungsfrei (§ 5 SGB VI) noch von der Versicherungspflicht befreit ist (§ 6 SGB VI). Dies alles hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 23. März 2016 zutreffend dargelegt, weshalb der Senat bezüglich der näheren Einzelheiten auf die dortigen Ausführungen verweist und insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht.

Lediglich ergänzend sei hierzu noch ausgeführt, dass das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren keine andere, für ihn günstigere Entscheidung rechtfertigt. Die von ihm vorgebrachten Gründe vermögen keinen Anspruch auf die begehrte Beitragserstattung zu begründen. Der beabsichtigte Umzug des Klägers nach Großbritannien und der Umstand, dass er dort in den ersten vier Jahren seines Aufenthalts keine Sozialleistungen erhalten wird, sind im Rahmen einer Beitragserstattung gemäß § 210 SGB VI ebenso unerheblich wie die von ihm geltend gemachte Erwerbsunfähigkeit und Anerkennung als Schwerbehinderter. Ungeachtet dessen, dass der Kläger offenkundig nicht vom Personenkreis des § 210 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI erfasst wird, ist hierbei im Übrigen auch noch zu bedenken, dass jener Erstattungstatbestand von vornherein nur die Erstattung von Beiträgen aus einer fremden Versicherung - nämlich der des Verstorbenen - ermöglicht, wohingegen der Kläger vorliegend die Beitragserstattung aus seiner eigenen Versicherung begehrt. Auch vor diesem Hintergrund ist seine Behauptung, dass bereits sämtliche Familienmitglieder 1. und 2. Grades in Deutschland verstorben seien und er auch keinen Kontakt mehr zu seiner geschiedenen Ehefrau habe, ohne Belang.

Die erstmals im Berufungsverfahren erhobene Klage des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten, ihn von der Versicherungspflicht zu befreien (§ 6 SGB VI), bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Das Befreiungsbegehren ist weder kraft gesetzlicher Klageänderung (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 96 Abs. 1 SGG) noch infolge gewillkürter Klageänderung (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 99 Abs. 1 und Abs. 2 SGG) wirksam in das Berufungsverfahren mit der Folge einbezogen worden, dass der Senat hierüber in der Sache entscheiden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002, B 4 RA 3/01 R - juris Rdnr. 12).

Ein Fall der gesetzlichen Klageänderung liegt schon deswegen nicht vor, weil es an einem die Befreiung von der Versicherungspflicht regelnden Bescheid der Beklagten fehlt, der gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.

Die Voraussetzungen einer gewillkürten Klageänderung sind vorliegend ebenfalls nicht gegeben. Gemäß § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Nach § 99 Abs. 2 SGG ist die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben (§ 99 Abs. 2 SGG). Diese gesetzlichen Bestimmungen gelten über § 153 Abs. 1 SGG auch im Berufungsverfahren (so schon BSG, Urteil vom 4. September 1958, 4 RJ 105/57 = BSGE 8, 113).

Die Beklagte hat weder ausdrücklich in die Klageänderung eingewilligt (§ 99 Abs. 1, 1. Alt. SGG), noch ist ihre Einwilligung nach § 99 Abs. 2 SGG anzunehmen. Auf die geänderte Klage lässt sich im Sinne dieser Vorschrift nur ein, wer auf sie inhaltlich eingeht oder einen Gegenantrag stellt oder Verteidigungsmittel nennt (vgl. Bieresborn, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 99 Rdnr. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall, weil sich das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren darin erschöpft, unter Bezugnahme auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung die Zurückweisung der Berufung zu beantragen, ohne auch nur ansatzweise auf das Befreiungsbegehren des Klägers einzugehen.

Schließlich ist die Änderung der Klage auch nicht sachdienlich (§ 99 Abs. 1, 2. Alt. SGG), weil die Prozessvoraussetzungen der geänderten Klage nicht vorliegen und sie daher gleich wieder als unzulässig abgewiesen werden müsste (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1993, 4 RA 39/91 - juris Rdnr. 19). Das folgt daraus, dass sich der Kläger mit seinem Befreiungsbegehren bislang nicht an die Beklagte gewandt hat, so dass es seiner darauf gerichteten Klage nicht nur an einem Rechtsschutzbedürfnis, sondern auch an einer Verwaltungsentscheidung sowie an einem erfolglos durchgeführten Vorverfahren (§ 78 SGG) fehlt.

Nach alledem waren die Berufung des Klägers zurückzuweisen und seine Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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