L 18 R 852/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 39 R 43/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 852/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RE 3/17 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision als unzulässig verworfen
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11.8.2016 geändert. Es wird festgestellt, dass der Kläger aufgrund des Bescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 5.9.1995 weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten. Ansonsten sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der 1967 geborene Kläger hat den Beruf des Wasserbauwerkers erlernt und später ein Fachhochschulstudium des (Bau-)Ingenieurwesens erfolgreich abgeschlossen (Abschluss im März 1994: Diplom-Bauingenieur FH). Seine erste Beschäftigung als Bauingenieur übte der Kläger vom 15.4.1994 bis 31.7.1997 als Bauleiter/Kalkulator bei der Firma C GmbH aus. In der Folgezeit war er als Bauleiter bei den Firmen N GmbH (bis Dezember 1997), (erneut) C GmbH (Januar 1998 bis Juni 2000), L Bauunternehmung GmbH (Juli 2000 bis April 2001), G G Ing.-Büro GmbH (Mai 2001 bis September 2008) und N Tiefbau GmbH (Oktober 2008 bis Oktober 2011) beschäftigt. Seit dem 1.11.2011 steht der Kläger in einem Beschäftigungsverhältnis als Bauoberleiter bei der F-genossenschaft F, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Der Kläger ist seit dem 1.5.1995 Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (NW) und seit dem 23.3.1998 freiwilliges Mitglied der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen (NRW). Die Ingenieurkammer Bau NRW ist kraft Anschlusssatzung dem Versorgungswerk der Architektenkammer NRW angeschlossen.

Am 4.7.1995 beantragte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), mit dem Formblatt "Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht" die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des Versorgungswerks der Architektenkammer NW. Er gab im Vordruck als Arbeitgeber die Firma C GmbH in E und als Beginn des "derzeitigen Beschäftigungsverhältnisses" den 15.4.1994 an.

Die BfA befreite den Kläger mit Wirkung zum 1.5.1995 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (Formularbescheid vom 5.9.1995). Der Bescheid trägt die Überschrift "Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI)" und regelt mit im Wesentlichen vorgedrucktem Text:

Auf Ihren Antrag werden Sie von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit.
Beginn der Befreiung 1. Mai 1995

Weiter heißt es, dass die Befreiung erst "ab Beginn der Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung" (= angekreuzte Alternative) wirke. Der danach folgende Text lautet:

"Die Befreiung gilt für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Mitgliedschaft in der jeweiligen Berufskammer, soweit Versorgungsabgaben in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen wären. Sie ist grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt.

Die Befreiung erstreckt sich auch auf andere versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sind und insoweit satzungsgemäß einkommensbezogene Beiträge zur Versorgungseinrichtung gezahlt werden."

Es folgt die Rechtsbehelfsbelehrung. Sodann heißt es in gleicher Textform weiter:

"Die BfA hat bei Wegfall der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch zu widerrufen.

Sie sind daher verpflichtet, der BfA die Umstände anzuzeigen, die zum Wegfall der Voraussetzungen für die Befreiung führen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn

- die Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung endet,
- Versorgungsabgaben nicht mehr in der dem Einkommen entsprechenden Höhe zu entrichten sind.

Die Befreiung endet erst mit dem förmlichen Widerruf durch die BfA.

Die als Anlage beigefügte Bescheinigung über die Befreiung ist dem Arbeitgeber bzw. der Stelle auszuhändigen, die sonst zur Zahlung der Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten verpflichtet wäre. Falls Sie inzwischen Ihren Arbeitgeber gewechselt haben, bitten wir den früheren (vorherigen) Arbeitgeber von der Befreiung zu verständigen."

Dem Bescheid als Anlage beigefügt war eine Karte der BfA mit der Überschrift "Bescheinigung" über die erteilte Befreiung (Größe etwa DIN A6), die zusätzlich den folgenden Hinweis enthält: "Diese Karte ist dem jeweiligen Arbeitgeber für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses auszuhändigen. Sie ist [ ...] bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses dem Arbeitnehmer zurückzugeben."

Anlässlich einer Höhergruppierung beantragte der Kläger im Januar 2015 auf Anraten seines derzeitigen Arbeitgebers erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und gab an, dass er seit November 2011 bei der F-genossenschaft angestellt und als Ingenieur Bautechnik berufsspezifisch beschäftigt sei. Er beantrage die Befreiung aufgrund seiner Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk der Architektenkammer NW.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger eine - ebenfalls erforderliche - Pflichtmitgliedschaft in der Ingenieurkammer NRW nicht nachgewiesen habe. Die mit Bescheid vom 5.9.1995 ab 1.5.1995 erfolgte Befreiung sei auf die damals ausgeübte Beschäftigung beschränkt gewesen. Eine Weitergeltung scheide aus (Bescheid vom 16.10.2015).

Mit seinem Widerspruch wandte der Kläger ein, seine derzeitige Tätigkeit als Bauoberleiter unterscheide sich nicht wesentlich von der 1995 ausgeübten Tätigkeit als Bauleiter, so dass die Voraussetzungen für die Befreiung immer noch gegeben seien. Im Bescheid vom 5.9.1995 sei keine Aussage darüber getroffen worden, wann und unter welchen Voraussetzungen die erteilte Befreiung ende. Er übe als "jeweilige Beschäftigung" immer noch eine berufsgruppenspezifische Beschäftigung als Bau(ober)leiter aus.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Seit 1996 erfordere die Befreiung eine Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer, die beim Kläger nicht gegeben sei. Der Befreiungsbescheid vom 5.9.1995 entfalte keine Wirkung für die ab dem 1.11.2011 ausgeübte Beschäftigung (Widerspruchsbescheid vom 4.1.2016).

Mit seiner Klage vom 26.1.2016 hat der Kläger vorgetragen, die mit Bescheid vom 5.9.1995 ausgesprochene Befreiung gelte für seine gegenwärtige Beschäftigung fort. Der Bescheid sei nicht mit der notwendigen Klarheit auf die damals vom Kläger ausgeübte Beschäftigung beschränkt worden. Dies ergebe die Auslegung der darin getroffenen Anordnungen. Dazu seien die für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze heranzuziehen. Danach sei entscheidend, wie der Empfänger die getroffenen Regelungen bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste. Im Bescheid vom 5.9.1995 werde nur der Beginn der Befreiung, nicht jedoch ihre Dauer geregelt. Es fehle jede Begrenzung auf eine bestimmte Zeit oder den Eintritt eines bestimmten Ereignisses. Das Beschäftigungsverhältnis, für das er nach der heute von der Beklagten vertretenen Auslegung ausschließlich gelten solle, werde überhaupt nicht erwähnt. Die Formulierung "Sie ist grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt." sei nur eine Wiederholung des Gesetzestextes. Ferner stehe im Bescheid, die BfA habe bei Wegfall der Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 48 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch zu widerrufen. Es würden dann Fälle genannt, die eine Mitteilungspflicht des Erklärungsempfängers auslösen sollen. Die Beendigung einer Beschäftigung und/oder die Aufnahme einer neuen Beschäftigung seien nicht erwähnt. Es sei danach nicht einzusehen, warum nach der Systematik des Bescheides das Ende der Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung erst durch den Widerruf zum Wegfall der Befreiung führe, während die Beendigung der konkreten Beschäftigung, für die die Befreiung erteilt worden ist, angeblich "automatisch" eintrete. Auf das Gesetz könne zur Auslegung nicht zurückgegriffen werden, weil ein empfangsbedürftiger Verwaltungsakt nicht nach Maßgabe des Gesetzes ausgelegt werden dürfe. Eine Vermutung, dass eine dem Gesetz entsprechende Regelung getroffen werden sollte, gebe es nicht. Letztlich fehle gerade die Bezeichnung einer konkreten Beschäftigung. Diese wäre möglich gewesen, weil im Antragsformular der Arbeitgeber erfragt worden ist. Es sei allerdings nicht zu erkennen gewesen, dass die Befreiung nur für das dort anzugebende Beschäftigungsverhältnis gelten sollte, zumal sich dieses während des Verfahrens ohnehin habe ändern können. In die Auslegung sei außerdem die mit dem Befreiungsbescheid ausgehändigte "Bescheinigung" einzubeziehen. Sie sei ein Ausweis der Befreiung, die "dem jeweiligen Arbeitgeber für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses" ausgehändigt werden solle. Es liege deshalb die Annahme nahe, dass man sich auch gegenüber wechselnden/neuen Arbeitgebern mit dieser Karte als "Besitzer" einer Befreiungsbescheinigung legitimieren könne. Eine Fortgeltung des Befreiungsbescheides entspreche auch dem Sinn und Zweck der Übergangsregelung des § 231 Abs 2 SGB VI. Diese Vorschrift solle den Angestellten, die - wie Bauingenieure - nur in einem ganz eng begrenzten zeitlichen Rahmen eine Befreiung erreichen konnten, bei gleichbleibenden beruflichen Verhältnissen die Kontinuität des erreichten Status sichern. Andernfalls wären angestellte Ingenieure, die häufiger den Inhalt ihrer Berufstätigkeit und/oder ihren Arbeitgeber wechselten, oft schon innerhalb sehr kurzer Zeit wieder aus dem gewählten Versorgungssystem ausgeschlossen worden. Das sei aber nicht der Sinn einer Übergangsvorschrift, die den Zweck habe, die Kontinuität der gewählten Versorgung zu sichern.

Das Sozialgericht (SG) hat die F-genossenschaft notwendig zum Verfahren beigeladen (Beschluss vom 4.6.2016; fortan: Beigeladene).

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 16.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2016 aufzuheben und festzustellen, dass er aufgrund des Bescheides der BfA vom 05.09.1995 weiterhin von der Rentenversicherungspflicht befreit ist und dass diese Befreiung auch für die derzeitige Beschäftigung bei der Beigeladenen gilt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt. Danach bestehe der Regelungsgehalt eines Befreiungsbescheides nach dem Gesetz allein in der Befreiung von der Versicherungspflicht für eine konkrete Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber und der Bestimmung ihres Beginns. Sonstige Ausführungen seien lediglich Hinweise, mit denen der Befreiungsbescheid erläutert werde. Hieraus folge ohne weiteres, dass die Befreiung gegenstandslos werde, wenn das der Befreiung zu Grunde liegende Beschäftigungsverhältnis ende. Für jede weitere Berufsausübung sei ein neuer Befreiungsantrag zu stellen und ein neuer Befreiungsbescheid zu erteilen, andernfalls trete automatisch Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Das SG hat die Klage abgewiesen: Der Bescheid vom 5.9.1995 begründe keine Befreiung für die Tätigkeit bei einem anderen als dem damaligen Arbeitgeber. Es sei zutreffend, dass aus dem Verfügungssatz des Bescheides nicht hervorgehe, dass die Befreiung nur für die jeweilige Beschäftigung gelte. Der entsprechende Regelungsgehalt des Verfügungssatzes ergebe sich jedoch durch Auslegung, die unter Berücksichtigung der Begründung des Verwaltungsaktes einschließlich der beigefügten Anlagen zu erfolgen habe. In der Begründung des Bescheides werde ausgeführt, dass die Befreiung "grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt" sei. Die Ausnahmen von dem Grundsatz seien sodann im nächsten Absatz abschließend benannt. Soweit die BfA ausführe, dass die Befreiung erst mit dem förmlichen Widerruf ende, so folge hieraus nichts anderes. Der Bescheid vom 5.9.1995 sei bereits nach § 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht mehr wirksam. Mit Wechsel in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis trete die Versicherungspflicht kraft Gesetzes ein, der Bescheid verliere seine regelnde Wirkung und brauche nicht mehr aufgehoben zu werden. Ein anderes Ergebnis sei auch nicht aus Gründen eines von dem Kläger betätigten Vertrauens in den uneingeschränkten Fortbestand der ursprünglich erteilten Befreiung von der Versicherungspflicht oder aus sonstigen Gesichtspunkten abzuleiten. Es sei weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich, dass die BfA bzw. die Beklagte dem Kläger Hinweise gegeben habe, die ein Vertrauen in den Fortbestand der Befreiung auch bei Wechsel des Arbeitgebers begründeten. Der Bescheid vom 5.9.1995 selbst sei nicht geeignet, ein entsprechendes Vertrauen des Klägers zu erzeugen. Dabei könne dahinstehen, ob auf den Kläger selbst oder auf einen objektiven Dritten abzustellen sei. Der Regelungsgehalt des Bescheides sei unter Hinzuziehung der Begründung dergestalt auszulegen, dass die Befreiung sich nicht auf weitere Beschäftigungen beziehe. Andernfalls seien die Ausführungen zu der Erstreckung der Befreiung auf andere versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten unnötig (Urteil vom 11.8.2016, zugestellt am 29.8.2016).

Mit Berufung vom 23.9.2016 hat der Kläger sein Vorbringen vertieft. Er stütze die von ihm begehrte Feststellung ausschließlich auf den Verwaltungsakt der BfA vom 5.9.1995. Aus den Antragsunterlagen ergebe sich, dass der von dem Kläger auf dem Formular der Beklagten gestellte Antrag sich nur auf die Befreiung von der Versicherungspflicht beziehe, ohne dass ein bestimmtes Beschäftigungsverhältnis bei der Antragstellung erwähnt werde. Soweit das SG seine Entscheidung darauf stütze, dass der Bescheid vom 5.9.1995, seine regelnde Wirkung verloren habe, sei dies nicht richtig. Dieser Bescheid regele nicht nur die Befreiung für die damals vom Kläger konkret ausgeübte Beschäftigung, sondern generell die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Beschränkung auf eine bestimmte Zeit und auf ein bestimmtes Beschäftigungsverhältnis. Wenn eine zeitliche und/oder inhaltliche Begrenzung der Befreiung nicht geregelt sei, gelte sie auf unbestimmte Zeit. Wenn diese Rechtsfolge erklärt sei, könne sich der Verwaltungsakt nicht durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigen. Die Behörde müsse eine inhaltliche Beschränkung, die sich aus dem (abstrakt-generellen) Gesetz ergebe, im Tenor des Verwaltungsaktes umsetzen. Es sei nicht die Sache des Erklärungsempfängers, den Verwaltungsakt selbst durch Subsumtion um die aus dem Gesetz folgenden Rechtslage zu ergänzen.

Der Senat hat das Versorgungswerk der Architektenkammer NW mit Beschluss vom 29.11.2016 ebenfalls zum Verfahren beigeladen (fortan: Beigeladener).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung vom Januar 2015 zurückgenommen. Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, dass der Bescheid vom 16.10.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 4.1.2016 für sie damit gegenstandslos geworden sind.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11.8.2016 zu ändern und festzustellen, dass er aufgrund des Bescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 5.9.1995 weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen Bezug, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung ist begründet.

Das SG hat die Klage, soweit der erkennende Senat noch über sie zu entscheiden hat, zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf die (gerichtliche) Feststellung, dass er aufgrund des Bescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 5.9.1995 weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.

Streitgegenstand ist nach dem im Berufungsverfahren zuletzt gestellten Antrag (nur noch) die Feststellung, dass der Kläger durch Bescheid der BfA vom 5.9.1995 auch in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen weiter von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Die zunächst ebenfalls erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.1.2016, mit dem die Beklagte seinen am 30.1.2015 gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt hat, verfolgt der Kläger ausweislich des in der mündlichen Verhandlung gestellten Sachantrags nicht weiter. Vielmehr hat der Kläger den zugrundeliegenden erneuten (Befreiungs-)Antrag zurückgenommen. Allein durch die Zurücknahme des erforderlichen (§ 6 Abs 2 SGB VI) Antrags vor Eintritt der Bestandskraft sind der Bescheid vom 16.10.2015 und der Widerspruchsbescheides vom 4.1.2016 gegenstandslos geworden. Die damit einhergehende (konkludente) Zurücknahme der Anfechtungsklage ist immer zulässig (vgl §§ 153 Abs 1, 102 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie stellt insbesondere keine unzulässige Klageänderung iSv §§ 153 Abs 1 iVm 99 SGG dar, sondern ist die Beschränkung des Streitgegenstandes auf das vom Kläger bereits im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren verfolgte Feststellungsbegehren (vgl § 99 Abs 2 Nr 3 SGG).

1. Die Klage ist zulässig.

Sie ist als Feststellungsklage statthaft. Die vom Kläger begehrte Feststellung kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein (dazu a.). Dem Kläger stehen andere Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht zur Verfügung (dazu b.). Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor (dazu c.). Vor Erhebung der Feststellungsklage bedurfte es keines Verwaltungsverfahrens (dazu d.).

a. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Diese Feststellungsklage setzt nicht voraus, dass ein Rechtsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten festgestellt werden soll. Es kann auch die gerichtliche Feststellung einer einzelnen Berechtigung aus einem Rechtsverhältnis begehrt werden (BSGE 4, 184, 185; 7, 3, 5; 43, 148, 150 = SozR 2200 § 1385 Nr 3; BSG SozR 2200 § 1248 Nr 37). Insbesondere kann (allein) das Bestehen oder Nichtbestehen der Versicherungspflicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein (so BSG, Urteil vom 31.10.2012, Aktenzeichen (Az) B 12 R 8/10 R, = SozR 4 2600 § 6 Nr 8; BSG, Urteil vom 8.2.2000, Az B 1 KR 13/99 R).

b. Die Feststellungsklage ist hier gegenüber der Anfechtungs- oder Leistungsklage nicht subsidiär. Zwar gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der Nachrangigkeit einer solchen Klage (vgl dazu BSGE 43, 148, 150f = BSG SozR 2200 § 1385 Nr 3; BSGE 46, 81, 84 = BSG SozR 5420 § 3 Nr 7). Andere - vorrangige - Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes kommen hier jedoch nicht in Betracht. Insbesondere kommt eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) nicht in Betracht. Für die Feststellung, aufgrund des Bescheides der BfA vom 5.9.1995 weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu sein, bedarf es keiner erneuten (ablehnenden) Entscheidung der Beklagten über einen Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und damit keines erneuten feststellenden Verwaltungsakts. Dies erkennend hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung zutreffend seinen (Sach-)Antrag seinem eigentlichen Begehren angepasst und den - zu Recht selbst als aussichtlos bezeichneten - Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 30.1.2015 zurückgenommen.

c. Es liegt auch ein berechtigtes (Feststellungs-)Interesse iS von § 55 Abs 1 SGG an der begehrten Feststellung des Umfangs bzw. der Dauer seiner Befreiung von der Versicherungspflicht bzw. am (Nicht-)Bestehen einer solchen für sein aktuelles Beschäftigungsverhältnis vor (BSG, Urteil vom 31.10.2012, Az B 12 R 8/10 R, = SozR 4-2600 § 6 Nr 8, Rn 12).

d. Eines vorangehenden Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens bedurfte es nicht. Der Kläger kann sein Feststellungsbegehren unmittelbar gerichtlich geltend machen. Zwar verlangt die Rechtsprechung, dass auch vor Erhebung einer Feststellungsklage in der Regel ein Verwaltungsverfahren durchzuführen ist (vgl BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10; BSGE 58, 134, 136 = SozR 2200 § 285 Nr 14; BSGE 58, 150, 151 = SozR 1500 § 55 Nr 27). Das gilt aber nicht, wenn - wie hier - bereits ein feststellender Verwaltungsakt (hier der Bescheid vom 5.9.1995) ergangen ist und der Kläger geltend macht, darin sei ihm der streitige Anspruch (Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung) bereits zugebilligt worden (vgl Keller in: Meyer-Ladewig. SGG. 12. Auflage 2017, § 55 Rn 3b).

2. Die Klage ist begründet, weil der streitige Feststellungsanspruch besteht.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Feststellungsanspruchs sind die Regelungen des Bescheides vom 5.9.1995. Darin ist zwischen den Beteiligten bindend geregelt, dass der Kläger (auch) in seiner Beschäftigung als Bauingenieur (Bauoberleiter) bei der Beigeladenen von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist (dazu a.). Diese Regelungswirkung des Bescheides ist in der Folgezeit weder durch Änderung des Gesetzes noch durch Wechsel des Arbeitgebers entfallen (dazu b.).

a. Der Bescheid vom 5.9.1995 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der eine die Beteiligten bindende bestandskräftige Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht des Klägers regelt, solange der Kläger eine die Mitgliedschaft bei dem Beigeladenen vermittelnde Beschäftigung als Bauingenieur ausübt.

Die in § 77 SGG geregelte Bindungswirkung eines Verwaltungsakts bestimmt sich nach den in seinen Verfügungssätzen getroffenen Regelungen (vgl BSG, Urteil vom 20.6.1984, Az 7 RAr 91/83 = SozR 4100 § 112 Nr 23 mwN; Urteil vom 28.6.1990, Az 7 RAr 22/90 = SozR 3-4100 § 137 Nr 1; BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az B 12 AL 2/11 R = SozR 4-2400 § 27 Nr 5). Maßstab für die Inhaltsbestimmung dieser Regelungen ist - wie generell bei Willenserklärungen, vgl §§ 133; 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - die Auslegung der sprachlichen Äußerungen nach dem "Empfängerhorizont" eines verständigen (objektiven) Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde nach ihrem wirklichen (oder mutmaßlichen) Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl BSG SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14 mwN). Zur Erforschung dieses Willens sind die Begründung der Entscheidung (sofern vorhanden), aber auch sonstige Umstände heranzuziehen, die erkennbar in Zusammenhang mit der getroffenen Regelung stehen. Will die Behörde die Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes durch Zusätze einschränken, müssen diese inhaltlich bestimmt, klar, verständlich und widerspruchsfrei sein. Unklarheiten gehen zu ihren Lasten (vgl BSGE 37, 155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr 1). Lassen Begründung oder Zusätze bzw. Hinweise mehrere Auslegungen zu, muss sich die Behörde diejenige entgegenhalten lassen, die der Bescheidempfänger vernünftigerweise zugrunde legen darf, ohne die Unklarheit, Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit des Bescheides willkürlich zu seinen Gunsten auszunutzen (vgl BSGE 62, 32, 37 = SozR 4100 § 71 Nr 2 mwN).

Der (Form-)Bescheid der Beklagten vom 5.9.1995 enthält zwischen Überschrift und Rechtsbehelfsbelehrung ausschließlich Verfügungssätze. Eine Begründung fehlt sowohl nach der äußeren Gestaltung als auch nach den inhaltlichen Ausführungen. Schon nach der äußeren Gliederung des Bescheides (aber auch nach seinem Inhalt) sind die nach der Rechtsbehelfsbelehrung folgenden Ausführungen nur ergänzende Hinweise. Damit regelt der Bescheid vom 5.9.1995 in seinem Verfügungsteil erstens die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, zweitens ihren Beginn (zum 1.5.1995) und drittens - vor allem durch Beschränkung auf "die jeweilige Beschäftigung" - ihren konkreten Umfang und damit mittelbar ihre Dauer. Der Verfügungssatz zum Umfang (bzw. zur Dauer) der Befreiung setzt diese(n) nicht in Bezug zu einem - zumindest bestimmbaren - konkreten (Einzel-)Beschäftigungsverhältnis. Er ordnet vielmehr (allgemeiner) an, dass die Befreiung für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Mitgliedschaft in der jeweiligen Berufskammer verbindlich gilt, soweit Versorgungsabgaben in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären. (Auch) die Ausführungen zu Umfang und Dauer der Befreiung stellen rechtliche Regelungen im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. Aus der für die Auslegung maßgeblichen Empfängerperspektive sind sie nach der äußeren Gestaltung und unter Berücksichtigung der für die Behörde nach dem Gesamtkontext maßgeblichen Umstände als eigenständige Regelung zu verstehen und stellen nicht etwa nur eine (für den Empfänger nicht erkennbare) unverbindliche Erläuterung der Rechtslage durch Wiedergabe des Gesetzestextes dar. Sie besagen vielmehr, dass der Kläger für die gesamte Dauer seiner Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung für jede ausgeübte Beschäftigung im Beruf des Bauingenieurs von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit bleibt (in diesem Sinne - obiter dictum - auch: BSGE 108, 8-14 = SozR 4-5425 § 4 Nr 1, juris Rn 12).

Das ergibt sich aus dem Wortlaut, dem Regelungskontext und dem erkennbaren (mindestens mutmaßlichen) Willen der erklärenden Behörde. "Jeweilige Beschäftigung" ist danach dahingehend zu verstehen, dass es sich um die jeweilige, die Mitgliedschaft vermittelnde Beschäftigung - hier also immer diejenige eines Bauingenieurs - handelt, egal bei welchem bzw. bei wie vielen Arbeitgebern die Beschäftigung ausgeübt wird. Dem Bescheid kann aus objektiver Empfängersicht gerade nicht entnommen werden, dass die Befreiung nur in Bezug auf die im Befreiungsantrag angegebene Beschäftigung (bei der Firma C GmbH in E) erteilt worden ist und bei einem Wechsel des Arbeitgebers erlischt. Im Gegenteil stellt er die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Mitgliedschaft in der jeweiligen Berufskammer fest.

Was den Wortlaut anbelangt, stellt die BfA im Bescheid vom 5.9.1995 zunächst ohne Bezugnahme auf ein konkretes Beschäftigungsverhältnis fest, dass der Kläger "von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit" ist. Weiter heißt es, dass die Befreiung "für die Dauer der Pflichtmitgliedschaft und einer daran anschließenden freiwilligen Mitgliedschaft ( ...) gilt". Sprachlich wird die Befreiungsdauer damit (nur) an eine (freiwillige bzw. Pflicht-)Mitgliedschaft im Versorgungswerk geknüpft, die beim Kläger bis heute fortbesteht. Hätte die BfA zum Ausdruck bringen wollen, dass sich die Befreiung auf die im Befreiungsantrag erfragte seinerzeitige Tätigkeit des Klägers bei der Firma C GmbH in E beschränkt, hätte nahe gelegen, dies explizit zu regeln. Solche Regelungen sind aber offenbar erst ab etwa 2007 getroffen worden (vgl Becker, Neue Rechtsprechung und Vertrauensschutz im Sozialrecht: Zur Befreiung der Syndikusanwälte von der Rentenversicherungspflicht, in: ZfA 2014, 87, 93).

Allein die Abfrage des Arbeitgebers im Antragsformular von 1995 stellt keine ausdrückliche Verknüpfung zwischen Befreiung und konkretem Beschäftigungsverhältnis her; der damalige Antrag ist vielmehr allgemein auf die "Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 SGB VI zugunsten des Versorgungswerkes der Architektenkammer NRW" bezogen. Soweit im Antragsformular Angaben zum Arbeitgeber und dem Beginn des dortigen Beschäftigungsverhältnisses abgefragt werden, wird durch nichts deutlich, dass dies zur Beschränkung des Antrages und der Befreiung auf dieses Beschäftigungsverhältnis erfragt wird. Entsprechende Ausführungen finden sich im Antragsformular und im Bescheid gerade nicht. Im Gegenteil wird nach dem "derzeitigen" Beschäftigungsverhältnis gefragt, was mindestens andeutet, dass die Befreiung auch für weitere Beschäftigungsverhältnisse Bedeutung haben kann. Deshalb liegt näher anzunehmen, dass die Abfrage im Antragsvordruck erfolgt ist, um festzustellen, ob aktuell ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, für das eine Befreiung erteilt werden kann.

Eine Beschränkung der Regelungswirkung des Befreiungsbescheides auf das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma C GmbH in E folgt insbesondere nicht aus dem Passus "Sie ist grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt." und "Die Befreiung erstreckt sich auch auf andere Beschäftigungen [ ...]." Diese Formulierungen geben zunächst das im Gesetz angelegte Regel-Ausnahmeverhältnis wieder und besagen, dass die Befreiung grundsätzlich nur für die die Mitgliedschaft im Versorgungswerk vermittelnde Beschäftigung gilt, die Befreiung sich aber ausnahmsweise dann auf andere versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten erstrecken kann, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sind. Damit sind Fälle eines Systemwechsels gemeint, also Beschäftigungen, die eigentlich zur Versicherung in einem anderen System führen (vgl BSGE 83, 74-82, SozR 3-2600 § 56 Nr 12, juris Rn 27 aE). Dieser Regelungskontext zeigt, dass die Semantik der Formulierung "jeweilige Beschäftigung" gerade nicht eindeutig iS von Beschränkung auf die bei Erteilung des Bescheides (oder bei Antragstellung?) konkret ausgeübte abhängige Beschäftigung zu verstehen ist. "Jeweilig" bedeutet eben nicht zwingend Begrenzung auf eine individuelle Tätigkeit, sondern auch Begrenzung auf Tätigkeiten, die jeweils ein (oder mehrere) besondere Charakteristika aufweisen. Damit umfasst die Formulierung zwanglos auch den Wortsinn: "solange jeweils eine die Tätigkeit im Versorgungswerk vermittelnde Tätigkeit als Bauingenieur ausgeübt wird". Eine solche Tätigkeit hat der Kläger seit Bekanntgabe des Bescheids vom 5.9.1995 durchgehend (bei verschiedenen Arbeitgebern) verrichtet.

Dass der objektive, verständige Bescheidempfänger diese Regelung im letztgenannten Sinn verstehen musste, ergibt sich insbesondere aus dem Bescheidkontext, nämlich aus den hinter der Rechtsbehelfsbelehrung angefügten weiteren Hinweisen und aus den Angaben in der zusammen mit dem Bescheid ausgehändigten Bescheinigung.

Der Hinweis "Falls Sie inzwischen Ihren Arbeitgeber gewechselt haben, bitten wir den früheren (vorherigen) Arbeitgeber von der Befreiung zu verständigen" besagt, dass der Befreiungsbescheid bei einem Wechsel des Arbeitgebers zwischen Antragstellung und Bekanntgabe des Befreiungsbescheides offenbar für beide Arbeitgeber gelten soll. Dies steht in erkennbarem Gegensatz zu einer Beschränkung auf das im Antrag angegebene Beschäftigungsverhältnis. Diesem Verständnis entspricht weiter, dass in den hinter der Rechtsbehelfsbelehrung angefügten Hinweisen konkrete Fallgruppen genannt werden, bei denen eine Mitteilungspflicht des Klägers (wegen Änderung der für die Befreiung maßgeblichen Verhältnisse) besteht. Dass ein Arbeitgeberwechsel hier nicht aufgeführt wird, lässt aus Sicht eines objektiven Empfängers nur den Schluss zu, dass der Wechsel des Arbeitgebers keine mitteilungspflichtige wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt und mithin die erteilte Befreiung nicht berührt. Außerdem besagen diese Hinweise schließlich, dass bei Wegfall der (zuvor explizit genannten) Voraussetzungen ein "Widerruf" der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 48 SGB X erfolge und "die Befreiung ( ...) erst mit dem förmlichen Widerruf durch die BfA" ende. Daraus muss ein verständiger Empfänger im Umkehrschluss entnehmen, dass die (Dauer-)Regelungswirkung des Bescheides erst durch förmliche Aufhebung der Befreiung entfällt, mithin ohne eine solche weitergilt (so auch: BSGE 80, 215-222, SozR 3-2940 § 7 Nr 4).

Die aus Wortlaut und Kontext folgende Inhaltsbestimmung dahingehend, dass es an einer Beschränkung der Befreiung auf einen bestimmten Arbeitgeber fehlt, wird durch die Angaben in der dem Bescheid beigefügten (Befreiungs-)"Bescheinigung" bestätigt. Darin heißt es, diese sei "dem jeweiligen Arbeitgeber für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses auszuhändigen". Daraus kann aus objektiver Empfängersicht nur der Schluss gezogen werden, dass ein Arbeitgeberwechsel für die Geltungsdauer der Befreiung ohne Belang ist. Gleiches gilt für die Formulierung, die Bescheinigung solle nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses dem Arbeitgeber wieder ausgehändigt werden. Dies legt nahe, dass sich die Bedeutung der Befreiung nicht mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses erledigt (dann könnte der Arbeitgeber die Bescheinigung behalten oder vernichten), sondern dass sie auch für künftige Beschäftigungsverhältnisse Verwendung finden soll (in diesem Sinne wohl auch: BSGE 83, 74-82, SozR 3-2600 § 56 Nr 12; juris Rn 21).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass das Bundessozialgericht lange nach Bekanntgabe des streitbefangenen Bescheides in anderen Kontexten entschieden hat, die gesetzliche Formulierung "jeweilige Beschäftigung" in § 6 Abs 5 S 1 SGB VI besage, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht immer nur für die konkrete Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber (iS von § 7 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) auszusprechen sei (Urteile vom 31.10.2012, BSGE 112, 108ff=SozR 4-2600 § 6 Nr 9, BSG SozR 4-2600 Nr 8 und BSG SozR 4-2600 § 231 Nr 5). Diese (spätere) authentische Gesetzesinterpretation ist für die vorliegende Entscheidung ohne Belang, weil eine solche Regelung dem Text des Bescheides der BfA vom 5.9.1995 objektiv gerade nicht zu entnehmen ist. Dass der von der BfA 1995 objektiv erklärte abweichende Regelungswille auch ihrem (mutmaßlichen) subjektiven Regelungswillen entspricht, entnimmt der Senat zum einem dem (bereits erläuterten) Gesamtkontext der gewählten Erklärungen und Aussagen im Bescheid und der diesem beigefügten Bescheinigung, aber auch daraus, dass die Beklagte offenbar erst nach den Entscheidungen des BSG (aaO) ihre Verwaltungspraxis entsprechend umgestellt hat.

b. Die Regelungswirkung der Verfügungen im Bescheid vom 5.9.1995 ist nicht entfallen.

Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist, § 39 Abs 2 SGB X.

Die Beklagte hat den Bescheid vom 5.9.1995 nicht zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben. Er hat sich auch nicht durch Zeitablauf erledigt, weil er nach dem zuvor Gesagten gerade keine Befristung auf die Zeit des (Fort-)Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Arbeitgeber C GmbH enthält. Die Gestaltungswirkung der Regelung "Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung" hat sich auch nicht auf sonstige Weise (etwa durch "Zweckerreichung") erledigt (vgl dazu BSG, Urteil vom 22.10.1998, Az B 5/4 RA 80/97 R).

Sie hat sich insbesondere nicht durch eine Änderung der Gesetzeslage auf sonstige Weise erledigt. Zwar trifft zu, dass für den Personenkreis der angestellten (Bau-)Ingenieure, dem der Kläger damals wie heute angehört, eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1.1.1996 ausgeschlossen ist, weil angestellte Ingenieure nicht Pflichtmitglied in einer berufsständischen (Ingenieur-)Kammer sein können. Die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Änderungen des § 6 Abs 1 SGB VI durch Art 1 Nr 3 Buchst a und b des Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl I, S 1824) haben die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung in diesem Sinne verschärft. Vor der Novelle konnten auch freiwillige Mitglieder einer Berufskammer, die Pflichtmitglieder eines Versorgungswerkes waren, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Ab dem 1.1.1996 gilt dies nur noch für Pflichtmitglieder der Kammern. Diese Gesetzesänderung soll nach der gleichzeitig in Kraft getretenen Übergangsregelung zuvor erteilte Befreiungen gerade nicht erfassen, § 231 Abs 2 SGB VI.

Soweit das SG ausführt, der Bescheid vom 5.9.1995 habe sich auf andere Weise erledigt, weil wegen der zum 1.1.1996 erfolgten Rechtsänderung eo ipso Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung eingetreten sei, handelt es sich um einen Zirkelschluss, der voraussetzt, was zu beweisen war: Die Reichweite des Bescheides vom 5.9.1995. Der Bescheid vom 5.9.1995 hat nach dem zuvor Gesagten seine Regelungswirkung weder durch die Rechtsänderung noch etwa mit dem ersten Arbeitgeberwechsel, sondern gar nicht verloren.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S 1, 193 Abs 1 S 1 SGG. Da der Kläger mit seinem eigentlichen Begehren vollständig obsiegt hat, kommt der mit der Anpassung des Antrags verbundenen teilweisen Zurücknahme der Klage keine eine eigenständige Kostenregelung erfordernde Bedeutung zu.

C. Der Senat hält die Auslegung der zahlreichen alten Formbescheide der früheren BfA für grundsätzlich bedeutsam und hat deshalb die Revision zugelassen, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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