L 9 AS 81/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 3261/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 81/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die (teilweise) Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) während der Untersuchungshaft des Klägers vom 07.04.2016 bis 07.07.2016, die Höhe der für April 2016 gewährten Leistungen und die Überprüfung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.02.2016 bis 31.07.2016 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) streitig.

Der 1963 geborene Kläger bewohnt seit dem 01.05.2004 eine 39 m² große Wohnung der G. gesellschaft mbH in M., für die er ab dem 01.01.2015 eine monatliche Grundmiete von 241,80 EUR zu entrichten hat. Am 25.10.2015 legte der Kläger die Betriebskostenabrechnung 2014 vom 15.10.2015 vor, aus der sich ab dem 01.11.2015 eine monatliche Gesamtmiete von 335,80 EUR (241,80 EUR Grundmiete und 94,00 EUR Nebenkosten) ergibt und mit der eine bis zum 15.11.2015 zu begleichende Nachforderung in Höhe von 210,39 EUR geltend gemacht wird. Nachdem der Kläger angegeben hatte, dass die Abrechnung nach seiner Einschätzung fehlerhaft sei und er sie nicht anerkenne, teilte der Beklagte mit Schreiben vom 27.10.2015 mit, der Nachforderungsbetrag werde vorerst nicht berücksichtigt. Der Kläger solle diesbezügliche Änderungen mitteilen, damit eine Übernahme des Nachforderungsbetrags geprüft werden könne.

Mit Bescheid vom 08.01.2016 gewährte der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 01.02.2016 bis 31.07.2016 in Höhe von monatlich 739,80 EUR, wobei neben dem Regelbedarf in Höhe von 404,00 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 335,80 EUR berücksichtigt wurden.

Mit bei dem Beklagten am 29.03.2016 eingegangenen Schreiben vom 15.03.2016 übersandte die Vermieterin des Klägers die Betriebskostenabrechnung 2014 vom 15.10.2015.

Nachdem der Beklagte Kenntnis von der am 07.04.2016 beginnenden Untersuchungshaft des Klägers in der Justizvollzugsanstalt (JVA) M. erlangt hatte, hob er mit Änderungsbescheid vom 15.04.2016 den bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheid vom 08.01.2016 auf und bewilligte für die Zeit vom 01.02.2016 bis 31.07.2016 die Leistungen wie folgt: Monatlicher Gesamtbetrag für Februar und März 2016 739,80 EUR (404,00 EUR Regelbedarf und 335,80 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung), für April 2016 950,19 EUR (404,00 EUR Regelbedarf und 546,19 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung), für Mai bis Juli 2016 335,80 EUR (Bedarf für Unterkunft und Heizung)). Es sei eine Änderung eingetreten, da der Kläger derzeit in der JVA sei.

Mit Schreiben vom 23.06.2016 hörte der Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Aufhebung der Leistungen für April 2016 in Höhe der anteiligen Regelleistung von 323,20 EUR an. Der Kläger erhielt bis zum 10.07.2016 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der gleichzeitig in Höhe dieses Betrags geltend gemachten Erstattung und möglichen Einziehung per Aufrechnung. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht.

Am 07.07.2016 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Leistungen und legte einen Entlassungsschein der JVA M. vor, ausweislich dessen er sich vom 06.04.2016 bis 07.07.2016 in Untersuchungshaft befunden hatte. Mit Änderungsbescheid vom 07.07.2016 hob der Beklagte den Änderungsbescheid vom 15.04.2016 teilweise auf und bewilligte für die Zeit vom 01.02.2016 bis 31.07.2016 Leistungen in folgender Höhe: monatlicher Gesamtbetrag für Februar und März 2016 739,80 EUR (404,00 EUR Regelbedarf und 335,80 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung), für April 2016 626,99 EUR (80,80 EUR Regelbedarf und 546,19 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung), für Mai bis Juni 2016 335,80 EUR (Bedarf für Unterkunft und Heizung) und für Juli 2016 659,00 EUR (323,20 EUR Regelbedarf und 335,80 EUR Bedarf für Unterkunft und Heizung).

Mit am 09.07.2016 eingegangenen Schreiben vom 07.07.2016 legte der Kläger ausführlich dar, mit der Aufhebung und der Höhe der bewilligten Leistungen nicht einverstanden zu sein, u.a. weil er der Betriebskostenabrechnung 2014 wie den vorangegangenen Betriebskostenabrechnungen widersprochen und dies dem Beklagten auch mitgeteilt habe. Im Monat April 2016 ergebe sich ein Differenzbetrag von 210,39 EUR; diesen Betrag habe er niemals anerkannt. Er beantrage für die Zeit vom 01.02.2015 bis 31.07.2016 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 739,80 EUR, wovon an ihn 364,10 EUR und an die Vermieterin 335,80 EUR auszuzahlen und durch den Beklagten zur Tilgung eines Darlehens 39,80 EUR einzubehalten seien. Da die Untersuchungshaft, die aufgehoben worden sei, nicht vorhersehbar gewesen sei, komme eine Aufhebung und Erstattung der Leistungen nicht in Betracht.

Mit Bescheid vom 11.07.2016 teilte der Beklagte dem Kläger mit, der Bescheid vom 15.04.2016 bleibe unverändert. Die beantragte Überprüfung sei durchgeführt worden und habe ergeben, dass weder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen noch das Recht falsch angewandt worden sei.

Mit Bescheid vom 20.07.2016 hob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen für den Monat April 2016 hinsichtlich des Regelbedarfs in Höhe von 323,20 EUR auf. Während der Inhaftierung vom 07.04.2016 bis 07.07.2016 bestehe kein Anspruch auf die Regelleistung. Die Entscheidung sei mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Die überzahlten Leistungen seien zu erstatten und würden ab dem 01.08.2016 in Höhe von monatlich 40,40 EUR mit den laufenden Leistungen aufgerechnet.

Am 02.08.2016 legte der Kläger Widerspruch gegen die Bescheide vom 11.07.2016, 15.04.2016, 07.07.2016 und 20.07.2016 ein. Der Bescheid vom 15.04.2016 müsse aufgehoben werden, da der Beklagte von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Er habe mehrfach mitgeteilt, dass er der Betriebskostenabrechnung 2014 widerspreche, diese habe er bis heute nicht anerkannt. Obwohl der Beklagte am 27.10.2015 mitgeteilt habe, wegen seines Widerspruchs den Nachforderungsbetrag nicht zu berücksichtigen, sei der Betrag in Höhe von 210,39 EUR nun berücksichtigt worden, was rechts- und gesetzeswidrig sei. Der Bescheid vom 15.04.2016 sei daher nichtig, für den Zeitraum 01.02.2016 bis 31.07.2016 sei neu zu entscheiden und monatlich ein Betrag von 739,80 EUR zu bewilligen. Der Bescheid vom 11.07.2016 sei ebenfalls aufzuheben, da von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen werde. Der Bescheid vom 07.07.2016 sei ebenfalls aufzuheben; der Beklagte habe am 07.07.2016 einen Änderungsbescheid erlassen, obwohl die Frist zur Anhörung bis zum 10.07.2016 eingeräumt worden sei. Der bei der Berechnung berücksichtigte Nachforderungsbetrag sei rechtswidrig, da er der Betriebskostenabrechnung 2014 widersprochen habe. Schließlich sei der Bescheid vom 20.07.2016 aufzuheben; für die Zeit einer rechts- und gesetzeswidrigen Inhaftierung bestehe nach seiner Auffassung ein Anspruch auf die Regelleistung. Der Einziehung widerspreche er, da er nichts zu erstatten habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2016 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.07.2016 zurück. Der Bescheid belaste den Kläger nicht in rechtswidriger Weise. Der Kläger habe zwar im Monat April 2016 tatsächlich lediglich einen Anspruch auf Regelbedarf in Höhe von 80,80 EUR, da er aufgrund der Inhaftierung am 07.04.2016 keinen Anspruch auf Regelbedarfsleistungen mehr gehabt habe. Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung seien entsprechend der vorliegenden Nachweise berücksichtigt worden. Der Kläger habe nicht vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung zu seinen Lasten sprechen könnte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2016 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.04.2016 als unzulässig. Der Bescheid sei am 15.04.2016 zur Post aufgegeben worden und gelte folglich als am 18.04.2016 bekannt gegeben. Die Widerspruchsfrist habe damit am 18.05.2016 geendet, der erst am 02.08.2016 eingegangene Widerspruch sei damit verfristet. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2016 wurde der Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 07.07.2016 zurückgewiesen. Der Bescheid sei nicht zu beanstanden; auf ihn und die ihm beigefügten Berechnungsübersichten werde Bezug genommen.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.07.2016 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2016 zurückgewiesen. Für den Monat April 2016 sei aufgrund der Inhaftierung eine Überzahlung in Höhe von 323,00 EUR entstanden, die durch den Kläger zu erstatten sei. Die erklärte Aufrechnung sei nach § 43 SGB II zulässig.

Am 31.10.2016 hat der Kläger beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage (S 6 AS 3261/16) gegen den Bescheid vom 11.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2016 erhoben. Gegen den Bescheid vom 15.04.2016 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 21.10.2016 hat der Kläger am 31.10.2016 Klage (S 6 AS 3262/16) erhoben. Am 08.11.2016 hat der Kläger Klage (S 6 AS 3346/16) gegen den Bescheid vom 20.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2016 und Klage (S 6 AS 3347/16) gegen den Bescheid vom 07.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2016 erhoben. Mit Beschluss vom 17.11.2016 hat das SG die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 6 AS 3261/16 verbunden.

Zur Klagebegründung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend ausgeführt, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.04.2016 sei zu Unrecht als verfristet verworfen worden; es seien Gründe vorhanden, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglichten.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 12.12.2016 den Bescheid des Beklagten vom 20.07.2016 sowie den Widerspruchsbescheid vom 24.10.2016 aufgehoben, die Klagen im Übrigen abgewiesen und entschieden, dass der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Viertel zu erstatten hat. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klage gegen den Bescheid vom 07.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2016 (gemeint 21.10.2016) sei bereits unzulässig; es fehle an einer Klagebefugnis des Klägers, da mit diesem Bescheid nach kompletter Aufhebung der Bewilligung die Leistungen für den Monat Juli 2016 wieder bewilligt worden seien. Berechnungsfehler seien nicht ersichtlich und durch den Kläger auch nicht gerügt. Da der Kläger durch die Weiterbewilligung besser gestellt sei als zuvor, sei er nicht beschwert. Die weiteren Klagen seien als Anfechtungsklagen zulässig, aber mit Ausnahme der Anfechtung der rückwirkenden teilweisen Aufhebung der Regelleistung für den Monat April 2016 mit damit einhergehender Forderung der Erstattung und Aufrechnung nicht begründet. Denn für die Dauer der Inhaftierung, jedenfalls aber für den streitigen Zeitraum vom 07.04.2016 bis 07.07.2016, habe der Kläger keinerlei Anspruch gegenüber dem Beklagten auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen. Da es dem Gericht verboten sei, die Position des Klägers im Vergleich zur Verwaltungsentscheidung zu verschlechtern, seien die Klagen gegen die streitigen Bescheide und Widerspruchsbescheide lediglich abzuweisen. Dem Kläger seien im Rahmen des Klageverfahrens nicht auch noch die Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung für den streitigen Zeitraum aufzuheben. Die Aufhebung der zuvor erfolgten Leistungsbewilligung für die Zukunft, nämlich den Zeitraum vom 01.05.2016 bis 07.07.2016 durch den Bescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 07.07.2016 sei zu Recht erfolgt. Auch der Überprüfungsbescheid vom 11.07.2016 sei folgerichtig zu Recht ergangen, da in der zu überprüfenden Entscheidung vom 15.04.2016 das Recht zutreffend angewandt und nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Voraussetzungen des § 48 SGB X hinsichtlich der Aufhebung der Leistungen für die Zukunft seien erfüllt. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum inhaftiert gewesen; die durch ihn absolvierte Untersuchungshaft unterfalle dem Begriff der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung, weshalb der Kläger nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vom Leistungsbezug komplett ausgeschlossen sei. Die Ausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II greife nicht. Die rückwirkende Aufhebung für den Monat April 2016 sei auf Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB X nicht zu Recht erfolgt. Als Folge davon seien die auf dieser Grundlage erfolgte Forderung der Erstattung und die vorgenommene Aufrechnung ebenfalls nicht rechtmäßig. Der Kläger sei zwar seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen, das Gericht habe aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt habe. Der Kläger sei auch nicht grob fahrlässig in Unkenntnis über den Wegfall gewesen; er sei zwar in Unkenntnis über die rechtlichen Gegebenheiten gewesen; ihm sei als rechtlichem Laien aber die Unkenntnis nicht im Sinne einer groben Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Gegen den ihm am 15.12.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.01.2017 Berufung eingelegt; zur Berufungsbegründung hat er vorgetragen, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und verletzten ihn in seinen Rechten. Er habe die Überprüfung seiner Leistungen für die hier streitigen Zeiträume nicht nur wegen seiner Inhaftierung beantragt, es sei ihm auch darum gegangen, dass in der Zeit vom 07.04.2016 bis 07.07.2016 unrechtmäßigerweise Zahlungen hinsichtlich der Nebenkosten an den Vermieter geflossen seien. Hier gehe es um eine Zahlung in Höhe von 210,39 EUR nach einer Nebenkostenabrechnung des Vermieters für das Jahr 2014. Dabei sei danach zu unterscheiden gewesen, für welche Zeiträume er die Unterkunftskosten selbst und für welche die Stadt Mannheim sie bezahlt habe. Eine Betriebskostenabrechnung des Vermieters sei Gegenstand der Bescheide vom 15.04.2016 und 07.07.2016. Der Gerichtsbescheid leide zudem an einem Begründungsmangel.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter den Bescheid vom 07.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2016 aufgehoben, soweit die Leistungen für April 2016 in Höhe von 323,20 EUR aufgehoben worden sind. Die Bevollmächtigte des Klägers hat die Klage gegen den Bescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2016 zurückgenommen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Dezember 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 15. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2016 aufzuheben, soweit Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis 6. Juli 2016 aufgehoben worden sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig; Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Nachdem das SG den Bescheid vom 20.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2016 aufgehoben und der Beklagte keine Berufung eingelegt hat, der Beklagte den Bescheid vom 07.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2016 aufgehoben hat, soweit die Leistungen für April 2016 in Höhe von 323,20 EUR aufgehoben worden sind, und der Kläger die Klage gegen den Bescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2016 zurückgenommen hat, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens noch der Bescheid vom 11.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2016.

Die insoweit verbliebene Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid vom 11.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2016 ist nicht zu beanstanden; das SG hat die hiergegen gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand des angefochtenen Bescheids ist die Überprüfung des Bescheids vom 15.04.2016 nach § 44 SGB X. Ein Regelungsgehalt kommt dem Bescheid vom 15.04.2016 nach Erlass des Änderungsbescheids vom 07.07.2016 nur noch insoweit zu, als Leistungen in Höhe der Regelleistung für die Monate Mai und Juni 2016 (konkludent) aufgehoben und für den Monat April 2016 höhere Kosten für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung weiterer 210,39 EUR für die Nebenkostennachforderung bewilligt worden sind. Hinsichtlich der Monate Februar und März 2016 trifft der Bescheid vom 15.04.2016 keine eigenständige Regelung, sondern wiederholt allein die mit Bescheid vom 08.01.2016 erfolgte Bewilligung. Hinsichtlich der Höhe der Regelleistung im April und ab 07.07.2016 wurde der Bescheid vom 15.04.2016 durch den Bescheid vom 07.07.2016 vollständig ersetzt.

Der Beklagte hat die Abänderung des Bescheids vom 15.04.2016 zu Recht abgelehnt.

Nach § 40 Abs. 1 S 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 15.04.2016 die Bewilligung der Regelleistung für die Zeit vom 01.05.2016 bis 06.07.2016 aufgehoben hat, hat er weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist.

Unschädlich ist, dass die Entscheidung über die Teilaufhebung für Mai und Juni 2016 in Höhe der Regelleistung konkludent in dem Änderungsbescheid erfolgte. Denn § 45 SGB X und § 48 SGB X sind nicht an eine bestimmte Form gebunden. Eine (Teil-)Aufhebung einer Leistungsbewilligung kann damit auch konkludent in einem Änderungsbescheid enthalten sein.

Der Änderungsbescheid vom 15.04.2016 genügt auch dem Bestimmtheitsgebot aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 33 Abs. 1 SGB X und den Anforderungen, die das BSG hierzu aufgestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 30.08.2011, B 4 RA 114/00 R, Juris). Aus der neuen Leistungsbewilligung lässt sich nicht unmittelbar ersehen, in welchem Umfang die ursprüngliche Leistungsbewilligung aufgehoben wird. Dies lässt sich jedoch ohne Weiteres durch Auslegung ermitteln. Aus einem Vergleich der Verfügungssätze im ursprünglichen Bewilligungsbescheid - hier dem Bewilligungsbescheid vom 08.01.2016 und dem Änderungsbescheid vom 15.04.2016 - ergibt sich, inwieweit in zeitlicher Hinsicht und der Höhe nach eine Aufhebung erfolgt ist. Der Verfügungssatz ist klar und eindeutig. Der abändernde Bescheid vom 15.04.2016 nimmt bereits im Betreff ausdrücklich auf den ursprünglichen Bewilligungsbescheid Bezug und teilt den neu berechneten Leistungszeitraum mit. Weiter wird der Grund für die Änderung benannt. Außerdem wird deutlich, welche Leistungen für welchen Monat bewilligt werden und wie sich die Leistungen zusammensetzen, insbesondere, dass für die Monate Mai und Juni 2016 die Regelleistung nicht mehr bewilligt wird.

Die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung des Beklagten ist formell rechtmäßig. Die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung ist zumindest im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II (in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung), 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Eine solche wesentliche Änderung ist eingetreten. Der Kläger hat in der Zeit vom 01.05.2016 bis 30.06.2016 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt, da er für die Dauer der Inhaftierung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen war und eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht vorlag.

Nach dieser Vorschrift erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistungen oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Von § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II erfasst werden alle richterlich angeordneten Freiheitsentziehungen in sämtlichen Rechtsbereichen., u.a. auch die Untersuchungshaft (Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., 2015, § 7 Rdnr. 239, m.w.N.). Der Aufenthalt in einer JVA führt zum Leistungsausschluss (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 60/06 R, Juris) und greift vom ersten Tag der Aufnahme in die Einrichtung (Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 7 Rdnr. 127). Der Anspruch auf Leistungen ist damit mit der Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt am 06.04.2016 entfallen.

Es liegt auch keine Ausnahme vom Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II vor. Danach erhält abweichend von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II Leistungen, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus im Sinne des § 107 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) untergebracht ist (§ 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II) oder wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist (§ 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II). Obwohl § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II ausdrücklich nur "Satz 1" nennt, gilt die Ausnahmevorschrift auch für den Personenkreis des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür (vor allem nicht in den Gesetzesmaterialien, BT-Drs. 16/1410, Seite 20), dass die von Abs. 4 Satz 2 angeordnete Gleichstellung der Personenkreise nicht die "Abweichungen" einschließen sollte (Leopold in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 7 Rdnr. 241, Korte/Thie in LPK-SGB II; 6. Aufl., § 7 Rdnr. 122, m.w.N.). Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem grundsätzlich vorgesehenen Leistungsausschluss lagen bei dem Kläger aber nicht vor. Er war weder in einem Krankenhaus im Sinne des § 107 SGB V untergebracht, noch übte er eine tatsächliche Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aus.

Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X liegen vor. Dem Kläger war bewusst oder es hätte ihm bewusst sein müssen, dass der Anspruch kraft Gesetzes jedenfalls teilweise weggefallen ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend hierfür ist die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten (subjektiver Sorgfaltsmaßstab, vgl. BSG, Urteil vom 20.09.1977, 8/12 RKg 8/76; Urteil vom 23.07.1996, 7 RAr 14/96, Juris; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45, Rdnr. 52; Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand 2012, § 45 SGB X, Rdnr. 39 f.; Heße in BeckOK, SGB X, § 45 Rdnr. 24 f.). Die erforderliche Sorgfalt verletzt, wer einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Werden gesetzliche Vorschriften, auf die der Leistungsträger den Leistungsempfänger gesondert hingewiesen hat, außer Acht gelassen, ist in der Regel von grober Fahrlässigkeit auszugehen, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und nach seinem Bildungsstand die Vorschrift nicht verstanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.1977, 8/12 RKg 8/76, Juris). Dem Kläger ist jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen. Jedenfalls seit dem Urteil des 2. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21.03.2012 (L 2 AS 5645/11), mit dem die Rechtmäßigkeit der Leistungsaufhebung für die Zeit der Inhaftierung des Klägers vom 12.05.2011 bis 31.05.2011 bestätigt worden war, wusste der Kläger, dass für die Dauer einer Inhaftierung aufgrund einer Freiheitsstrafe ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht besteht.

Der Bescheid vom 15.04.2016 ist allerdings insoweit rechtswidrig, als dem Kläger für den Monat April 2016 weitere Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 210,39 EUR bewilligt worden sind. Zwar sind Nebenkostennachforderungen Kosten für Unterkunft und Heizung und als solche bedarfserhöhend zu berücksichtigen, sie erhöhen den Bedarf allerdings in dem Monat, in dem sie fällig sind, vorliegend im November 2015 (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24.11.2011, B 14 AS 121/10 R, Juris). Unabhängig davon, ob der Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Nebenkostennachforderung hatte, obwohl er der Betriebskostenabrechnung 2014 vom 15.10.2015 widersprochen hatte, bestand somit jedenfalls im April 2016 kein Anspruch auf höhere Kosten für Unterkunft und Heizung, als sie mit Bescheid vom 08.01.2016 bewilligt worden waren.

Der Bescheid vom 15.04.2016 ist daher hinsichtlich der Höhe der für April 2016 bewilligten Leistungen zwar rechtswidrig. Der Kläger ist durch die Übernahme der Kosten aber nicht beschwert; insbesondere hat die Zahlung der Nebenkostennachforderung des Beklagten an die Vermieterin keinerlei Auswirkungen auf die zivilrechtliche Streitigkeit des Klägers mit der Vermieterin. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Abänderung der Bescheids vom 15.04.2016 für April 2016 nach § 44 SGB X. Selbst wenn der Beklagte das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist, sind deshalb jedenfalls keine Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden.

Die verbliebene Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Verhältnis gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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