L 5 KR 1546/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1122/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1546/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.03.2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Versorgung mit (Zahn-)Implantaten als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Der 1949 geborene Kläger, Mitglied der Beklagten, ist von Geburt an geistig behindert. Er steht unter Betreuung und bezieht neben einer Altersrente ergänzende Leistungen des zuständigen Sozialhilfeträgers (Eingliederungshilfe). Der Kläger lebt seit 1989 in einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen.

Mutmaßlich im Jahr 1974 wurden dem Kläger aus nicht bekannten Gründen durch den damals behandelnden Zahnarzt alle Zähne gezogen. Das Fehlen der Zähne verursachte in der Folgezeit einen erheblichen Abbau der Kieferknochen. Deswegen wurde im Jahr 1991 im Universitätsklinikum H. eine knöcherne Rekonstruktion im Kieferbereich mit Knochenblöcken aus dem Beckenkamm durchgeführt. Im Anschluss daran wurde der Kläger konservativ zahnprothetisch versorgt.

Mit Schreiben vom 30.07.2013 beantragte das Universitätsklinikum H. für den Kläger die Übernahme der Kosten für eine erneute knöcherne Rekonstruktion im Kieferbereich mit Knochenblöcken aus dem Beckenkamm. Beim Kläger liege eine ausgeprägte Atrophie des Ober- und Unterkiefers vor. Wegen des ausgeprägten Knochenabbaus, der sich seit 1975 immer weiter verstärkt habe, könne der Kläger aktuell nicht mehr mit konventionellem Zahnersatz versorgt werden. Außerdem sei der Unterkiefer durch den starken Knochenabbau frakturgefährdet. Die Unterkieferprothese löse beim Tragen Schmerzempfindungen an den Nervenaustrittspunkten aus.

Unter Vorlage eines Heil- und Kostenplans vom 06.08.2013 sowie eines Kostenvoranschlags vom gleichen Tag wurde außerdem die Übernahme der Kosten einer Implantatversorgung (implantologische Leistungen einschließlich Suprakonstruktion) beantragt. Die Gesamtkosten der Implantatversorgung (Diagnose: Atrophie des zahnlosen Alveolarkammes OK/UK (Ober-/Unterkiefer)) würden voraussichtlich 6.629,00 EUR, der Eigenanteil des Klägers abzüglich eines Festzuschusses von 350,73 EUR würde 6.278,27 EUR betragen. Zur Begründung der Therapie wurde ausgeführt, durch die knochenprotektive Wirkung von Implantaten werde einer fortschreitenden lokalen Alveolarfortsatzatrophie entgegengewirkt. Bei gestörten Seitenzahn- bzw. Kieferabstützungen OK/UK könne durch implantatgestützten Zahnersatz eine Kiefergelenküberlastung vermieden werden. Weitere Gründe für die Einbringung von Implantaten ergäben sich aus der gestellten Diagnose. Da die Versorgung mit Implantaten keine Kassenleistung sei, möge der Kläger die Frage der Kostenerstattung mit der Krankenkasse abklären. Der Kostenvoranschlag vom 06.08.2013 enthielt eine graphische (schematische) Darstellung des Gebisses des Klägers mit Markierung der zu setzenden Implantate. Der Implantattyp ist mit "Astra-Implantate 2012" angegeben. Im Heil- und Kostenplan vom 06.08.2013 sind die Implantate für die Positionen 44, 42, 32 und 34 vorgesehen.

Unter dem 23.08.2013 wurde für den Kläger die Befreiung von der Zuzahlung des Eigenanteils an den Zahnersatzkosten beantragt.

Die Beklagte sagte die Gewährung eines Zuschusses i.H.v. 701,46 EUR (doppelter Festzuschuss für die Suprakonstruktion) zu (Eintrag auf dem Heil- und Kostenplan vom 06.08.2013).

Mit Schreiben vom 27.08.2013 legte die Beklagte die (Antrags-)Unterlagen des Klägers dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) zur Prüfung vor.

Am 13.09.2013 sprach der Betreuer des Klägers bei der Beklagten vor; es möge eine Ausnahmeindikation für die Gewährung einer Implantatversorgung geprüft werden.

Im MDK-Gutachten vom 22.09.2013 führte Dr. Dr. K. aus, beim Kläger liege eine hochgradige Kieferatrophie im Ober- und Unterkiefer vor. Der Unterkiefer sei auf nahezu Bleistiftstärke atrophiert mit deutlicher Frakturgefahr selbst bei leichtem Bagatelltrauma. Eine konventionelle prothetische Versorgung sei nicht mehr möglich. Geplant sei eine implantatgetragene dentale Rehabilitation im Unterkiefer. Zunächst solle eine (stationäre) Augmentationsosteoplastik durchgeführt werden. Nach erfolgter Kieferaugmentation sei die Insertion von 4 interforaminären Implantaten vorgesehen. Die Versorgung atropher Kiefer stelle keine Ausnahmeindikation (i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V, i.V.m. Teil B VII der Richtlinie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung, BehandlRL-ZÄ) für die Gewährung einer Implantatversorgung dar (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.06.2001, - B 1 KR 4/00 R -, in juris). Die Kieferaugmentation sei nur bei nachfolgender Implantatversorgung sinnvoll und dieser daher zuzurechnen. Eine Kostenübernahme sei nicht möglich. Wünschenswert wäre eine isolierte Implantatversorgung interforaminär in den vorhandenen Restknochen. Dadurch würde die umfangreiche Augmentationsplastik vermieden.

Mit Bescheid vom 23.10.2013 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten einer stationären Kieferaugmentation unter Hinweis auf das MDK-Gutachten vom 22.09.2013 ab.

Am 12.11.2013 wurde für den Kläger (durch dessen Betreuer) Widerspruch erhoben. Man möge die Kostenübernahme im Rahmen einer Einzelfallentscheidung prüfen. Der Kläger könne praktisch nicht mehr kauen. Das Ziehen aller Zähne - wegen der geistigen Behinderung nicht willensgetragen - sei (etwa) der generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen, einer Ausnahmeindikation für die Gewährung einer Implantatversorgung, gleichzustellen.

Die Beklagte befragte erneut den MDK. Dr. Dr. B. führte im Gutachten vom 14.04.2014 aus, eine Ausnahmeindikation für die Gewährung einer Implantatversorgung liege zwar nicht vor. Die Implantatversorgung sei im Fall des Klägers aber mehr als wünschenswert, zumal die Beklagte bei einer Fraktur des Unterkiefers eine Frakturversorgung mit Knochenaufbau als Leistung der GKV gewähren müsste.

Mit Bescheid vom 10.06.2014 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab. Sie übernahm die Kosten der stationären Krankenhausbehandlung des Klägers zur knöchernen Rekonstruktion im Bereich des Ober-/Unterkiefers. Die Kosten der nachfolgenden Implantatversorgung wurden nicht übernommen. Insoweit bleibe es bei dem auf dem Heil- und Kostenplan vom 06.08.2013 vermerkten Zuschuss.

Mit Bescheid vom 16.09.2014 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Implantatversorgung (erneut) ab; eine Ausnahmeindikation liege nicht vor. Am 16.10.2014 wurde für den Kläger auch gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben.

Unter dem 09.01.2015 wurde der Beklagten mitgeteilt, es sei zunächst der Knochenaufbau im Rahmen einer stationären Behandlung geplant. Nach Abheilung der Operationswunde sollten sodann die Implantate im Rahmen einer ambulanten Behandlung gesetzt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf für den Kläger am 01.04.2015 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben wurde. Die Versorgung mit konventionellem Zahnersatz sei (unstreitig) nicht mehr möglich. Nach Sinn und Zweck der Regelung in Teil B VII BehandlRL-ZÄ (Ausnahmeindikationen) sollten schwere, willentlich nicht beeinflussbare Kiefererkrankungen, die die Versorgung mit konventionellem Zahnersatz ausschlössen, eine Implantatversorgung begründen. Eine Fallgestaltung dieser Art liege hier vor. Weshalb dem Kläger seinerzeit, medizinisch wohl kaum indiziert, alle Zähne gezogen worden seien, könne nicht mehr festgestellt werden. Der geistig behinderte Kläger habe sich alle Zähne sicherlich nicht willentlich ziehen lassen. Der wegen des Zahnverlusts durch (nicht gewolltes) Zähneziehen eingetretene Abbau des Kieferknochens sei mit dem Abbau des Kieferknochens wegen genetisch bedingter Nichtanlage von Zähnen, einer Ausnahmeindikation, vergleichbar. Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.06.2001, - B 1 KR 4/00 R -, in juris), wonach die Kieferatrophie eine Ausnahmeindikation nicht darstelle, sei unter Geltung des mittlerweile aufgehobenen § 30 SGB V a.F. ergangen und daher nicht mehr maßgeblich. Die Implantatversorgung diene nicht nur der Wiederherstellung der Kaufähigkeit, solle vielmehr auch Frakturen des nahezu auf Bleistiftstärke atrophierten Unterkiefers verhindern. Sie diene so einem übergeordneten Behandlungsziel und sei Teil einer Gesamtbehandlung. Der Leistungsanspruch ergebe sich zudem aus der Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V über die "Leistungsbewilligung durch Schweigen". Der Leistungsantrag sei am 30.07.2013 gestellt und der Heil- und Kostenplan sei am 06.08.2013 vorgelegt worden. Die Beklagte habe die Gewährung einer Implantatversorgung aber erst mehrere Monate später durch Bescheid vom 23.10.2013, also nicht binnen 3 bzw. 5 Wochen (bei Befragung des MDK) abgelehnt. Um eine Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der GKV gehe es nicht. Ohne Zahnimplantate wäre der in den Kiefer transplantierte Beckenknochen schon nach einem Jahr erneut abgebaut und man müsste eine Metallummantelung des Kiefers vornehmen; deswegen werde von den behandelnden Ärzten ein Kieferaufbau ohne Implantate nicht befürwortet. Es bestehe ein so genannter "Schwabbelkamm" als Fleischmasse über dem Unterkiefer, der einer Prothese keinen Halt gebe. Der Kläger könne deshalb nur breiähnliche Speisen zu sich nehmen. Ohne Implantate und (Kiefer-)Augmentation werde sich der Knochenabbau bis zum (Kiefer-)Bruch fortsetzen. Dann könnte nur noch flüssige Nahrung aufgenommen werden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Das Ziehen aller Zähne könne nicht als Ausnahmeindikation für die Versorgung mit Implantaten eingestuft werden. Auch eine Gesamtbehandlung i.S.d. Teils B VII BehandlRL-ZÄ (dazu: BSG, Urteil vom 07.05.2013, - B 1 KR 19/12 R -, in juris) stehe nicht in Rede; die Kombination von Knochenaufbau und Insertion von Zahnimplantaten stelle eine solche Gesamtbehandlung nicht dar (vgl. BSG, Urteil vom 02.03.2013, - B 1 KR 6/13 R -, in juris Rdnr. 14). Auf die Regelung in § 13 Abs. 3a SGB V könne der Leistungsanspruch nicht gestützt werden. Der Kläger habe sich die Implantatversorgung nicht selbst beschafft. Außerdem könne er die Implantatversorgung nicht als Sachleistung der GKV beanspruchen.

Mit Urteil vom 15.03.2016 verurteilte das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10.06.2014 und Aufhebung des Bescheids vom 16.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2015, den Kläger nach Maßgabe des Kostenvoranschlags des Universitätsklinikums H. vom 06.08.2013 mit Implantaten zu versorgen. Zur Begründung führte das SG aus, der Kläger habe Anspruch auf (weitere) Versorgung mit Implantaten als Leistung der GKV. Das folge aus der Regelung in § 13 Abs. 3a SGB V. Aus den Verwaltungsakten gehe zwar nicht hervor, wann der Antrag des Klägers auf Gewährung der Implantatversorgung vom 30.07.2013 bzw. der Kostenvoranschlag vom 06.08.2013 bei der Beklagten eingegangen sei. Diese habe die vollständigen Antragsunterlagen aber am 27.08.2013 dem MDK übersandt, so dass spätestens an diesem Tag ein Leistungsantrag i.S.d. § 13 Abs. 3a SGB V vorgelegen habe. Der Leistungsantrag sei ausreichend bestimmt gewesen. Aus dem Kostenvoranschlag bzw. der beigefügten graphischen Darstellung des Gebisses des Klägers gehe hervor, wie viele Implantate an welcher Stelle gesetzt werden sollten. Die in § 13 Abs. 3a SGB V festgelegte Entscheidungsfrist (hier von 5 Wochen) sei bei einem Fristbeginn am 27.08.2013 zum Zeitpunkt des Ergehens des Bescheids vom 10.06.2014 abgelaufen gewesen. Vorher habe die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Implantatversorgung nicht abgelehnt. Der - ohnehin ebenfalls nach Ablauf der Entscheidungsfrist - ergangene Bescheid vom 23.10.2013 habe nur die Gewährung einer stationären Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Kieferaugmentation zum Gegenstand. Dem Kläger sei nicht schriftlich mitgeteilt worden, dass und weshalb die Entscheidungsfrist des § 13 Abs. 3a SGB V nicht habe eingehalten werden können. Die Implantatversorgung stelle auch eine Leistung dar, die die Krankenkasse bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation allgemein als Sachleistung zu erbringen habe. Der Antrag auf Gewährung einer Implantatversorgung gelte danach als genehmigt; weitere Leistungsvoraussetzungen seien nicht zu prüfen. Der Kläger habe einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der als genehmigt geltenden Leistung. Man dürfe ihn nicht auf die Selbstbeschaffung der Leistung und die Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs verweisen.

Gegen das ihr am 06.04.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.04.2016 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Kläger habe keinen Leistungsanspruch aus § 13 Abs. 3a SGB V. Der Gesetzgeber habe implantologische Leistungen aus der Leistungspflicht der GKV grundsätzlich ausgenommen und nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V auf Ausnahmeindikationen (i.S.d. Teil B VII BehandlRL-ZÄ) beschränkt. Ein auf die Versorgung mit Implantaten gerichteter Antrag, der eine Begründung nicht enthalte oder nicht auf eine Ausnahmeindikation Bezug nehme, stelle schon einen Leistungsantrag i.S.d. § 13 Abs. 3a SGB V nicht dar. § 13 Abs. 3a SGB V regele nur einen Erstattungsanspruch. Außerdem fehle es an einem entsprechenden Sachleistungsanspruch des Klägers. Die Implantatversorgung liege offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, worauf im Kostenvoranschlag vom 06.08.2013 hingewiesen worden sei, Dort sei ausgeführt, dass Implantate keine Kassenleistung darstellten und vom Versicherten selbst bezahlt werden müssten. Von einer Kassenleistung habe der Kläger daher nicht ausgehen dürfen. Eine Ausnahmeindikation liege beim Kläger nicht vor; das habe der MDK bestätigt. Eine Kieferatrophie könne nicht als Ausnahmeindikation eingestuft werden (so auch SG Stuttgart, Urteil vom 18.02.2014, - S 16 KR 4073/10 -, nicht veröffentlicht). Ursache des Kieferdefekts sei die Kieferatrophie und nicht das Ziehen aller Zähne in den 70er Jahren. Es fehle auch an einer Gesamtbehandlung; dafür genüge es nicht, dass die Implantatversorgung der Frakturgefahr begegnen solle. Hier gehe es vorrangig um die Wiederherstellung der Kaufunktion.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.03.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Für den Kläger wird vorgetragen, die in § 13 Abs. 3a SGB V festgelegten Entscheidungsfristen seien (unstreitig) nicht gewahrt. Das SG habe die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V zutreffend ausgelegt (dazu auch: BSG, Urteil vom 08.03.2016, - B 1 KR 25/15 R -, in juris). Die Vorschrift erschöpfe sich nicht in einem - von mittellosen Versicherten nicht realisierbaren - Kostenerstattungsanspruch nach Selbstbeschaffung der Leistung. § 13 Abs. 3a SGB V setze voraus, dass sich der Leistungsantrag auf eine Leistung richte, die der jeweilige Leistungsempfänger für erforderlich halten dürfe und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liege. So müsse die Krankenkasse, wie aus den Gesetzesmateriealien hervorgehe, bei der Versorgung mit Zahnersatz den Anteil des Versicherten nicht übernehmen. Leistungsgrenzen dieser Art müssten jedem Versicherten klar sein; sie könnten im Zuge der "Bewilligung durch Schweigen" nach Maßgabe des § 13 Abs. 3a SGB V nicht überwunden werden. Der Kläger habe die Implantatversorgung bei bis auf Bleistiftstärke und jederzeit frakturgefährdetem atrophiertem Kiefer subjektiv für notwendig erachten dürfen, nachdem die Versorgung mit Implantaten unter bestimmten Ausnahmeindikationen zum Leistungskatalog der GKV gehöre. Um Rechtsmissbrauch gehe es (unstreitig) nicht und auch nicht um eine ungerechtfertigte Erweiterung des Leistungskatalogs. Der Leistungsantrag (mit Heil- und Kostenplan) sei auch ausreichend bestimmt gewesen. Im Übrigen bleibe man dabei, dass eine Ausnahmeindikation für die Gewährung der Implantatversorgung bzw. eine den festgelegten Ausnahmeindikationen vergleichbare Fallgestaltung vorliege, nachdem dem geistig behinderten Kläger (wohl) ohne ausreichende medizinische Indikation und ohne seinen Willen alle Zähne gezogen worden seien; dieser Sachverhalt sei der genetisch bedingten Nichtanlage von Zähnen oder dem Zahnverlust wegen Kieferentzündung gleichzustellen.

Am 21.06.2017 hat die mündliche Verhandlung des Senats stattgefunden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mitgeteilt, dass die beantragten Maßnahmen noch nicht durchgeführt worden seien. Diese seien aber weiterhin durchführbar, da auch der Kieferaufbau als isolierte Maßnahme noch nicht durchgeführt worden sei. Dies habe eine Rücksprache mit der Universitätsklinik H. ergeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Gewährung einer Implantatversorgung (Implantate mit Suprakonstruktion) als Sachleistung der GKV zu (voraussichtlichen) Kosten von 5.927,54 EUR (Gesamtkosten 6.629,00 EUR abzüglich des von der Beklagten zugesagten doppelten Festzuschusses von 701,46 EUR). Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist damit überschritten. Nicht Streitgegenstand ist die Gewährung einer knöchernen Rekonstruktion im Bereich des Ober-/Unterkiefers im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung; dies ist dem Kläger mit (Teilabhilfe-)Bescheid vom 10.06.2014 gewährt worden. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen gemäß § 151 SGG zulässig.

II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat sie zu Recht zur Gewährung der beantragten Implantatversorgung verurteilt. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist anzumerken:

1.) Der Kläger hat einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der beantragten Implantatversorgung kraft fingierter Genehmigung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V.

Gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V (eingefügt mit Wirkung vom 26.02.2013 durch Gesetz vom 20.02.2013, BGBl. I S. 277) hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V). Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.

Damit die Leistung nach Fristablauf als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Da der Verwaltungsakt (Genehmigung) nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hinreichend bestimmt ist (BSG, Urteil vom 08.03.2016, - B 1 KR 25/15 R -, in juris Rdnr. 23). Zweifel gehen zu Lasten des Versicherten; die Vorlage eines Kostenvoranschlags ist aber nicht notwendig (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.02.2017, - L 11 KR 2090/16 -, in juris Rdnr 28). Die fingierte Genehmigung (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V) begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V) im Ansatz entspricht. Sie bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X; BSG, Urteil vom 08.03.2016, - B 1 KR 25/15 R -, a.a.O. Rdnr. 25, 31).

Die (selbst beschaffte) Leistung muss außerdem (i.S.d. § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V) erforderlich sein. Hierfür ist notwendig (und ausreichend), dass der Versicherte die beantragte Leistung subjektiv für erforderlich halten durfte und dass die Leistung nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG, Urteil vom 08.03.2016, - B 1 KR 25/15 R -, a.a.O. Rdnr. 26).

Davon ausgehend ist der unter dem 06.08.2013 unter Vorlage eines Heil- und Kostenplans und eines Kostenvoranschlags gestellte Leistungsantrag fiktionsfähig. Er ist ohne Zweifel ausreichend bestimmt. Im Heil- und Kostenplan bzw. im Kostenvoranschlag sind die Positionen der Implantate (44, 42, 32, 34), der Implantattyp und die voraussichtlichen Kosten der Implantatversorgung angegeben. Das genügt in jedem Fall.

Der Antrag des Klägers betraf eine Leistung, die er (bzw. für ihn sein Betreuer) subjektiv für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Zwar ist die Versorgung mit Implantaten nur in eng begrenzten Ausnahmefällen nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.V.m. den BehandlRL-ZÄ möglich, jedoch ist sie nicht völlig ausgeschlossen. Außerdem ist die Einschätzung, im Fall des Klägers - Ziehen aller Zähne bei geistiger Behinderung - könne eine in den BehandlRL-ZÄ festgelegte Ausnahmeindikation (ggf. entsprechend) angewendet werden, nicht von vornherein gänzlich fernliegend. Unschädlich ist, dass die Universitätsklinik H. im Kostenvoranschlag vom 06.08.2013 darauf hinwiesen hatte, dass Implantatversorgungen keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sind, zumal die Versorgung mit Implantaten zu Lasten der GKV nicht völlig ausgeschlossen und der Kläger in dem Kostenvoranschlag dazu aufgefordert worden ist, die Frage der Kostenerstattung mit der Krankenkasse abzuklären (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.03.2017, - L 11 KR 3687/16 -, in juris Rdnr. 26). Rechtsmissbrauch liegt nicht vor.

Dass die Beklagte die in § 13 Abs. 3a SGB V vorgesehenen Fristen nicht eingehalten hat, hat das SG im angefochtenen Urteil dargelegt; hierüber streiten die Beteiligten auch nicht.

Die fingierte Genehmigung ist nicht zurückgenommen (§ 45 SGB X) oder widerrufen (§ 47 SGB X) worden. Sie hat sich auch nicht i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise erledigt; in diesem Fall wäre die Leistung nicht mehr (subjektiv) erforderlich gewesen (BSG, Urteil vom 08.03.2016, - B 1 KR 25/15 R -, in juris Rdnr. 30). Erledigung auf andere Weise i.S.d. § 39 Abs. 2 SGG tritt namentlich ein, wenn infolge einer Änderung der (medizinischen) Sachlage für die getroffene Regelung kein Anwendungsbereich mehr bleibt und sie deswegen nach ihrem Inhalt und Zweck keine Geltung für den Fall der veränderten (medizinischen) Umstände beanspruchen kann. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O. Rdnr. 31). Das ist hier nicht der Fall. Wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 21.06.2017 mitgeteilt hat, sind die Kieferaugmentation und die Implantatversorgung zwar noch nicht durchgeführt worden, nach Rücksprache mit den Ärzten der Universitätsklinik H. aber noch möglich.

Da die beantragte Leistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt, kommt es auf das Vorliegen eines materiell-rechtlichen Leistungsanspruchs des Klägers nicht an.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Die hier maßgeblichen Rechtsfragen zur Auslegung des § 13 Abs. 3a SGB V sind in der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.03.2016, - B 1 KR 25/15 R -, in juris) ausreichend geklärt. Aus dem von der Beklagten angeführten Terminbericht zum Urteil des BSG vom 12.05.2017 (- B 3 KR 30/15 R -) entnimmt der Senat keine Änderung der bisherigen BSG-Rechtsprechung.
Rechtskraft
Aus
Saved