L 2 SO 2004/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SO 1600/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 2004/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist noch die Rechtsqualität als Bescheid des Schreibens vom 27.10.2011, mit dem der Beklagte darlehensweise gewährte Leistungen der Sozialhilfe zurückgefordert hat, und die sich dadurch im Urteil des Sozialgerichts ergebende Kostenfolge.

Die 1935 geborene Klägerin war im Dezember 2009 durch Erbe Eigentümerin eines Grundstücks im Verkehrswert von 55.000 EUR, belastet mit einer Grundschuld, geworden. Ab 22.2.2010 hielt sie sich dauerhaft in einem Alters- und Pflegeheim auf. Der Beklagte gewährte der Klägerin ab 22.2.2010 bis 31.8.2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Hilfe zur Pflege in Einrichtungen, aufgrund des Grundbesitzes lediglich darlehensweise (Bescheid vom 12.4.2010, Änderungsbescheid vom 6.7.2010 und vom 27.4.2011), anschließend als Zuschuss. Nach dem Verkauf des ererbten Grundstücks im Juli 2011 bat der Beklagte die Klägerin mit dem streitgegenständlichen Schreiben vom 27.10.2011, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, um Überweisung von 17.074,89 EUR zur Ablösung des Sozialhilfedarlehens. Der Erlös aus dem Grundstück betrage 42.500 EUR, der Sozialhilfeaufwand für die Zeit vom 22.2.2010 bis 31.8.2011 insgesamt 16.837,88 EUR zuzüglich (vereinbarter) Verzinsung von 237,01 EUR.

Die Klägerin überwies einen Betrag von insgesamt 9.549,52 EUR an den Beklagten (8. und 9.11.2011). Der Beklagte forderte die Klägerin zur Zahlung von weiteren 7.525,37 EUR zuzüglich Nebenkosten auf (Schreiben vom 23.4.2012). U.a. gegen das Schreiben vom 27.10.2011 legte die Klägerin Widerspruch ein (am 15.6.2012). Nach Vorlage weiterer Unterlagen wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.5.2014 zurück und forderte von der Klägerin unter Berücksichtigung der bereits getilgten 9.549,52 EUR nur noch weitere 3.840,64 EUR zurückzuzahlen (Bl. 5 SG Akte).

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Schreiben des Beklagten vom 27.10.2011 nicht um einen Verwaltungsakt handele. Darüber hinaus sei eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung nicht gegeben. Insbesondere habe der Beklagte die Fristen der §§ 45, 48 SGB X nicht beachtet. Ferner hat sich die Klägerin auf die Einrede der Verjährung berufen.

Die Klägerin hat teilweise sinngemäß beantragt,

1. den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.5.2014 aufzuheben, 2. festzustellen, dass dem Beklagten aus dem Darlehensbescheid vom 12.4.2010 ihr gegenüber keine weitergehenden Rückzahlungsansprüche über die bereits am 8. und 9.11.2011 bezahlten 9.549,92 EUR zustehen, hilfsweise für den Fall, dass entgegen der vertretenen Einschätzung das Schreiben vom 27.10.2011 Verwaltungsaktqualität haben sollte, den Bescheid des Beklagten vom 27.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2014 aufzuheben, soweit gegenüber der Klägerin eine höhere Rückforderungssumme als 9.549,52 EUR geltend gemacht wurde.

Das SG hat mit Urteil vom 11.4.2017 den Bescheid des Beklagten vom 27.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2014 aufgehoben, soweit gegenüber der Klägerin eine höhere Rückforderungssumme als 9.549,52 EUR geltend gemacht worden sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und den Beklagten verurteilt, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die vom Bevollmächtigten der Klägerin ausdrücklich - entgegen der richterlichen Hinweise - gestellten Klageanträge Ziff. 1 und 2 unzulässig seien. Bei dem Schreiben des Beklagten vom 27.10.2011 handelte es sich um einen Verwaltungsakt (wird näher ausgeführt). Statthafte Klageart sei die Anfechtungsklage. Raum für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2014 in Kombination mit einer Feststellungsklage bestehe nicht. Der Hilfsantrag habe Erfolg, dafür die vom Beklagten geltend gemachte Rückforderung des Darlehens keine Rechtsgrundlage existiere. Die in der Anlage zum Darlehensvertrag geregelten Voraussetzungen für die Darlehensrückzahlung - Beendigung der Hilfe - seien nicht erfüllt.

Das Urteil enthält die Rechtsmittelbelehrung, dass es mit der Berufung angefochten werden könne.

Gegen das dem Bevollmächtigten der Klägerin am 19.4.2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat er am 19.5.2017 schriftlich Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und hat den erstinstanzlich gestellten Hauptantrag weiterverfolgt. Der Hauptantrag sei freilich mit dem stattgebenden Hilfsantrag in wirtschaftlicher Hinsicht identisch, da durch den Feststellungsantrag zum Ausdruck gebracht werde, dass eine Rückforderung der bereits bezahlten 9.549,92 EUR nicht klägerseits angestrebt werde. Er sei daher der Auffassung, dass eine materielle Beschwer trotz Unterliegens im Hinblick auf den Hauptantrag zweifelhaft sei, weil die Klägerin nicht Gefahr laufe, durch der im Hilfsantrag stattgebenden Klage auf Zahlung in Anspruch genommen zu werden. Die einzige Beschwer, die vorliegend bestehe sei, dass im Hinblick auf die Kosten für das vorausgegangene Widerspruchsverfahren eine Kostenerstattung nur zur Hälfte erfolge, ebenso wie bei den Kosten des Klageverfahrens. Insoweit werde vorsorglich die Zulassung der Berufung wegen Divergenz im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG erhoben. Die Entscheidung des SG weiche von den Vorgaben des Bundessozialgerichts vom 21.1.2012, Az. B 2 U 12/11 R ab, woraus sich ergebe, dass die Behörde mit dem Willen handeln müsse, eine potentiell verbindliche Entscheidung zu treffen, was hinsichtlich des Schreibens vom 27.10.2011 nicht der Fall gewesen sei. Ergänzend trägt der Bevollmächtigte der Klägerin vor, dass die Klägerin durch die Abweisung des Hauptantrags über den Betrag von 3.840,64 EUR beschwert sei.

Die Klägerin beantragt, 1. den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.5.2014 aufzuheben, 2. festzustellen, dass dem Beklagten aus dem Darlehensbescheid vom 12.4.2010 ihr ge-genüber keine weitergehenden Rückzahlungsansprüche über die bereits am 8. und 9.11.2011 bezahlten 9.549,92 EUR zustehen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung, über die der Senat gem. § 158 SGG durch Beschluss entscheidet, ist unzulässig.

Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Die Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor, da der Rechtsstreit nicht laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, sondern die Rückerstattung von darlehensweise gewährten Sozialhilfeleistungen betrifft. Rückerstattungsansprüche fallen unter § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG (Dr. Tilman Breitkreuz, Dr. Frank Schreiber in: Breitkreuz/Fichte, § 144, Rn. 8). Der Beklagte forderte von der Klägerin die zuvor darlehensweise gewährten Sozialhilfeleistungen nebst Zinsen in Höhe von ursprünglich 17.074,89 EUR zurück. Die Klägerin hat auf die Forderung 9.549,92 EUR gezahlt und sich mit der Klage vor dem Sozialgericht gegen die weitere Inanspruchnahme - der Beklagte hat zuletzt im Widerspruchsbescheid vom 12.5.2014 nur noch weitere 3.840,64 EUR gefordert - gewandt. Das Sozialgericht hat im Urteil vom 11.4.2017 "den Bescheid" vom 27.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2014 aufgehoben, soweit eine höhere Rückforderungssumme als die gezahlten 9.549,92 EUR geltend gemacht wurde. Es hat damit dem Hilfsantrag stattgegeben, der wertmäßig mit dem Hauptantrag identisch ist und sich nur durch die rechtliche Einordnung des Schreibens vom 27.10.2011 unterschieden hat. Damit hat die Klägerin mit der Klage vom SG wertmäßig alles erhalten, was sie wollte, nämlich nicht mehr als 9.549,92 EUR erstatten zu müssen. Wertmäßig hat sie mit der Klage voll obsiegt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes in der Berufung ist daher Null. Der Beschwerdewert von 750,- EUR wird mit der vorliegenden Berufung nicht überschritten. Die Berufung ist daher nicht statthaft (vgl. § 144 Abs. 1 SGG). Wie der Klägervertreter dennoch im Schriftsatz vom 28.6.2017 im Gegensatz zu der Berufungsbegründung den Beschwerdewert mit 3.840,64 EUR glaubt zu ermitteln, der dem von der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 12.5.2014 noch geforderten Restbetrag entspricht, ist für den Senat schlicht nicht nachvollziehbar.

Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin geht es nach seinem eigenen Vortrag allein um die Kostenentscheidung des SG, wonach der Beklagte nur die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin erstatten muss. Nach § 144 Abs. 4 SGG ist die Berufung wegen der Kosten jedoch ausgeschlossen.

Hinzuweisen ist darauf, dass die Kostenentscheidung des SG wohl voll zu Gunsten der Klägerin ausgefallen wäre, wenn der Prozessbevollmächtigte auf den richterlichen Hinweis des SG im Erörterungstermin am 19.12.2016 hin, in dem die Richterin dem Schreiben vom 27.10.2011 Verwaltungsaktqualität zugesprochen hat und auf die ihrer Meinung nach richtige Antragstellung hingewirkt hat, den Haupt- und den Hilfsantrag umgestellt hätte.

Soweit der Klägervertreter in der Berufungsschrift vorsorglich die Zulassung der Berufung beantragt hat, ist darauf hinzuweisen, dass dies nicht im Rahmen der eingelegten Berufung erfolgen kann. Hierzu dient das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 20.5.2003 in SozR 4 - 1500 § 158 Nr. 1 mwN.) scheidet eine Umdeutung der Erklärung über die Einlegung eines Rechtsmittels entsprechend der erteilten Rechtsmittelbelehrung (hier also Berufung) in ein anderes Rechtsmittel schon wegen der unterschiedlichen Zielsetzung beider Rechtsmittel grundsätzlich aus, unabhängig davon, ob der Rechtsmittelführer rechtskundig vertreten ist oder nicht. Diese Fälle sind ausschließlich über die Folgen einer unrichtigen Rechtmittelbelehrung zu lösen (BSG aaO).

Mit der Verwerfung der vom Klägervertreter eingelegten Berufung und der insoweit vom Senat inzident getroffenen Feststellung der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde steht aus Gründen der notwendigen Rechtsmittelklarheit und des gebotenen Vertrauensschutzes (BSG, Urteil vom 3. Juni 2004 in SozR 4 - 1500 § 144 Nr. 1) diese verbindlich fest.

Über eine noch ggfs. einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde wäre in einem solchen Verfahren zu entscheiden. Diese dürfte allerdings im Hinblick auf § 144 Abs. 4 SGG keine Aussicht auf Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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