L 18 AS 3313/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 36 AS 2974/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 3313/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 320/17 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 19. November 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte bewilligte den Klägern sowie dem Partner der Klägerin zu 1) mit Bewilligungsbescheid vom 5. November 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. Januar 2013 hob der Beklagte die den Klägern bewilligten Leistungen in Höhe von insgesamt 860,- EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Hiergegen legten die Kläger am 16. Februar 2013 Widerspruch ein.

Am 13. Juni 2013 haben die Kläger beim Sozialgericht (SG) Cottbus Untätigkeitsklage erhoben. Der Beklagte hat mit dem Bescheid vom 14. August 2013 dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen und den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. Januar 2013 unter Anerkennung der Kostenlast aufgehoben. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 14. August 2014 dem SG den Bescheid vom selben Tag zur Kenntnisnahme übersandt hatte, haben die Kläger mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. Oktober 2013 erklärt, "das Anerkenntnis des Beklagten" anzunehmen. Einer Umdeutung in eine Erledigungserklärung haben sie widersprochen. Sie haben stattdessen beantragt, nunmehr im Wege des Zwischenurteils festzustellen, dass die Klage durch angenommenes Anerkenntnis in der Hauptsache erledigt ist. Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass von einer Erledigung der Hauptsache auszugehen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. November 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ferner dem Beklagten auferlegt, den Klägern die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei unzulässig. Der Feststellungsantrag der Kläger sei unzulässig, denn den Klägern fehle hierzu das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Es sei weder dargetan noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen die Kläger ein Interesse an der Feststellung einer bestimmten Erledigungsart haben sollten. Ein Feststellungsinteresse ergebe sich insbesondere nicht im Hinblick auf die später zu treffende Kostenentscheidung, weil der Beklagte bei einer nach Ablauf einer Sperrfristablauf erhobenen Klage nach § 193 SGG ohnehin die Kosten der Kläger zu erstatten habe. Im Gegenteil würde sich das Kostenrisiko der Kläger mit der Feststellung erhöhen, weil dann ihr Bevollmächtigter eine Terminsgebühr beanspruchen würde. Auch im Übrigen sei die Klage unzulässig. Erlasse die Behörde nach Erhebung der Untätigkeitsklage den begehrten Bescheid, habe der Kläger gemäß § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG die Hauptsache für erledigt zu erklären. Werde eine derartige Erklärung nicht abgegeben, sei die Klage mangels Rechtschutzbedürfnis als unzulässig abzuweisen. Mit der Bescheidung des Widerspruchs vom 14. August 2013 sei das Rechtschutzbedürfnis der Kläger entfallen. Das Gericht habe dennoch über den ursprünglichen Klageantrag zu entscheiden gehabt, denn die Kläger hätten den Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt. Vielmehr hätten die Kläger ausdrücklich klar gestellt, eine Erledigungserklärung nicht abgeben zu wollen. Der Rechtsstreit sei auch nicht durch angenommenes Anerkenntnis gemäß § 101 Abs. 2 SGG beendet worden. Ein angenommenes Anerkenntnis setze voraus, dass ein Beteiligter einen prozessualen Anspruch durch eine Prozesserklärung gegenüber dem Gericht anerkenne und der andere Beteiligte das Anerkenntnis durch eine Prozesserklärung dem Gericht annehme. Bei einer Untätigkeitsklage trete die Erledigung demgegenüber bereits durch die außergerichtliche Handlung eines Beteiligten, dem Erlass des begehrten Bescheides und die Abgabe einer Erledigungserklärung durch den Kläger nach § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG ein. Allein die Bescheiderteilung stelle kein Anerkenntnis im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG dar. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 105 Abs. 1 Satz 3, § 193 SGG. Es sei insofern zu berücksichtigen gewesen, dass die Klage nach summarischer Prüfung zum Zeitpunkt der Klageerhebung zulässig und begründet gewesen sei, denn der Beklagte habe den Widerspruch der Kläger ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der Frist des § 88 SGG beschieden und erst nach Erhebung der Klage den begehrten Widerspruchsbescheid erlassen. Da die Kläger dem jedoch nicht durch Abgabe der Erledigungserklärung Rechnung getragen hätten und dadurch erst der Erlass eines Gerichtsbescheides notwendig gewesen sei, sei es gerechtfertigt, sie zur Hälfte an den außergerichtlichen Kosten zu beteiligen.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger unter Berufung auf ihren erstinstanzlichen Vortrag ihr Begehren weiter. Sie beantragen,

festzustellen, dass das Verfahren in der Hauptsache erledigt ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Gerichtsakten sowie die Leistungsakten des Beklagten (5 Bde.) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG mit Beschluss vom 10. März 2015 dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat durch die gemäß § 153 Abs. 5 SGG berufenen Richter und in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Kläger aufgrund mündlicher Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1 SGG entscheiden konnte, ist unbegründet.

Das SG hat mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid die ursprünglich auf Bescheidung des Widerspruchs zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 31. Januar 2013 gerichtete Untätigkeitsklage der Kläger im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Untätigkeitsklage war im Zeitpunkt der Entscheidung des SG unzulässig, weil eine entsprechende Behördenentscheidung in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 14. August 2014 vorlag und damit durch Erledigung der Hauptsache ein Rechtsschutzinteresse nicht mehr bestand. Soweit die Kläger die Klage geändert und nur noch die Feststellung begehrt haben, dass das Verfahren in der Hauptsache erledigt ist, kann dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.

Die Erklärung des Klägerbevollmächtigten vom 8. Oktober 2013, er nehme das durch Erlass des Bescheides vom 14. August 2014 konkludent erklärte Anerkenntnis des Beklagten an, hat die Untätigkeitsklage nämlich nicht erledigt.

Eine Erledigungserklärung liegt im vorliegenden Fall nicht vor, denn der rechtskundige Klägerbevollmächtigte hat für die Kläger ausdrücklich erklärt, eine solche nicht abgeben zu wollen. Die Untätigkeitsklage ist auch nicht in anderer Weise durch eine Prozesserklärung der Kläger in der Hauptsache erledigt worden.

Ein angenommenes Anerkenntnis i.S.d. § 101 Abs. 2 SGG liegt nicht vor, da es bereits an einem Anerkenntnis fehlt (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 18. Januar 2016 – L 18 AS 2673/15 -; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juli 2016 - L 34 AS 1443/15 -, juris , Rn 26; LSG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2015 – L 1 KR 54/15 –,juris Rn. 21). § 101 Abs. 2 SGG bestimmt, dass das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Ein Anerkenntnis ist das im Wege der einseitigen Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch ganz oder teilweise besteht (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 13 R 16/09 R –, juris Rn. 19). Eine Prozesshandlung ist eine vom Willen getragene Erklärung, die als prozessgestaltende Betätigung auf einen bestimmten Erfolg gerichtet ist; eine solche Erklärung kann auch durch schlüssiges Verhalten geäußert werden. Das Anerkenntnis ist gegenüber dem Gericht, nicht gegenüber dem Kläger abzugeben (vgl. BSGE, 119, 293 ff). Der Beklagte hat ein Anerkenntnis des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten abgegeben. Weder die Erteilung des Abhilfebescheides vom 14. August 2013 noch die Übersendung dieses Bescheides an das SG zur Kenntnisnahme stellen ein Anerkenntnis dar. Der Erlass des (begehrten) Bescheides kann nicht als Anerkenntnis ausgelegt werden, denn es handelt sich – bezogen auf den Prozessgegenstand - um die Vornahme einer tatsächlichen, das Prozessbegehren erfüllenden Handlung und damit prozessrechtlich um einen Realakt und nicht um eine prozessuale Willenserklärung. Die prozessuale Willenserklärung ist eine Willensäußerung, die auf die Erzielung einer konkreten prozessrechtlichen Rechtsfolge gerichtet ist. Realakte sind Handlungen, an welche die Rechtsordnung unabhängig von einem entsprechenden Willen des Handelnden Rechtsfolgen knüpft. Im Gegensatz zu den Willenserklärungen, bei denen der Rechtserfolg eintritt, weil er gewollt ist, schließen sich an Realakte die Rechtswirkungen an, gleichgültig ob sie vom Handelnden gewollt oder nicht gewollt sind. Realakt und Willenserklärung schließen mithin einander gegenseitig aus (vgl. BSG, Urteil vom 23. Oktober 2003 - B 4 RA 27/03 R –, juris Rn. 21). Die Erteilung eines Bescheides, auch wenn sie inhaltlich als Verwaltungsakt eine Erklärung darstellt, ist prozessrechtlich schlicht die Erfüllung des prozessualen Begehrens, das bei der Untätigkeitsklage eben auf Abgabe einer Behördenerklärung gerichtet ist, und daher prozessrechtlich als tatsächliche Handlung ein Realakt, nicht jedoch prozessuale Willenserklärung und somit keine Prozesshandlung. Die mit der Erteilung des Bescheides eintretende Rechtsfolge, der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers für die Untätigkeitsklage durch die Erfüllung des prozessualen Verlangens, tritt tatsächlich ein, ohne dass dieser Effekt vom Willen der Behörde abhängig wäre.

Mithin kann in der hier vorgenommenen Erteilung des begehrten Bescheides, ohne zu den Gründen der Untätigkeit etwas vorzutragen, ebenfalls kein Anerkenntnis enthalten sein. Stellt die Erteilung des begehrten Bescheides schon keine prozessuale Willenserklärung dar, kann eine solche erst recht nicht in einem Schweigen, insbesondere zu den Gründen der Untätigkeit, enthalten sein.

Fehlt es somit an einem Anerkenntnis des Beklagten, kann die vom Klägerbevollmächtigten erklärte Annahme eines nicht existierenden Anerkenntnisses den Rechtsstreit in der Hauptsache, also den mit der Untätigkeitsklage geltend gemachten Anspruch, nicht nach § 101 Abs. 2 SGG erledigt haben.

Die rechtlich unwirksame Annahmeerklärung der Klägerin ist vorliegend auch nicht als Klagerücknahme auslegungsfähig. Kein Spielraum für eine derartige Auslegung verbleibt, wenn die rechtskundig vertretenen Kläger - wie hier – ihre Erklärung von vornherein mit der Bestimmung versehen, dass eine andere Auslegung oder eine Umdeutung ausgeschlossen würden.

Damit ist die Untätigkeitsklage weiterhin anhängig gewesen. Im Rahmen dieser Untätigkeitsklage haben die Kläger jedoch keinen Sachantrag gestellt. Ohne einen solchen Sachantrag ist eine Untätigkeitsklage wie jede andere Klage unzulässig (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 18. Januar 2016 - L 18 AS 2673/15 -). Da das Gericht nur über die vom Kläger erhobenen Ansprüche (§ 123 SGG) entscheidet, ist es notwendig, dass bis spätestens zum Schluss der mündlichen Verhandlung klar wird, welches Ziel mit der Klage verfolgt wird. Fehlt es an der Benennung des vom Kläger erhobenen Anspruchs im Sinne dieser Vorschrift, ist das Gericht objektiv gehindert, über eine solche Klage zu entscheiden, denn das klägerische Begehren ist unklar. Eine solche Klage ist wegen eines essentiellen Mangels unzulässig. Nichts anderes ergäbe sich, wenn das ursprünglich mit der Untätigkeitsklage erhobene Begehren als wenigstens hilfsweise fortbestehend betrachtet würde, denn der Untätigkeitsklage fehlte - wie ausgeführt -in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis, so dass sie gleichfalls unzulässig wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved