L 3 R 517/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 659/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 517/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, einen Bescheid über die Gewährung einer Witwerrente wegen Anrechnung von Einkommen aus einem Berufsschadensausgleich teilweise zurückzunehmen und überzahlte Rentenleistungen für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 31. Januar 2013 zurückzufordern.

Der am ... 1926 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Januar 1991 vom Landesverwaltungsamt (bzw. dessen Rechtsvorgänger) einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), und zwar ab 1. November 2010 in folgender monatlichen Höhe:

ab 1. November 2010: 275,00 EUR

ab 1. Juli 2011: 377,00 EUR

ab 1. Juli 2012: 385,00 EUR.

Am 29. Oktober 2010 verstarb seine am ... 1944 geborene Ehefrau. Deshalb beantragte er am 3. November 2010 bei der Beklagten die Gewährung von Witwerrente. Dabei gab er seine eigene Altersrente an. Mit Bescheid vom 25. Januar 2011 bewilligte ihm die Beklagte mit Wirkung ab dem 1. November 2010 die große Witwerrente unter Anrechnung der Altersrente in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 226,58 EUR. Ca. zwei Jahre nach dem Tod seiner Ehefrau informierte er das Landesverwaltungsamt hierüber im Rahmen eines Prüfverfahrens. Dieses teilte der Beklagten mit Bescheinigung vom 23. November 2012 den Bezug und die Höhe des Berufsschadensausgleichs mit. Sodann hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 zur beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 25. Januar 2011 sowie zur Rückforderung der Überzahlung an. Der Kläger teilte daraufhin mit, nach seiner Auffassung seien Kriegsopferfürsorgerenten nicht auf die Witwerrente anzurechnen. Die Beklagte erließ anschließend den Bescheid vom 23. Januar 2013, mit dem sie die große Witwerrente ab Rentenbeginn neu feststellte. Für die Zukunft, d.h. mit Wirkung ab 1. Februar 2013, reduzierte sie die laufende Zahlung auf 95,53 EUR. Für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 31. Januar 2013 habe sich eine Überzahlung von 3.088,34 EUR ergeben. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. In der Anlage 10 dieses Bescheides begründete die Beklagte die Erstattungsforderung wie folgt: Der Rentenbescheid vom 25. Januar 2011 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 1. Februar 2011 nach § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) zurückgenommen. Die entstandene Überzahlung sei nach § 50 SGB X zu erstatten. Der vom Kläger aufgeführte Grund, wonach Kriegsopferfürsorgerenten nicht auf die Witwerrente anzurechnen seien, sei bei der Vertrauensschutzprüfung sowie bei der Ausübung des Ermessens beachtet worden. Er sei jedoch nicht dazu geeignet, von der Rücknahme des Bescheides abzusehen. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sich der Kläger nicht berufen, weil er Einkommen erzielt habe, das zum Wegfall oder zur Minderung seines Rentenanspruches geführt und er in seinem Antrag vom 9. Dezember 2010 unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. Nach Mitteilung des Landesverwaltungsamtes H. habe er einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG erhalten. Der Berufsschadensausgleich sei dauerhaftes Erwerbsersatzein-kommen nach § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) und daher nach § 97 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) auf die Witwerrente anzurechnen. Die entsprechende Frage Nr. 7.6 in der Anlage R 660 habe der Kläger verneint. Der Bezug einer Kriegsopferfürsorgerente sei nicht nachgewiesen. Auch im Wege des Ermessens halte sie die Rücknahme des Bescheides für gerechtfertigt, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe und das Vertrauen des Klägers in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei und weil der Kläger seiner gesetzlichen Mitteilungspflicht, auf die sie ihn auch hingewiesen habe, nicht nachgekommen sei. Im Anhörungsverfahren sei auch keine unzumutbare finanzielle Härte geltend gemacht worden. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und wendete weiterhin ein, dass er Versorgungsbezüge nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz erhalte und diese Bezüge nicht angerechnet werden dürften. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2013 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 13. August 2013 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Sofern die Beklagte darauf abstelle, dass er als Witwer den Bezug des Berufsschadensausgleichs im Rentenantrag nicht angegeben und demzufolge falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht habe, könne dem nicht gefolgt werden. Er sei davon ausgegangen, dass der Berufsschadensausgleich - von ihm als Kriegsopferfürsorgerente bezeichnet - eben gerade nicht auf die große Witwerrente anzurechnen sei, er als Kriegsopfer insoweit privilegiert sei. Im Rahmen einer Datenüberprüfung bzw. Datenabgleichung wäre es für die Beklagte ein Leichtes und ohne weiteres möglich gewesen, festzustellen, dass er einen Berufsschadensausgleich erhalte. Etwaige Versäumnisse der Beklagten in dieser Hinsicht könnten nicht zu seinen Lasten gehen. Er habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht. Ihm sei hier allenfalls einfache bzw. normale Fahrlässigkeit im Hinblick auf die rechtliche Bewertung bzw. Einstufung des Berufsschadensausgleichs vorzuwerfen. Hierbei sei insbesondere auch sein fortgeschrittenes Alter zu berücksichtigen. Er habe auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut und die erbrachten Leistungen verbraucht. Sein Vertrauen sei demnach schutzwürdig. Jedenfalls stelle es aus Ermessensgründen eine unbillige Härte dar, an der Erstattung, d.h. der Rückzahlung des Gesamtbetrages in Höhe von 3.088,34 EUR, festzuhalten. Dies gelte insbesondere auch vor dem Hintergrund seiner - allerdings nicht näher dargelegten - Einkommensverhältnisse.

Mit Urteil vom 13. Oktober 2015 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2013 aufgehoben. Dieser Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Nach Auffas-sung der Kammer könne der Kläger im Hinblick auf den Bescheid vom 25. Januar 2011 Vertrauensschutz beanspruchen, weil dieser Bescheid auf Angaben beruhe, die der Kläger weder vorsätzlich noch grob fahrlässig bezogen auf den von ihm bezogenen Berufsschaden-sausgleich gemacht habe. Für die Kammer sprächen vor allem und entscheidend folgende Tatsachen für die Annahme einer mittleren, aber nicht groben Fahrlässigkeit: Der Kläger sei bei Antragstellung der Witwerrente 84 Jahre alt gewesen. Er habe während der Ausübung des militärischen Dienstes im 2. Weltkrieg als Soldat in der Wehrmacht eine bleibende gesundheitliche Schädigung erlitten (Steckschuss in der rechten Kopfhälfte, Verlust eines Auges) und habe auf Grund dieser Kriegsverletzung als Kriegsopfer eine Leistung nach dem BVG vom Landesverwaltungsamt H. erhalten. Für ihn habe sich dies im täglichen Gebrauch durch einen Stempelaufdruck "Kriegsbeschädigt" auf dem Schwerbehindertenausweis manifestiert. Dieser Ausweis sei ihm ebenfalls vom Landesverwaltungsamt H. ausgestellt worden. Dem Kontoauszug nach habe er die Leistung von einer Dienststelle der Kriegsopferversorgung - KOV - bezogen. Zudem sei ihm - wie er glaubhaft versichert habe - nach der Wende bei erstmaligem Bezug der Leistungen mitgeteilt worden, dass die Leistungen der Kriegsopferversorgung bei anderen Sozialleistungen nicht anrechenbar seien. Im (vorliegenden) Bescheid des Landesverwaltungsamtes springe ebenfalls das Wort "Kriegsopferversorgung" ins Auge. Ansonsten fänden sich Tabellen, Übersichten mit Zahlenwerten und Zeiträumen zur Einstufung ins "Baugewerbe" (der Kläger habe ursprünglich Maurer gelernt) und recht unübersichtlich, nicht krass ins Auge springend, die Berechnung des "Berufsschadensausgleichs bzw. Schadensausgleichs" auf der Rückseite des Bescheides. Die monatlich zustehende Leistung werde als "Versorgungsbezug" bezeichnet.

Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Folgen des Steckschusses und des beruflichen Werdeganges des Klägers als Gütekontrolleur in den Ketten- und Lagerwerken W. könnten von ihm nicht die diffizilen Abstufungen verlangt werden, wie sie das BVG mache und gegebenenfalls von einem in juristischen, kaufmännischen oder finanztechnischen Kategorien vertrauten Angestellten zu erwarten seien. Das BVG regele die staatliche Versorgung von Kriegsopfern und Personenschäden, die sich aus den Folgen des zweiten Weltkriegs ergäben. Die Versorgung umfasse u.a. die Leistungen der Kriegsopferfürsorge (§§ 25 bis 27 i BVG), und zwar als Leistungen, die eine besondere Bedürftigkeit voraussetzten, u.a. Rentenleistungen, entsprechend ihrer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und unabhängig vom bisherigen Einkommen (Grundrente) sowie den Berufsschadensausgleich. Mit dem Berufsschadensausgleich sollten in pauschalierender Weise die Einkommensverluste ausgeglichen werden, die schädigungsbedingt eingetreten seien. Der Einkommensverlust sei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen tatsächlichen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente einerseits und dem höheren Vergleichseinkommen andererseits. Zu ermitteln sei der sogenannte "Hätte-Beruf".

Insoweit hätten die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung und das Bild, das die Kammer vom Kläger gewonnen habe, insbesondere das einer deutlich gealterten Person mit Anzeichen, die gemeinhin als Altersstarrsinn bezeichnet würden, bestätigt und zur Überzeugung geführt, dass der Kläger davon ausgegangen sei und weiterhin davon ausgehe, Leistungen aufgrund des Grades der Schädigungsfolgen zu beziehen, die als Leistungen für Kriegsopfer wie die Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 ff. BVG allgemein anrechnungsfrei seien. Der rechtliche Unterschied zwischen Kriegsopferfürsorge sowie Kriegsopferversorgung sei für den Kläger aufgrund seines Einsichtsvermögens nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Damit sei zur Überzeugung der Kammer ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers beim Ausfüllen des Antrags in der Auskunfts- und Beratungsstelle - woran sich der Kläger zudem auch nicht mehr erinnere - und bei Mitwirkungshandlungen nach Erhalt des Bescheides für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ausgeschlossen.

Gegen das ihr am 4. November 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Dezember 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe der Kläger nach ihrer Ansicht positive Kenntnis davon gehabt, einen Berufsschadensausgleich zu erhalten. Bereits bei Antragstellung der Witwer-rente sei ihm bewusst gewesen, dass er einen Berufsschadensausgleich beziehe. Sie, die Beklagte, weise dazu auf den beiliegenden "Bescheid über die Gewährung von Berufsscha-densausgleich" vom 5. Dezember 1996 hin, der - erstmalig - ins Verfahren eingebracht werde. Der Kläger habe für diese Leistung einen entsprechenden Antrag (vom 1. November 1990) gestellt. Auch aus Blatt 2 der jährlichen Anpassungen zum 1. Juli gehe der Bezug eines Berufsschadensausgleichs - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts - klar hervor. Vorliegend habe der Kläger in der Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente die eindeutige Frage nach dem Bezug eines Berufsschadensausgleichs (Frage 7.6) verneint und damit wahrheitswidrig beantwortet (siehe Anlagevordruck R 660). Vor dem Hintergrund, dass die Hinweise im Rentenbewilligungsbescheid vom 25. Januar 2011 auf Seite 4 unter der Überschrift "Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten" klar und einfach zu verstehen seien und davon ausgehend, dass der Kläger den Rentenbewilligungsbescheid vollständig gelesen habe, habe er gewusst, dass ihm die Witwerrente in der bewilligten Höhe nicht zustehe. Denn an keiner Stelle des Bescheides sei dargestellt, dass der Berufsschadensausgleich angerechnet worden sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es in dem zitierten Hinweis heiße, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen Einfluss auf die Rente haben könnten. Im Übrigen habe der Kläger eine arglistige Täuschung begangen. Sofern der erkennende Senat der Auffassung sei, dass - abweichend vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 14. März 2013 (5 C 10.12) - "weitere" Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung der Wille sei, höhere Leistungen zu erhalten, werde um Zulassung der Revision gebeten. Außerdem wäre selbst dann, wenn der Kläger "gutgläubig" gewesen wäre, eine rückwirkende Bescheidrücknahme zulässig, da ein Wieder-aufnahmegrund entsprechend § 580 Nr. 7 Buchst. b) Zivilprozessordnung (ZPO) vorliege. Nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO finde die Restitutionsklage nur statt, wenn der Beteiligte eine andere Urkunde auffinde oder zu benutzen in den Stand gesetzt werde, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Bei dem "Bescheid über die Gewährung von Berufsschadensausgleich" vom 5. Dezember 1996 handele es sich um eine Urkunde, die "aufgefunden" worden sei, da sie ihr, der Beklagten, bei Erteilung des Witwerrentenbescheides vom 25. Januar 2011 schuldlos unbekannt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 13. Oktober 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts Halle für zutreffend. Ergänzend trägt er vor, dem Kontoauszug nach habe er den Berufsschadensausgleich von einer Dienststelle der Kriegs-opferversorgung - KOV - bezogen. Zudem sei ihm nach der "Wende" beim erstmaligen Bezug mitgeteilt worden, dass die Leistungen der Kriegsopferversorgung bei anderen Sozialleistungen nicht anrechenbar seien. Im Bescheid des Landesverwaltungsamtes springe ebenfalls das Wort "Kriegsopferversorgung" ins Auge.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Denn der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Den rechtswidrigen begünstigenden Bescheid vom 25. Januar 2011 hat die Beklagte mit Bescheid vom 23. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2013 mit einer entsprechenden Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes insbesondere hinsichtlich der Rentenhöhe hinreichend bestimmt zurückgenommen. Verwaltungsakt ist nach § 31 Abs. 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dieses Erfordernis bezieht sich auf den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes, nicht jedoch auf dessen Gründe. Aus dem Verfügungssatz muss für den Betroffenen vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will. Für den Kläger ist aufgrund des Bescheides vom 23. Januar 2013 klar erkennbar, dass er zur Rückzahlung von 3.088,34 EUR verpflichtet werden soll. Dem angegriffenen Bescheid war ein erläuternder Anhang beigefügt, aus dem sich der jeweilige tatsächliche Monatsbetrag der Witwerrente und die bis dahin bewilligte Rente ergeben (Anlage 1 Seiten 5 und 6). Das Bestimmtheitsgebot ist damit gewahrt.

Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 25. Januar 2011 kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Der Bescheid vom 25. Januar 2011 ist ein begünstigender Verwaltungsakt, denn er begründet - neben dem hier nicht streitigen Recht auf die Witwerrente - auch das Recht des Klägers auf Zahlung dieser Rente in bestimmter Höhe. Dieser Bescheid ist rechtswidrig, denn er setzt unter Anwendung der Vorschriften über das Zusammentreffen von Einkommen die monatliche Rente und damit zugleich den Zahlbetrag für die Zeit ab 1. November 2010 rechtsfehlerhaft, nämlich zu hoch, fest.

Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger unter Beachtung der maßgeblichen Rechtslage in der Zeit ab 1. November 2010 jedenfalls der Höhe nach keinen Anspruch auf eine ohne Berücksichtigung des Berufsschadensausgleichs berechnete Witwerrente in der ihm tatsächlich gezahlten Höhe hatte. Im Falle des Klägers ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 25. Januar 2011 aus der Vorschrift des § 97 Abs. 1 SGB VI, wonach das Einkommen (§ 18a SGB IV) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente oder Witwerrente zusammentrifft, grundsätzlich hierauf angerechnet wird. Zum Ein-kommen zählen auch die Leistungen, die erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (§ 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV). Erwerbsersatzeinkommen in diesem Sinne ist auch der vom Kläger bezogene Berufsschadensausgleich nach § 30 BVG (§ 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SGB IV). Ob die Aufhebung in korrekter Höhe erfolgte, muss im vorliegenden Fall nicht geprüft werden, da die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme nicht erfüllt sind.

§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X eröffnet die Rücknahme von begünstigenden Verwaltungsakten für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X. Nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit

er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Da der Senat hat keinerlei Anhaltspunkte dafür hat, dass der Kläger den Rentenbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2011 durch arglistige Täuschung, Drohung oder gar Bestechung erwirkt haben könnte, ist § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X nicht einschlägig. Das BVerwG hat in dem von der Beklagten genannten Urteil vom 14. März 2013 ausgeführt, eine arglistige Täuschung liege vor, wenn der Begünstigte durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst gewesen sei oder deren Unrichtigkeit er für möglich gehalten, jedoch in Kauf genommen habe, oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen bei einem für die Bewilligung von Leis-tungen maßgeblich beteiligten Bediensteten der Behörde einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorgerufen habe, diesen durch Täuschung zu einer für ihn günstigen Entscheidung zu bestimmen. Unrichtige Angaben seien stets eine Täuschung, unabhängig davon, ob die Behörde hiernach gefragt habe oder nicht. Das Verschweigen wahrer Tatsachen sei - in Abgrenzung zu § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X - eine Täuschung, wenn die Behörde nach diesen Tatsachen gefragt habe. Der Frage eines maßgeblich beteiligten Bediensteten der Behörde stehe es gleich, wenn in einem Vordruck oder Antragsformular erkennbar eine bestimmte Frage aufgeworfen werde, welche dann wahrheitswidrig beantwortet werde (BVerwG, Urteil vom 14. März 2013 - 5 C 10/12 -, juris, Rdnr. 22). Diese Formulierungen lassen zur Überzeugung des Senats erkennen, dass es dem Begünstigten um die höhere Leistung gegangen sein muss und er deshalb notwendige Angaben unterlassen hat. Andernfalls wäre die Abgrenzung zu dem minderschweren Vorwurf in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kaum möglich. Dass es sich in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X um einen schwerwiegenderen Vorgang handeln muss, ergibt sich darüber hinaus aus der Aufzählung neben den erheblichen Tatbeständen der Drohung bzw. Bestechung. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X nicht "nur" um eine Täuschung gehandelt haben, sondern diese Täuschung zudem durch Arglist gekennzeichnet sein muss. Dieser besonders schwere Schuldvorwurf ist nach dem Eindruck und der Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu verneinen. Es ist nicht einmal erwiesen, dass der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht hat, zumal auch nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einschließlich der Befragung des Klägers unklar geblieben ist, wie die Beantragung der Witwerrente tatsächlich abgelaufen ist. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht erklärt, er habe den Antrag selbst zu Hause ausgefüllt. Der Antrag sei ihm zugesandt worden. Nach Aktenlage ist der Antrag allerdings in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in N. gestellt worden. Zudem ist die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2015 übersandte Anlage R660 zum Rentenantrag nicht identisch mit dem Ausdruck in der Verwaltungsakte im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung. Der Ausdruck in der Verwaltungsakte ist wesentlich kürzer; er enthält nur die Ziffer 7.1 ohne die konkrete Frage nach einem Berufsschadensausgleich. Die Unklarheiten im Zusammenhang mit der Antragstellung gehen zu Lasten der Beklagten. Denn nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 103 Rdnr. 19a) trägt im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts derjenige die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies gilt für das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale. Der Beklagten obliegt somit die Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen, die den Schuldvorwurf in den Varianten von § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X begründen. Denn die Beklagte stützt sich bei ihrer Entscheidung auf § 45 SGB X als Rechtsgrundlage. Die Folge der insoweit bestehenden Unklarheiten hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten, die sich hier im Rahmen der Amtsermittlung auch nicht mehr beseitigen lassen, hat die Beklagte zu tragen. Abgesehen davon hat das Sozialgericht nach Auffassung des erkennenden Senats eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers bei der Antragstellung zutreffend verneint. Auf die diesbezüglichen Ausführungen auf den Seiten 7 und 8 des Urteils, die der Senat sich aufgrund eigener Urteilsbildung zu Eigen macht, kann gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen werden.

Dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 25. Januar 2011 gekannt hätte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Es liegt auch kein Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis vor. Nach der oben wiedergegebenen Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 zweiter Halbsatz SGB X ist grobe Fahrlässigkeit gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Das Maß der Fahrlässigkeit ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Begünstigten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Voraussetzung für die Annahme grober Fahrlässigkeit bei der Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist somit, dass die Mängel des Bewilligungsbescheides für den Begünstigten unter Berücksichtigung seines Einsichtsvermögens ohne weiteres erkennbar waren (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 8. Februar 2011 - B 11 AL 21/00 R -, Rdnr. 23). Auch insoweit kann auf die Ausführungen auf den Seiten 7 und 8 des Urteils des Sozialgerichts verwiesen werden, da diese für das - stark eingeschränkte - Einsichtsvermögen des Klägers nach Erhalt des Bescheides vom 25. Januar 2011 ebenso gelten wie bei der Antragstellung.

Schließlich ist die Auffassung der Beklagten unzutreffend, eine rückwirkende Bescheidrücknahme wäre selbst dann zulässig, wenn der Kläger "gutgläubig" gewesen wäre, da ein Wiederaufnahmegrund entsprechend § 580 Nr. 7 Buchst. b) ZPO vorliege. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass aufgrund der Vorlage des Bescheides vom 5. Dezember 1996 im Berufungsverfahren keine gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren neue Situation eingetreten ist. Denn die Information, dass der Kläger seit 1991 einen Berufsschadensausgleich erhielt, ist der Beklagten bereits im Verwaltungsverfahren durch die telefonische Rücksprache beim Landesverwaltungsamt am 13. Dezember 2012 bekannt geworden. Abgesehen davon ist die rechtliche Einordnung der Beklagten fehlerhaft. Das eventuelle Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes entsprechend § 580 ZPO betrifft nicht die - vorrangige - Frage der "Gutgläubigkeit" oder des Vertrauens des Klägers im Sinne des
§ 45 Abs. 2 SGB X, sondern die Rücknahmefristen (§ 45 Abs. 3 SGB X) und den zeitlichen Geltungsbereich der Rücknahme (Vergangenheit/Zukunft, § 45 Abs. 4 SGB X).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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