Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 31 P 101/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 47/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Aufhebung von Pflegeversicherungsleistungen nach der Pflegestufe III. Der 1948 geborene Kläger bezog zunächst Leistungen nach der Pflegestufe II seit März 2011. Am 05.03.2012 stellte er einen Höherstufungsantrag bei der Beklagten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 02.04.2012 ab. Diesbezüglich wurde vor dem hiesigen Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 18 P 93/12 ein Klageverfahren durchgeführt, welches durch Urteil vom 14.04.2014 endete. Die Beklagte wurde dazu verurteilt, dem Kläger Leistungen nach der Pflegestufe III ab dem 01.12.2012 zu gewähren. Das Urteil stützte sich auf ein Sachverständigengutachten des Arztes Dr. W vom 17.05.2013, welcher einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 257 Minuten täglich feststellte, nachdem der Kläger im Dezember 2012 gestürzt war. Er hielt folgende Erkrankungen bei dem Kläger fest:
- Diabetes mit multiplen Sekundärkomplikationen wie einem amputierten Zeh, einer Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems), einer Retinopathie (Erkrankung der Netzhaut des Auges) mit Erblindung sowie einer Nierenerkrankung,
- Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck),
- Kognitiver Abbau,
- Antriebsstörungen,
- Harn-/Stuhlinkontinenz,
- Blutige Hautveränderungen des Kopfes, des Rumpfes und des Rückens,
- Quälender Juckreiz am gesamten Körper
Dr. W hielt folgende Funktionsausfälle bzw. Funktionsbeeinträchtigungen fest: Transferstörung und Immobilität, Erblindung, Gefühlsstörung und Aufhebung im Bereich der Beine, Inkontinenz und Kognitive Beeinträchtigung. Insbesondere im Bereich Gehen (60 Minuten täglich) und Stehen/Transfers (12 Minuten täglich) hielt er einen höheren Bedarf fest, als der MDK zuvor in seinen Gutachten. Es handele sich um einen Dauerzustand, eine Verbesserung sei nicht zu erwarten. Die Beklagte hatte durch Frau S. vom MDK mehrere Stellungnahmen erstellen lassen. Frau S. konnte sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. nicht anschließen. Die Beklagte legte keine Berufung gegen das Urteil vom 14.04.2014 ein. In der Verwaltungsakte der Beklagten findet sich auf Bl. 33 folgender Vermerk vom 27.06.2014: "Frau M. empfiehlt, den Entzug der Pflegestufe III durch den MDK prüfen zu lassen, da in Bezug auf das "Gehen" bei Erstellung des Gerichtsgutachtens vom 17.05.2013 nicht die einschlägigen Richtlinien zugrunde gelegt wurden und Zeitansätze daher fehlerhaft erfolgten. Da ihre diesbezüglich vorgetragenen Einwände im Urteil keine Berücksichtigung fanden, sei eine Berufungsklage nicht zielführend. Es würde pro Verfahren nur ein Gerichtsgutachten in Auftrag gegeben, daher wäre das Gutachten vom 17.05.2013 auch Gegenstand des Berufungsverfahrens. Im Falle eines neuen Klageverfahrens nach Entzug der Pflegestufe III durch die Pflegekasse würde ein erneutes Gerichtsgutachten erstellt werden und Gegenstand der Gerichtsentscheidung sein. Sie erwartet sich davon ein für die AOK positives Ergebnis." Der Kläger wurde daraufhin am 24.09.2014 erneut vom MDK untersucht. Der MDK kam zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestünde ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 139 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 86 Minuten. Es bestehe eine allgemeine Schwäche im Bereich der unteren Extremitäten. Aufstehen aus sitzender Position sei mit Hilfe von einer Pflegeperson möglich. Stehen sei selbständig mit Hilfsmittel möglich. Gehen sei möglich. Eine Begleitung sei ständig wegen Erblindung, Sturzangst, Unsicherheit erforderlich. Das Gangbild sei langsam, kleinschrittig, unsicher mit Gehstock, Hilfe beim Transfer in die Badewanne/Dusche sei erforderlich. Der Versicherte benötige aufgrund der Unsicherheiten und Sehschwäche eine Kontaktperson beim Gehen. Auf Bl. 59 - 60 der Verwaltungsakte lautet die Begründung des MDK wie folgt: "Im Vergleich zum Vorgutachten ergibt sich keine pflegestufenrelevante Änderung des Hilfebedarfs, so dass sich aus gutachterlicher Sicht die bestehende Pflegestufe nicht ändert. Der Versicherte benötigt aufgrund der Erblindung Hilfen im Bereich der Körperpflege, Ernährung und Mobilität. Der Versicherte kann mit geringer Unterstützung Aufstehen, er kann Stehen und mit Hilfe eines Gehstockes gehen. Er benötigt dabei eine personelle Absicherung und Begleitung aufgrund der Blindheit und daraus resultierenden Orientierungseinschränkungen. Eine Inkontinenz besteht nicht. Die im Gerichtsgutachten aufgeführten Hilfen und der dafür jeweils bemessene Zeitaufwand für den Bereich der Mobilität (Gehen, Transfers) sind nicht nachvollziehbar." Die Beklagte forderte den MDK mit Schreiben vom 24.10.2014 zur Stellungnahme auf, um den aktuellen Hilfebedarfe zu klären. Es sei insbesondere zu klären, ob die Folgen des Sturzereignisses nach wie vor bestünden oder ob sich diese reduziert hätten. Der MDK teilte der Beklagten in einer Stellungnahme vom 27.10.2014 mit, dass der MDK immer nur die Pflegestufe II befürwortet habe, so dass auf die Ausführungen von Frau S. verwiesen werde. Die Beklagte versandte ein Anhörungsschreiben vom 26.10.2015 an den Kläger. Darin führte sie aus, der Sturz im Jahr 2012 sei maßgeblich für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe III gewesen. Aufgrund des Urteils des Sozialgerichts erhalte er daher Leistungen nach der Pflegestufe III. Es habe sich jedoch bereits bei der MDK-Untersuchung vom 05.06.2013 gezeigt, dass die Sturzfolgen bereits damals abgeklungen gewesen seien und daher bereits ab diesem Zeitpunkt nur noch die Pflegestufe II vorgelegen habe. Dies habe auch das MDK-Gutachten vom 24.09.2014 bestätigt Es sei daher beabsichtigt, ab dem 01.12.2015 nur noch Leistungen nach der Pflegestufe II zu gewähren Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte der Beklagten mit Schriftsatz vom 05.11.2015 mit, für die Einstufung in die Pflegestufe III seien die Entscheidungsgründe des Urteils vom 14.04.1014 maßgeblich. Dieses Urteil habe die Beklagte rechtskräftig werden lassen. Im Übrigen habe sich der Hilfebedarf seit dem Urteil weiter verschlechtert. Die Beklagte erließ am 19.11.2015 einen Aufhebungsbescheid, mit welchem sie den Bewilligungsbescheid vom 06.06.2014 und 02.04.2012 mit Wirkung ab 01.12.2015 aufhob. Dagegen legte der Kläger am 27.11.2015 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erstellte der MDK ein Gutachten nach Aktenlage am 24.09.2015. Darin führte Frau S. vom MDK aus, dass sie bei ihrem Hausbesuch am 05.09.2013 eine Situation vorgefunden habe, die sich gegenüber der von Herrn Dr. W. beschriebenen Situation erheblich verändert habe. Es sei eine substanzielle Änderung des Gesundheitszustandes und auch des Pflegebedarfs festzustellen gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, es habe sich eine Besserung der Gesundheitssituation mit abnehmendem Hilfebedarf eingestellt. Die Voraussetzungen des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen vor, denn der Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege habe sich seit der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Gutachter Dr. W. vom 17.05.2013 verringert, insbesondere durch Reduzierung des Hilfebedarfs in der Körperpflege, Ernährung und der Mobilität. Der Kläger sei wieder in der Lage, bei der Körperpflege und beim Kleiden Teilverrichtungen selbst zu übernehmen, ebenso im Bereich der Ausscheidungen. Auch die Aufnahme von fester Nahrung sei jetzt wieder selbständig möglich. Die Mobilität habe sich erheblich verbessert. Die Umlagerung im Bett sei jetzt selbständig möglich. Dagegen hat der Kläger am 23.12.2015 Klage vor dem hiesigen Gericht erhoben. Zur Begründung führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, die von der Beklagten durchgeführte Verfahrensweise verstoße gegen § 18 Abs. 2 Satz 5 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) a. F. Eine Folgeuntersuchung solle erst in einem angemessenen Zeitabstand durchgeführt werden, unter anderem wegen des Eingriffs in die Privatsphäre des Versicherten, so das BSG in seinem Urteil vom 13.02.2001, Az. B 3 P 20/00. Zudem habe sich der gesundheitliche Zustand des Klägers nicht gebessert. Er verweist insbesondere auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 08.03.2012, Az. L 27 P 75/11 und führt aus, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse danach nicht bereits dann vorliege, wenn in einem nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingeholten Gutachten der Zeitaufwand für die Grundpflege geringer eingeschätzt werde. Vielmehr komme es entscheidend darauf an, dass in dem Gesundheitszustand Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar den Umfang des Hilfebedarfs vermindert haben. Die Beklagte habe selbst in dem Anhörungsschreiben vom 26.10.2015 eingeräumt, dass die Sturzfolgen bereits bei der Begutachtung am 05.09.2013 abgeklungen seien. Waren die Sturzfolgen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14.04.2014 längst angeklungen, so sei der Nachweis einer wesentlichen Änderung zwischen diesem Zeitpunkt und dem Erlass des angefochtenen Aufhebungsbescheides völlig ausgeschlossen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, es komme ausweislich der Kommentierung im Kasseler Kommentar bei § 48 SGB X weder auf die im ursprünglichen Bescheid genannten noch auf die von der Behörde angenommenen Verhältnisse an, sondern auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse. Da der MDK in seinem Gutachten vom 24.09.2015 festgestellt habe, die Situation bei dem Hausbesuch habe sich gegenüber der von Herrn Dr. W. beschriebenen wesentlich geändert, lägen diese Voraussetzungen nunmehr vor. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Das Gericht hat Befundberichte bei Dr. E. und Dr. D. eingeholt. Dr. E. (Dialysezentrum) erstattete den Befundbericht am 11.04.2016 und teilte darin mit, der Patient sei blind, eine Gehfähigkeit sei nicht gegeben. Eine Verbesserung des Gesundheitszustandes sei nicht erwartbar, eine Verschlechterung sei immer möglich. Dr. E. konnte keine Angaben zum Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege machen (Bl. 33-34 d. Gerichtsakte). Dr. D. (Hausarzt) erstattete seinen Befundbericht am 25.04.2016 und teilte darin mit, der Patient sei in allen Bereich auf Hilfe angewiesen, eine konkrete Zeitspanne könne man schlecht voraussagen, es komme immer auf die Tagesverfassung des Patienten an. Er schätze den Hilfebedarf auf 40-50 Minuten täglich für die Grundpflege, nachts benötige der Kläger auch Hilfe aufgrund der Blindheit. Eine Veränderung des Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten (Bl. 38-39 d. Gerichtsakte). Das Gericht hat daraufhin ein Gutachten von Amts wegen nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem Sachverständigen Arzt Herrn A. eingeholt. In dem Gutachten vom 29.10.2016, das nach einer Untersuchung am 19.10.2016 in der häuslichen Umgebung des Klägers erstellt wurde, hielt der Sachverständige folgende Diagnosen fest:
- Blindheit bei diabetischer Retinopathie,
- Demenz, Angststörung,
- Gangstörung bei diabetischer Polyneuropathie,
- Inkomplette Stuhlinkontinenz, nächtliches Einnässen,
- Unklare chronische Hauterkrankung (Neurodermitis?), derzeit in Remission,
- Diabetes mellitus mit multiplen Folgeerkrankungen (Retinopathie, Nephropathie, Polyneuropathie, pAVK),
- Nebendiagnosen: arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung, chronische Niereninsuffizienz, arterielle Verschlusskrankheit mit Zustand nach Amputation der zweiten Zehe rechts wegen Gangrän, chronische Bindehautentzündung.
Der Sachverständige hielt einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 148 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 130 Minuten täglich fest. Der Hilfebedarf bestehe in diesem Umfang bereits seit 2014. Er führte weiter aus, die Pflegeperson (Ehefrau des Klägers) habe auf dezidiertes Nachfragen angegeben, dass sich die Gehfähigkeit des Klägers seit der Begutachtung durch Dr. W. nicht wesentlich verändert habe. Nach seiner Einschätzung habe Dr. W. den grundpflegerischen Hilfebedarf jedoch deutlich zu hoch bewertet. Der Sachverständige führte weiter aus, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit während des gesamten streitigen Zeitraums ein Hilfebedarf im Bereich der Pflegestufe II vorgelegen und somit keine wesentliche, pflegestufenrelevante Änderung stattgefunden habe. Die Beteiligten sahen sich durch die Ausführungen des Sachverständigen Herrn A. in ihrer jeweiligen Auffassung bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte S 18 P 93/12 und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Vorliegend ist nach § 140 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) neue Fassung (in Kraft seit 01.01.2017) das zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anzuwenden. Da die maßgebliche Verwaltungsentscheidung aus dem Jahr 2015 stammt, wird im Folgenden die jeweilige Vorschrift des SGB XI mit dem Zusatz a. F. (alte Fassung) gekennzeichnet. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten aus § 54 Abs. 2 SGG. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist § 48 Abs. 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Hierbei sind die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung vorhanden gewesen sind, zu vergleichen. Die von der Beklagten mit dem hier angefochtenen Bescheid aufgehobene Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III (Bewilligungsentscheidung vom 06.06.2014) ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren.
Die Kammer kam zu der Überzeugung, dass vorliegend eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand des Klägers nicht nachgewiesen ist. Vorliegend ist der Gesundheitszustand am 14.04.2014 (Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) mit dem Gesundheitszustand am 15.12.2015 zu vergleichen (Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist in Fällen, in denen um die Herabsetzung einer Pflegestufe im Pflegeversicherungsrecht gestritten wird, nicht bereits dann eingetreten, wenn in einem nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingeholten Gutachten der Zeitaufwand in der Grundpflege maßgeblich geringer eingeschätzt wurde als in dem der Bewilligung zu Grunde liegenden Erstgutachten. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass in dem Gesundheitszustand des Betroffenen Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar den Umfang dessen Hilfebedarfs vermindert haben. Für das Vorliegen dieser Änderung trifft die Pflegekasse, die sich in dem Aberkennungsbescheid hierauf beruft, die materielle Beweislast (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.03.2012, L 27 P 75/11, juris, Rn 19). Dieser Verbesserungsnachweis konnte nach Ausschöpfung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts von der Beklagten nicht geführt werden. Die Kammer konnte trotz akribischer Durchsicht der MDK-Gutachten vom 24.09.2014, 27.10.2014 und 24.09.2015 sowie der Gutachten von Dr. W. und Herrn A. nicht erkennen, welche Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. Funktionseinschränkungen sich im Vergleich zur Situation am 14.04.2014 wesentlich verbessert haben. Hierbei ist der damalige Gesundheitszustand zugrunde zu legen, den die 18. Kammer am 14.04.2014 ihrem Urteil zugrunde gelegt hat. Da sich die 18. Kammer auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. gestützt hat, ist dessen Gutachten für den damaligen Gesundheitszustand maßgeblich. Die Beklagte hat auch in Kenntnis der Beweislast veranlasst, dass der MDK dezidiert zur Frage der Verbesserung der gesundheitlichen Situation Stellung nehmen sollte. Dies zeigt sich an dem Schreiben der Beklagten vom 24.10.2014, in welchem der MDK gezielt nach den Folgen des Sturzereignisses gefragt wurde. Diese Frage konnte der MDK mangels einer Verbesserung jedoch tatsächlich gar nicht beantworten, sondern verwies vielmehr stets darauf, dass nach Ansicht des MDK bei dem Kläger schon seit 2011 durchgehend nur die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorgelegen hätten. Allein diese Aussage zeigt, dass der eingeschlagene Weg falsch war und stattdessen Berufung hätte eingelegt werden müssen. Auch aus dem MDK-Gutachten nach Aktenlage von Frau S. vom 24.09.2015 geht ebenso nicht hervor, welche Gesundheitsbeeinträchtigung bzw. Funktionsbeeinträchtigung sich wesentlich verbessert haben soll. Zudem hat sie sich maßgeblich auf ihr Gutachten vom 05.09.2013 bezogen, welches jedoch bereits Gegenstand des Urteils der 18. Kammer vom 14.04.2014 war. Die von Dr. W. in seinem Gutachten vom 17.05.2013 gestellten Diagnosen unterscheiden sich nicht wesentlich von den Diagnosen, die Herr A. in seinem Gutachten vom 29.10.2016 gestellt hat. Auch hat Dr. W. bereits damals Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund von Blindheit, Gangstörungen wegen der Gefühlsstörungen in den Beinen, Inkontinenz und kognitive Beeinträchtigungen festgehalten. Dr. A. hat nun sogar das Vorliegen einer Demenz diagnostiziert, woraus zu schließen ist, dass sich die kognitiven Beeinträchtigungen verschlechtert haben. Zudem hat er ausgeführt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit während des gesamten streitigen Zeitraums ein Hilfebedarf im Bereich der Pflegestufe II vorgelegen und somit keine wesentliche, pflegestufenrelevante Änderung stattgefunden hat. Dies belegt eindeutig, dass eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands des Klägers nicht eingetreten ist. Es sei angemerkt, dass die Beklagte stets der Ansicht war, dass lediglich die Voraussetzungen der Pflegestufe II erfüllt sind. In diesem Fall wäre jedoch eine Berufungseinlegung gegen das Urteil vom 14.04.2014 die rechtlich korrekte Methode gewesen. Eine Umgehung der Berufungsinstanz mithilfe eines Aufhebungsverfahrens nach § 48 SGB X ist nicht der gesetzlich vorgesehene Weg. Vor diesem Hintergrund lässt es die Kammer dahinstehen, ob die Vorschrift des § 18 Abs. 2 Satz 5 SGB XI a. F. verletzt worden ist, wonach Wiederholungsbegutachtungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Voraussetzungen für eine vollständige oder teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung eingetreten sein könnten. Die Einschätzung des Bestehens dieser Möglichkeit unterliegt einem Beurteilungsspielraum der Pflegekasse. Ob hier überhaupt die Möglichkeit einer Verbesserung bestand, ist bereits fraglich. Jedoch handelt es sich bei dieser Frage um eine solche, die aufgrund der vorstehenden Erwägungen zu § 48 SGB X nicht streitentscheidend war. Im Übrigen unterliegen die der Verwaltung eingeräumten Beurteilungsspielräume nur eingeschränkt der richterlichen Überprüfung (§ 54 SGG, KQ./Ladewig/Keller/Leitherer, 12. Auflage 2017, Rn. 31 ff). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Aufhebung von Pflegeversicherungsleistungen nach der Pflegestufe III. Der 1948 geborene Kläger bezog zunächst Leistungen nach der Pflegestufe II seit März 2011. Am 05.03.2012 stellte er einen Höherstufungsantrag bei der Beklagten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 02.04.2012 ab. Diesbezüglich wurde vor dem hiesigen Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 18 P 93/12 ein Klageverfahren durchgeführt, welches durch Urteil vom 14.04.2014 endete. Die Beklagte wurde dazu verurteilt, dem Kläger Leistungen nach der Pflegestufe III ab dem 01.12.2012 zu gewähren. Das Urteil stützte sich auf ein Sachverständigengutachten des Arztes Dr. W vom 17.05.2013, welcher einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 257 Minuten täglich feststellte, nachdem der Kläger im Dezember 2012 gestürzt war. Er hielt folgende Erkrankungen bei dem Kläger fest:
- Diabetes mit multiplen Sekundärkomplikationen wie einem amputierten Zeh, einer Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems), einer Retinopathie (Erkrankung der Netzhaut des Auges) mit Erblindung sowie einer Nierenerkrankung,
- Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck),
- Kognitiver Abbau,
- Antriebsstörungen,
- Harn-/Stuhlinkontinenz,
- Blutige Hautveränderungen des Kopfes, des Rumpfes und des Rückens,
- Quälender Juckreiz am gesamten Körper
Dr. W hielt folgende Funktionsausfälle bzw. Funktionsbeeinträchtigungen fest: Transferstörung und Immobilität, Erblindung, Gefühlsstörung und Aufhebung im Bereich der Beine, Inkontinenz und Kognitive Beeinträchtigung. Insbesondere im Bereich Gehen (60 Minuten täglich) und Stehen/Transfers (12 Minuten täglich) hielt er einen höheren Bedarf fest, als der MDK zuvor in seinen Gutachten. Es handele sich um einen Dauerzustand, eine Verbesserung sei nicht zu erwarten. Die Beklagte hatte durch Frau S. vom MDK mehrere Stellungnahmen erstellen lassen. Frau S. konnte sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. nicht anschließen. Die Beklagte legte keine Berufung gegen das Urteil vom 14.04.2014 ein. In der Verwaltungsakte der Beklagten findet sich auf Bl. 33 folgender Vermerk vom 27.06.2014: "Frau M. empfiehlt, den Entzug der Pflegestufe III durch den MDK prüfen zu lassen, da in Bezug auf das "Gehen" bei Erstellung des Gerichtsgutachtens vom 17.05.2013 nicht die einschlägigen Richtlinien zugrunde gelegt wurden und Zeitansätze daher fehlerhaft erfolgten. Da ihre diesbezüglich vorgetragenen Einwände im Urteil keine Berücksichtigung fanden, sei eine Berufungsklage nicht zielführend. Es würde pro Verfahren nur ein Gerichtsgutachten in Auftrag gegeben, daher wäre das Gutachten vom 17.05.2013 auch Gegenstand des Berufungsverfahrens. Im Falle eines neuen Klageverfahrens nach Entzug der Pflegestufe III durch die Pflegekasse würde ein erneutes Gerichtsgutachten erstellt werden und Gegenstand der Gerichtsentscheidung sein. Sie erwartet sich davon ein für die AOK positives Ergebnis." Der Kläger wurde daraufhin am 24.09.2014 erneut vom MDK untersucht. Der MDK kam zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestünde ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 139 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 86 Minuten. Es bestehe eine allgemeine Schwäche im Bereich der unteren Extremitäten. Aufstehen aus sitzender Position sei mit Hilfe von einer Pflegeperson möglich. Stehen sei selbständig mit Hilfsmittel möglich. Gehen sei möglich. Eine Begleitung sei ständig wegen Erblindung, Sturzangst, Unsicherheit erforderlich. Das Gangbild sei langsam, kleinschrittig, unsicher mit Gehstock, Hilfe beim Transfer in die Badewanne/Dusche sei erforderlich. Der Versicherte benötige aufgrund der Unsicherheiten und Sehschwäche eine Kontaktperson beim Gehen. Auf Bl. 59 - 60 der Verwaltungsakte lautet die Begründung des MDK wie folgt: "Im Vergleich zum Vorgutachten ergibt sich keine pflegestufenrelevante Änderung des Hilfebedarfs, so dass sich aus gutachterlicher Sicht die bestehende Pflegestufe nicht ändert. Der Versicherte benötigt aufgrund der Erblindung Hilfen im Bereich der Körperpflege, Ernährung und Mobilität. Der Versicherte kann mit geringer Unterstützung Aufstehen, er kann Stehen und mit Hilfe eines Gehstockes gehen. Er benötigt dabei eine personelle Absicherung und Begleitung aufgrund der Blindheit und daraus resultierenden Orientierungseinschränkungen. Eine Inkontinenz besteht nicht. Die im Gerichtsgutachten aufgeführten Hilfen und der dafür jeweils bemessene Zeitaufwand für den Bereich der Mobilität (Gehen, Transfers) sind nicht nachvollziehbar." Die Beklagte forderte den MDK mit Schreiben vom 24.10.2014 zur Stellungnahme auf, um den aktuellen Hilfebedarfe zu klären. Es sei insbesondere zu klären, ob die Folgen des Sturzereignisses nach wie vor bestünden oder ob sich diese reduziert hätten. Der MDK teilte der Beklagten in einer Stellungnahme vom 27.10.2014 mit, dass der MDK immer nur die Pflegestufe II befürwortet habe, so dass auf die Ausführungen von Frau S. verwiesen werde. Die Beklagte versandte ein Anhörungsschreiben vom 26.10.2015 an den Kläger. Darin führte sie aus, der Sturz im Jahr 2012 sei maßgeblich für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe III gewesen. Aufgrund des Urteils des Sozialgerichts erhalte er daher Leistungen nach der Pflegestufe III. Es habe sich jedoch bereits bei der MDK-Untersuchung vom 05.06.2013 gezeigt, dass die Sturzfolgen bereits damals abgeklungen gewesen seien und daher bereits ab diesem Zeitpunkt nur noch die Pflegestufe II vorgelegen habe. Dies habe auch das MDK-Gutachten vom 24.09.2014 bestätigt Es sei daher beabsichtigt, ab dem 01.12.2015 nur noch Leistungen nach der Pflegestufe II zu gewähren Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte der Beklagten mit Schriftsatz vom 05.11.2015 mit, für die Einstufung in die Pflegestufe III seien die Entscheidungsgründe des Urteils vom 14.04.1014 maßgeblich. Dieses Urteil habe die Beklagte rechtskräftig werden lassen. Im Übrigen habe sich der Hilfebedarf seit dem Urteil weiter verschlechtert. Die Beklagte erließ am 19.11.2015 einen Aufhebungsbescheid, mit welchem sie den Bewilligungsbescheid vom 06.06.2014 und 02.04.2012 mit Wirkung ab 01.12.2015 aufhob. Dagegen legte der Kläger am 27.11.2015 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erstellte der MDK ein Gutachten nach Aktenlage am 24.09.2015. Darin führte Frau S. vom MDK aus, dass sie bei ihrem Hausbesuch am 05.09.2013 eine Situation vorgefunden habe, die sich gegenüber der von Herrn Dr. W. beschriebenen Situation erheblich verändert habe. Es sei eine substanzielle Änderung des Gesundheitszustandes und auch des Pflegebedarfs festzustellen gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, es habe sich eine Besserung der Gesundheitssituation mit abnehmendem Hilfebedarf eingestellt. Die Voraussetzungen des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen vor, denn der Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege habe sich seit der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Gutachter Dr. W. vom 17.05.2013 verringert, insbesondere durch Reduzierung des Hilfebedarfs in der Körperpflege, Ernährung und der Mobilität. Der Kläger sei wieder in der Lage, bei der Körperpflege und beim Kleiden Teilverrichtungen selbst zu übernehmen, ebenso im Bereich der Ausscheidungen. Auch die Aufnahme von fester Nahrung sei jetzt wieder selbständig möglich. Die Mobilität habe sich erheblich verbessert. Die Umlagerung im Bett sei jetzt selbständig möglich. Dagegen hat der Kläger am 23.12.2015 Klage vor dem hiesigen Gericht erhoben. Zur Begründung führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, die von der Beklagten durchgeführte Verfahrensweise verstoße gegen § 18 Abs. 2 Satz 5 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) a. F. Eine Folgeuntersuchung solle erst in einem angemessenen Zeitabstand durchgeführt werden, unter anderem wegen des Eingriffs in die Privatsphäre des Versicherten, so das BSG in seinem Urteil vom 13.02.2001, Az. B 3 P 20/00. Zudem habe sich der gesundheitliche Zustand des Klägers nicht gebessert. Er verweist insbesondere auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 08.03.2012, Az. L 27 P 75/11 und führt aus, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse danach nicht bereits dann vorliege, wenn in einem nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingeholten Gutachten der Zeitaufwand für die Grundpflege geringer eingeschätzt werde. Vielmehr komme es entscheidend darauf an, dass in dem Gesundheitszustand Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar den Umfang des Hilfebedarfs vermindert haben. Die Beklagte habe selbst in dem Anhörungsschreiben vom 26.10.2015 eingeräumt, dass die Sturzfolgen bereits bei der Begutachtung am 05.09.2013 abgeklungen seien. Waren die Sturzfolgen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14.04.2014 längst angeklungen, so sei der Nachweis einer wesentlichen Änderung zwischen diesem Zeitpunkt und dem Erlass des angefochtenen Aufhebungsbescheides völlig ausgeschlossen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, es komme ausweislich der Kommentierung im Kasseler Kommentar bei § 48 SGB X weder auf die im ursprünglichen Bescheid genannten noch auf die von der Behörde angenommenen Verhältnisse an, sondern auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse. Da der MDK in seinem Gutachten vom 24.09.2015 festgestellt habe, die Situation bei dem Hausbesuch habe sich gegenüber der von Herrn Dr. W. beschriebenen wesentlich geändert, lägen diese Voraussetzungen nunmehr vor. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Das Gericht hat Befundberichte bei Dr. E. und Dr. D. eingeholt. Dr. E. (Dialysezentrum) erstattete den Befundbericht am 11.04.2016 und teilte darin mit, der Patient sei blind, eine Gehfähigkeit sei nicht gegeben. Eine Verbesserung des Gesundheitszustandes sei nicht erwartbar, eine Verschlechterung sei immer möglich. Dr. E. konnte keine Angaben zum Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege machen (Bl. 33-34 d. Gerichtsakte). Dr. D. (Hausarzt) erstattete seinen Befundbericht am 25.04.2016 und teilte darin mit, der Patient sei in allen Bereich auf Hilfe angewiesen, eine konkrete Zeitspanne könne man schlecht voraussagen, es komme immer auf die Tagesverfassung des Patienten an. Er schätze den Hilfebedarf auf 40-50 Minuten täglich für die Grundpflege, nachts benötige der Kläger auch Hilfe aufgrund der Blindheit. Eine Veränderung des Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten (Bl. 38-39 d. Gerichtsakte). Das Gericht hat daraufhin ein Gutachten von Amts wegen nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem Sachverständigen Arzt Herrn A. eingeholt. In dem Gutachten vom 29.10.2016, das nach einer Untersuchung am 19.10.2016 in der häuslichen Umgebung des Klägers erstellt wurde, hielt der Sachverständige folgende Diagnosen fest:
- Blindheit bei diabetischer Retinopathie,
- Demenz, Angststörung,
- Gangstörung bei diabetischer Polyneuropathie,
- Inkomplette Stuhlinkontinenz, nächtliches Einnässen,
- Unklare chronische Hauterkrankung (Neurodermitis?), derzeit in Remission,
- Diabetes mellitus mit multiplen Folgeerkrankungen (Retinopathie, Nephropathie, Polyneuropathie, pAVK),
- Nebendiagnosen: arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung, chronische Niereninsuffizienz, arterielle Verschlusskrankheit mit Zustand nach Amputation der zweiten Zehe rechts wegen Gangrän, chronische Bindehautentzündung.
Der Sachverständige hielt einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 148 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 130 Minuten täglich fest. Der Hilfebedarf bestehe in diesem Umfang bereits seit 2014. Er führte weiter aus, die Pflegeperson (Ehefrau des Klägers) habe auf dezidiertes Nachfragen angegeben, dass sich die Gehfähigkeit des Klägers seit der Begutachtung durch Dr. W. nicht wesentlich verändert habe. Nach seiner Einschätzung habe Dr. W. den grundpflegerischen Hilfebedarf jedoch deutlich zu hoch bewertet. Der Sachverständige führte weiter aus, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit während des gesamten streitigen Zeitraums ein Hilfebedarf im Bereich der Pflegestufe II vorgelegen und somit keine wesentliche, pflegestufenrelevante Änderung stattgefunden habe. Die Beteiligten sahen sich durch die Ausführungen des Sachverständigen Herrn A. in ihrer jeweiligen Auffassung bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte S 18 P 93/12 und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Vorliegend ist nach § 140 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) neue Fassung (in Kraft seit 01.01.2017) das zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anzuwenden. Da die maßgebliche Verwaltungsentscheidung aus dem Jahr 2015 stammt, wird im Folgenden die jeweilige Vorschrift des SGB XI mit dem Zusatz a. F. (alte Fassung) gekennzeichnet. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten aus § 54 Abs. 2 SGG. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist § 48 Abs. 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Hierbei sind die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung vorhanden gewesen sind, zu vergleichen. Die von der Beklagten mit dem hier angefochtenen Bescheid aufgehobene Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III (Bewilligungsentscheidung vom 06.06.2014) ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren.
Die Kammer kam zu der Überzeugung, dass vorliegend eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand des Klägers nicht nachgewiesen ist. Vorliegend ist der Gesundheitszustand am 14.04.2014 (Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) mit dem Gesundheitszustand am 15.12.2015 zu vergleichen (Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist in Fällen, in denen um die Herabsetzung einer Pflegestufe im Pflegeversicherungsrecht gestritten wird, nicht bereits dann eingetreten, wenn in einem nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingeholten Gutachten der Zeitaufwand in der Grundpflege maßgeblich geringer eingeschätzt wurde als in dem der Bewilligung zu Grunde liegenden Erstgutachten. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass in dem Gesundheitszustand des Betroffenen Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar den Umfang dessen Hilfebedarfs vermindert haben. Für das Vorliegen dieser Änderung trifft die Pflegekasse, die sich in dem Aberkennungsbescheid hierauf beruft, die materielle Beweislast (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.03.2012, L 27 P 75/11, juris, Rn 19). Dieser Verbesserungsnachweis konnte nach Ausschöpfung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts von der Beklagten nicht geführt werden. Die Kammer konnte trotz akribischer Durchsicht der MDK-Gutachten vom 24.09.2014, 27.10.2014 und 24.09.2015 sowie der Gutachten von Dr. W. und Herrn A. nicht erkennen, welche Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. Funktionseinschränkungen sich im Vergleich zur Situation am 14.04.2014 wesentlich verbessert haben. Hierbei ist der damalige Gesundheitszustand zugrunde zu legen, den die 18. Kammer am 14.04.2014 ihrem Urteil zugrunde gelegt hat. Da sich die 18. Kammer auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. gestützt hat, ist dessen Gutachten für den damaligen Gesundheitszustand maßgeblich. Die Beklagte hat auch in Kenntnis der Beweislast veranlasst, dass der MDK dezidiert zur Frage der Verbesserung der gesundheitlichen Situation Stellung nehmen sollte. Dies zeigt sich an dem Schreiben der Beklagten vom 24.10.2014, in welchem der MDK gezielt nach den Folgen des Sturzereignisses gefragt wurde. Diese Frage konnte der MDK mangels einer Verbesserung jedoch tatsächlich gar nicht beantworten, sondern verwies vielmehr stets darauf, dass nach Ansicht des MDK bei dem Kläger schon seit 2011 durchgehend nur die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorgelegen hätten. Allein diese Aussage zeigt, dass der eingeschlagene Weg falsch war und stattdessen Berufung hätte eingelegt werden müssen. Auch aus dem MDK-Gutachten nach Aktenlage von Frau S. vom 24.09.2015 geht ebenso nicht hervor, welche Gesundheitsbeeinträchtigung bzw. Funktionsbeeinträchtigung sich wesentlich verbessert haben soll. Zudem hat sie sich maßgeblich auf ihr Gutachten vom 05.09.2013 bezogen, welches jedoch bereits Gegenstand des Urteils der 18. Kammer vom 14.04.2014 war. Die von Dr. W. in seinem Gutachten vom 17.05.2013 gestellten Diagnosen unterscheiden sich nicht wesentlich von den Diagnosen, die Herr A. in seinem Gutachten vom 29.10.2016 gestellt hat. Auch hat Dr. W. bereits damals Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund von Blindheit, Gangstörungen wegen der Gefühlsstörungen in den Beinen, Inkontinenz und kognitive Beeinträchtigungen festgehalten. Dr. A. hat nun sogar das Vorliegen einer Demenz diagnostiziert, woraus zu schließen ist, dass sich die kognitiven Beeinträchtigungen verschlechtert haben. Zudem hat er ausgeführt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit während des gesamten streitigen Zeitraums ein Hilfebedarf im Bereich der Pflegestufe II vorgelegen und somit keine wesentliche, pflegestufenrelevante Änderung stattgefunden hat. Dies belegt eindeutig, dass eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands des Klägers nicht eingetreten ist. Es sei angemerkt, dass die Beklagte stets der Ansicht war, dass lediglich die Voraussetzungen der Pflegestufe II erfüllt sind. In diesem Fall wäre jedoch eine Berufungseinlegung gegen das Urteil vom 14.04.2014 die rechtlich korrekte Methode gewesen. Eine Umgehung der Berufungsinstanz mithilfe eines Aufhebungsverfahrens nach § 48 SGB X ist nicht der gesetzlich vorgesehene Weg. Vor diesem Hintergrund lässt es die Kammer dahinstehen, ob die Vorschrift des § 18 Abs. 2 Satz 5 SGB XI a. F. verletzt worden ist, wonach Wiederholungsbegutachtungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Voraussetzungen für eine vollständige oder teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung eingetreten sein könnten. Die Einschätzung des Bestehens dieser Möglichkeit unterliegt einem Beurteilungsspielraum der Pflegekasse. Ob hier überhaupt die Möglichkeit einer Verbesserung bestand, ist bereits fraglich. Jedoch handelt es sich bei dieser Frage um eine solche, die aufgrund der vorstehenden Erwägungen zu § 48 SGB X nicht streitentscheidend war. Im Übrigen unterliegen die der Verwaltung eingeräumten Beurteilungsspielräume nur eingeschränkt der richterlichen Überprüfung (§ 54 SGG, KQ./Ladewig/Keller/Leitherer, 12. Auflage 2017, Rn. 31 ff). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
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