L 33 R 604/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 176 R 1458/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 33 R 604/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Erlass von Säumniszuschlägen, die die Beklagte wegen der verspäteten Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen erhoben hat.

Der 1976 geborene Versicherte – L D geb. 1976 B - stand in der Zeit vom 1. September 1993 bis einschließlich 19. Januar 1995 als Beamter auf Widerruf im Dienst des Klägers. Eine Nachversicherung erfolgte (aus unbekannten Gründen) zunächst nicht. Erst mit Wertstellung vom 18. Juli 2012 ging der Nachversicherungsbeitrag in Höhe von (iHv) 4.673,98 EUR bei der Beklagten ein.

Nach Anhörung erhob die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Oktober 2012 unter Hinweis auf § 24 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) Säumniszuschläge iHv 7.038,00 EUR. Diesen lag folgende Berechnung zugrunde: Fälligkeitstag 20. Januar 1995, Wertstellung Juli 2012, 207 Monate Säumnis (20. April 1995 bis 18. Juli 2012), je angefangenen Monat 1% des rückständigen, auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten Nachversicherungsbeitrags.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV den Erlass der Säumniszuschläge, da deren Einziehung unbillig sei. Die Beklagte sei ihrer seit dem 1. Januar 1995 gesetzlich normierten Verpflichtung zur Erhebung von Säumniszuschlägen zunächst nicht nachgekommen. Erst mit Schreiben vom 28. März 2003 habe sie ihre diesbezüglich bisherige Praxis aufgegeben und in den nachfolgend bekannt gewordenen Fällen unterbliebener Nachversicherung auch Säumniszuschläge rückwirkend ab dem 1. Januar 1995 beansprucht. Dies sei jedoch in Nachversicherungsfällen, die bereits vor diesem Zeitpunkt eingetreten seien, unbillig. Denn obwohl der Kläger als Beitragsschuldner aufgrund der gängigen einvernehmlichen Verwaltungspraxis zwischen Januar 1995 und März 2003 generell nicht mit der Erhebung von Säumniszuschlägen habe rechnen müssen, werde er für den besagten Zeitraum nunmehr doch in Anspruch genommen, was einzig darauf beruhe, dass die verspätete Nachversicherung dem Rentenversicherungsträger zufällig in diesem Einzelfall erst nach dem 28. März 2003 bekannt geworden sei. Dadurch gestalte sich die Lage für die Beklagte in diesen Fällen umso günstiger, je später sie eine bis zum Jahr 2003 unterbliebene Nachversicherung beim Beitragsschuldner geltend mache.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2015 lehnte die Beklagte den Erlass der geforderten Säumniszuschläge ab. Nach § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV dürften Säumniszuschläge ganz oder teilweise erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Ein Erlass komme grundsätzlich nur ausnahmsweise in Betracht. Die Entscheidung, ob die Realisierung des Anspruchs im Einzelfall unbillig wäre, erfordere eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit denen des Nachversicherungsschuldners. Die Unbilligkeit könne sich dabei auf den Nachversicherungsschuldner, insbesondere auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse (persönliche Unbilligkeit), oder auf die Sache selbst (sachliche Unbilligkeit) beziehen. Bezogen auf den Nachversicherungsschuldner sei Unbilligkeit dann gegeben, wenn die Weiterverfolgung des Anspruchs sein wirtschaftliches Fortbestehen gefährden würde. Aus Gründen sachlich bedingter Unbilligkeit könne ein Erlass dann zugestanden werden, wenn ein Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfülle, im Einzelfall aber mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht (mehr) vereinbar sei. Weil die Realisierung des Anspruchs auf die Säumniszuschläge die wirtschaftliche Existenz des Klägers aufgrund dessen fehlender Insolvenzfähigkeit nicht gefährden würde, komme ein Erlass der Säumniszuschläge aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht Betracht. Ein Erlass könne auch nicht deshalb zugestanden werden, weil Säumniszuschläge auf vor dem 1. Januar 1995 bzw. vor März 2003 fällig gewordene Nachversicherungsbeiträge erhoben worden seien, da dieser Umstand für sich allein betrachtet keine (sachliche) Unbilligkeit begründe. Dass Säumniszuschläge selbst auf vor dem 1. Januar 1995 fällig gewordene Nachversicherungsbeiträge zu erheben seien, habe der Gesetzgeber in § 184 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB IV in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung ausdrücklich geregelt und die bereits bestehende Praxis damit bestätigt. Dem Umstand, dass die Erhebung von Säumniszuschlägen bis zum 31. Dezember 1994 nach § 24 SGB IV in der bis dahin geltenden Fassung sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach ins Ermessen der Rentenversicherungsträger gestellt gewesen sei, werde dadurch Rechnung getragen, dass die Säumnis frühestens am 1. Januar 1995 beginne. Insoweit würde ein Erlass mit der Begründung, die Einziehung von Säumniszuschlägen auf vor dem 1. Januar 1995 fällig gewordene Nachversicherungsbeiträge sei generell unbillig, die bestehenden gesetzlichen Regelungen konterkarieren. Auch der Umstand, dass die Nachversicherungsschuldner erst im März bzw. April 2003 mit einem Informationsblatt der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte darüber informiert worden seien, dass diese ihre bis dahin vertretene Rechtsauffassung aufgebe und von da an in allen Fällen der verspäteten Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen Säumniszuschläge erheben werde, führe nicht dazu, dass die Einziehung von Säumniszuschlägen auf davor fällig gewordene Nachversicherungsbeiträge generell als unbillig anzusehen sei. Aus den Fällen, in denen in der Vergangenheit anders verfahren worden sei, könne kein Anspruch auf Gleichbehandlung hergeleitet werden. Ferner spreche der Umstand, dass im vorliegenden Fall eine zumindest bedingt vorsätzliche Beitragsenthaltung vorgelegen habe, gegen einen Erlass. Nach Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit denen des Klägers in seiner Funktion als Nachversicherungsschuldner sei die Einziehung der Säumniszuschläge nach Lage des vorliegenden Falles nicht unbillig, weshalb der Antrag auf Erlass abzulehnen sei.

Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 16. Januar 2015 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2015 zurückwies.

Mit seiner hiergegen am 30. März 2015 bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger eine erneute Billigkeitsentscheidung betreffend den Erlass der Säumniszuschläge begehrt. Die angefochtenen Bescheide seien rechtsfehlerhaft. Insbesondere hätte bei der Abwägung zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft und denen des Beitragsschuldners berücksichtigt werden müssen, dass es nicht Sinn und Zweck einer rückwirkenden Erhebung von Säumniszuschlägen entsprechen könne, dass der Rentenversicherungsträger durch eine einvernehmliche jahrelange Praxis gegenüber den Schuldnern die gesetzlich zwingende Erhebung von Zuschlägen unterlasse, um dann entstandene erhebliche Säumniszeiten in einem später (willkürlich) gewählten Zeitpunkt für die Berechnung der Zuschläge heranzuziehen. Vielmehr habe der Rentenversicherungsträger dem fortgesetzten eigenen gesetzwidrigen Verhalten bei seiner Abwägung Rechnung zu tragen, selbst wenn der Gesetzgeber eine rückwirkende Erhebung von Säumniszuschlägen auch für diese Fälle uneingeschränkt ermögliche. Eine dem Maßstab der Billigkeit entsprechende Lösung wäre darin zu sehen, ausschließlich die seit April 2003 (Zugang des Informationsschreibens der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 28. März 2003) eingetretene Säumnis bei der Einziehung der Zuschläge in Rechnung zu stellen und davor liegende Säumniszeiten allenfalls anteilsmäßig zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2016 abgewiesen. Es hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 2013 (L 18 KN 138/12) ausgeführt, dass die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden sei. Die Beklagte habe in den angegriffenen Bescheiden auf die Ausgestaltung der Vorschrift des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV als Ermessensvorschrift hingewiesen und die von ihr hiernach zu treffende Ermessensentscheidung auch getroffen. Ein Ermessensnichtgebrauch liege demgemäß nicht vor. Auch ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor. Denn die von der Beklagten angegebenen Ermessenserwägungen widersprächen nicht dem Sinn der Vorschrift des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV, nach dem sich die Ermessensentscheidung an dem Begriff der Unbilligkeit zu orientieren habe. Insbesondere habe die Beklagte keine Ermessenserwägungen außer Acht gelassen, die sie nach dem gegebenen Sachverhalt zwingend hätte einbeziehen müssen. Die Höhe der Säumniszuschläge sei mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Oktober 2012 festgestellt worden. Sie könne daher allenfalls im Hinblick auf eine etwaige wirtschaftliche Härte für den Schuldner bei deren Einziehung und für die Beurteilung einer sich hieraus ergebenden Unbilligkeit der Einziehung Bedeutung erlangen. Eine solche wirtschaftliche Härte sei beim Kläger jedoch nicht gegeben. Hinsichtlich der Berechnung der Säumniszuschläge sei die Beklagte an die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Allein aus deren Anwendung könne sich keine Unbilligkeit der späteren Einziehung der hiernach errechneten Säumniszuschläge ergeben. Aus demselben Grund könne auch keine - dem Kläger zufolge - der Billigkeit entsprechende Lösung darin gesehen werden, dass die Beklagte "ausschließlich die seit April 2003 eingetretenen Säumnisse bei der Einziehung der Zuschläge in Rechnung" stelle und "davor liegende Säumniszeiten allenfalls anteilsmäßig" berücksichtige. Denn die Ermessensvorschrift des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV ermächtige die Beklagte nicht, zwingende gesetzliche Vorgaben zur Berechnung der Höhe der Säumniszuschläge außer Acht zu lassen. Gleiches gelte für den Einwand des Klägers, die Beklagte habe bei ihrer Ermessensabwägung ihrem fortgesetzten eigenen gesetzeswidrigen Verhalten nicht ausreichend Rechnung getragen. Diesbezüglich habe der Kläger nicht auf eine Fortsetzung des selbst nach seiner Auffassung gesetzwidrigen Zustands vertrauen dürfen. Denn das Vertrauen auf eine rechtswidrige Verwaltungspraxis sei per se nicht schutzwürdig. Eine Berücksichtigung der zurückliegenden Verwaltungspraxis in Form eines (Teil-)Erlasses der Säumniszuschläge widerspräche der geltenden Rechtslage und könne daher nicht vom Kläger beansprucht werden. Es sei im Übrigen nicht festzustellen, dass zwischen der ursprünglichen Verwaltungspraxis (keine Säumniszuschläge zu erheben) und der eingetretenen Säumnis des Klägers ein Kausalzusammenhang bestehe. Auch die vom Kläger angeführte Erwägung, dass lediglich ein geringes Interesse der Versichertengemeinschaft daran bestanden habe, vor dem Jahr 2003 Säumniszuschläge zu erheben, sei unzutreffend und daher ebenfalls nicht bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Die Annahme, der generelle Verzicht der Beklagten auf die Erhebung von Säumniszuschlägen im Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum April 2003 habe gezeigt, dass es lediglich ein geringes Interesse der Versichertengemeinschaft gegeben habe, die Zinsverluste durch verspätete Beitragszahlungen im Wege der Erhebung von Säumniszuschlägen auszugleichen, sei für die Kammer nicht nachvollziehbar, da ein Interesse der Versichertengemeinschaft nicht durch eine rechtswidrige Verwaltungspraxis zum Ausdruck kommen könne. Vielmehr habe die fehlerhafte Verwaltungspraxis das Interesse der Versichertengemeinschaft verkannt.

Gegen den ihm am 30. Juni 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25. Juli 2016 Berufung zum LSG Berlin-Brandenburg erhoben, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts fehle es an einer Ermessensausübung der Beklagten (Ermessensnichtgebrauch). Die Beklagte habe im Bescheid vom 12. Januar 2015 lediglich die Unbilligkeit geprüft und unter der Annahme, dass keine Unbilligkeit gegeben sei, keine Ermessenserwägungen angestellt. Der vom Sozialgericht angenommene Hinweis der Beklagten auf die Ausgestaltung der Vorschrift als Ermessensvorschrift sei in dem Bescheid tatsächlich nicht zu finden. Selbst wenn er aber vorläge, stelle dies nicht ohne weiteres einen Beleg für eine Ermessensausübung dar. Soweit sich das Gericht auf den Widerspruchsbescheid vom 13. März 2015 beziehe, der seinerseits eine Ermessensausübung des Widerspruchsausschusses zumindest vorgebe, sei zu berücksichtigen, dass dem Widerspruchsausschuss keine Sachentscheidungskompetenz zugestanden habe. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens sei mit Blick auf § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG unstatthaft gewesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2015 sei auch ermessensfehlerhaft, soweit er für den gesamten Zeitraum der Nachversicherungspflicht einen Säumniszuschlag zu Lasten des Klägers vorsehe. Die von der Beklagten in ihrem Bescheid vom 12. Januar 2015 angestellten Erwägungen berücksichtigten nicht den ihm zu gewährenden Vertrauensschutz. Sein schutzwürdiges Vertrauen sei im Rahmen der Unbilligkeitsprüfung zu berücksichtigen gewesen. Auch die Abwägung zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft und denen des Klägers gebiete eine zumindest teilweise Reduzierung der Säumniszuschläge. Die Beklagte nehme die Interessen der Versicherten wahr, sodass sich die Versichertengemeinschaft das (rechtswidrige) Verhalten der Beklagten zurechnen lassen müsse. Durch die verspätete Erhebung der Nachversicherungsbeiträge stehe die Beklagte besser als bei einer zeitnahen Erhebung. Dieser Überlegung könne nicht entgegengehalten werden, die Beklagte habe vom Eintritt der Säumnis im Einzelfall mangels Mitteilung durch den Kläger keine Kenntnis gehabt. Denn selbst bei zeitnaher Mitteilung des Nachversicherungsfalls und Kenntniserlangung von der Säumnis hätte die Beklagte im Zeitraum bis März 2003 aufgrund ihrer Verwaltungspraxis gar keine Säumniszuschläge erhoben. Schließlich gehe das Gericht auch unzutreffend davon aus, dass eine Unbilligkeit niemals gegeben sein könne, wenn sich die Beklagte bei der Berechnung der Säumniszuschläge an die gesetzlichen Vorgaben halte. Hier vermische das Gericht den rechtlichen Maßstab für einen Erlass mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Erhebung der Säumniszuschläge und deren Berechnung.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12. Januar 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2015 zu verpflichten, über den Antrag auf Erlass der geforderten Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten (VSNR ) sowie die beim Kläger geführte Personalakten des Versicherten (ein Band und ein Hefter) verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat im Rahmen der von ihm zutreffend erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 1999, B 11/10 AL 5/98 R, juris) keinen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Erlassantrages.

Letztlich zu Recht hat die Beklagte den Erlass der mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Oktober 2012 erhobenen Säumniszuschläge nach § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV mit Bescheid vom 12. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2015 abgelehnt. Dieser Bescheid ist rechtmäßig, weil die Beklagte bei ihrer Entscheidung weder die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten noch von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, § 54 Abs. 2 S. 2 SGG und § 39 Abs. 1 SGB I. Über die Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2015 als isolierter Streitgegenstand war nicht zu entscheiden. Zwar hätte es nach § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht bedurft. Auch hatte die Beklagte (der Widerspruchsausschuss) kein Wahlrecht, den nicht statthaften Widerspruch gleichwohl in der Sache zu bescheiden (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 1994, 4 RK 3/93, juris). Andererseits war die Beklagte verpflichtet, den zwar unstatthaften aber eingelegten Widerspruch zu bescheiden. Im Ergebnis zutreffend hat die Beklagte daher den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2015 zurückgewiesen. Er enthält damit auch keine vom Ausgangsbescheid losgelöste Sachentscheidung mit einer neuen Beschwer für den Kläger (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. Juni 1994, aaO, Rn. 26).

Nach § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV darf ein Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese Vorschrift entspricht § 227 Abgabenordnung (AO), zu deren mit der Regelung des SGB IV wortgleichen Vorgängervorschrift (§ 131 AO) der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes entschieden hat, dass der Begriff der Unbilligkeit nicht losgelöst vom Ermessen der Behörde beurteilt werden könne (BVerwGE 39, 355 ff). Die unlösbare Verzahnung zwinge zur Annahme einer einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung. Der Begriff "unbillig" ragt danach in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Die Entscheidung über den Erlass ist damit eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den weiten unbestimmten (Rechts-) Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. BFH, Urteil vom 3. Februar 2010, II R 25/08; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. August 2011, 1 K 1369/07; beide juris). Entsprechend ist auch im Rahmen des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV (nur) eine sich am Begriff der Unbilligkeit orientierende Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. BSGE 83, 292; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, L 8 AL 4537/04; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 27. Oktober 2011, L 16 KR 668/10 KL, und vom 28. Mai 2013, L 18 KN 138/12, alle juris) und nicht zunächst der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit zu bestimmen und danach in einem zweiten Schritt das Ermessen auszuüben. Das Vorliegen von sachlichen oder persönlichen Unbilligkeitsgründen ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen, da die Entscheidung über einen Forderungserlass eine Ermessensentscheidung ist und die Rechtmäßigkeit einer Ermessensausübung nur von Tatsachen und Verhältnissen abhängen kann, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorgelegen haben (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, aaO, Rn. 29, mwN). Ob insoweit auf den Bescheid vom 12. Januar 2015 und nicht auf den Widerspruchsbescheid vom 13. März 2015 abzustellen ist, weil es an einer Sachentscheidungskompetenz im Widerspruchsverfahren fehlt, bedarf hier keiner Beurteilung. Denn die Verhältnisse waren in beiden Zeitpunkten identisch.

Hiervon ausgehend ist die im angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung über den Erlass der geforderten Säumniszuschläge rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf erneute Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Der Senat folgt insoweit der Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend ist anzumerken, dass es zur Überzeugung des Senats unschädlich ist, dass das Wort "Ermessen" in dem Bescheid vom 12. Januar 2015 nicht genannt wird. Denn die Beklagte hat tatsächlich und für den Kläger - der als Körperschaft des öffentlichen Rechts über juristische Sachkunde und ein eigenes Justiziariat verfügt - auch erkennbar Ermessen im Sinne des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV ausgeübt. Dass die Beklagte nicht von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist, ergibt sich bereits aus den von ihr verwendeten Formulierungen im Bescheid vom 12. Januar 2015 ("Abwägung", "ein Erlass kann zugestanden werden"). Indem die Beklagte im Bescheid die einzustellenden Billigkeitsgesichtspunkte dargelegt hat, hat sie zugleich aufgrund der unlösbaren Verzahnung zwischen den Billigkeitserwägungen und dem Ermessen eine einheitliche Entscheidung auch zu den Ermessensgesichtspunkten getroffen. Insofern ist eine Trennung zwischen Ermessen und Billigkeitsprüfung gar nicht möglich. Die anhand des konkreten Falles im Rahmen der Billigkeit anzustellenden Abwägungen zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft und denen des Nachversicherungsschuldners hat die Beklagte tatsächlich vorgenommen. Hierzu sind von der Beklagten alle notwendigen Er-/Abwägungen angestellt und sämtliche Argumente bedacht worden. Dass die Beklagte nach Abwägung aller Argumente nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis kommt, stellt per se gerade keinen Ermessensfehler dar. Insbesondere hat die Beklagte völlig zu Recht auch in ihre Überlegungen eingestellt, dass von Seiten des Klägers eine bedingt vorsätzliche Beitragsvorenthaltung (zur Fälligkeit der Beiträge siehe § 184 SGB VI) vorgelegen haben dürfte, denn anders kann das gerichtsbekannte und jedenfalls in der Vergangenheit schon beinahe flächendeckend erscheinende Versagen des Klägers bei der Nachversicherung seiner ausgeschiedenen Beamten kaum gewertet werden. So hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass allein in Bezug auf die Beklagte noch weitere 70 Verfahren (wohl Anträge auf Erlass von Säumniszuschlägen betreffend) offen seien. Ebenso hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid den Gesichtspunkt einer bis 2003 bestehenden Verwaltungspraxis berücksichtigt und hierzu beanstandungsfrei ausgeführt, dass kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht besteht. Dass die Beklagte gesetzlich verpflichtet ist, Säumniszuschläge zu erheben, wird auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Kläger ist als Land von der Zahlung der Gerichtskosten gemäß § 2 Abs. 1 Gerichtskostengesetz befreit.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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