L 7 AS 1192/17 B ER, L 7 AS 1193/17 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 1390/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1192/17 B ER, L 7 AS 1193/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 31.05.2017 werden zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarfe und Bedarfe für Unterkunft und Heizung).

Der am 00.00.1969 geborene Antragsteller zu 1), die am 00.00.1971 geborene Antragstellerin zu 2) und die am 00.00.1996 geborene Antragstellerin zu 3) bezogen seit ca 2012 Leistungen nach dem SGB II. Von März bis Oktober 2015 war der Antragsteller zu 1) Geschäftsführer und Gesellschafter der J GmbH, einem Unternehmen mit Schwerpunkt Gartenlandschafts-, Straßen- und Tiefbau. Wegen unklarer Einkünfte stellte der Antragsgegner Mitte 2015 die Zahlung von Leistungen vorläufig ein, im Rahmen der Überprüfung von Einkommen und Vermögen stellte er Barabhebungen vom Gesellschaftskonto der J GmbH durch den Antragsteller zu 1) in der Zeit vom 01.09.2015 bis 27.10.2015 iHv insgesamt ca 36.200,- EUR fest. Der Antragsgegner entzog den Antragstellern ab Oktober 2015 die bewilligten Leistungen. Nachdem der Geschäftsführer-Anstellungsvertrages des Antragstellers zu 1) gekündigt und die Gesellschaftsanteile veräußert waren, beantragten die Antragsteller am 25.11.2015 die Weiterbewilligung von Leistungen. Nachdem der Antragsgegner verschiedene Unterlagen angefordert hatte (ua Kontoauszüge, Verdienstabrechnungen etc), versagte er mit Bescheid vom 25.01.2016 Leistungen nach dem SGB II wegen fehlender Mitwirkung.

Nachdem ein erster Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG Gelsenkirchen (S 44 AS 413/16 ER) mangels Widerspruchs gegen den Versagungsbescheid abgelehnt wurde, erhob die Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schreiben vom 18.04.2016 Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.01.2016 mit der Begründung, dieser sei nicht bekannt. Vorsorglich beantragte sie die Überprüfung des Bescheides und beantragte hilfsweise erneut Leistungen.

Am 22.02.2016 beantragten die Antragsteller erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 01.06.2016 verpflichtete das Sozialgericht den Antragsgegner, den Antragstellern ab dem 22.04.2016 für sechs Monate, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, den Regelbedarf (ohne Berücksichtigung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu leisten. Zwar sei ein Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, die Angaben des Antragstellers zu 1) zu seinem Einkommen deckten sich nicht mit den Angaben im Arbeitsvertrag, der Verbleib der 36.200,- EUR sei nach wie vor ungeklärt. Den Antragstellern seien im Wege der Folgenabwägung Regelbedarfe zuzusprechen.

Der Antragsgegner bewilligte in Ausführung des Beschlusses mit Bescheid vom 14.06.2016 zunächst Leistungen bis zum 21.10.2016. Mit Bescheid vom 02.11.2016 bewilligte der Antragsgegner vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.11.2016 bis 30.04.2017 ohne Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung. Ab 07.11.2016 nahm der Antragsteller zu 1) eine Tätigkeit für die Firma H auf, die zum 31.12.2016 gekündigt wurde.

Nachdem der Rechtsanwalt des Vermieters der Antragsteller angekündigt hatte, er wollte wegen ausstehender Mietzahlungen Räumungsklage erheben, beantragten die Antragsteller am 30.01.2017 die Übernahme der Mietrückstände im Wege der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (S 4 AS 313/17 ER). Der Antrag wurde abgelehnt (Beschluss vom 17.03.2017).

Am 22.02.2017 forderte der Antragsgegner die Antragsteller wegen des Leistungsantrags aus April 2016 auf, bis zum 10.03.2017 ua den Rentenbescheid, die letzten drei Lohnabrechnungen, den Mietvertrags bzw. das letzte Mieterhöhungsschreiben, die Sparbücher oder andere Geldanlagen, die Merkblätter "Mitwirkung" und "Ortsabwesenheit", den Finanzstatus aller kontoführenden Kreditinstitute, alle Bankverbindungen und Kontoauszüge von 04-06/2016 sämtlicher Konten vorzulegen. Insbesondere sei auch ein Nachweis über die im Zeitraum vom 01.09.2015 bis 27.11.2015 vorgenommenen unklaren Geldabhebungen iHv 36.200,- EUR notwendig, Zweck und Verbleib der Geldabhebungen seien weiterhin unklar. Am 09.03.2017 gingen beim Antragsgegner ein unterschriebener Hauptantrag mit verschiedenen unterschriebenen Anlagen (EK, VM, KI, WEP, KDU) und zwei unterschriebene Merkblätter über die Mitwirkungspflichten ein. Mit Bescheid vom 07.04.2017 versagte der Antragsgegner Leistungen ab dem 01.04.2016 ganz.

Am 06.04.2017 reichten die Antragsteller einen Weiterbewilligungsantrag zu den Akten. Mit Schreiben vom 28.04.2017 forderte der Antragsgegner die Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 12.05.2017 zur Mitwirkung auf, benötigt würden u.a. noch: Anlage VM für die Antragstellerin zu 2), aktuelle Mietbescheinigung bzw. letztes Mieterhöhungsschreiben, aktueller Rentenbescheid, Finanzstatus aller kontoführenden Institute, unterschriebenes Merkblatt Ortsabwesenheit, insbesondere Nachweis über die im Zeitraum vom 01.09.2015 bis 27.11.2015 vorgenommenen Geldabhebungen.

Am 11.05.2017 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen ab sofort Grundsicherungsleistungen - zumindest vorläufig oder als Darlehen - zu zahlen. Der Lebensunterhalt sei für Mai 2017 nicht gedeckt, sie erhielten nur Kindergeld und die Rente des Antragstellers zu 1) iHv 145,57 EUR. Man unterstelle dem Antragsteller zu 1) offenbar, er habe als Geschäftsführer der J GmbH 36.000,- EUR unterschlagen und habe dieses Geld noch zu Verfügung. Wegen negativer Schufa-Eintragungen sei die Inanspruchnahme eines Bankkredits nicht möglich, sie hätten auch keine Verwandten oder Bekannten, die sie unterstützen könnten. Die Mietzinsen hätten sie nicht zahlen können, beim Amtsgericht S sei eine Räumungsklage anhängig. Der Antragsteller zu 1) hat an Eides Statt versichert, keine Sparbücher, kein Depot und kein Barvermögen zu haben. Die im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die J GmbH entnommenen Beträge habe er verwendet, um Lohnansprüche der Mitarbeiter zu begleichen. Die Antragsteller haben hierzu eine handschriftliche Aufstellung übersandt, in der lediglich Namen und Zahlen aufgeführt werden.

Mit Beschluss vom 31.05.2017 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragsteller hätten ihre Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht, trotz Aufforderung seien die angeforderten Unterlagen nicht eingereicht worden. Der Umstand der Nichtaufklärbarkeit stamme aus der Sphäre der Antragsteller, weshalb ihnen auch nicht im Wege der Folgenabwägung Leistungen zuzusprechen seien.

Am 31.05.2017 sind dem Gericht die am 30.05.2017 eingegangenen Unterlagen der Antragsteller vorgelegt worden (Mietvertrag, Mietnebenkostenabrechnung 2015, Mietrückstandsaufstellung Stand Mai 2018, Kopien von Ausweis, Krankenkarte und Kontenkarte der Antragsteller zu 1) und 2), Kontoauszüge der Konten der Antragsteller zu 1) und 2), Rentenbescheid des Antragstellers zu 1), Kündigungsschreiben der Firma H und Lohnabrechnungen 11/2016 und 12/2016, Nachweise über aktuelle Stromkosten, Anlage VM). Diese haben bei der Entscheidung keine Berücksichtigung mehr gefunden.

Am 22.06.2017 haben die Antragsteller gegen den Beschluss Beschwerde erhoben und auf die übersandten Unterlagen Bezug genommen.

Der Antragsgegner führt ergänzend aus, die nachgereichten Unterlagen seien unvollständig, es fehle eine aktuelle Mietbescheinigung, der Finanzstatus aller kontenführenden Institute, ggf. auch für die Antragstellerin zu 3), die Lohnabrechnungen für die Firma Kurt, das unterschriebene Merkblatt Ortsabwesenheit und der Nachweis über aktuelle Mietrückstände. Zudem lägen die Kontoauszüge nur unvollständig vor, es sei auch nicht erkennbar, ob die Antragstellerin zu 3) ein eigenes Konto habe. Nach Durchsicht der Unterlagen stelle sich die Fragen, wofür am 28.04.2017 von der S ein Betrag iHv 439,75 EUR für "Lohn, Gehalt, Rente" gezahlt worden sei, ob es auswärtige Aufenthalte gegeben habe, wofür Abhebungen bei der P Sparkasse in C und der Sparkasse B sprächen, warum kein Kindergeldzufluss auf den Kontoauszügen nachgewiesen werde und wie der Lebensunterhalt vom 01.04.2017 bis laufend bestritten worden sei. Einer ggf auch nur vorläufigen Bewilligung stünden zumindest die Vorlage vollständiger Kontoauszüge und des vollständigen Finanzstatus sowie das Merkblatt und die Klärung der Fragen entgegen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unzulässig.

Dahinstehen kann, ob dem Erlass einer einstweiligen Anordnung schon die etwaige Bestandskraft des Bescheides vom 07.04.2017 entgegen steht. Denn jedenfalls mangelt es am Rechtsschutzinteresse.

Dieses fehlt in der Regel, wenn sich das angestrebte Ziel auf einfachere und näherliegende Weise erreichen lässt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl, § 86b Rn 26b; vor § 51 Rn 16), was ua dann der Fall ist, wenn es den Antragstellern bzw. deren Bevollmächtigtem zuzumuten war, vor der Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe Kontakt mit der Verwaltung aufzunehmen, die noch benötigten Unterlagen zur Verfügung zu stellen und so das Ziel - Gewährung der Leistungen nach dem SGB II - einfacher erreichen zu können (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 03.07.2017 - L 7 AS 1121/17 B ER und vom 15.01.2009 - L 7 B 398/08 AS). Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Sache sehr eilig ist und die Antragsteller mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen können, bei der Verwaltung kein Gehör zu finden. Maßgeblich ist dabei der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 26b).

Vorliegend können die Antragsteller ihr angestrebtes Ziel auf einfachere und näherliegende Weise erreichen. Denn sie hätten den Antragsgegner innerhalb der mit Schreiben vom 28.04.2017 gesetzten Frist bis zum 12.05.2017 die angeforderten Unterlagen einreichen können. Stattdessen haben sie auf das Schreiben vom 28.04.2017 dem Antragsgegner gegenüber gar nicht reagiert und sogar noch vor Ablauf der dortigen Frist beim Sozialgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Damit war dem Antragsgegner die Möglichkeit genommen, den Leistungsanspruch der Antragsteller in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Das Verhalten der Antragsteller ist umso weniger nachvollziehbar, als ihnen schon aufgrund des Schreibens vom 22.02.2017 bewusst sein musste, dass der Antragsgegner zur Prüfung des Leistungsanspruchs noch Unterlagen benötigte, denn bereits zu diesem Zeitpunkt wurden - auch nach der Rechtsauffassung des Senats - notwendige Unterlagen zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit angefordert, insbesondere die angeforderten Nachweise zu Einkommen und Vermögen (ua in Form von vollständigen Kontoauszügen) sowie der Nachweis über Zweck und Verbleib der Geldabhebungen iHv ca 36.200,- EUR.

Der Antragsgegner hat auch keine Veranlassung zu der Annahme gegeben, er werde den Antrag ohnehin ablehnen. Ein Hinweis hierauf findet sich weder in den Verwaltungsakten noch in den Einlassungen im gerichtlichen Verfahren. Vielmehr hat der Antragsgegner zuletzt mit Schreiben vom 13.07.2017 signalisiert, nach Vorlage bestimmter Unterlagen Leistungen - ggf auch vorläufig - zu bewilligen.

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat. Denn nach wie vor liegen die angeforderten Unterlagen nicht vollständig vor, auch nicht in der Form, dass zumindest eine vorläufige Leistungsbewilligung in Betracht kommt. So sind die übersandten Kontoauszüge erkennbar unvollständig und zT nur schwer lesbar, für den Antragsteller zu 1) fehlen Auszüge für den Monat Februar 2017 und ab 28.05.2017, für die Antragstellerin zu 2) fehlen die Auszüge mit den laufenden Nummern 014-19 und 021-22, für die Zeit vom 01.02.2017 bis zum 02.04.2017 und ab dem 17.05.2017 können Kontobewegungen mangels vorliegender Auszüge nicht nachvollzogen werden. Auch ist nach wie vor nicht erkennbar, ob die Angaben zu den Konten vollständig sind. Der Umstand, dass den Auszügen der Zufluss des Kindergeldes, das als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung angegeben wurde, nicht entnommen werden kann, spricht gegen eine Vollständigkeit. Die bisher zum Nachweis des Verbleibs der ca. 36.000,- EUR eingereichte handschriftliche Aufstellung von Namen und Zahlen genügt bereits den Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht, hierin vermag der Senat keine plausible Aufstellung von Ausgaben zu entnehmen, da nicht erkennbar ist, wem wofür wann welche Beträge gezahlt wurden. Den Antragstellern ist es ohne weiteres möglich, hierzu Angaben so zu machen, dass der Antragsgegner in die Lage versetzt wird, den geltend gemachten Anspruch zu prüfen.

Verweigert der Antragsgegner zukünftig trotz erkennbarer Bemühungen der Antragsteller gleichwohl die Bewilligung von Leistungen, steht es diesen frei, erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen.

Da die Rechtsverfolgung von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg hatte, kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ausgangs- und Beschwerdeverfahren nicht in Betracht (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ff. ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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