L 5 R 2777/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 727/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2777/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.07.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1969 geborene Klägerin war zuletzt von 2010 bis Dezember 2012 im P. d. D. beschäftigt. Im Anschluss bezog sie bis 10.04.2014 Arbeitslosengeld. Seit 02.04.2013 ist ein GdB von 40 festgestellt, wobei - neben Blutarmut - maßgeblich hierfür die Funktionsbeeinträchtigung "Depression, Psychovegetatives Erschöpfungssyndrom" ist.

Am 08.04.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung verschiedener medizinischer Unterlagen, einschließlich des Kurberichts vom 26.03.2014 über eine Mutter-Kind-Kur vom 05.03.2014 bis 25.03.2014, lehnte die Beklagte nach Einholung einer Sozialmedizinischen Stellungnahme des Dipl. med. G. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) den Antrag mit Bescheid vom 05.06.2014 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin leide an einer mikrozytären Anämie bei Thallasämia minor, einem Zustand nach rezidivierenden depressiven Episoden (zu¬letzt Januar 2014), einer Schilddrüsenhormonsubsitution bei Zustand nach Hyperthyreose (vor ca. 15 Jahren) und einem bildgebenden Befund einer unklaren Marklagenveränderung im crania¬len MRT unklarer Ursache. Gleichwohl sei die Klägerin gesundheitlich noch in der Lage, eine Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Hiergegen erhob die Klägerin am 16.06.2014 Widerspruch. Ausweislich des Kurberichts und des Befundes des Hausarztes liege bei ihr, der Klägerin, ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom vor. Die Beklagte beauftragte daraufhin den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Erstattung eines nervenärztlichen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 16.12.2014 diagnostizierte er nach der ambulanten Untersuchung der Klägerin am selben Tag eine Dysthymia und eine Hypothyreose. Die Klägerin sei gesundheitlich noch in der Lage, eine Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Die Behandlungsmöglichkeiten der depressiven Erkrankung seien im Übrigen nicht ausgeschöpft. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 wies die Beklagte, gestützt auf dieses Ermittlungsergebnis und weitere beigezogene medizinische Unterlagen, den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 03.03.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte habe die Auswirkungen der bei ihr auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet vorliegenden Erkrankungen nicht ausreichend gewürdigt. Diese seien jedoch erheblich und von rentenrelevantem Ausmaß.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Zur Begründung verwies sie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und auf die Stellungnahmen ihres Ärztlichen Dienstes (Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 24.09.2015).

Das SG erhob Beweis durch schriftliche Anhörung der behandelnden Ärzte als sach¬verständige Zeugen. Prof. Dr. K., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, gab in seiner Stellungnahme vom 31.07.2015 an, dass die Klägerin unter Schmerzen, rascher Erschöpfung und Konzentrationsstörung leide. Dies seien Symptome, die sich (körperlich) aus einem cerebralen Entmarkungsbefund und einer Talasamie ableiten ließen. Leichte Tätigkeiten seien zwischen 3 und unter 6 Stunden freilich zumutbar. Dr. K. und Dr. W. gaben in ihr gemeinsamen Stellungnahme vom 02.09.2015 für das Universitätsklinikum T., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik, an, dass die Klägerin 7 Termine in 2011, 10 Termine in 2012, 9 Termine in 2013, 7 Termine in 2014 und bislang 7 Termine in 2015 in der türkischsprachigen Sprechstunde wahrgenommen habe. Als Befunde seien eine rezidivierende depressive Störung im Sinne einer chronischen mittelgradigen Episode, selbstunsichere Persönlichkeitszüge und ein chronisches Erschöpfungssyndrom zu nennen. Die psychische Belastbarkeit, Antrieb, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung bzw. die Aufnahmefähigkeit, die Selbstwirksamkeitserwartung, der Selbstwert und die Stresstoleranz seien reduziert. Hieraus reduziere sich die berufliche Leistungsfähigkeit. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin B. in ihrer Stellungnahme vom 15.09.2015 mit, dass die Klägerin nach ihrer Einschätzung allenfalls unter 3 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig sei. Maßgeblich hierfür sei das neurologische Fachgebiet.

Mit Schreiben vom 23.10.2015 ernannte das SG daraufhin den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. E., Medizinischer Direktor Krankenhaus N., zum gerichtlichen Sachverständigen. In seinem Gutachten vom 12.04.2016 nach der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 09.12.2015 diagnostizierte der Sachverständige eine rezidivierende depressive Störung (chronisch mittel- bis schwergradige Episode) sowie eine Persönlichkeitsstörung. Der Klägerin sei eine quantitative Arbeitszeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche von maximal drei bis unter sechs Stunden zumutbar. Sie sei dabei in der Lage, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten zu verrichten, wobei Heben und Tragen von Lasten über 15 kg zu vermeiden seien. Die Arbeiten sollten überwiegend im Gehen, Stehen und Sitzen, also wechselnd und in Tagschicht erfolgen. Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, unter besonderer Anforderung an Stress, Konzentrations- und Reaktionsvermögen seien ebenso zu vermeiden wie Arbeiten mit Klettern und Aufenthalt auf Leitern und Gerüsten bzw. an rotierenden Maschinen. Die Einschränkungen bestünden seit Antragstellung. In den nächsten ein bis zwei Jahren bestünde wenig Aussicht auf eine wesentliche Besserung.

Die Beklagte legte hierzu die weiteren sozialmedizinischen Stellungnahmen des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 29.04.2016 und 09.05.2016 vor. Danach sei zum Gutachtenzeitpunkt glaubhaft ein 3 bis unter 6-stündiges quantitatives Leistungsvermögen angenommen worden. Im Vergleich zum Vorgutachten sei eine Verschlechterung eingetreten. Allerdings sei außer einer ambulanten Behandlung bislang kein stationäres, multimodales Therapieverfahren angewandt worden. Es erschließe sich nicht, warum bei der beschriebenen Erkrankung durch ein psychosomatisches Heilverfahren nach Abschluss des Rehabilitationsverfahrens nicht doch ein über 6-stündiges quantitatives Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes hergestellt werden könne. Auch eine Intensivierung der bislang sehr niedrig dosierten antidepressiven Behandlung komme in Frage. Soweit Dr. E. demgegenüber allein aufgrund der psychodynamischen Zusammenhänge wenig Aussicht auf Besserung annehme, sei dies nicht nachvollziehbar.

Mit Urteil vom 05.07.2016 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2015 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2017 zu gewähren. Im Übrigen wies es - nur ausweislich der Urteilsausfertigung - die Klage ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nach den Feststellungen der Beklagten bei der Klägerin vor und sie sei voll erwerbsgemindert. Für diese Überzeugung stütze sich die Kammer auf die Ausführungen der sachverständigen Zeugen Dr. K. und Dr. K. sowie die des Sachverständigen Dr. E. und mache sich deren medizinische Einschätzung nach eigener kritischer Urteils- und Überzeugungsbildung zu eigen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe für die erkennende Kammer fest, dass die Klägerin lediglich noch in der Lage sei, drei bis unter sechs Stunden täglich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten. Wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestehe jedoch Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Bei der Klägerin stünden Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet im Vorder¬grund. Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen sei das qualitative sowie das quantitative körperliche und geistige Leistungsvermögen der Klägerin eingeschränkt und reduziere ihre zeitliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit für die Verrichtung leichter Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dahingehend, dass sie diese nur noch drei bis unter sechs Stunden ausüben könne. Maßgeblich für die Beurteilung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit seien für das Gericht dabei folgende Umstände: Nach den Untersuchungsergebnissen des Sachverständigen Dr. E. und der glaubhaften Fremdanamnese durch den Ehemann sei bei der Klägerin die psychische Belastbarkeit, der An¬trieb, die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistungen und die Fähigkeit, Dinge aufzuneh¬men und die damit verbundene sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung gestört. Gleichzeitig führe ein verminderter Selbstwert und eine deutliche reduzierte Stresstoleranz zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Im Wesentlichen führe dies im Alltag zur raschen Erschöpfung, Ermüdbarkeit und zu der Tatsache, dass selbst der Haushalt von der Klägerin nicht selbstständig ausreichend versorgt werden könne. Auch die fremdanamnesti¬schen Angaben des Ehemanns bestätigten dies. Bei der Klägerin bestehe eine rezidivierende De-pression, die in den letzten zwei bis drei Jahren deutliche Chronifizierungstendenzen zeige. Die Ausprägung sei mittelschwer bis schwer, die Alltagsbelastbarkeit nachvollziehbar deutlich redu-ziert. Die dargestellten Einschränkungen der Erkrankung zeigten Auswirkungen auf die quantita-tive Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die zwischen drei und unter sechs Stunden liege. Die Kammer vermöge der gutachterlichen Einschätzung von Dr. G. nicht zu folgen, der in seiner Erstbewertung von einer zuletzt bestehenden depressiven Episode 2014 ausgehe und keine durchgängige depressive Leistungseinschränkung sehe. Sowohl die glaubhaften Schilde¬rungen der Klägerin, die fremdanamnestischen Angaben des Ehemanns sowie die konti¬nuierlichen differenzierten psychiatrischen Befunde der Klinik für Psychiatrie und Psychothera¬pie und Poliklinik der Universität T., Psychiatrische Institutsambulanz, belegten eine dau¬erhafte depressive Symptomatik mit mittelgradigem Schweregrad. Die Kammer gehe daher da¬von aus, dass die Leistungseinschränkung bei der Klägerin seit mindestens Februar 2013 bestehe. Die Kammer stütze ihre Einschätzung auf die übereinstimmenden Aussagen der sachverständi¬gen Zeugen sowie die des Sachverständigen. Insbesondere von Bedeutung sei insoweit der Be¬fundbericht der Universitätsklinik T. vom 05.02.2013. Die der Klägerin zuerkannte Rente sei nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) zu befristen. Beginn der Rente sei aufgrund des Leistungsfalls im Februar 2013 unter Anwendung der Siebenmonatsfrist der 01.04.2014. Die Befristung ende zum 31.03.2017, da die Befristung nach § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn erfolge.

Das Urteil wurde der Beklagten am 08.07.2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 27.07.2016 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass das Gutachten des Dr. E. weder ausreichend nachvollziehbar noch schlüssig sei. Der Gutachter habe die Angaben des Ehemannes unreflektiert übernommen und sich hierauf gestützt. Den Ausführungen des Gutachters könne auch nicht entnommen werden, dass die psychische Belastbarkeit, der Antrieb, die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung, die Aufnahmefähigkeit, die Selbstwirksamkeitserwartung, der Selbstwert und die Stresstoleranz in rentenrelevanten Ausmaß eingeschränkt seien. Gleiches gelte für die angenommene rasche Erschöpfung und die Durchhaltefähigkeit. Schließlich sei auch die Angst der Klägerin, an Multipler Sklerose zu erkranken, nicht rentenrelevant ausgeprägt. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei der Klägerin in der besonderen und anstrengenden Begutachtungssituation nur streckenweise leichte Erschöpfungszeichen und nur beginnende Konzentrationsstörungen bestanden hätten. Soweit der Gutachter im Übrigen davon ausgehe, dass "leichte (bis mittelschwere) körperliche Arbeiten" drei bis unter sechs Stunden verrichtet werden könnten, bleibe offen, ob ausschließlich leichte Tätigkeiten nicht doch über sechs Stunden verrichtet werden könnten. Insgesamt ließen die vorliegenden Unterlagen noch verschiedene Behandlungsoptionen erkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) würden psychische Erkrankungen jedoch erst dann rentenrelevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen sei, dass ein Versicherter die psychische Erkrankung dauerhaft nicht überwinden könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.07.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 01.09.2016 hat der Senat Prof. Dr. Dr. W. mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. In seinem Gutachten vom 07.02.2017 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 25.01.2017 hat der Gutachter auf psychiatrischem Fachgebiet die Diagnose rezidivierender depressiver Episoden aufgrund einer über viele Jahre hinweg bestehenden problematischen familiären Situation, derzeit jedoch lediglich vom Schweregrad einer leichten depressiven Episode gestellt. Nicht zumutbar seien Tätigkeiten, die mit besonderer Verantwortung, Zeitdruck und Nachtschichttätigkeit einhergingen. Leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten erschienen jedoch mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche möglich. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei es freilich 2015 zu einer schweren depressiven Episode gekommen. Es sei daher nicht auszuschließen, dass sich der Gesundheitszustand im Zusammenhang mit einem Unfallereignis im April 2015 bis Frühjahr 2016 schlechter dargestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Da allein die Beklagte Berufung eingelegt hat, ist Streitgegenstand im Berufungsverfahren und auch nur darüber zu entscheiden, ob die (rechtskundig vertretene) Klägerin Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.04.2014 bis 31.03.2017 nach § 43 SGB VI hat. Einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat die Klägerin nicht gestellt. Hiermit korrespondieren auch die fehlenden Ausführungen zum Berufsschutz im Klageverfahren. Darauf, dass zwischen der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 05.07.2016 und dem in der Akte des SG befindlichen Urteilstenor einerseits und der Urteilsausfertigung andererseits bzgl. der Klagabweisung im Übrigen ein Widerspruch besteht, kommt es damit nicht entscheidungserheblich an. Denn die Klägerin hat keine Berufung eingelegt.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Sie hat mit Bescheid vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 den Rentenantrag der Klägerin zu Recht abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.04.2014 bis 31.03.2017. Das SG hat der Klage insoweit zu Unrecht stattgegeben.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs-minderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll- bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin konnte zur Überzeugung des Senats unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auch in der Zeit vom 01.04.2014 bis 31.03.2017 täglich noch mindestens sechs Stunden arbeiten und war deshalb nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Eine zeitliche Leistungsminderung bestand insbesondere nicht aufgrund der im Vordergrund des Beschwerdebildes stehenden neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen.

Der Senat folgt insoweit der Leistungseinschätzung des Gutachters Prof. Dr. Dr. W. und dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. H ... Prof. Dr. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 07.02.2017 nach der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 25.01.2017 auf neurologischem Fachgebiet keine Gesundheitsstörung erkennen können. Auf psychiatrischem Fachgebiet hat er rezidivierende depressive Episoden, derzeit vom Schweregrad einer leichten depressiven Episode, diagnostiziert. Dies leitet der Gutachter nachvollziehbar und schlüssig aus den erhobenen Befunden ab. Hiernach war die Bewusstseinslage der Klägerin ungestört. Sie war örtlich, zeitlich, zur eigenen Person sowie zur Situation orientiert. Auffassung, Merkfähigkeit und Gedächtnis war nicht erkennbar gemindert. Die Klägerin war bei wechselnden Themen in der Befragung gut umstellungsfähig. Sie reagierte auf Fragen prompt, auch wenn sie auf ihre Beschwerden deutlich eingeengt war. Sie war jederzeit ablenkbar und umstellungsfähig, so dass keine wesentliche Störung des Denkablaufs erkennbar war. In der Untersuchungssituation fanden sich keine ersichtlichen Zwangshandlungen oder -impulse, kein Vermeidungsverhalten. Wahn, Sinnestäuschungen und Ich-Störungen waren nicht feststellbar. Im Durchschnitt der Exploration war die Klägerin affektiv etwas vermindert auslenkbar, jedoch nicht affektstarr und auch nicht affektlabil. Der Antrieb war nur mäßig vermindert und psychomotorisch etwas gebunden, wobei dies auch z.T. der Adipositas zuzurechnen ist. Nachvollziehbar und schlüssig leitet der Gutachter hieraus qualitative Leistungsstörungen ab. Nicht zumutbar erscheinen Tätigkeiten, die mit besonderer Verantwortung, Zeitdruck und Nachtschicht einhergehen. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist die Klägerin in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Dr. W. jedoch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche zu verrichten.

Diese Leistungseinschätzung wird auch durch das Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren von Dr. H. getragen, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat. Auch dieser kam nach der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 16.12.2014 zu einer vergleichbaren Leistungseinschätzung, wobei er den psychischen Befund als bewusstseinsklar, in sämtlichen Qualitäten orientiert, im Verhalten demonstrativ, kontaktfähig, schwingungsfähig, kritikfähig und mit ausreichender Frustrationstoleranz beschrieb. Die Stimmung war klagsam, die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis jedoch ungestört. Denk-, Sprach- oder Wahrnehmungsstörungen fanden sich bei ausreichender Belastungsfähigkeit nicht. Dr. H. diagnostizierte insoweit eine Dysthymia, die einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr nicht entgegensteht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte. Insoweit lassen diese bereits eine Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Leistungseinschränkung vermissen. Quantitative Leistungseinschränkungen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkt sind im Übrigen aber auch nicht ableitbar. Die genannten Ärzte haben keine Befunde mitgeteilt, die eine derartige Einschränkung ergeben würden. Insbesondere ist durch die Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. und Dr. H. geklärt, dass die nervenärztliche Erkrankung keine derart gravierende Auswirkung hat. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st. Rspr. des Senats (statt vieler Urteil des Senats vom 22.02.2017, - L 5 R 791/15 -, n.v.; vgl. auch LSG, Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10, n.v.) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens idR keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.

Der Senat verkennt dabei keineswegs, dass Dr. E. in seinem Gutachten vom 12.04.2016 eine quantitative Leistungseinschränkung annimmt. Zutreffend weist jedoch Dr. N. in seinen sozialmedizinischen Stellungnahmen vom 29.04.2016 und 09.05.2016 darauf hin, dass es sich bei der Leistungseinschätzung des Dr. E. um eine punktuelle bzw. kurzfristige Verschlechterung handelt, die nicht rentenrelevant ist. Eine quantitative Leistungseinschränkung über einen Zeitraum von sechs Monaten lässt sich zur Überzeugung des Gerichts nicht aus dem Gutachten von Dr. E. entnehmen. Eine längerdauernde zeitliche Leistungseinschränkung von mehr als sechs Monaten wird von Dr. E. zwar in seinem Gutachten angenommen. Eine nachvollziehbare und schlüssige Begründung hierfür fehlt jedoch. So zeigt sich im Gutachten von Dr. H. noch ein deutlich positiverer psychischer Befund. Auch im Befundbericht der Universitätsklinik vom 27.07.2015 beschreiben Dr. W. und Dr. K. den psychischen Befund dahingehend, dass die Klägerin bei ihrer ambulanten Vorstellung wach, geordnet, allseits orientiert und bewusstseinsklar war. Die Stimmung und Schwingungsfähigkeit wirkten gebessert, Hinweise auf inhaltliche oder formale Denkstörungen, Ich-Störungen und Wahrnehmungsstörungen fanden sich nicht. Die Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit wirkte nur reduziert. Hinweise auf ausgeprägte Ängste oder Zwänge fanden sich nicht. Des Weiteren war der Antrieb reduziert. Die Klägerin wirkte erschöpft. Dementsprechend weist Dr. N. zutreffend darauf hin, dass erst der im Dezember 2015 erhobene Untersuchungsbefund des Dr. E. eine quantitative Leistungsminderung belegt, bei der es sich allerdings um eine punktuelle Verschlechterung handelt. Hiervon geht auch Prof. Dr. Dr. W. aus, der eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation ab April 2015 bis Frühjahr 2016 nicht auszuschließen vermag. Stellung nehmen vermag er aber nur zur aktuellen Situation. Psychische Erkrankungen sind freilich erst dann von rentenrechtlicher Relevanz, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12.09.1990, - 5 RJ 88/89 - und Urteil vom 29.02.2006, - B 13 RJ 31/05 R -; BayLSG, Urteil vom 21.03.2012, - L 19 R 35/08 - und Urteil vom 21.01.2015, - L 19 R 394/10 -, sowie Urteil des erkennenden Senats vom 25.05.2016, - L 5 R 4194/13 -, alle in juris). Wie aus den Leitlinien der Beklagten für die sozialmedizinische Begutachtung (Stand August 2012, Leitlinien) hervorgeht, bedingt im Übrigen eine einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episode in den meisten Fällen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Eine ungünstige Prognose bezüglich der Erwerbsfähigkeit kommt danach (erst) in Betracht, wenn mehrere der folgenden Faktoren zusammentreffen: Eine mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, ein qualifizierter Verlauf mit unvollständigen Remissionen, erfolglos ambulant und stationär, leitliniengerecht durchgeführte Behandlungsversuche, einschließlich medikamentöser Phasenprophylaxe (z.B. Lithium, Carbamazepin, Valproat), eine ungünstige Krankheitsbewältigung, mangelnde soziale Unterstützung, psychische Komorbidität, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und erfolglose Rehabilitationsbehandlung (Leitlinien S. 101 f.; Urteil des erkennenden Senats vom 25.05.2016, - L 5 R 4194/13 -, a.a.O.). Eine Krankengeschichte dieser Art ist bei der Klägerin nicht dokumentiert. Zwar ergibt sich im Dezember 2015 eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation gegenüber der Untersuchung bei Dr. H. im Dezember 2014. Diese ist jedoch in Übereinstimmung mit Prof. Dr. Dr. W. maßgeblich auf ein Unfallereignis im April 2015 zurückzuführen, bei dem die Klägerin auf einen LKW aufgefahren war. Dies führte zu einer krisenhaften Zuspitzung der familiären Situation und der Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit der Folge von Arbeitsunfähigkeit bis Frühjahr 2016. Zutreffend weist Dr. N. auch darauf hin, dass keine adäquate pharmakologische Therapie stattfand. Des Weiteren wurden keine stationäre Krankenhausaufenthalte oder Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt. Lediglich die ambulante Therapie wurde auf einer niederen Frequenz ca. einmal pro Monat fortgeführt. Damit aber ist nicht ersichtlich, dass die Versicherte die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden konnte - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe. Vielmehr hat sich der Gesundheitszustand im Nachgang zu Begutachtung von Dr. Essinger, bei welcher sich erstmal eine quantitative Leistungseinschränkung gezeigt hat, sogar innerhalb von weniger als sechs Monaten ohne intensive Behandlung verbessert. Die vorübergehende Verschlechterung hat daher keine rentenrechtliche Relevanz.

Damit ist aber ein Leistungsfall zur Überzeugung des Senats nicht eingetreten. Aus den medizinischen Unterlagen ergibt sich ein klares und eindeutiges Bild der lediglich qualitativen rentenrelevanten Leistungseinschränkungen. Bei einer Gesamtbetrachtung sind dauerhafte gravierende Leistungseinschränkungen nicht ersichtlich. In der Zusammenschau der aus den Erkrankungen resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen ergibt sich keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt angesichts der Befunde ebenfalls fern (zu den Voraussetzungen: BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/05 RJ 73/90 -; Urteil vom 19.11.1997 - 5 RJ 16/97 - und Urteil vom 30.01.2002 - B 5 RJ 36/01 R -, alle in juris).

Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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