L 32 AS 1246/17 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 108 AS 15687/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1246/17 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Veranlassungsgesichtspunkte sind im Rahmen der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nicht zu prüfen, sofern sie nicht die Frage der Mutwilligkeit betreffen
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juni 2017 geändert.

Den Antragstellern wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und Rechtsanwalt Imanuel Schulz beigeordnet.

Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, in welchem die Antragsteller die Auszahlung bereits bewilligter insgesamt 1.233,97 EUR für den Monat November 2016 begehrten.

Die Beklagte hatte den Antragstellern mit Bescheid vom 23. März 2016 für den Zeitraum von März 2016 bis Februar 2017 vorläufig Grundsicherungsleistungen von monatlich insgesamt 1.233,97 EUR bewilligt. Mit Schreiben vom 30. September 2016 teilte die Beklagte den Antragstellern mit, die Zahlung der Leistungen werde ab Oktober 2016 vorläufig ganz eingestellt. Die Antragstellerin zu 1) lebe mit dem Vater der Antragsteller zu 4) und 5) in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft, weshalb die Einkommens- und Vermögensverhältnisse ungeklärt seien. Dagegen legten die Antragsteller Widerspruch ein. Im von den Antragstellern eingeleiteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde der Beklagte durch Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2016 (Zugang bei der Beklagten am 17.10.2016) aufgegeben, den Antragstellern die im Bewilligungsbescheid gewährten Leistungen auszuzahlen.

Die Antragsteller haben mit ihrer am 9. November 2016 erhobenen Klage die Zahlung des Novembergesamtbetrages geltend gemacht. Mit der Klage haben sie Prozesskostenhilfe beantragt und die erforderlichen Vordrucke und Unterlagen vorgelegt. Die Beklagte hat den geforderten Betrag am 11. November 2016 überwiesen. Die Kläger erklärten mit Schreiben vom 15. März 2017 den Rechtsstreit für erledigt.

Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit - dem Bevollmächtigten am 14. Juni 2017 zugestelltem - Beschluss vom 6. Juni 2017 abgelehnt und dies unter Verweis auf die mit Veranlassungsgesichtspunkten begründete ablehnende Kostenentscheidung im selben Beschluss begründet.

Die Antragsteller verfolgen ihr Begehren mit ihrer am 16. Juni 2017 erhobenen Beschwerde weiter. Eilverfahren und Leistungsklage hätten unterschiedliche Gegenstände, die auch unabhängig voneinander zu verfolgen und zu entscheiden seien.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 155 Abs 3, 4 SGG erklärt.

II.

Über die Beschwerde kann der Senat gemäß § 155 Abs 3, 4 SGG allein durch seinen Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben und die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft. Die rechtlichen, einschließlich der verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe sind durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt. Der vorliegende Fall wirft, an diesen Maßstäben gemessen, keine neuen rechtlichen Fragen auf. Die Ermessensausübung hat zudem den Zweck der Regelung beachtet, zu einer Straffung des Verfahrens und einer Entlastung des LSG beizutragen, ohne den Anspruch der Beteiligten auf einen angemessenen Rechtsschutz zu vernachlässigen (vgl die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT-Drs 12/1217 S 53 zu Nr 9 - § 155 SGG; BSG, Urteil vom 07.08.2014, B 13 R 37/13 R, RdNr 14).

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Den Antragstellern war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die Rechtsverfolgung bot im Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinreichende Aussicht auf Erfolg und war nicht mutwillig. Die Beiordnung anwaltlichen Beistandes war dafür auch im Sinne von §§ 73a Abs 1 SGG, 121 Abs 2 ZPO erforderlich.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies setzt bereits begrifflich voraus, dass das entsprechende Rechtsschutzbegehren noch anhängig ist. Ist - wie hier - die Instanz, für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits beendet, dann ist eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung nach der verfassungsrechtlich bestätigten ständigen fachgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr möglich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010, 1 BvR 362/10, RdNr 13 mwN).

Allerdings kommt nach ständiger Rechtsprechung eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausnahmsweise auch nach Abschluss der Instanz in Betracht, wenn das Gericht sie bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte bewilligen müssen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010, 1 BvR 362/10, RdNr 14 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2004 - 11 WF 4/04 -, NJOZ 2004, S. 2540 f). Indes setzt ein solcher Anspruch auf rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss der Instanz voraus, dass der Prozesskostenhilfeantrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens im Sinne der Bewilligung entscheidungsreif war (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010, 1 BvR 362/10, RdNr 14 mwN; BGH, Beschluss vom 30.09.1981, IV b ZR 694/80 -, NJW 1982, S. 446; OVG NRW, Beschluss vom 05.10.2006, 18 E 760/06).

Ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe lag mit Klageerhebung vor. Nicht von Bedeutung ist, dass zu diesem Zeitpunkt und bei Eintritt des erledigenden Ereignisses – der Zahlung am 11. November 2016 – noch nicht über den Antrag entschieden werden konnte, weil dem Prozessgegner zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben war.

Die Klage hatte im Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinreichende Erfolgsaussicht. Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 29) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erfolg der Rechtsverfolgung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Diese gewisse Wahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung, der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage § 73a, RdNr 7a).

Die Klage war zulässig. Den Antragstellern fehlte nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Vor Klageerhebung hätte der Ausgang des Eilverfahrens nicht abgewartet werden müssen. Eine Vorbefassung der Behörde (vgl. BVerfG, 30.10.2009, 1 BvR 2442/09, RdNr 3; BSG, Urteil vom 05.07.2006, B 12 KR 20/04 R, RdNr 34) erfolgte jedenfalls durch den Widerspruch gegen das Einstellungsschreiben vom 30. September 2016. Nicht zu verlangen ist wegen der Entscheidung des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz bereits vom 14. Oktober 2016, dass erneut die Novemberzahlung ausdrücklich angemahnt wurde. Gerade angesichts des Eilbeschlusses bedurfte es keiner erneuten ausdrücklichen Geltendmachung des Auszahlungsanspruchs gegenüber der Behörde, weil wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs zum von den Antragstellern betriebenen Eilverfahren für alle Beteiligten außer Frage stand, dass die (vorläufige) Zahlung auch für November 2016 rechtzeitig zu erbringen war. Der ordentliche Rechtsbehelf in einer solchen Situation ist die Leistungsklage, die hier erhoben wurde. Diese war statthaft und hatte auch im Übrigen hinreichend Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage hatte auch in der Sache hinreichende Erfolgsaussicht, wie sich aus der Erfüllung der Forderung ergibt.

Veranlassungsgesichtspunkte sind im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht zu prüfen, sofern sie nicht die Mutwilligkeitsfrage betreffen. Das Gesetz stellt auf die Kriterien der Erfolgsaussichten und der Mutwilligkeit ab. Weder eine Veranlassung durch die Behörde, die selbst bei fehlenden Erfolgsaussichten zu einer Kostenverurteilung der Behörde führen kann, noch die Veranlassung einer zulässigen Klage seitens der Kläger kann angesichts der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen der Prüfung der Prozesskostenhilfe berücksichtigt werden, sofern nicht die Grenze der Mutwilligkeit überschritten ist. Die Antragsteller waren auch insofern unter Rechtsschutzbedürfnisgesichtspunkten nicht zuvor auf den Ausgang eines weiteren Eilverfahrens zu verweisen, selbst wenn sie dieses zusätzlich eingeleitet hatten. Vielmehr dürfte sich hier die Frage mutwilligen Behördenverhaltens angesichts des Eilbeschlusses vom 14. Oktober 2016, nicht aber mutwilliger Rechtsverfolgung seitens der Antragsteller stellen. Die zögerliche Erklärung der Erledigung durch die Antragsteller kann im Rahmen der Kostenentscheidung, nicht aber im Rahmen der lediglich auf Erfolgs- und Mutwilligkeitsaspekten zu gründenden Entscheidung über die Prozesskostenhilfe berücksichtigt werden. Gegen die Kostenentscheidung ist mangels Beschwerde hier nicht zu befinden.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved