S 5 SO 256/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
5
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SO 256/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob vom Einkommen der Klägerin Aufwendungen für eine private Unfallversicherung in Höhe von monatlich 16,85 EUR und eine Arbeitsmittelpauschale von monatlich 5,20 EUR vom Einkommen abzusetzen sind.

Die 1981 geborene Klägerin, inzwischen 35 Jahre alt, leidet unter einer schwerwiegenden Behinderung; die Klägerin hat aufgrund ihrer Gesundheitsstörungen auch motorische Defizite. Nach Behindertenrecht sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG", "B" und "H" festgestellt. Die Klägerin wohnt und arbeitet seit 01.09.2014 in einer Einrichtung der B. in A-Stadt. Sie erhält von dem Beklagten Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Die Klägerin arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen in A-Stadt ( B.-Werkstatt). Mit Schreiben vom 01.12.2014 bat der Beklagte die B.-Werkstatt, das anrechenbare Werkstatteinkommen gemäß § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII an den Beklagten zu überweisen.

Mit Bescheid vom 03.08.2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe, Leistungen der Grundsicherung und Hilfen zum Lebensunterhalt ab 01.09.2016 bis vorerst 31.08.2020 in der Einrichtung B., Wohn- und Pflegeheim, A-Straße, A-Stadt. Die Kostenzusicherung umfasse auch den Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von derzeit monatlich 109,08 EUR ab 01.09.2016. Als Kostenbeitrag seien ab 01.09.2016 das anrechenbare Werkstatteinkommen, die Unterhaltsleistungen von nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch unterhaltsrechtlichen Personen, eventuelle Wohngeldleistungen, die Leistungen der vollstationären Pflege nach dem Pflegeversicherungsgesetz und das die Freigrenze übersteigende Vermögen (Vermögensfreigrenze derzeit 2.600 EUR) festzusetzen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Betreuer der Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2016 (Blatt 721 der Beklagtenakten - ohne Eingangsstempel) partiellen Widerspruch. Bei der Berechnung des anzurechnenden Werkstatteinkommens (hier: 106,00 EUR) seien neben einem Achtel der Regelbedarfsstufe 1 sowie dem 1/4 des übersteigende Bedarfs bei der Klägerin noch insgesamt weitere 28,50 EUR für Sozialbeiträge für die Pflegekasse von Kinderlosen in Höhe von 1,45 EUR, für den Werbungskosten-Pauschalbetrag von 5,20 EUR, die gesetzlichen Mindestbeiträge für die Riester-Altersversicherung von 5,00 EUR und die Beiträge zur privaten Unfallversicherung, die für alle Aufenthalte außerhalb einer Einrichtung wie zum Beispiel bei Heimbeurlaubungen, Freizeiten, Ausflügen mit anderen Behinderteneinrichtungen etc. abgeschlossen worden sei, in Höhe von 16,85 EURabzuziehen. Damit entfalle für die Klägerin der geforderte monatliche Anteil aus dem anrechenbaren Werkstatt Einkommen vollständig.

Mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 27.04.2016 wurde der Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte habe der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII nur als Sachleistung in Form der Übernahme der Wohnkosten bewilligt. Geldleistungen durch den Beklagten erfolgten nicht mehr.

Grundsätzlich stelle das Werkstatteinkommen einzusetzendes Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 SGB XII dar. Von dem Einkommen seien die in § 82 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XII bzw. § 88 Abs. 2 SGB XII genannten Beträge abzusetzen. Diese Regelung sei abschließend. Weitere Absetzungsbeträge kämen nicht in Betracht. Nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII seien Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sein, abzusetzen. Bei der Angemessenheit sei auszugehen von den objektiven Verhältnissen, also von den bei einer Durchschnittsfamilie ähnlicher Art üblichen und notwendigen Vorkehrungen gegen Risiken des täglichen Lebens und von der subjektiven Verhältnissen, insbesondere von der Lebenssituation der Klägerin und der Art des Bedarfs. Dass bei einem Einzug in ein Behindertenwohnheim eine andere Beurteilung erfolge, wie zu Zeiten, in denen die Klägerin zuhause gelebt habe, sei daher grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte dürfe zurecht davon ausgehen, dass eine private Unfallversicherung im Rahmen einer stationären Unterbringung nicht mehr angemessen sei.

Nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII seien die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Entsprechend § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII zählten hierzu unter anderem die notwendigen Ausgaben für Arbeitsmittel. Allerdings seien Ausgaben in diesem Sinne nur insoweit zu berücksichtigen, als sie von dem Bezieher des Einkommens selbst getragen werden. Dass die Klägerin tatsächlich Aufwendungen für Arbeitsmittel habe, sei nicht ersichtlich.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben mit Telefax vom 30.12.2016, das an diesem Tag beim Sozialgericht Nürnberg eingegangen ist, Klage erhoben; zugleich haben sie einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt. Bei der Klägerin bestehe behinderungsbedingt ein erhöhtes Sturzrisiko. Die hierdurch bestehende Verletzungsgefahr solle durch die Unfallversicherung abgesichert werden. Es erschließe sich nicht, aus welchen Gründen der Beklagte eine Unfallversicherung bei einer Unterbringung im Haushalt der Eltern als angemessen betrachte, bei einer stationären Unterbringung jedoch nicht. Nach der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII könne gemäß § 3 Abs. 5 der Verordnung als Aufwendungen für Arbeitsmittel ein monatlicher Pauschbetrag von 5,20 EUR berücksichtigt werden, wenn nicht im Einzelfall höhere Aufwendungen nachgewiesen werden. Demgemäß handle es sich um eine Pauschale, die immer zu berücksichtigen sei, wenn nicht durch konkrete Nachweise höhere Kosten geltend gemacht würden. Im Übrigen habe der Beklagte im Rahmen der auszuübenden Ermessensentscheidung überhaupt nicht dargelegt, warum er davon ausgehe, dass der Klägerin keinerlei Kosten für Arbeitsmittel entstünden.

Der Beklagte hat unter dem 01.02.2017 Stellung genommen; auf den Inhalt der Stellungnahme wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15.03.2017 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin weiter ausgeführt, der Begriff der Angemessenheit in § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII sei auf Vorsorgemaßnahmen zu begrenzen, die zwar gesetzlich nicht vorgeschrieben seien, aber einem vorausplanenden Bürger, der kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis habe, ratsam erschienen. Letztlich entscheidend sei für eine Anerkennung als sozialhilferechtlich relevante Versicherung, dass sie Risiken abdecke, für die jeder Bürger in der Regel Vorsorge betreiben. Dies sei bei einer privaten Unfallversicherung der Fall (vgl. auch OVG Lüneburg, FEVS 42, 108; Schellhorn/Schellhorn/Hohm § 82 Rn. 41; Brühl, LPK-SGB XII, § 82 Rn. 66). Hinsichtlich der Arbeitsmittelpauschale in Höhe von 5,20 EUR gemäß § 3 Abs. 5 der Verordnung zu Durchführung des § 82 SGB XII entstünden der Klägerin beispielsweise Kontoführungsgebühren. Darüber hinaus diene die Inanspruchnahme einer gesetzlich festgelegten Pauschale gerade der Verwaltungsvereinfachung, so dass die Angabe konkreter Kosten nicht notwendig sei, soweit nicht Kosten oberhalb der Pauschale geltend gemacht werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 03.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von M. vom 02.12.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei der Berechnung des aufgrund der stationären Unterbringung zu leistenden Eigenanteils der Klägerin aufgrund von Werkstatteinkommen bzw. bei der Berechnung des Werkstattfreibetrages die private Unfallversicherung der Klägerin in Höhe von monatlich 16,85 EUR sowie eine Arbeitsmittelpauschale von monatlich 5,20 EUR gemäß § 82 Abs. 2 SGB XII anzuerkennen ...

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Beklagtenakten beigezogen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Gerichts- und Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 03.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von M. vom 02.12.2016 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung des Eigenanteils aus dem Werkstatteinkommen Aufwendungen für die private unsers Unfallversicherung in Höhe von monatlich 16,85 EUR und eine Arbeitsmittelpauschale von 5,20 EUR abzusetzen sind.

Im konkreten Fall erweist sich die Aufrechterhaltung der privaten Unfallversicherung, die für die Klägerin (vgl. Blatt 496 der Beklagtenakten) seit März 2001 abgeschlossen wurde, als nicht angemessen. Der Begriff der Angemessenheit in § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII - insoweit teilt die Kammer die mit Schreiben vom 15.03.2017 vorgetragene Auffassung der Klägerseite - bemisst sich nach Parametern, nach denen ein vorausplanender Bürger, der kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis hat, vorgehen würde. Nach dem Versicherungsschein (Blatt 497 der Beklagtenakten) bietet das Versicherungsuntern eine Versicherung "gegen die wirtschaftlichen Folgen von Unfällen, die der Versicherte innerhalb und außerhalb seines Berufes erleidet". Die Klägerin muss damit rechnen, dass bei einem versicherten Unfallereignis Leistungen der Versicherung als einzusetzendes Vermögen nach § 90 Abs. 1 SGB XII behandelt werden; denn die Vorschrift des § 90 Abs. 2 SGB XII enthält Versicherungsleistungen aus eine Unfallversicherung nicht. Ein vorausplanender Bürger, der kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis hat, würde in dieser Fallgestaltung auf den Abschluss einer Unfallversicherung verzichten. Denn darüber hinaus ist die Klägerin im Rahmen ihrer Beschäftigung in der Werkstatt für behinderte Menschen nicht nur in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. Darüber hinaus ist der Einrichtungsträger im Rahmen seiner vertraglichen Nebenverpflichtungen zum Heimvertrag gegenüber der Klägerin allgemein verpflichtet, Schaden von der Klägerin abzuwenden, der ihr durch die Benutzung der Einrichtung entstehen kann. Die Kammer sieht keine Veranlassung, der zu § 76 Abs. 2 Nr. 3 des Bundessozialhilfegesetzes ergangenen Rechtsprechung des OVG Lüneburg, Urteil vom 29.11.1989 - 4 A 205/89 -, FEVS 42,104 -113 zu folgen; das Urteil wurde mit einer "besonderen Situation der Familie" begründet. Diese Rechtsprechung ist auf die Situation der in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebenden Klägerin, deren gesamter Bedarf vom Beklagten zu decken ist, nicht übertragbar. Auch die sozialhilfehilferechtliche Kommentierung von Schellhorn/Schell-horn/Hohm, SGB XII, 19. Auflage, § 82 Rn. 45 verweist lediglich auf die vorbezeichnete Entscheidung des OVG Lüneburg. Gemessen an einem Werkstatteinkommen der Klägerin von monatlich 106,00 EUR erweist sich auch die Höhe der monatlichen Versicherungsbeiträge von 16,85 EUR bzw. im Hinblick auf den der Klägerin gewährten Barbetrag von 109,00 EUR als nicht angemessen.

Auch die Nichtabsetzung einer Arbeitsmittelpauschale in Höhe von 5,20 EUR gemäß § 3 Abs. 5 der Verordnung zu Durchführung des § 82 SGB XII erfolgt zu Recht. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII sieht vor, dass vom Einkommen auch die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen sind. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII gehören zu den mit der Erzielung der Einkünfte aus nichtselbständige Arbeit verbundenen Ausgaben vor allem (Nr.1) notwendige Aufwendungen für Arbeitsmittel, (Nr. 2) notwendige Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, (Nr. 3) notwendige Beiträge für Berufsverbände, (Nr. 4) notwendige Mehraufwendungen infolge Führung eines doppelten Haushalts nach näherer Bestimmung des Abs. 7. § 3 Abs. 4 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII bestimmt, dass Ausgaben im Sinne des Satzes 1 nur insoweit zu berücksichtigen sind, als sie von den Bezieher des Einkommens selbst getragen werden. Die Klägerin hat keine derartigen Aufwendungen nachgewiesen, insbesondere sind Kontoführungsgebühren keine derartigen Aufwendungen, jedenfalls sind Kontoführungsgebühren keine Arbeitsmittel.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass jedenfalls der Pauschbetrag nach § 3 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII hätte berücksichtigt werden müssen, teilt die Kammer die Auffassung nicht. Wenn die Verhältnisse so liegen, dass vom Leistungsempfänger selbst keinerlei Aufwendungen für Arbeitsmittel vorgetragen werden können, ist der Ansatz der Pauschale nicht gerechtfertigt (ebenso im Ergebnis: Sozialgericht München, Urteil vom 24.04.2015 - S 22 SO 270/12 -). Die einschränkende Formulierung "kann" macht deutlich, dass diese Vorschrift den das SGB XII vollziehenden Behörden aus ausschließlich verwaltungsökonomischen Gründen eine Pauschalierung erlaubt, wenn dies der zuständigen Behörde sachgerecht und sinnvoll erscheint, um bei etwa sich monatlich ändernden Beträge nicht mit monatlichen Änderungsbescheiden reagieren zu müssen oder um individuelle Nachweise für Kleinstbeträge nicht einfordern zu müssen. Die das SGB XII vollziehende Behörde ist aber auch bei geringen Aufwendungen im Sinne des § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII nicht zur Anwendung der Pauschalierungsvorschrift des § 3 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII verpflichtet. Die Vorschrift des § 3 Abs. 5 SGB XII begründet somit auf Seiten der Leistungsempfänger - anders als im Steuerrecht der § 9a des Einkommensteuergesetzes - keinen individuellen über die gesetzliche Regelung des § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII hinausgehende eigenständigen Anspruch auf Berücksichtigung eines Pauschbetrags.

Damit musste die Klage im Ergebnis ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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